HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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Tomas Espedal
"Gehen"
"Gehen" ist ein angenehmes und fließendes Buch von einem norwegischen Schriftsteller, der gerne auch die persönliche Geschichte zur Poesie gestaltet. Das Gehen als Befreiung, als Selbstfindung, als Akt der Klarheit oder der klaren Aufmerksamkeit, als Anstrengung und Wanderung, … als Überwindung und als Vergessen.
Der Erzähler (Espedal selbst) verlässt sein Heim, um sich wieder frei fühlen zu können, geht einfach los, ohne Plan, während er gleichzeitig die eigenen Gewohnheiten zu vermissen beginnt und bald schon von vielen Wanderungen und Reisen berichtet, die ihn verändert haben, die er immer wieder antritt, um die Suche zu spüren, den freien Himmel, das Nichtwissen, wohin es geht, mit der Veränderung seiner selbst, um zu einem anderen Menschen zu werden. Hier scheut er sich dann auch nicht, so lange zu wandern, bis er das Gesellschafts-Ich verliert und zum Landstreicher (zum unkenntlichen, schmutzigen und bärtigen Außenseiter) wird. Solange er sich in der Natur aufhält, ist der Gedanke an das eigene Äußerliche nicht notwendig. Erst mit dem Schritt in die nächste Stadt und bei der Suche nach einer Unterkunft wird die Sache schwierig. Denn Gehen ist immer Einsamkeit. Wenn du liebst, musst du sesshaft werden.
Aus all den Schritten und Gedanken wird ein Streifzug durch die Literatur und Kunst. Von den alten Griechen und Philosophen zu den modernen Dichtern und Denkern, die sich mit dem Gehen auseinandergesetzt haben. Er selbst als Schriftsteller hinterfragt, ob es sinnvoller ist, wie Rousseau Natur und Bewegung zu suchen oder sich wie Kafka an den Schreibtisch zu klammern. Er sieht besonders in den Figuren Giacomettis das Gehen und Stehen in einem einzigen Akt verkörpert. Während die einen im Gehen Befreiung finden, hat die rastlose Reise andere zerstört, z. B. Hölderlin. Unterschieden werden muss auch zwischen dem Sprung in die reine Natur à la Thoreau, Rousseaus Flanieren im Freien mit der jederzeit möglichen Rückkehr und der beschwerlichen Reise zu einem Ziel oder ins Nirgendwo. Jedoch dient alles der Erkenntnis über sich selbst.
Sehr schön sind daneben auch Espedals Gedanken zum modernen Leben (der Trend zur Verdummung), dass der Mensch sich mit seinem vielen Geld nur hässliche Häuser und Autos kauft (wie viele Autos benötigt ein Mensch? Wie viele Zimmer ein Haus? Wie viele Toiletten?), den Sinn für das Wesentliche jedoch verloren hat. „Wir sind geizig geworden, lebensgeizig …“, heißt es im Buch. Das ist nicht neu, aber immer wieder neu zu hinterfragen.
„Die Luxusjachten, die Autos, die viel zu großen Häuser, sie alle wachsen, die Reichtümer wachsen, doch die Menschen, die sie bevölkern, werden immer kleiner, man sieht sie kaum noch, sie verschwinden in ihrem Eigentum.“
Vielleicht reicht am Ende wirklich das, was in einen Rucksack passt.
(Zitate aus: Tomas Espedal "Gehen", Matthes & Seitz Berlin)
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