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Hirngespinste

Austausch zwischen Literatur und Kunst

#1

Henri Barbusse

in Die schöne Welt der Bücher 30.06.2011 17:28
von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge

Henri Barbusse
Das Feuer


Zwei Armeen im Kampf sind eine große Armee, die Selbstmord begeht.

Dieses Zitat ist so schön, das es hier noch einmal über die Rezension geschrieben gehört, wie er auch im Buch selbst zweimal vorkommt. Am Anfang und am Ende der Geschichte aus dem Mund der Soldaten.

Ich muss sagen, schon lange hatte ich nicht mehr das Vergnügen, so viele Stellen auf einmal in einem Buch anzustreichen, mich auf jeder Seite über eine beschriebene Situation, einen überragend ins Bild gefassten Satz, einer tiefen Hinterfragung zu erfreuen. Das heißt jedoch nicht, dass hier etwas Schönes beschrieben wurde, nein, ganz im Gegenteil. Jedoch sind darunter Gedanken, die mich direkt ins Herz getroffen haben.

Henri Barbusse wurde 1873 in Asnière in Frankreich geboren, arbeitete als Schriftsteller, Theaterkritiker und Redakteur. Bei Kriegsausbruch 1914 meldete er sich als Freiwilliger, entwickelte bald aber eine überzeugt pazifistische Einstellung, was in "Das Feuer", mit Dezember 1915 unterschrieben, deutlich zum Vorschein kommt. Barbusse trat 1923 der Kommunistischen Partei Frankreichs bei und engagierte sich stark, was sich in seinen Werken, Erzählungen und Reportagen widerspiegelt. "Das Feuer" ist sein Hauptwerk, die Verarbeitung seiner Kriegserlebnisse. Der Roman wurde mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet und in 50 Sprachen übersetzt. Bei der Teilnahme am 7. Weltkongress der III. Internationale 1935 starb Barbusse in Moskau.

In seinem Werk "Das Feuer" ist nichts besungen, und doch schreibt Barbusse eindrucksvoll und gleichsam verzweifelt gegen den Krieg an, mit Worten, die tief bewegen, und bleibt dabei so nahe am Menschen, dabei selbst so menschlich, dass zwischen der Grausamkeit des Krieges jene Kameradschaft sichtbar wird, die ein Krieg mit sich bringt, während der Ton so rauh wie das Wetter und das Geschehen bleibt, bis vereinzelte Situationen die Soldaten in das verwandeln, was sie früher einmal gewesen sind – Menschen, Franzosen, Liebende, … womöglich sogar Glückliche. Kleinste Ereignisse können einen neuen Hoffnungsschimmer hervorbringen oder die angespannte und schmerzhafte Stimmung erheben.

Zitat von Barbusse S. 46
Wenn diese Menschen trotz allem nach dem Verlassen dieser Hölle glücklich lächelten, dann nur deshalb, weil sie herausgekommen sind.



Barbusse ist ein weiterer Schriftsteller, der den Krieg selbst erlebt und über ihn geschrieben hat, danach zum großen Pazifisten wurde, gleichfalls (ähnlich wie Jünger später) sehr poetisch schreibt, ohne den Dreck des Krieges, die einander an den Kopf geworfenen Ausdrücke, das Leid der Menschen zu beschönigen. All das wirkt wie ein Wechselspiel zwischen lebendigen Gedanken und schrecklichen Szenarien. Im Gegensatz zu Jünger, war Barbusse einfacher Soldat und meldete sich freiwillig, als der Krieg ausbrach, warum er einen anderen Blick auf das Geschehen wirft, einen, der nicht über Land zieht und auf tote Pferdekadaver trifft (bei Jünger natürlich erst später, im Zweiten Weltkrieg), sondern der direkt aus den Gruben und blutig besudelten Gräbern kriecht, in denen die Franzosen ausharrten, bis der nächste Angriff der Deutschen erfolgt.

Nicht den Menschen muss man töten, sondern den Krieg. So könnte man Barbusses poetischen und doch sehr realistischen Protest gegen das Abschlachten im Ersten Weltkrieg zusammenfassen. Da zerfetzt alles, was die Vorstellung zulässt und graue Massen an Mensch, die als Feinde miteinander kämpfen, lassen sich in all dem Schmutz und Schlamm des Krieges bald schon nicht mehr unterscheiden. Nach der Ruhe folgt der Sturm, und aus der Langweile tritt der Schrecken, der eiskalt bis in die Knochen dringt. Damit wechseln die Einstellungen, die Sichtweisen, die Sehnsüchte.

In den Schützengräben bewegt sich die Masse der Müden, die Gesichter bleiben grau und schwarz; (54)… es ist, als befreie man sich nur unvollkommen von der Nacht, die keiner von uns mehr ganz ablegen kann.

Der Tod ist hier nicht erhaben oder heldenhaft ((292)… und sie werden es dir sagen, um dich mit Ruhm zu bezahlen und um sich selbst für das zu bezahlen, was sie nicht getan haben. Aber der Kriegsruhm, der gebührt nicht dem einfachen Soldaten. Der ist für ein paar wenige; im Übrigen, diese Auserwählten ausgenommen, ist der Soldatenruhm eine Lüge wie alles, das im Krieg nach Schönheit riecht. Die Wirklichkeit ist doch so: Verschwinde stillschweigend!), er ist schrecklich mit anzusehen, voller Leid, Quälerei, Schmerz und Klumpen menschlichen Fleisches. Die einfachen Soldaten, die hier aus ihren Gräben klettern, um ein bisschen „Welt“ und bald darauf immer wieder die eigene Haut zu retten, verwandeln sich in Bestien und werden erst wieder Mensch, wenn zwischenzeitlich etwas Ruhe einkehrt. Sie wirken wie „Gipsstatuen, durch die schmutzige Reste von Menschlichem durchschimmert“, wenn der Regen den Erdboden aufweicht, durch den sie gegen den Feind heran kriechen oder sich der Staub über ihre Häupter legt. Sie werden zu Bettlern, wenn sie in den kleinen Dörfern um Unterkunft und Essen bitten, bei solchen Menschen, die am Krieg verdienen und sich auf Kosten der Soldaten und Offiziere bereichern.
Der Gestank des Todes, des Blutes, von Verwesung und Unmenschlichkeit dringt bis über die Seiten des Werkes hinaus. Ebenso die mächtige Erschöpfung, durch Schlamm und Wasser watend, mit der beständigen Gefahr, stecken zu bleiben oder von einer Kugel erwischt zu werden. Unter diesen Umständen die Hoffnung, dass all das enden wird, aufrecht zu erhalten, ist schwierig.

Zitat von Barbusse S. 26
Wahrhaftig, wenn man daran denkt, dass ein oder sogar mehrere Soldaten nichts, in der Masse weniger als nichts bedeuten, dann kommt man sich verloren vor wie ein paar Tropfen vergossenes Blut, wie ertrunken in dieser Sintflut von Menschen und Dingen.



Die Überschrift „Das Feuer“ durchzieht das Buch in verschiedenen Situationen. Einmal sind da natürlich das Gefecht, das Feuer der Kämpfe, das die Menschen verbrennt, das Abfeuern der Maschinengewehre und die Explosionen der Granaten. Dann ist es das Feuer lebendig umherirrender Fackeln, wenn einem Soldaten der Kopf vom Hals gerissen wurde und noch brennt, während der Körper zusammenfällt und dann leblos liegen bleibt. Zum anderen ist es aber auch das Feuer, das ewig fehlt, das Feuer, um sich warm zu halten, um sich etwas zu essen machen zu können oder eine Zigarette anzuzünden, jene Trostmomente zwischen den grausamen Ereignissen, ein Feuer, für das die Soldaten große Mühe auf sich nehmen, um seiner habhaft zu werden.

Der Ich-Erzähler, Barbusse selbst, beginnt mit der großen Müdigkeit erschöpfter Soldaten, die in ihren Schützengräben warten. Im Krieg wartet man immer, berichtet er am Anfang. Man wartet auf die nächste Ration, auf den nächsten Befehl, auf den nächsten Angriff. Und ehe man sich versieht, steckt man mitten in der barbarischen Grausamkeit und sehnt sich zurück nach den Tagen der Langweile.

Barbusse beschreibt seine Kameraden in lebendiger Wirkung, die einander die übelsten Ausdrücke an den Kopf werfen, während man trotzdessen die gegenseitige Sympathie heraushören kann. Der Krieg ist dreckig und ebenso ist es die Sprache. Der Mensch betritt eine neue Welt, in der es zur Kunst wird, sich die Menschlichkeit zu bewahren. Das Miteinander wird anders, die Reflektionen, die Vorstellung von einer normalen Welt, wenn der Krieg endlich vorbei sein sollte, woran zu glauben den Soldaten schwer fällt. Irgendwo in der Mitte berichtet Barbusse, wie einer seiner Kameraden auf ihn zukommt und sich erkundigt, ob er als Schriftsteller über sie schreiben werde. Als er bejaht, fragt der andere weiter, ob er dann auch schreibt, wie sie miteinander umgehen oder ob er, da es in der Literatur so üblich sei, die Gespräche umgestalten und beschönigen würde. Barbusse verspricht ihm, ehrlich zu sein, was er auch getan und gewagt hat.

Vielleicht wirkt das ganze Leid, das sich sowieso kaum beschreiben und höchstens als eine reine Anteilnahme, aber nie als Wirklichkeit vorstellen lässt, darum so lebendig und so schmerzhaft. Diese Menschen, die einer nach dem anderen fallen, sich dabei nach und nach von Menschen in groteske Fratzen verwandeln – (191) Als wir sie sehen, sagen wir: Die vier sind tot. Aber sie liegen dort so sehr entstellt, dass wir gar nicht sagen können: Sie sind es wirklich. Man muss sich erst von diesen unbeweglichen Gestalten abwenden, um die Leere zu empfinden, die sie zwischen uns und der Gemeinschaft, die nun zerrissen ist, hinterlassen. -, diese Menschen, die in ihren täglichen Handlungen und Gesprächen betrachtet werden, sind keine Kriegsmaschinen oder Roboter oder eiskalte Killer. Und doch können sie losstürmen und töten. Der Wandlungsprozess zwischen Mensch und Soldat wird wirkungsreich beschrieben, die, die jung sind, verwandeln sich in abgezerrte und tragische Todgeweihte.
Wir sind zugleich wir selbst – und seltsame Greise.

Dieses Buch ist wahrhaftig eine Gewalt in zweifacher Hinsicht, im blutenden Inhalt und in der Größe der Bilder, die dem Leser so lebendig und grotesk, erschütternd und wiederum tiefsinnig in den Schädel dringen, dass danach nichts bleibt, als erneut und immer wieder über jene Ungerechtigkeit großer Weniger nachzugrübeln, die ganze Völker gegeneinander aufhetzen und auf dem Schlachtfeld opfern, um ihre gierigen Machtansprüche zu behaupten.
Man ist zum Leben geboren und nicht, um so zu verrecken. Das sagt einer der Überlebenden keuchend vor Erschöpfung am Ende des Buches. Und ein anderer erklärt:
Wenn man sich erinnern könnte, gäb’s keinen Krieg mehr!

Leider ist der Schrei: Nie wieder Krieg!, der so laut und bittend aus den Mündern der Geopferten dringt, nach dem Ersten Weltkrieg unbeachtet verebbt und wurde bis heute immer noch nicht vernommen.

Liebe Grüße
Taxine




Art & Vibration
zuletzt bearbeitet 30.06.2011 17:51 | nach oben springen

#2

RE: Henri Barbusse

in Die schöne Welt der Bücher 30.06.2011 17:49
von Martinus • 3.195 Beiträge

Hallo Taxine,

"Das Feuer" ist als einzigstes noch lieferbar in Deutschland. Nach dem, was ich jetzt darüber lese, deine Rezension, müsste mich der Roman ziemlich beeindrucken, bereue es doch, dass ich diesen Roman auf einem Flohmarkt mal liegengelassen habe. Es gibt auch von Alexander Moritz Frey, unbekannt und vergessen, den Feldsanitätsbericht "Die Pflasterkästen", der scharfkantig pazifistisch ist. Vielleicht lässst sich das Buch vom Frey mit Barbusse vergleichen. "Das Feuer" ist vorgemerkt.

Liebe Grüße
mArtinus




„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
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#3

RE: Henri Barbusse

in Die schöne Welt der Bücher 30.06.2011 18:00
von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge

Zitat von Martinus
"Das Feuer" ist als einzigstes noch lieferbar in Deutschland.



Hallo Martinus. Von Barbusse gibt es noch andere Sachen, Novellen, Briefe. Den Roman "Die Hölle". Oder meintest du etwas anderes?
Barbusse berichtet übrigens auch davon, dass die Feldsanitäter den schwersten Job machten, die die zerfetzten Körperteile zusammensammeln mussten oder die Toten transportieren, die sie wie schwere Steine über die Gräben hieven mussten.
"Das Feuer" enthält allerdings auch sehr gewaltsame Szenen, um den Schrecken zu verdeutlichen. Ich hoffe, es wird dich ebenso beeindrucken, wie es mich beeindruckt hat.

Liebe Grüße
tAxine




Art & Vibration
zuletzt bearbeitet 30.06.2011 18:11 | nach oben springen

#4

RE: Henri Barbusse

in Die schöne Welt der Bücher 30.06.2011 18:10
von Martinus • 3.195 Beiträge

Zitat von Taxine

Zitat von Martinus
"Das Feuer" ist als einzigstes noch lieferbar in Deutschland.



Hallo Martinus. Von Barbusse gibt es noch andere Sachen, Novellen, Briefe. Den Roman "Die Hölle". Oder meintest du etwas anderes?




Die anderen Werke kenne ich nicht mal vom Titel. Mir ist bloß aufgefallen, dass bei amazon nur "Das Feuer" lieferbar ist. Ich werde googeln und sehen, was ich über Barbusse in Erfahrung bringe.




„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
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#5

RE: Henri Barbusse

in Die schöne Welt der Bücher 30.06.2011 18:18
von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge

Ich kann mir vorstellen, dass "Das Feuer" sowieso sein bestes Werk ist. Später, in der kommunistischen Phase, hat er wohl auch ein Buch über Stalin geschrieben.
Bei booklooker gibt es einige seiner Bücher. "Der Ziegenhirt" mit einem tollen Cover von Max Lingner vom Holz-Verlag.

Ist wohl ein Gemeinschaftsprojekt beider. "Der Ziegenhirt" ist eine Art allegorischer Rahmen, der die Fabel vom Milchmädchen und seiner falschen Rechnung mit dem Lied "Ach, du lieber Augustin" verbindet und zusammen mit dem Lied "Es waren zwei Königskinder" aus "Des Knaben Wunderhorn" umschließt.... heißt es in einer Zusammenfassung. Lingner fertigte zuerst die Entwürfe und übergab sie dann Barbusse.
Oder "Die Henker" über die Geschichte des Balkans, über die Unterdrückung der demokratischen und sozialistischen Kräfte und die Machtinteressen der kapitalistischen Länder, "Die Kette - Visionärer Roman" und einige andere.




Art & Vibration
zuletzt bearbeitet 30.06.2011 18:25 | nach oben springen


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