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Robert Flinker
in Die schöne Welt der Bücher 29.11.2018 20:42von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Robert Flinker
„Fegefeuer“
Der Autor ist eine kleine Entdeckung, über den es sich lohnt, zu schreiben. Ich werde sicherlich noch mehr von ihm lesen, da er mich auf eigenartige Weise fasziniert.
Dieses Buch enthält neben dem Kurzroman „Fegefeuer“ auch noch vier weitere Kurzgeschichten, die jedoch hervorragend ineinander greifen und eine ähnlich schwebend surreale Stimmung vermitteln. Flinker erinnert in seinem Stil tatsächlich sehr stark an Kafka, nicht nur aufgrund des gewählten Namens „Gregor“ für seinen Protagonisten, sondern auch durch die Thematik selbst. Allerdings führen seine Geschichten fast immer in den Tod oder in eine entsprechende Besinnung darauf, etwas verpasst oder falsch gemacht zu haben. Hier klagt sich das eigene Ich beständig an, ohne es selbst zu ahnen.
In „Fegefeuer“ wird der Kaufmann Gregor Husum auf bizarre Weise eines Verbrechens beschuldigt, weiß jedoch nicht, was er getan haben könnte. Die Anklage erheben Polizisten und Gestalten, denen er im Leben bereits begegnet ist. Im Verlauf der Geschichte wird der Leser dann mit seiner Vergangenheit konfrontiert, wobei der Weg auch in Träume, in Verließe, in Grenzüberschreitungen zwischen Leben und Tod, ins Fegefeuer und zurück führt. Genau das macht das Werk von Flinker aus und bereichert es enorm, dieses „Wie“ des Erzählens. Während im „Prozess“ von Kafka vieles nur Andeutung bleibt, zeigt Flinker hier mehr Einfallsreichtum.
Die Art, wie er Wirklichkeit und Parallelwelt, Traum und Gedanken, Metapher und Ereignis vermischt, ohne dabei Verwirrung zu erzeugen, ist großartig, auch wenn der moralische Zeigefinger mahnend erhoben bleibt. Hier soll sehr deutlich vermittelt werden, wozu fehlende Liebe, Rückzug und Abgrenzung führen können und wie stark sich das eigene Ich selbst manipuliert und verbarrikadiert. Für meinen Geschmack wäre etwas mehr Denkfreiraum besser, während Flinker die Ereignisse lieber aufklärt.
Nach und nach zeigt sich, dass Gregor sein Leben vertan und Menschen, die er eigentlich lieben sollte, im Stich gelassen hat. Die von Flinker so herrlich aufgebaute düstere und reale Atmosphäre ist am Ende ein innerer Prozess und wandelt sich auf skurrile Art ins Metaphysische, manchmal sogar an Dostojewski erinnernd. Für den heutigen modernen Leser mag das zwar nicht überraschend sein, ist aber dennoch schön zu lesen.
An Kafka reicht Flinker zwar nicht ganz heran, kann aber durch die gewählte Form des Erzählens und durch seine Ideen überzeugen. Leider fällt bei ihm das frei Interpretierbare weg und ist lediglich während des Erzählvorgangs möglich, wenn der Leser versucht, das Erfahrene einzuordnen. Das Ende bleibt nicht, wie bei Kafka, vieldeutig, sondern wird bekanntgegeben. Das ist etwas schade, da auch Flinker weiß, den Leser zu führen und ihn in Spannung zu halten.
Sein Erzählstil ist angenehm, surreal und atmosphärisch zugleich. Gegenüber dem Hauptwerk sind die Prosastücke offener. Flinker selbst war Nervenarzt, überlebte als Jude den Zweiten Weltkrieg und nahm sich dann 1945 das Leben.
Claudio Magris weist in seinem Werk „Donau“ darauf hin, dass es wohl Liebeskummer war, was den Anlass für die Entscheidung gab, dass letztendlich das Ganze jedoch nur Vorwand blieb, um die zuvor erfahrenen Ereignisse des Krieges auszumerzen. Flinker schrieb für die Schublade und hat noch ein ganzes Werk zu bieten, das auf eine Veröffentlichung wartet. Ein weiterer Roman ist „Der Sturz“.
Art & Vibration