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Hirngespinste

Austausch zwischen Literatur und Kunst

#1

Grigori Pasko

in Blicke auf Menschen 14.12.2011 13:17
von Taxine • Admin | 6.678 Beiträge

Die rote Zone

Der Sträfling weiß selbst, dass er ein Sträfling, ein Ausgestoßener ist, und kennt seine Stellung dem Vorgesetzten gegenüber; aber durch keine Brandmale, durch keine Fußkette kann man ihn zwingen zu vergessen, dass er ein Mensch ist.

Die rote Zone ist eigentlich eine Zone in einem verschärften Arbeitslager. Diese wird aber in diesem Buch nur ganz kurz angerissen, denn Pasko war es verboten, im Arbeitslager irgendetwas schriftlich festzuhalten. Daher musste er, im Gegensatz zum Gefängnis vorher, über die rote Zone aus der Erinnerung schreiben. Doch während seiner Untersuchungshaft darf er schreiben und führt darum Tagebuch. Diese Eindrücke finden sich ausführlich in diesem Buch und sind sehr aufschlussreich.

Wie vor den Kopf geschlagen fühlt sich der Journalist Pasko, als er am Flughafen bei der Rückreise aus Japan erfährt, dass er verhaftet und wegen „Landesverrat“ und Spionage verurteilt werden soll. ("Wissen die Japaner eigentlich, dass ich für sie spioniere?", fragt er an einer Stelle mit ironischem Unterton.) Natürlich ist die Anklage völlig absurd. Er hat nichts verbrochen, in seinen zuvor durchsuchten Gebäckstücken wurden nur Artikel gefunden, die sich damit befassen, wie russische Militärschiffe Atommüll ins Japanische Meer ablassen. Eigentlich sollte all das ja noch kein Grund sein, sich in der heutigen Zeit, in der doch überall Meinungsfreiheit herrscht, zu beunruhigen. Alles wird sich schon irgendwie aufklären, denn Pasko ist ein Unschuldiger und Unschuldigen kann man nichts beweisen.
Doch die Meinungsfreiheit in Russland (und auch nicht nur dort) ist ein Hirngespinst, ein reiner Begriff, denn Missstände anzuklagen, kostet in vieler Hinsicht die Freiheit oder sogar den Kopf. Wer also wagt, den Mund aufzumachen, muss mit Bestrafung rechnen, wer Missstände aufdecken will, wird gesondert behandelt. Russland hat dafür etliche erprobte Methoden, für den Anfang genügt, die Anträge auf Hafterlass erst einmal immer wieder abzulehnen und den Verdächtigen schmoren zu lassen, ihn damit langsam zu zermürben. Währenddessen schmiedet der Geheimdienst FSB schon eine fingierte Anklage zurecht. Doch bei Pasko will das nicht ganz so gut funktionieren, denn er fühlt sich nicht als Verbrecher, oder sagen wir es deutlich: er ist kein Verbrecher, und unterschreibt daher auch keine Papiere, die ihm vorgelegt werden. Um seine Unschuld letztendlich zu beweisen, dass er kein „echter Spion“ ist, wie es in den Medien über ihn heißt, muss er die lange Zeit der Untersuchungshaft durchstehen und dabei immer wieder mit den übelsten Bedingungen kämpfen, angefangen bei uninteressierten Anwälten, Briefen, die nirgendwohin gelangen, geendet bei voreingenommenen Richtern und in einem Arbeitslager. Ein langer und harter Weg, um die Methoden ganz und gar zu begreifen. Nicht nur Arbeitslager, auch russische Gefängnisse haben bereits ihren ganz eigenen „Charme“.

Zitat von Pasko
„Warum bin ich hier? Wieso maßt sich jemand das Recht an, mich meiner menschlichen Existenz zu berauben, noch bevor ein Gericht – wie auch immer es beschaffen sein mag – festgestellt hat, dass ich wirklich ein gefährlicher Verbrecher bin? Und wenn ich wirklich ein gefährlicher Verbrecher bin, wie soll man dann die wirklichen Verbrecher nennen?“



Hier beginnt er seine Aufzeichnungen, die den Leser direkt ins Geschehen führen, und man sagt sich, wie verrückt es ist, dass die Zeit in solchen Situationen völlig stehengeblieben ist, dass hier 1997 unter Jelzin (später unter Putin) immer noch ähnliche Zustände vorherrschen, wie sie Solschenizyn und andere beschrieben haben, eben, um sie aus der Welt zu schaffen, was ihnen, wie man sieht, kaum gelungen ist. Denn dort ist das Verschwinden immer noch üblich, das Gefängnisleben immer noch grausam, der Staat immer noch ein Raubtier, das sich der unbequemen Menschen ganz einfach entledigt, wenn es für ihn notwendig erscheint.
„Unser Vaterland ist so riesengroß, dass das Verschwinden einiger Hunderttausender oder gar Millionen Menschen unbemerkt bleibt.“

Die Gefangenen werden wie Tiere oder Untermenschen gehalten, wechseln sich in mehreren Schichten ab, um zu schlafen, da drei Pritschen für neun Menschen herhalten müssen (später auch sechs für fast dreißig Mann). Der Dreck ist überall, der Gestank, das Elend, der schlechte Fraß, und alle zwei Wochen, manchmal auch nur einmal im Monat, dürfen sich die Gefangenen unter brühend heißes Wasser stellen, das aus der Dusche tröpfelt, um wenigstens grob zu fühlen, wie es ist, wieder menschlich zu werden. Zwei Welten existieren nebeneinander. Die Gefängniswelt und die Welt dort draußen, die den Gefangenen wie eine Illusion vorkommt, wenn z. B. Werbespots im Fernsehen laufen und Waren anpreisen, die so weit vom Knastalltag entfernt sind, dass sie wie Wunder wirken und darum umso mehr auf die Nerven fallen.

Das Wichtigste ist, nicht aufzugeben, wenn auch jemand, der sich von Hoffnung nährt, hungrig sterben wird, wie Pasko so poetisch festhält. Immer wieder keimt in ihm der Gedanke auf, dass er sich umbringen möchte, statt inmitten von Unmenschen (die selten die Gefangenen, eher die Wärter sind) das Dasein zu fristen (So viele Gesichter ringsum. Und so wenig menschliche.), wo die Zeit auf jeden Fall eine innerliche wird, ein reines Gefühl.
„Es gibt kein Leben pur, einfach so. Es gibt Verleben, Erleben, Überleben, Aufleben, Ableben, Durchleben, Weiterleben und so weiter. Einfach leben – das ist ein unbeschreibliches Glück…“


Er weiß nicht, wie lange er hier eingesperrt sein wird, was seine Strafe sein wird, ob er die vollen zwanzig Jahre erhält, die auf Spionage stehen, während er sich nicht einmal vorstellen kann, nur einen weiteren Monat im Gefängnis zu verbringen. Es ist Dezember, die Feiertage gehen an ihm und seinen Mitgefangenen spurlos vorüber, während innerlich die ganze Sehnsucht aufkommt, die solche Feiertage mit sich bringen, Erinnerungen und Fröhlichkeit, die sich nun vollkommen verlieren. Die Gefängnisse, so Pasko, unterscheiden sich eben. Bei den einen wird mit Wodka auf das Neue Jahr angestoßen, bei den anderen mit „brennenden Augen Stoff geraucht“ und in einem dritten sind die Zellenbrüder schon froh über ein Stück Brot. Bei ihm trifft eher letzteres zu.

Nur das Schreiben hilft ihm, die Außenwelt kurzweilig zu vergessen, einzutauchen in seine Gedanken und Erinnerungen, wodurch ab und an sehr poetische Reflektionen erfolgen.
„Eine kalte, leere Wohnung, das ist schlimm. Doch wenn diese Wohnung bewohnt wird von einem Menschen, in dessen Seele kalte Leere herrscht, ist das noch schlimmer…“

Unter diesen Bedingungen ist es gefährlich, Tagebuch zu führen oder Briefe zu schreiben, da das Festgehaltene auch gegen den Schreibenden in seiner Wut auf die Umstände und den Staat herhalten kann. Immer wieder werden seine Sachen gefilzt und wohl auch hinter seinem Rücken kopiert. Die Briefe, die er schreibt, gehen nicht dorthin, wo sie hinsollen, sondern gleichfalls in die Hände, die Beweislast sammeln. Als das neue Jahr überstanden ist, sieht sich Pasko schon nicht mehr als ein Mensch, der bald in Freiheit ist und ein normales Leben führt, er erkennt sich nicht mehr außerhalb des Gefängnisses.
Und er muss lernen, sich damit anzufreunden, viele Jahre unter solchen Bedingungen zuzubringen. Er lernt, dass man Bücher niemals schnell lesen darf, dass Geschmacksnerven überlistet werden können, die Herrlichkeit der Vergangenheit oder Dinge wie „Besitz“ vergessen werden müssen. „Es gibt nur noch das Gefängnis und einen Paragraphen.“

Zitat von Pasko
„Das Gefängnis – eine Stadt der lebenden Toten. In jedem von uns Knastis ist etwas außerordentlich Wichtiges gestorben, etwas, das sich nicht mehr wiedererwecken lässt. Seinen Platz hat etwas anderes eingenommen, und dieses Andere trägt vielleicht die Schuld daran, dass so viele, kaum freigelassen, wieder im Gefängnis landen. (…) Als Rechtfertigung für Gemeinheit und Niedertracht, Heimtücke und Verrohung muss das Argument herhalten, man sei schließlich im Knast. Quatsch. Absoluter Blödsinn. Das Gefängnis ist – wie überhaupt alle Regeln und Konventionen – menschengemacht! Und wenn irgendwann einmal gebildete Vertreter der Spezies in dieses Gefängnis geraten, werden sich auch seine Normen ändern!“



Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das so stimmt. Aber es bleibt dennoch eine Stadt der lebenden Toten und etlicher Unschuldiger, während nicht weit vom Gefängnis entfernt, die Menschen seelenruhig schlafen, essen und ihren Alltag begehen, ohne die Missstände zu hinterfragen. Dazu sind die Psyche von Gefangenen und Wärter sich sehr ähnlich, Pasko stellt sogar fest, dass die Gefangenen in vielem besser sind, was sich sehr gut nachvollziehen lässt. Es ist schließlich bekannt, dass der Wärter selbst zum Gefangenen wird, da er den gleichen Alltag absolviert, dies aber freiwillig tut und noch darauf aus ist, die Gefangenen zu quälen. Wer diesen Job übernimmt, versucht sich an seiner kleinen Macht aufzugeilen oder ist einfach so abgestumpft, dass es ihm nichts ausmacht, andere Menschen zu überwachen und zu schikanieren. Die Gefangenen selbst versuchen lediglich, zu überleben und einander nicht aufzufressen.
Und hin und wieder muss Pasko auch bekennen, dass die Außenwelt genauso unfrei ist wie die Gefängniswelt.

„Karl Marx sagt, das Leben sei Kampf. Aus irgendeinem Grunde hat man in Russland „Schlacht“ daraus gemacht.

(…)Das Volk fügt sich doch sowieso, es gibt nicht viele wirklich Aufmüpfige, und diese wenigen sitzen da, wo sie hingehören in wirren Zeiten – im Gefängnis.“

Wir sind eine Bevölkerung von Feiglingen und Konsumenten.


Überhaupt muss Pasko feststellen, dass Russland ein totalitärer Polizei- und Spitzelstaat ist, mit einer „dünnen Schicht privater Unternehmer, einer Elite von Superreichen und der grauen, schweigenden Masse, die für wenige Kopeken schuftet“. Gerade jetzt, nach der Wieder-„Wahl“ Putins, ist Paskos Eindruck interessant: „Wiederum nicht ohne Zutun des FSB werden jetzt eine Regierung und ein Parlament an die Macht gehievt („gewählt“, das ist für den Westen), die die Wiederherstellung der vormaligen Allmacht der bewaffneten Organe und besten Kräfte befördert“.

Und falls das zu offensichtlich ist, werden einfach einige Abgeordnete erschossen und in das öffentliche Interesse gerückt, um all das, was darunter wuchert, zu überdecken.

Die Menschen wurden über etliche Jahrzehnte eingeschüchtert, so dass die meisten lieber schweigen, als sich für irgendjemanden einzusetzen. Nichts ist mehr vom Volk übrig, das Dostojewski so hoch in den Himmel hob. Einer der Häftlinge bringt es auf den Punkt:

Zitat von Pasko
„Das halbe Land sitzt hinter Gittern und wird von der anderen Hälfte bewacht. Während sich das Volk alles gefallen lässt…
(…) Uns fehlen die Anführer. Unser Volk ist Pack, ist Herdenvieh, weil es nur losblökt, wenn es nichts zu fressen kriegt. (…)
Oder die voll gefressenen neuen Russen, die auf dieses Land und sein Gesindel scheißen, weil sie ihren ganzen Krempel – Hund, Häuser Bankkonten, Angetraute und Betthasen – längst im Ausland haben. Die wählen alle nur ihresgleichen ins Parlament.(…)
Wer das Volk piesackt und das Land mit giftigen Abfällen verseucht, bleibt ungeschoren, bekämpft werden diejenigen, die darüber öffentlich reden. (…)
Sind sie mit Plakaten auf die Straße gegangen? Haben deine Kollegen aus Solidarität die Druckerpressen abgestellt. Pustekuchen! Verängstigtes, eingeschüchtertes, schweigendes Kroppzeug ist das, mit einem Angst-Gen in der DNA. Denen gefällt dieses Leben, sie wollen kein anderes. Sonst würden sie zu den Forken greifen … Also komm mir bloß nicht mit dem Wort VOLK. Und erst recht nicht in einem Atemzug mit GERECHTIGKEIT oder, Gott bewahre, GLEICHHEIT. Gleichheit gibt es nicht und wird es nie geben. Nur das Grab macht alle gleich“.



Und alleine das Wissen, dass die Bestrafung unweigerlich erfolgt, ermöglicht eine Art Übereinstimmung zwischen Volk und Staat.

Zitat von Pasko
„Alle verstehen einander. Die Bevölkerung weiß, dass sie hinters Licht geführt wird. Die Herrscher wissen, dass die Bevölkerung dies weiß. Doch es ist ihnen egal, weil sie wissen: Hier und da leises Murren, überwiegend aber – Schweigen. Und warum schweigen die Menschen? Weil sie wissen: Wer aufmuckt, landet hinter Gittern.“



Schön und bewegend war für mich zu lesen, dass ausgerechnet mein Lieblingsrusse, Andrej Bitow, sich dennoch für Pasko eingesetzt hat. Auch Pasko findet in seinen Werken Tiefe und poetischen Feinsinn, wie ich, fühlt sich sogar getröstet durch Bitows philosophische Reflektionen.

Pasko hat sicherlich recht, wenn er sagt, dass jeder Blick auf das Gefängnis und seine Zustände ein subjektiver ist, der sich von den anderen unterscheidet, wie viel an Knastliteratur auch hervorkommen mag. Aber es ist wichtig, darüber zu berichten, zu zeigen, was falsch läuft, gerade weil so viele Unschuldige betroffen sind. Dazu gehört, wie er beweist, sehr viel Mut. Während er eineinhalb Jahre alleine in der Untersuchungshaft saß, davon mehrere Monate in Isolierzellen und Einzelhaft, die Beweise dann nicht ausreichten, da die Anklage fingiert war und freigelassen wurde, bleibt der „Fall Pasko“ erhalten. 2001 wird das Urteil aufgehoben, neue Ermittlungen beginnen. Im Juli 2001 verliert Pasko seine Arbeit, wird aus dem Flottendienst unter Aberkennung seines Dienstgrades und seiner Auszeichnungen entlassen und unter Präsident Putin erneut verurteilt, zu vier Jahren verschärftem Arbeitslager. Erst 2003 setzt eine mutige Richterin die Reststrafe zur Bewährung aus. Pasko arbeitet weiterhin als engagierter Journalist und ist Herausgeber eines Umweltschutzmagazins.


Liebe Grüße
Taxine




Art & Vibration
zuletzt bearbeitet 14.12.2011 13:53 | nach oben springen

#2

RE: Grigori Pasko

in Blicke auf Menschen 15.12.2011 23:15
von LX.C • 2.821 Beiträge

Wie bist Du auf das Buch aufmerksam geworden? Ich hatte damals ein Interview mit dem Autor gesehen, kurz nachdem das Buch veröffentlicht wurde. Das waren meine Gedanken zu dem Buch (2007):

Die Rote Zone

Die verbrecherischen Gewaltakte gegen Anna Politkowskaja und Alexander W. Litwinenko sind die im Westen bekanntesten Beispiele von Willkür mutmaßlich russischer Apparate gegen kritische Stimmen. Dass diese Taten Inszenierungen regierungsfeindlicher Kräfte sein könnten, wird nicht glaubhafter durch die Tatsache, dass Russland auf einem der letzten Plätze der Pressefreiheits-Rangliste rangiert und Journalisten regelmäßig die Zange russischer Institutionen zu spüren bekommen. So auch Grigori Pasko (*1962), der in seinem Gefängnistagebuch "Die Rote Zone" die Jahre 1997 bis 2003 beschreibt, in denen er selbst ein Opfer der Machenschaften des russischen Geheimdienstes wurde.

Bei Rückkehr von einer Dienstreise wird Pasko 1997 auf dem Flughafen vom Inlandsgeheimdienst festgenommen und in das Untersuchungsgefängnis Wladiwostok überstellt. Der Vorwurf: "Versuchte Verbringung geheimer militärischer Dokumente ins Ausland." Ab hier beginnt für den studierten Journalist (an der Militärpolitischen Hochschule Lwow), der sich Themen wie der Ausmusterung sowjetischer Atom-U-Boote, Desorganisation in den russischen Streitkräften, dem Thema Tschetschenien-Krieg sowie illegaler Entsorgung von Atommüll kritisch widmete, eine Zeit der völligen Hilflosigkeit, welche die größte Folter für den zuvor stets aktiven Zeitgenossen Pasko darstellt und nur ein Ziel haben kann: seinen Stolz und seinen Kampfwillen zu brechen, bis ihm demütig seine journalistische Stimme versagt. Endlose immer wieder dem gleichen Schema folgende Verhöre schließen sich an, psychischer Terror durch ständige Verlegungen in andere Zellen, in denen Menschen wie Vieh zusammengepfercht sind, so genannte Schlachtschiffe, in denen zwanzig bis dreißig Gefangene auf so engem Raum gehalten werden, dass sie sogar in mehreren Tagesschichten schlafen müssen, im Wechsel mit unmenschlich langer Einzelhaft. Hunger, unauskurierte Krankheiten, größte hygienische Defizite sind neben psychischer und physischer Gewalt durch Wärter und Mithäftlinge weitere Kriterien, die den freiheitsliebenden Pasko bis an die Grenzen seiner Existenz bringen. Auch seine Anwälte können ihm nicht helfen, sie sind dem langsamen und willkürlichen Apparat ebenso ausgeliefert. Wären nicht zwei elementare Dinge geblieben, Pasko hätte längst aufgegeben: die Liebe zu seiner Ehefrau Galina und das Schreiben.

Kommen wir zu eben diesem und beleuchten es näher. Das Werk gliedert sich in drei Teile. In den ersten beiden beschreibt Pasko in chronologischer Abfolge, zunehmend undatiert, mit gelegentlichen Rückblicken ins frühere Leben, den Alltag im Untersuchungsgefängnis Wladiwostok, bis zur ersten Verurteilung im Jahre 1999. Die Sprache ist einfach, ohne größeren literarischen Anspruch. Bis auf wenige tiefer gehende gesellschaftskritische Reflektionen, ist der Leser der Eintönigkeit dieses Gefängnisalltages ebenso ausgeliefert wie der Inhaftierte selbst. Das mag daran liegen, dass seine Aktivitäten strengstens überwacht wurden und er sich aus diesem Grunde, um sich nicht weiteren Gefahren auszusetzen, zur Zeit der Untersuchungshaft nur sehr eingeschränkt äußern konnte. Doch tröstet das nicht darüber hinweg, dass man hier hätte straffen oder nachträglich das Werk mit Fakten bereichern können. So äußert er sich auch kaum zum laufenden Verfahren, was die Beschreibung noch oberflächlicher erscheinen lässt. Der dritte und wesentlich kürzere Teil ist ein Rückblick auf eine zweite Inhaftierung, Verurteilung und Verlegung in ein modernes Gulag (Arbeitslager), genannt "Die Rote Zone", bis 2003, in dem es wesentlich strenger zuging und Pasko keine Möglichkeit mehr hatte, vor Ort Aufzeichnungen zu machen.

Mag man am Ende dem Gefühl nicht ausweichen können, dass das Buch den großen Erwartungen bezüglich dieses brisanten und hochaktuellen Themas, schon aufgrund der emotionalen Tagebuchform, nicht gerecht werden konnte. Alle Schwächen täuschen dennoch nicht darüber hinweg, hier hatte ein Mensch, allen Warnungen seiner Kollegen zum Trotz, für journalistisches Engagement und Zivilcourage, an den Methoden eines (im europäischen Sinne) undemokratischen Regimes zu leiden. Jahre seines Lebens hat man ihm geraubt und doch hat er sich nicht brechen lassen. Viele Paskos werden folgen, wie jüngst der ehemalige Schach-Weltmeister und Oppositionelle Kasparow. Ob sie etwas ausrichten können ist fraglich, doch gäbe es diese Menschen nicht, würde das "Kritische Russland" von der Weltöffentlichkeit unbeachtet untergehen.


--------------
[i]Poka![/i]

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#3

RE: Grigori Pasko

in Blicke auf Menschen 17.12.2011 15:30
von Taxine • Admin | 6.678 Beiträge

Zitat von LX.C
Wie bist Du auf das Buch aufmerksam geworden? Ich hatte damals ein Interview mit dem Autor gesehen, kurz nachdem das Buch veröffentlicht wurde.


Durch dich... (Vgl. dazu den Ordner: "Lektüreliste" - Dezember Zweitausendundelf)...
(Ist natürlich schon ein Weilchen her, so etwa ein Jahr. Zwei Schriften der Politkowskaja habe ich mir auch besorgt. "Russisches Tagebuch" und "Putins Russland". Für die, die es nicht wissen: Anna Politkowskaja wurde vor ihrer Wohnung 2006 erschossen, nachdem sie sich kritisch über den Tschetschenienkrieg, Putin und andere Dinge, die in Russland falsch laufen, geäußert hat. (Artikel dazu hier!)
Zu diesem Thema lese ich auch Lew Kopolews "Aufbewahren für alle Zeit".




Art & Vibration
zuletzt bearbeitet 17.12.2011 16:30 | nach oben springen


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