HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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#1
von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
"An meine Tochter" - Phillippe Claudel
in Literatur im Verriß 16.08.2007 17:20von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Hier muss natürlich betont werden, dass dieser Herr zuvor ein grandioses Buch geschrieben hat. "Die grauen Seelen".
Wunderbare Sprache, Bild-gewaltig, düstere Geschichte. Hier scheint mir Joyce in "Ulysses" Recht zu behalten, wenn er über die Franzosen sagt:
Ein bisschen habe ich es auch so empfunden, was das Buch selbst aber nicht schlechter macht.
Nun aber zu dem Buch, das mich enttäuscht hat:
"An meine Tochter". Schrecklich dünnes Buch mit dünnem Inhalt. Ich bin allerdings ein "strenger" Leser. Ich mag keine Wiederholungen, keine aufgegriffenen Themen, die schon so oft in der Literatur durchgekaut wurden. Zudem mag ich nicht, wenn jemand einen Roman "mit der Zeitung daneben" schreibt und zitiert...
Der Inhalt:
Ein Mann schreibt an seine Tochter. Es ist ein Abschiedsbrief. Seine Frau ist bei der Geburt des Kindes gestorben, seitdem hat das Leben jeden Sinn verloren. Doch während des Schreibens begreift er, dass er weiterleben muss - für seine Tochter.
Soweit, so gut. Etwas fad.
Ein Zitat von der zweiten Seite war auch noch gelungen:
Doch danach geht es steil bergabwärts.
Es sind Gesellschaftseindrücke, manchmal lustig, manchmal trübsinnig formuliert, zum Beispiel, als der Erzähler an einer Werbetafel vorbeikommt, auf der eine Unterhose mit einem erigierten Geschlecht abgebildet ist, und in Tränen ausbricht.
Sätze, wie:
Zitat:
... sind karg gesät, vielleicht muss man in einer ähnlichen Situation stecken, um dafür Begeisterung zu entwickeln, mir selbst ist beim Lesen so mancher Gähner entfleucht…
Dass Trauer menschlich macht, die Augen für das Elend und den rasenden Fluss der Modernität öffnet, ist nichts Neues, dass der Mensch schaulustig ist, aber nicht helfen will ist alltäglich, dass ein Kind noch nichts von dem Grauen der Welt weiß, ist fast schon abgeschmackt…
Wenn auch dazwischen ein paar kaltblütige Tricks der hier so bezeichneten "Hyänen" aufgeführt werden ( - Hyänen haben Zeit -), dann reicht das bei weitem nicht aus, um das Buch interessant zu machen. Die vielen "Mängel der Gesellschaft" wirken eher, als erhebe der Autor immer dann den Zeigefinger, wenn’s unangebracht ist!
Im Großen und Ganzen eine Enttäuschung, nach den „Grauen Seelen“ hatte ich mir mehr versprochen.
Zurück zu den Klassikern…
Wunderbare Sprache, Bild-gewaltig, düstere Geschichte. Hier scheint mir Joyce in "Ulysses" Recht zu behalten, wenn er über die Franzosen sagt:
In Antwort auf:
(… ) Phantastisches Volk, kein Zweifel, aber peinlich kurzsichtig in manchen Sachen. Sumptuöse und stagnierende Übertreibung des Mordes.
Ein bisschen habe ich es auch so empfunden, was das Buch selbst aber nicht schlechter macht.
Nun aber zu dem Buch, das mich enttäuscht hat:
"An meine Tochter". Schrecklich dünnes Buch mit dünnem Inhalt. Ich bin allerdings ein "strenger" Leser. Ich mag keine Wiederholungen, keine aufgegriffenen Themen, die schon so oft in der Literatur durchgekaut wurden. Zudem mag ich nicht, wenn jemand einen Roman "mit der Zeitung daneben" schreibt und zitiert...
Der Inhalt:
Ein Mann schreibt an seine Tochter. Es ist ein Abschiedsbrief. Seine Frau ist bei der Geburt des Kindes gestorben, seitdem hat das Leben jeden Sinn verloren. Doch während des Schreibens begreift er, dass er weiterleben muss - für seine Tochter.
Soweit, so gut. Etwas fad.
Ein Zitat von der zweiten Seite war auch noch gelungen:
In Antwort auf:
Wir sind Hyänen . Das ist der Name, den man uns in dem kleinen Kollegenkreis, in dem wir arbeiten, gegeben hat. Ich hasse diesen Namen. Er peinigt mich Tag und Nacht. Unsere Aufgabe besteht darin, Familien, die soeben einen nahen Angehörigen verloren haben, darauf vorzubereiten, einer speziellen Bitte nachzukommen. Wir teilen ihnen das Ableben ihres Angehörigen mit und versuchen gleichzeitig, oder fast gleichzeitig, von ihnen die Einwilligung zu erhalten, dem Leichnam diverse Organe zu entnehmen.
Ich bezweifle, dass es diesen Beruf zu deiner Zeit noch geben wird... Ich bezweifele, dass es ihn in der Art, wie wir ihn heute, sozusagen als Amateure, ausüben, noch geben wird. Übrigens tut sich auch die Verwaltung schwer mit unserer Stellenbeschreibung: Auf meinem Gehaltsnachweis steht "Psychologe", auf dem meines Kollegen "Therapeut". Das will nichts bedeuten. Alle Welt schreckt heutzutage davor zurück, die Dinge beim Namen zu nennen: Ein Blinder ist ein Nichtsehender, ein Fernsehmoderator ein Künster, und Tote werden bald Nichtlebende heißen. Wir sind Hyänen , das ist alles.
Doch danach geht es steil bergabwärts.
Es sind Gesellschaftseindrücke, manchmal lustig, manchmal trübsinnig formuliert, zum Beispiel, als der Erzähler an einer Werbetafel vorbeikommt, auf der eine Unterhose mit einem erigierten Geschlecht abgebildet ist, und in Tränen ausbricht.
Sätze, wie:
Zitat:
In Antwort auf:
"Ich sehe an deinen Augen, dass du mich bumsen willst“, sagte die Kellnerin zu mir, als ich an meine zerstörte Kindheit dachte,…
In Antwort auf:
So gingen wir wortlos durch Paris. Manchmal bewegten sich große, zerschnittene Kartons auf dem Bürgersteig. Unter diesen eigenartigen Bettdecken schliefen Menschen. In Paris gibt es Tausende von ihnen.
In Antwort auf:
Meine Hände brannten. Zum ersten Mal seitdem deine Mutter gestorben war, hatte ich den Körper einer Frau berührt. Denn sie ist tot. Sie ist tot, und ich bin kaum lebendig, wie mir scheint. Ich mache bloß noch ein bisschen weiter.
In Antwort auf:
Wahres Leid hat nicht immer nahe am Wasser gebaut.
... sind karg gesät, vielleicht muss man in einer ähnlichen Situation stecken, um dafür Begeisterung zu entwickeln, mir selbst ist beim Lesen so mancher Gähner entfleucht…
Dass Trauer menschlich macht, die Augen für das Elend und den rasenden Fluss der Modernität öffnet, ist nichts Neues, dass der Mensch schaulustig ist, aber nicht helfen will ist alltäglich, dass ein Kind noch nichts von dem Grauen der Welt weiß, ist fast schon abgeschmackt…
Wenn auch dazwischen ein paar kaltblütige Tricks der hier so bezeichneten "Hyänen" aufgeführt werden ( - Hyänen haben Zeit -), dann reicht das bei weitem nicht aus, um das Buch interessant zu machen. Die vielen "Mängel der Gesellschaft" wirken eher, als erhebe der Autor immer dann den Zeigefinger, wenn’s unangebracht ist!
Im Großen und Ganzen eine Enttäuschung, nach den „Grauen Seelen“ hatte ich mir mehr versprochen.
Zurück zu den Klassikern…
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zuletzt bearbeitet 31.05.2009 00:13 |
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#2
von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
RE: "An meine Tochter" - Phillippe Claudel
in Literatur im Verriß 16.08.2007 17:21von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
An meine Tochter" war vielleicht so ein schneller (Zwischen-)Wisch, ein modernes Aufwiegen von Tod und Verarbeitung. Ein Brief eben an das Töchterchen, zu privat in der liebevollen Zuwendung und zu verallgemeinert, wenn's um die Auseinandersetzung mit dem Dasein, der Gesellschaft geht...
Im Vergleich dazu nochmal ein paar Sätzchen aus den grauen Seelen, wo die Sprachgewalt wesentlich faszinierender war...
In Antwort auf:
(… ) die nie das Bett verließ, wegen einer Mattigkeit, wie man das in unserer Gegend nennt, wo man häufig beobachten kann, dass gewisse Frauen den Novembernebel mit ihrer eigenen Verzweiflung verwechseln.
In Antwort auf:
Sein Bauch, der sich über den Oberschenkeln wölbte, sprach davon ebenso wie seine Haut, blaurot geädert, als würden sämtliche Gläser Burgunder, die er je geleert hatte, darunter kreisen.
In Antwort auf:
Nicht immer verstanden die Geschworenen, was der Staatsanwalt sagen wollte: Er hatte zu viel gelesen und sie nicht genug.
In Antwort auf:
Das ist die ewige Dummheit des Menschen, immer glaubt man, man habe Zeit, man könne es morgen erledigen, drei Tage später, nächstes Jahr, zwei Jahre später. Und dann sterben alle. Plötzlich geht man hinter Särgen her, keine gute Gelegenheit für ein Gespräch.
In Antwort auf:
(… ) Du bist eine graue Seele, hübsch grau, wie wir alle!“
„Das sind doch nur Worte.“
„Was haben dir die Worte getan?“
In Antwort auf:
Gute Menschen sterben schnell. Alle mögen sie, auch der Tod.
In Antwort auf:
Das Leben ist seltsam. Es warnt einen nicht.
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Ich stürzte zu Boden. Ich stürze noch immer. Ich lebe in diesem Sturz. Immerzu.
In Antwort auf:
Die Welt hört nicht auf, sich zu drehen, nur weil ein paar Menschen leiden.
In Antwort auf:
Wer von Blumen umgeben lebt, denkt nicht an den Schmutz.
In Antwort auf:
Der Krieg war wie ein großer Topf gewesen, der hunderttausende Männer zu Mus gekocht hatte.
Ja, das war Bildersprache...
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