HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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Edo Popovic
"Der Aufstand der Ungenießbaren"
"Eigentlich passieren wir nur …"
Popovic hat hier ein zeitkritisches und unterhaltsames Romanwerk als eine Utopie mit düster realem Anspruch komponiert, das seine Spuren sowohl in den Sand einer bedrohlichen Zukunft als auch ins Gestein einer wirklichen Vergangenheit und Gegenwart setzt.
Der Autor selbst war Mitbegründer mehrerer Underground-Literaturzeitschriften im ehemaligen Jugoslawien und zeitweise als Kriegsberichterstatter gefürchtet, da er das Geschehen kritisch und unideologisch kommentierte. Mit der Aussage - „Es gibt viele Schriftsteller, aber kaum noch Literatur.“ - trifft er ins Schwarze und unterscheidet sich sympathisch von anderen Gegenwartsautoren.
Sein erster Roman gilt bereits als Kultbuch, in diesem Buch wird vor allen Dingen der Macht-, Konsum- und Profitwahn auf die Schippe genommen, während dabei nicht nur einseitig geschimpft, sondern auch der radikale Weg kritisch betrachtet wird. Die Frage bleibt im Raum, was der Mensch ist und was er eigentlich will. Letztendlich hat er vergessen, worauf es ankommt, ganz gleich, was er tut oder nicht tut.
Schon wegen dem Titel mag der Leser interessiert sein, der Inhalt kann aber genauso überzeugen. Überflüssiges und Füllendes fällt weg und nur das Wesentliche ist kristallisiert.
Die Ungenießbaren sind Rebellen, die sich aus den gesellschaftlichen Normen und Ansprüchen zurückgezogen haben. Zum Teil geschieht das auch aus der Not heraus, nicht einfach aus Langweile oder jugendlichem Protest.
Eine Welt ist zerfallen und wurde in ihrer Schönheit ausgelöscht. Hier wachsen um die Stadt eine Zone und eine Mauer, die alles eingrenzen. Innerhalb ist alles reglementiert. Das betrifft nicht nur Vorschriften, Gesetze und Verbote, sondern eine totalitäre Kontrolle und den Umbau der Norm.
Die Ungenießbaren sind dennoch keine Nutznießer und Parasiten, sondern erheben auch keinen Anspruch auf die sozialen Vorteile. Da sie nicht gefressen werden wollen, möchten sie auch nicht fressen. Da sie nicht verbraucht werden wollen, sind sie keine Verbraucher. Sie sind ungenießbar, da sie sich durch eine konsequente Entscheidung frei und unabhängig gemacht haben.
Wie glückliche Menschen nicht kontrolliert werden können, sind auch die Ungenießbaren eine Gefahr für den Staat. Die Verfolgung ist vorprogrammiert, besonders wenn die Schritte zu radikal werden. Leider bedingt die Zeit auch Veränderungen, die teilweise mit dem humanen Konzept nicht mehr übereinstimmen. Ins Geschehen fließen auch Rückblicke in die Vergangenheit und auf den Krieg mit ein, auf die Unmöglichkeit der Feindschaft zwischen Serben und Kroaten, während die eigentlichen Feinde doch ganz woanders sitzen.
Was macht es auch für einen Unterschied, so fragt einer der Romanfiguren, ob man in die Haut eines Serben, Kroaten oder Italieners eingeschlossen ist, wenn es dennoch immer die eigene Einzelzelle im Lebensknast bleibt. Jeder ist Teil einer sich rasant entwickelnden und fortschrittlichen Welt, in der das Atmen immer schwerer fällt. Der Hass untereinander ergibt keinen Sinn, wenn dahinter die wahren Verbrecher regieren. Die in dieser Utopie scheinbar praktischen Verbesserungen dienen ausschließlich der Macht, nicht dem Menschen. Und das ist nun wirklich alles andere als utopisch.
„Wenn du die Toten spürst, dann leben sie. Wenn du die Lebenden nicht spürst, sind sie tot.“
(Alle Zitate sind der Ausgabe - Edo Popovic "Der Aufstand der Ungenießbaren", Verlag Luchterhand - entnommen.)
Art & Vibration
Ein wirklich toller Roman. Ich bin noch auf der Hälfte, aber gerade bei den Ungenießbaren muss man zwingend differenzieren. Diese sind nicht per se glücklich. Sondern im Ist-Zustand eher unglücklich, würde ich sagen. Und unglücklich gescheitert. Denn aus den friedlichen Protestlern der Ungenießbaren hat sich eine sich selbst zersetzende Terrorvereinigung abgespalten (ähnlich wie die RAF aus der Studentenbewegung), mit der viele der ehemals Ungenießbaren nichts zu tun haben wollen, wie auch einer der Hauptprotagonisten, Vanca, der diese aufgrund ihres außer Kontrolle geraten seins im Auftrag einer Geschädigten verfolgt. Zuvor gab es noch die Dunklen Kapuzen, diese postkommunistische Vereinigung ist die eigentlich glückliche gewesen, da es ihnen in einer Art tatsächlich kommunistischer Organisation an nichts gefehlt hat. Dieses Glück war dem Staat ein Dorn im Auge, denn: "Glückliche und kluge Menschen kann man unmöglich beherrschen" (79), während die Ungenießbaren im Ist-Zustand dem Staat im Grunde egal sind. Außerhalb der Mauer, ein Gebiet, das der Polizeikontrolle entzogen wurde, genießen sie Narrenfreiheit. Und um die entführten Manager kräht auch kein Hahn, denn Nachrücker innerhalb der Mauer, dem im eigentlichen imperialistischen Syndikat, stehen Schlange. Bin gespannt, wie es weiter geht. Die Szene, die Du zuletzt ansprichst, hat mir auch sehr gefallen.
"Dort in Bosnien habe ich begriffen, dass all das nicht existiert, die richtige Seite, die falsche Seite, meine Leute, deine Leute, unsere Leute, eure Leute, wir, sie, die Orthodoxen, die Katholiken, die Kroaten, die Serben, all das sind Worte, nur leere Worte, mit denen man uns erschrecken und verrückt machen will - und wir schlucken das alles. Aber ich will das nicht mehr. Der gesunde Menschenverstand sagt mir, dass wir beide eine Million gute Gründe dafür haben, friedlich nebeneinander zu leben, und nicht einen Grund dafür, uns gegenseitig abzumurksen. [...] Welchen Unterschied macht es, in die Haut eines Serben, eines Kroaten, oder eines Italieners eingeschlosse zu sein - oder in eine Einzelzelle im Knast? Gar keinen" (91).
Im Grunde ist das, was auf dem Gebiet Jugoslawiens geschah nach wie vor eine menschliche Tragödie. Von den Feindschaften, die immer noch bestehen, bis hin zur Wirtschaftslage und Faktoren wie Jugendarbeitslosigkeit. Das gilt natürlich für so viele Kriegsgebiete. Im Endeffekt, um noch mal auf den Roman zurück zu kommen, zeigt sich jetzt schon, dass bei aller Kapitalismuskritik auch der eingeschlagene Weg der Ungenießbaren ein Irrweg ist. Und das ist die Stärke des Romans und des Autors: Der Zweck heiligt noch lange nicht alle Mittel. Weder im Krieg, noch im Frieden.
(Zitate aus: Edo Popovic: Der Aufstand der Ungenießbaren, Luchterhand, 2011.)
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[i]Poka![/i]
RE: Edo Popovic
in Die schöne Welt der Bücher 21.12.2018 18:38von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Zitat von LX.C im Beitrag #2
... aber gerade bei den Ungenießbaren muss man zwingend differenzieren. Diese sind nicht per se glücklich. Sondern im Ist-Zustand eher unglücklich, würde ich sagen. Und unglücklich gescheitert.
Oh ja, absolut. Ich finde, gerade in den brutalen Aktionen von Gärtner drückt sich sowohl das Absurde der Handlung (kein Zweck heiligt die Mittel) als auch die Machtlosigkeit oder gar Ohnmacht des Terrors aus. Wie du es auch schon gesagt hast, der nächste Manager rückt nach, ein "Geldmensch" ersetzt den nächsten. Ein Opfer oder Mord setzt daher nicht einmal ein klares Zeichen. Und die Belehrungen durch Gärtner können niemanden erreichen, der ums reine Überleben kämpft, denn jeder weiß im Grunde, dass Geld nicht Nahrung ist, sondern nur Mittel. Die Botschaft erreicht auch niemanden über Opfer und Täter hinaus und stößt auch darum auf absolute Gleichgültigkeit.
Popovic vermittelt gut, wie sich Grundideale in eine gefährliche Tendenz und Abspaltung entwickeln. Mir gefällt auch, wie er in seinen Figuren alle Möglichkeiten durchspielt. Die Vorreiter und Mitläufer werden genauso gezeigt wie die Aussteiger und Radikalen. Und zufrieden ist niemand, da allgemein die Umstände schwierig sind.
Ich habe nun auch "Kalda" und "Mitternachtsboogie" gelesen. Beide Bücher unterscheiden sich zwar nicht im Stil, jedoch in der Erzählart. Sie sind autobiografischer und persönlicher. "Mitternachtsboogie" gilt als Kultbuch, jedoch eher in Hinblick auf Saufen, Sex und Kulturverlust. Die deutsche Ausgabe gibt es mit einer zusätzlichen Erzählung, die dann alles wieder aufwiegt, jedoch irgendwie nicht ganz zum Inhalt passt, so meine Meinung. Auch hier der Blick auf den Krieg, der bei Popovic sehr intensiv, lebendig, grausam und menschlich erfolgt. Vom Verlag "Voland & Quist" gibt es zum Buch immer auch eine Hör-CD dazu. Sehr schön gelesen und bei Popovic als Wiederholung im Hörerlebnis nicht schlecht. Bisher gefällt mir jedoch "Der Aufstand der Ungeniessbaren" am besten. Das Buch wirkt wie die Quintessenz seiner Erlebnisse in Literaturform.
(P. S. Wünsche dir schöne Weihnachten, LX.C. Und natürlich einen guten Rutsch ins neue Jahr! )
Art & Vibration
Man kann durchaus noch erwähnen, dass der Roman von einer in Split geborenen Übersetzerin übertragen wurde. Das macht die Übersetzung wahrscheinlich so großartig.
Hab erst ziemlich am Ende mitbekommen, dass es sich ja eigentlich um einen Zweigenerationenroman handelt. Abrisse aus dem Leben des Vaters und des Sohnes. Und wie beides miteinander zusammenhängt. Wenngleich der Roman an philosophischer Tiefe nichts verliert, muss ich leider doch eine abfallende Spannung feststellen. Aber gut. Zumindest der "Jäger" hat seinen Frieden im Alltag gefunden. Ihm ging es letztlich auch nicht darum, seine Kameraden zu stellen, sondern sich selbst mit der Vergangenheit zu konfrontieren. Ein heilsamer Prozess für ihn, während die anderen ihren Irrweg mit erahnbarem Ende fortsetzen.
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