| HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst | |
Oktober, November, Dezember 2025
in Lektüreliste 26.10.2025 12:08von Taxine • Admin | 6.750 Beiträge
"Wieland oder die Verwandlung" war durchaus spannend zu lesen, wenn auch der Plot nicht so ganz überzeugt. Aus dem Nachwort erfährt man jedoch, dass Brockden Brown sich an einer realen Geschichte seiner Zeit orientiert hat. Zudem schrieb er diesen Roman parallel zu "Arthur Mervyn", wobei letzterer deutlich komplexer und lohnenswerter ist. 
In "Wieland" wird die Geschichte in Briefform erzählt, aus der Perspektive von Clara Wieland, deren Vater einen seltsamen Tod durch Selbstverbrennung erlitt. Zunächst hören die Zurückgebliebenen (bestehend aus Theodor Wieland, dem Bruder der Erzählerin, seiner Frau Catherine und dem Freund Pleyel) eigenartige Stimmen, die sie vor etwas warnen oder ihnen den Tod eines geliebten Menschen verkünden. Bald aber taucht ein Fremder auf, mit Namen Carwin, und die Erzählerin ist von ihm zugleich abgestoßen und fasziniert. Auch sie hört auf einmal Stimmen, die sie zum einen töten, zum anderen warnen und schützen möchten. Brockden Brown setzt am Ende ein moralisches Ausrufezeichen, das durchaus gültig ist, denn wenn der Mensch nur etwas von seinen moralischen Prinzipien abrückt, ist er anfällig dafür, weitere Grenzen zu überschreiten. 
Brockden Brown überlebte zwar die Pest, während sein Verleger daran starb, erlag jedoch schon mit 39 Jahren der Tuberkulose. In "Arthur Mervyn" schreibt er beeindruckend intensiv von seinen Erlebnissen während dieser schwierigen Zeiten. Auch das Nachwort in "Wieland" berichtet ausführlich über sein Leben. Dabei wird aufgezeigt, wie schwierig es in Amerika war, Schriftsteller zu sein, denn Literatur und Kunst hatten dort im 18. Jahrhundert noch keine Priorität. Mit diesem Umstand kämpften neben Brockden Brown auch andere, beispielsweise Melville, der zu unserem großen Bedauern irgendwann das Handtuch warf. Im Nachwort heißt es über das damalige Amerika:
Zitat
"Neben Benjamin Franklin und Thomas Jefferson gibt es im Umkreis der Unabhängigkeitskriege keine irgend vergleichbare Gestalt eines systematischen Philosophen oder gar Dichters. Charakteristischerweise geht diese Selbstabsperrung gegen den europäischen Zeitgeist Hand in Hand mit der selbstverständlichen Ausbildung eines außerordentlich gesteigerten nationalen – oder besser staatlichen – Eigenwertgefühls. Nur so wird verständlich, daß sich in fast zweihundert Jahren einer Kolonialherrschaft, auch im engeren Zirkel der eigentlichen Kolonialhierarchie, keine Ansätze zu literarischer oder künstlerischer Gestaltung finden."
Meine jetzige Lektüre ist: Shūsaku Endō "Schweigen". Da ich bald aber wieder in die Welt der Schauerromane eintauchen möchte, habe ich mir schon Ann Radcliffe bereit gelegt.

Art & Vibration
 
RE: Oktober, November, Dezember 2025
in Lektüreliste 28.10.2025 10:14von Taxine • Admin | 6.750 Beiträge
Man hat ja so seine Lieblingsautoren, und Dimitré Dinev gehört auf jeden Fall dazu. Er hat uns lange warten lassen und belohnt uns jetzt mit über 1.000 Seiten Literatur. Sein neues Werk heißt "Zeit der Mutigen". Ebenfalls neu erschienen ist auch Pynchons "Schattennummer". Das verspricht schöne Lesezeiten, bei letzterem, wie immer, als spannende Herausforderung.

Art & Vibration
 
RE: Oktober, November, Dezember 2025
in Lektüreliste Gestern 10:51von Taxine • Admin | 6.750 Beiträge
Zitat von Salin
Mit der besseren deutschen Übersetzung von No Longer Human meinst du sicher die vor einem Jahr bei Suhrkamp veröffentlichte, zu der ich sogar eine Rezension zu hören bekam. Diese Übersetzung ist aber noch immer die von Jürgen Stalph, die 1997 beim Insel Verlag unter dem Titel Gezeichnet erschien. Seit 2023 wurden mindestens sieben minderwertige Übersetzungen des Romans verlegt, was das Leben für ernsthaft arbeitende Verlage erheblich erschwert.
Einen weiteren Versuch machte der Verlag Anaconda (März 2025), mit einer Übersetzung von Sabrina Wägerle und dem Titel "Nicht länger ein Mensch". Hier merkt ein Rezensent an, dass das Ganze nicht nur altmodisch klingt, sondern auch Details einfach weggelassen wurden. Ähnlich ärgerlich war für mich z. B. die Übersetzung der im Original beeindruckenden Biografie von Blake Gopnik über Andy Warhol. Sie erschien im Bertelsmann-Verlag und ließ nicht nur diverse Abschnitte weg, sondern gleich die gesamten Fußnoten, die weitere wichtige Details enthielten. Auch die Übersetzung selbst war teilweise sehr unbedarft, vor allem in der Wahl bestimmter Wörter, die Gopnik kaum in dem Kontext gemeint hat. Auch Gopnik selbst irrt sich in einigen Bereichen, z. B. wenn er den Roman "Venus im Pelz" de Sade zuweist, der natürlich von Sacher-Masoch stammt. Ansonsten ist die Biografie aber sehr ausführlich und sicherlich eine der besten über diesen eigenwilligen Künstler (wenn man ihn denn überhaupt Künstler nennen will).

Art & Vibration
 

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