HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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Ervin Sinkó
„Roman eines Romans – Moskauer Tagebuch“
„Auch die lauterste Absicht ist gefährlich, wenn sie blind ist.“
Der in Ungarn geborene Schriftsteller Ervin Sinkó berichtet hier sehr anschaulich von der Tortur, sein Buch „Die Optimisten“ zu veröffentlichen, ein mehr als 1.200 Seiten starker Roman über die sozialistische Revolution in Ungarn und die Räterepublik Bela Kuns 1919. Er selbst hat an den historischen Ereignissen teilgenommen und landete in den Emigrations-Baracken von Wien, in Zürich und dann in Paris, wo er zur Randfigur gerät, die niemanden kennt, während alles davon abhängt, Beziehungen zu haben, um als Schriftsteller bemerkt zu werden. Ein Koffer voller Manuskripte, die nicht gelesen werden, ist auch Sinnbild für das eigene Versagen und fordert die Hinterfragung heraus, ob das eigene Leben vertan ist.
Der Zufall will es, dass Sinkòs Werk 1935 einem ungarischen Schriftsteller in die Hände fällt, der noch menschlich genug ist, ihn in seine Wohnung zu lassen und einen Blick darauf zu werfen. Das öffnet auch andere Türen, darunter entsteht der briefliche Kontakt zu Romain Rolland, einer der großen Bewunderer der kommunistischen Strömung. Während er von Sinkós Manuskript begeistert ist und alles versucht, ihn in französischen und deutschen Verlagen unterzubringen, ist das Werk einfach zu mächtig und brisant, um gedruckt zu werden.
Einzig im hochgelobten Neuaufbau der Sowjetunion scheint eine Möglichkeit zu bestehen, die Herausgabe zu beschleunigen, weshalb Sinkó mit seiner Frau noch im gleichen Jahr dorthin reist, zunächst eingeladen und mit dem Versprechen einer garantierten Veröffentlichung, dann mit der schleichenden Erkenntnis, dass keiner tatsächlich die Verantwortung für den Roman übernehmen möchte.
Das Manuskript wird von Hand zu Hand gereicht, bis Sinkó schließlich auch die Gastfreundschaft einbüßt und mit seiner Frau in Moskau fast auf der Straße landet, im Zwang, eine Wohnung zu finden, wo die meisten sich mit mehreren Familien ein Zimmer teilen und sogar jeder noch so kleine Hausflur mit einem Bett belegt ist. Hier lernt er dann den wirklichen sowjetischen Alltag kennen, der mit der Luxuswelt des Hotels als eingeladener Gast nichts mehr zu tun hat. Selbst im „Haus der Schriftsteller“ ist er zwar theoretisch willkommen, kann sich das dortige Essen jedoch nicht leisten.
Nicht nur der Druck und die Veröffentlichung, auch die zuvor bereits zugesagte Übersetzung ins Russische will keiner angehen, da die Gefahr besteht, für den Inhalt mit verantwortlich gemacht zu werden, was die Sache zusätzlich erschwert. Ein Vorschuss ist nicht möglich. Der Druck von Auszügen in Zeitschriften ebenfalls nicht. Man pfeift hier im gleichen Takt, und das ist verheerend für den Roman und Schriftsteller, der so zum Bitsteller verkommt und sich nahe am „Nil der Bettlersuppe“ bewegt. Sinkó, der sich als überzeugter Kommunist im Neuaufbau der lichten Zukunft mit ganz anderen Dingen konfrontiert sieht als er erwartet hat, muss nach und nach erkennen, dass der Schein trügt, dass alle lügen und heucheln, dass selbst die Ideen nur müde Karikaturen des Gewünschten sind.
Schon am Anfang verwundert er sich über die eigenartige Kreativitätslosigkeit der Künstler (in Film, Kunst, Theater und Literatur) und findet selbst satirisch geübte Größen wie Ilf und Petrow im Sumpf der unterzeichneten Idealartikel für Zeitungen, die eine heile Welt vermitteln sollen, die nicht existiert. Dazu macht ihm der Stalin-Kult zu schaffen. Die Schlange vor dem Lenin-Mausoleum ist Sinnbild für eine zur Schau gestellte Leiche, die eine finstere Erziehung zur Anbetung moderner Reliquien suggeriert. Während alles erneuert wird, bleibt der Mensch auf der Strecke. Selbst ein Arzt muss in mehreren Kliniken arbeiten, da ansonsten der Verdient für den Unterhalt nicht ausreicht, was im hochgelobten sozialistischen Aufbau keinen Sinn ergibt. Während einerseits die Modernität der Kliniken gelobt wird, verfällt andererseits die Behandlung in mittelalterliche Zustände. So werden Kliniken beispielsweise für die Generalüberholung und Sanierung ganze zwei Monate einfach geschlossen, was sowohl für die Ärzte als auch die Patienten verheerend ist.
Besonders schön kommt der sowjetische Bürokratismus zur Sprache, der bis heute ähnliche Züge zeigt. Ein „Bumaschka“ ist überall notwendig, ein Papier mit dem Stempel oder der positiven Bestätigung. Man muss sich schriftlich ausweisen, schriftlich argumentieren, schriftlich bestätigen, schriftlich sein. Niemand kann alleine entscheiden und selbst die Fürsprache eines angesehenen Genossen wie Bela Kun, der bis zur seiner Verhaftung in Russland lebt, verhilft nicht zu einer Beschleunigung der Romanveröffentlichung, sondern ermöglicht höchstens Mut machende Versprechungen, die dann wieder auf viele Instanzen verteilt werden und so verloren gehen.
Interessant ist der innere Kampf, den Sinkó im Glauben an die Sowjetunion und im Abwägen der wirklichen Bedingungen mit sich ausficht. Die Theorie weicht so enorm von der Wirklichkeit ab, dass auch er, obwohl schon weniger naiv, an sich zu zweifeln beginnt. Die Charaktereigenschaften, die er durch Begegnungen mit Russen, darlegt, sind bezeichnend. Das betrifft den einfachen Arbeiter ebenso wie den überheblichen Künstler, der sich durch die erkaufte Anerkennung seiner „problemlosen Kunst“ auch als Mensch für wertvoller als andere hält, während ihm das „Hamlet‘sche Grübeln“ völlig abgeht.
Ebenso neigt der sowjetische Staatsapparat zu einer Erziehung, die Wissen verallgemeinert, damit jeder gleich denken kann und auch das gewünschte „Niveau“ erreicht, der Literatur, Musik und Kunst zum staatslobenden Kitsch degradiert und der den individuellen Menschen, wenn es ihm nicht gut geht, grundsätzlich für schuldig erklärt. Stimmen die Lebensbedingungen nicht, ist der Grund für den Kummer nicht in den sowjetischen Verhältnissen zu suchen, sondern bei jedem selbst, dann ist mit den zu überreichenden „Seelen-Bumaschka“ etwas ganz und gar nicht in Ordnung.
Ähnliche Erkenntnisse gewinnt Sinkó mit den offensichtlichen Lügen der „Prawda“, der plötzlichen Verunglimpfung zuvor hochgelobter Persönlichkeiten wie Schostakowitsch oder Eisenstein und durch die todbringenden Moskauer Prozesse, die folgen. Trotzdem missdeutet er die Reaktion eines von ihm hochgeschätzten Schriftstellers wie Isaak Babel, den er in seinem Beschwerdebrief gegen „Mosfilm“ als Autorität anführt und der darüber fürchterlich erschrickt und ihn auch bei der Gerichtsverhandlung im Stich lässt. Der ahnungslose Sinkó beruft sich weiterhin auf die Notwendigkeit, privat und im öffentlichen Leben gleich denken und handeln zu müssen, was natürlich menschlich ein feiner Zug ist. Er begreift, trotz seines langsamen Erwachsens, immer noch nicht, dass dieses Verhalten unter Stalin den Kopf kostet, was bei Babel nur wenige Jahre später auch wirklich der Fall war.
Das Ganze gerät bei Sinkós Ausführungen zur „Beichte über die Gegenwart im Angesicht der Zukunft“ mit stark gerunzelter Stirn. Er wendet sich dabei auch an einen Leser, für den er hofft, dass sich die Verhältnisse längst verbessert haben. Er glaubt weiterhin an die Möglichkeit einer lichten Zukunft, wenn auch nicht mehr an den „neuen Menschen“, den er im sowjetischen Alltag nur zu gut kennengelernt hat. Später bekennt er, dass nicht nur er naiv und fast blind mitten im Geschehen agierte, sondern das Schweigen über die Dinge zum Grundton gehörte. Sinkó kann sich dabei noch glücklich schätzen, dass er nicht zu denen gehörte, die „zu Tausenden und Zehntausenden lautlos verschwanden“.
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(Alle Zitate sind der Ausgabe - Ervin Sinkó "Roman eines Romans - Moskauer Tagebuch", Verlag für Wissenschaft und Politik, 1962 - entnommen.)
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