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Hirngespinste

Austausch zwischen Literatur und Kunst

#1

Handke und der spezielle Fluch Jugoslawien...

in Sachen gibt's - Sachbuch 29.10.2019 11:50
von LX.C • 2.821 Beiträge

anhand Peter Handkes "Abschied des Träumers / Winterliche Reise / Sommerlicher Nachtrag"

Textgrundlage für diesen und die folgenden Beiträge meinerseits: Handke, Peter: Abschied des Träumers / Winterliche Reise / Sommerlicher Nachtrag (5. Auflage), Suhrkamp, Frankfurt a.M. 2019.

Im ersten Teil "Abschied des Träumers vom Neunten Land" ergreift Handke Partei für den Fortbestand eines geeinten Jugoslawiens, indem er das seit Jahren lieb gewonnene "Mutter"-Land Slowenien (Herkunftsland seiner Mutter) für den aufkommenden Nationalismus und eine weitestgehend populistisch untermauerte Unabhängigkeitsbestrebung, letztlich -erklärung kritisiert. Aus Handkes Sicht ist das Handeln Sloweniens Völkerrechtswidrig. (Und man hat bei Lesen das Gefühl, das auf das heutige Katalonien übertragen zu können.) Medienkritik gegenüber deutschen Medien, wie dem Spiegel oder der Frankfurter Allgemeinen, denen er unsachlichen und unabhängigeitstreibenden Journalismus vorwirft, spielen dabei bereits eine größere Rolle. Zudem wird klar, Handke ist Gegner jeglicher Gewalt, denn wie soll man sich trotz der vormals einenden Geschichte hinterher noch in die Augen schauen können (womit er Recht behalten hat). Bezüglich dieses grundsätzlichen Standpunktes gegenüber Gewalt (den man eigentlich nicht anders erwartet), bin ich nun gespannt, wie man die Vorwürfe gegenüber Handke einordnen kann, sollte oder muss.

"Das blindwütige Killen, samt gebleckten Killerminen, wie soll es dem, der es mit Augen gesehen hat, je aus dem Sinn gehen? Hat jenes Jugoslawien, welches doch mit dem Zweiten Weltkrieg dem entkommen zu sein schien, was man ‚Fluch der Geschichte’ nennt, nun seinen speziellen Fluch?" (30)


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[i]Poka![/i]

zuletzt bearbeitet 06.11.2019 17:00 | nach oben springen

#2

RE: Handke und der spezielle Fluch Jugoslawien...

in Sachen gibt's - Sachbuch 06.11.2019 16:58
von LX.C • 2.821 Beiträge

Der zweite Text, eigentlicher Text des medialen Anstoßes: „Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien“ gliedert sich in vier Teile: 1. „Vor der Reise“, dabei handelt es sich größtenteils um eine ausgewachsene Medienkritik und die Darlegung der Motivation Handkes, nach Serbien zu reisen. 2. „Der Reise erster Teil“, das sind An- und Reisebeschreibungen nach Belgrad sowie harmlose Ausflüge in die inländische Umgebung, die nur sekundär mit dem Krieg zu tun haben. Sekundär heißt, Auswirkungen auf Land und Leute infolge des Krieges sowie des Embargos gegen Serbien beschreibend. 3. „Der Reise zweiter Teil“, in dem es ins eigentlich kriegsnahe Gebiet der Drina und der bosnischen Grenze geht, wobei Handke und seinen zwei exil-serbischen Begleitern die Einreise nach Bosnien verwehrt wird, sie bleiben allein auf serbischem Gebiet, ohne unmittelbare Kriegseindrücke. Und 4. einem „Epilog“, der vielleicht den eigentlichen Stein des Anstoßes gegeben haben könnte, oder anders, noch einmal Angriffsfläche für Handke-Gegner bietet.

Versuchen wir statt einer spröden Rezension, die Beschäftigung mit Handkes Text anhand der bekannten Vorwürfe aufzurollen. Zunächst einmal der Vorwurf des Serbenfreundes, wobei heute auch niemanden mehr vorgeworfen werden würde, Freund der Deutschen zu sein. Wieder einmal der Wink zur Kollektivschuld. Kann man ein ganzes Volk kollektiv verurteilen? Und damit im Umkehrschluss auch den Serbenfreund? Doch eigentlich stellt sich diese Frage bei Handke kaum. Serbische Freunde? Ja, zwei an der Zahl, einer aus Köln (Handkes Übersetzer) und einer aus Salzburg, die Handke begleiten, oder eher umgekehrt, und damit den Besuch bei ihren serbischen Familien verbinden.
Serbenfreund? Nein. Handke fühlt sich in Serbien nicht heimisch. Er bleibt Tourist im Sinne eines über Land und Leute interessierten Reisenden, wie er selbst sagt, bleibt dabei meist sogar außen stehender Beobachter, hält sich mit eigenen Meinungen zum Krieg zurück und lässt andere sprechen. Was hier freundschaftlich anmutet ist einzig der Versuch, zu vermitteln, ein anderes Bild, als das einer medial verbreiteten Kollektivschuld „der Serben“. (Wie fragwürdig eine solche ist, zeigt sich im dritten Teil bei dem Besuch an der Drina.) Diese indes ist bei den Einzelnen angekommen, wie Handke beobachtet. Der Einzelne scheint sichtlich mit Scham behaftet und infolgedessen in einer schweigenden Vereinzelung zu verharren, zumindest in der Öffentlichkeit.
Nein, Handke ist Freund der Slowenen, der Geburtsregion seiner Mutter, und auch diese Freundschaft wird in Handkes Innersten mit dem aufkommenden Nationalismus und der Abspaltung von Jugoslawien auf eine sichtliche Probe gestellt. Handke verliert selbst hier das Heimischsein, wie er am Ende des Textes mit befremden feststellen und sich eingestehen muss.

Kommen wir, um nicht zu sehr auszuschweifen, zu der dem Hauptvorwurf nahe stehendenn Frage einer Relativierung von Kriegsverbrechen.
Im Vortext wurde bereits deutlich: Handke ist Gegner jeglicher Gewalt, eine Relativierung im Einzelnen würde ihm gewiss fern stehen. Eine Relativierung durch Vergleich oder Aufwiegen, findet durch Handke selbst nicht statt. Was stattfindet, ist ein Infragestellen über das Entstehen medialer Bilder, insbesondere Leidender, und einer damit verbundenen Zielsetzung der Medien. Sowie das Zuwortkommen einer an der Drina lebenden serbischen Zivilistin, die überhaupt erst auf den Genozid von Srebrenica aufmerksam macht, jedoch ihrer Herkunft menschlich eigentümlich im selben Atemzug das Hin und Her, das Geben und Nehmen von Gewalt im Krieg, vor allem aber auch die ethnische Isoliertheit der neuen geteilten Welt beklagt.

„Sie selber entbehrte bitter das Zusammensein mit ihren muslimischen Freunden […] Und sie sei überzeugt, es sei wahr, dass dort bei Srebrenica im Sommer dieses Jahres 1995 die Tausende umgebracht worden seien. Im kleineren, viel kleineren, sei so der ganze bosnische Krieg gewesen: in der einen Nacht wurde ein muselmanisches Dorf gemordschatzt, in der folgenden ein serbisches, usw. Nun waren hier in der Grenzstadt die Serben ganz unter sich, und keiner hatte dem anderen mehr etwas zu sagen. […] Abgeschnitten von der vorigen weiten Welt, immer nur unter ihresgleichen, kam ihr oft vor, sie sei tot.“ (121f)


Der Genozid bleibt in seiner Größe für sich stehen, ist jedoch begleitet von vielen weiteren Kriegsverbrechen auf beiden Seiten. Wer diese Textstelle eng auslegt, könnte eine Relativierung hineininterpretieren. Doch es sei noch mal erwähnt, diese Äußerung kommt nicht vom Autor selbst, sondern ist erzählter Dialog, geprägt von einer zeitlichen Nähe ohne jeglichen historischen Abstand.
Handke selbst äußert sich zum Genozid nur ein Mal, und zwar im vierten Teil, dem Epilog. Auf die Frage seiner frühzeitig noch aus Belgrad abgereisten Begleiterin S., ob er etwa den Genozid in Frage stelle, antwortet Handke mit einem klaren: „Nein“ (147), schließt dem aber Fragen abseits der üblichen Psychopathenerklärungen und einmal mehr eine Medienkritik an. Handke stellt legitime Fragen im Kontext des Genozids, die jedem Historiker Pflicht wären und Handke nach auch dem Journalismus zur Ehre gereicht hätten. Insbesondere hat er in der sich anschließenden Medienschelte einiges:

„Gegen die Rotten der Fernfuchtler, welche ihren Schreibberuf mit dem eines Richters oder gar mit der Rolle eines Demagogen verwechseln und, über die Jahre immer in dieselbe Wort- und Bilderkerbe dreschen, von ihrem Auslandhochsitz aus auf ihre Weise genauso arge Kriegshunde sind wie jene im Kampfgebiet.“ (148f)

Oh Nachtigal… Wer eins und eins zusammenzählen kann, der wird sich nun einen Reim daraus machen können, aus welcher Ecke die Angriffsfläche eines insbesondere für den Journalismus unbequemen Textes gnadenlos vergrößert wurde.
Handke hat einen Text geschrieben, der abseits des insbesondere deutsch/französisch medialen Mainstreams zu einem ausgewogeneren Bild beitragen sollte (daher sicher auch der zugegeben etwas unglückliche Titelanhang: Gerechtigkeit für Serbien) und diesen mit einer herben, aber sicher nicht gänzlich von der Hand zu weisenden Medienkritik verbunden. Man kann den Text auch als dezidierte Medienkritik lesen. Und damit, so das Fazit aus der Beschäftigung mit dem zweiten Text, hat Handke sich angreifbar gemacht.


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[i]Poka![/i]

zuletzt bearbeitet 06.11.2019 17:21 | nach oben springen

#3

RE: Handke und der spezielle Fluch Jugoslawien...

in Sachen gibt's - Sachbuch 13.11.2019 18:55
von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge

Ok. Dann nun mein erster Eindruck, wobei ich sagen muss, dass ich erst etwa in der Mitte der winterlichen Reise bin. Trotzdem kann ich es kaum erwarten, die eigenen Gedanken festzuhalten. Mir geht es da ähnlich wie dir. Ich bin in meiner Sympathie hin und her gerissen, versuche zu ordnen, was mich als Informationsflut erreicht und wie ich mit meinen eigenen Emotionen beim Lesen umgehe.

--- Abschied des Träumers
Der erste Teil ist in meinen Augen eine ziemlich gute Vorbereitung und hat noch keinen Grund, wirkliche Empörung auszulösen. Er war, wie wir wissen, auch keine Grundlage dafür. Die Erinnerungen an Slowenien sind herzlich, Handke fühlt sich als ein Heimatloser bzw. Niemand dort heimisch. Auf einmal verlieren die jugoslawischen Länder ihre Geschichtlichkeit, die sich dann als trügerischer Schein offenbart. Das ist schön gesagt und trifft den Nagel auf den Kopf.

Die Beobachtungen, die Handke hier macht, zielen darauf ab, zu zeigen, dass die Entwicklung schleichend war, dass vorher kein Grundhass aufeinander bestand. Handke geht jedoch noch weiter und behauptet sogar, dass den Völkern Jugoslawiens der Zerfall ihres Staates von außen eingeredet wurde, was ich auch denke.
Der Hass aufeinander wurde angestachelt. Hier wurden Interessen verfolgt, die das große Jugoslawien in einem völkischen Zusammenhalt schwächen und auseinanderbrechen lassen sollten. Und dieser Einfluss kam eindeutig von außen.
Die Taktik ist nicht neu und auch bei anderen Ländern zu beobachten, die nicht in das „westliche Prinzip“ der Abhängigkeit und Kontrolle passen. Wer aus der Reihe tanzt, mit politisch vereinbarten Konzepten nicht einverstanden ist oder vielleicht auch nur wichtige Rohstoffe hat, die Großmächte benötigen, wird zunächst diffamiert, dann vielleicht sogar bombardiert.

Eine wichtige Rolle spielt dabei die einseitige Medienerstattung, die gezielt auf Manipulation der Meinung ausgerichtet ist. Sie vermittelt im Schein der Meinungsfreiheit ganz genau, was die Menschen zu denken haben. Abweichungen der Ansichten werden sofort als Verschwörungstheorien abgetan und bewirken wiederum, dass auch den Medien kritisch gegenüberstehende Menschen das Thema lieber sein lassen.
Vieles ist natürlich Blödsinn in diesem Bereich, aber einiges basiert auf Hintergrundwahrheiten, die letztendlich auch eigenständig leicht in den Fakten geprüft werden können. Das, was Medien - mittlerweile auch länderübergreifend - vermitteln, gehört immer hinterfragt oder noch besser: in Frage gestellt. So meine Meinung, und anscheinend auch die von Handke.

Nach und nach verfestigt sich dann die Empörung, Die Slowenen fühlen sich so lange nicht unterdrückt, bis es ihnen deutlicher vermittelt wird. Aber wie, so fragt Handke, ist ein Volk zu betrachten, dass sich als Staatsgebilde anerkannt sehen möchte, wenn dieser Wunsch nicht aus ihm selbst kam, sondern als „Reaktion gegen etwas“?
Handke kann nicht fassen, dass die jugoslawische Gemeinschaft auf einmal vollständig verloren sein soll. Auch bei späteren Fragen in Serbien findet er die Meinung bestätigt, dass es nie wieder ein Zurück gibt. Sogar Milorad Pavic schließt sich dieser Ansicht an. Nach dem Krieg wachsen „die Grenzen nicht nach außen, sondern nach innen“ (sic), und Handke befürchtet, dass auch die sich nun als einzeln betrachtenden Länder verschwinden werden. Das ist für jedes Volk tragisch, besonders wenn es miteinander gut ausgekommen ist. Es verliert so seine Stärke und den Zusammenhalt, und eine „entseelte Folklore“ klingt schal. Aber der Krieg hat alles zerstört, hat Feinde geschaffen, die sich vielleicht nie wieder unvoreingenommen ins Gesicht sehen können.

„Abschied des Träumers“ ist gut betitelt und vermittelt hervorragend, wie Handke die Entwicklung mit traurigen Erkenntnissen beobachtet hat. Hier spricht er sich, wie du sagst, eindeutig gegen Gewalt und Hass untereinander aus. Dass Menschen sich so stark verändern und einer Propaganda verfallen, die zu dieser zerstörerischen Wut führen konnte, ist erschreckend. Sein Aufbruch nach Serbien 1995 ist eigentlich schon mutig. Er sagt so schön, dass er fast kein Visum bekommen hat, da die Bezeichnung „Tourist“ absurd wirkte. Wer reist schon gerne in Kriegsgebiete.

--- Winterliche Reise
Im zweiten Teil wird der Anstoß der kritischen Überreaktion allerdings für mich schon sichtbarer. Grund dafür sind vielleicht auch die von Handke fast lapidar hingeworfenen Gedanken darüber, wer nun tatsächlich den Krieg begonnen hat und wie er als Serbe handeln würde, hätte man ihn im eigenen heimatlichen Gebiet zur Minderheit erklärt oder wäre über seinen Kopf hinweg ein ihm verhasster Staat entstanden. Zumindest stoße ich mich an diesen Stellen.
Erlaubt sein sollte zwar die Reflexion oder auch das Parteiergreifen für eine Sache, wie Handke das angeht, ist jedoch fatal und musste dann auch den Kessel der Empörung zum Dampfen bringen. Er versucht in der winterlichen Reise zwischen subjektiver Meinung und Verweise auf bestimmte Geschehen hin und her zu springen und zieht sich damit zum Teil fragwürdig aus der Verantwortung, im Sinne von "kann sein oder nicht", es ist nur eine Annahme, eine Hinterfragung. Dass so etwas Kritik auslöst, verwundert dann nicht, selbst wenn er vieles gerechtfertigt in Frage stellt.

Ob nun die Kriegsberichterstattung fragwürdig ist oder nicht, das ist schon ein starkes Stück, darüber, nach all dem, was dort passiert ist, so zu reflektieren, als wäre die Gewalt damit irgendwie zu rechtfertigen. Auch lässt sich nicht sagen, dass bloß, weil es weniger Serben gab, ein Toter von diesen für tausend Kroaten steht. Als könnte Menschenleben in Zahlen aufgewogen werden. Jeder verdammte Tote ist ein Verlust.

Recht geben kann man ihm wiederum durch den Hinweis darauf, dass die Rollenverteilung des Angreifers und der Angegriffenen in der Weltöffentlichkeit schnell festgelegt war. Opfer und Täter, als ob auch im Krieg die Frage gelten könnte, wer denn nun der Böse ist, wie sie Kinder stellen. So verhalten sich viele, die sich von den Medien berieseln lassen und nie hinterfragend alles glauben und verdauen und dann als eigene Meinung kundtun. Dass Leidensmienen auf Anweisung erfolgen und keine Bilder von Serben arrangiert wurden, finde ich dann eher schlecht vermittelt.

Handke macht den Fehler, bei einem sehr brisanten Thema einfach drauflos zu argumentieren, dass der Leser die Beweisführung nicht ernst nehmen kann. Kriegsopfer, die in ihrem wirklichen Leid gewollt leidend inszeniert werden, bilden kaum das einzige Problem. Schließlich arbeitet die Presse seit langer Zeit mit diesen Mitteln (worüber schon Susan Sontag in ihrem Essay "Das Leiden anderer betrachten" so gut geschrieben hat). Wenn Handke hier an der Medienmache Kritik üben will, ist das Thema für mich irgendwie verfehlt.
Denn wer hat nicht trotzdem Mitleid mit Menschen, die so etwas erlebt haben, selbst wenn sie für Fotos und Kamera richtig platziert werden? Handkes Vorwurf wirkt fast deplatziert, wie der Einwand eines bockigen Gegensprechers, der partout Beweise heranholt, um seine Ansicht zu untermauern, die er aber einfach als Fragen hinwirft, nicht als Behauptung, was ihnen den Zwang des Faktennachweises nimmt.

Wenn Handke dagegen von seiner Reise berichtet, wird er wieder sympathischer. Und auch im ersten Teil, als er so schön über den Ausdruck des Pro-Serbischen lächelt und von Schriftstellern und dem Film "Underground" spricht, ist sein Bericht angenehm. Bei mir kam direkt der Gedanke auf, ob auch ich Pro-Serbisch bin, weil ich Bora Cosic oder Milorad Pavic liebe. So verdreht ist die Wirkung, dass man fast gezwungen ist, sich mit dem Serbenbild in den kleinsten Dingen auseinanderzusetzen, als würden Kriegsverbrechen auf alle dem Volk angehörigen Menschen abgewälzt werden können. Davon kann auch der Deutsche ein Lied singen, der in manchen Ländern immer noch entweder als Bayer oder Nazi gilt. Es ist schlimm, wenn nachfolgende Generationen für die Fehler ihrer Vorgänger zur Verantwortung gezogen werden oder ein Land und die Einwohner pauschal über einen Kamm geschert werden. (Das hast du ja auch schon erwähnt.)

Aber weiter im Text. Schon die Eingangszitate aus dem wunderbaren Buch von Crnjanski haben mir gefallen. "Das Tagebuch über Carnojevic" handelt von einem Mann, der aus dem Krieg zurückkehrt und sich im Alltag, in der sogenannten 'Ordnung der Dinge' nicht mehr zurechtfindet und diese in ihren banalen Abläufen nicht mehr begreift. Das Ganze ist poetisch verknappt dargestellt, so dass nur die reinen Gefühle sichtbar werden. Der, der so viel Leid erlebt hat, kann mit dem oberflächlichen Geschwätz der Leute nichts mehr anfangen. Er ist ungewollt ein Fremdkörper geworden. Der Schriftsteller war dabei selbst im Krieg und hat an der Schlacht von Zlota Lipa teilgenommen, wo er auch verletzt wurde. Daher enthält der Roman viel Autobiografisches. (Wer Babel mag, wird auch Crnjanski lieben!)

Die Absurdität der Filmkritiken über den Film "Underground", die mehr der Hetze dienten, sogar mit dem Vorwurf einer Journalistin, Kusturicas Film wäre von Milosevic finanziert, zeigt Handke schön auf. Da ist er ganz in seinen Fach, auch bin ich ein Fan dieses Regisseurs. Scheinbar muss heute der Serbe erklären, weshalb er einen Film über Serbien dreht, selbst wenn es eine Satire ist.
Kusturica hat die Frau übrigens verklagt und Recht zugesprochen bekommen. „Underground“ ist skurril komisch und tragisch, wie all seine Filme, z. B. "Schwarze Katze, weißer Kater". Und die Finanzierung stammt in Wirklichkeit von französischen Produktionsfirmen. Da lässt sich Handkes Kritik nur beklatschen.
Den Film kann man übrigens noch einmal auf YouTube an dieser Stelle ansehen. Deutsche Untertitel sind vorhanden.

Mit Handke über einen serbischen Markt zu spazieren, macht ebenfalls Freude. In meinen Augen ist er ein Meister der detaillierten Beschreibung, so dass die Bilder sehr lebendig wirken. Der Handel dort lässt in ihm kurz den Gedanken aufkommen, dass die Abgeschnittenheit von der westlichen Waren- und Monopolwelt vorteilhaft ist. Da musste ich denken, dass so etwas für den Reisenden und Besucher natürlich einfach zu sagen ist, der sich vom Charme des Kleinhandels aus der Notwendigkeit ergriffen fühlt. Die Not, so sagt man, macht erfinderisch. Aber leicht ist das Ganze für die dortigen Einheimischen sicherlich nicht. So denken kann nur jemand, der die Sattheit der europäischen Genusswelt kennt und sogar die Möglichkeit hat, diese abzulehnen. Ist die Wahl nicht gegeben, heißt es wohl, irgendwie überleben.

Soweit meine ersten Gedanken. Weitere folgen. Ich habe mich gefreut, dass Handke mit Pavic unterwegs war und ihn noch leibhaftig erlebt hat. Daher eine letzte Frage: Was zum Teufel hat er mit ihm für ein Getränk getrunken, "freilich mit heißem Wasser aufgefüllt", das Pavic ihm scheinbar aufdrängt? Absinth? Cannabis-Tee? Oder Grog? (S. 103) Nein. Nein. Es ist nur das "Rohlingsgesöff" Pflaumenschnaps. Das steht auf der nächsten Seite.




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#4

RE: Handke und der spezielle Fluch Jugoslawien...

in Sachen gibt's - Sachbuch 14.11.2019 00:03
von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge

Was den Anstoß medialer Journalistenattacken gegeben hat, scheint mir ebenfalls Handkes Kritik an der Auslandspresse zu sein, die von ihrem sicheren Sitz aus über das Geschehen geifert, immer dieselbe Hasskerbe drischt und die er darum gerechtfertigt als Kriegstreiber bezeichnet, die nicht besser als die "Kriegshunde vor Ort" sind. Zeitungen (darunter in Deutschland, Österreich und Frankreich) treten dabei als Propagandamaschinen und Hass schürende Blätter auf, die mit einer objektiven Kriegsberichterstattung oder später neutral sachlichen Beurteilung aller Ereignisse wenig zu tun haben. (Direkt nach der Nobelpreis-Vergabe flammte das Wutbeißen ja schon wieder in gleicher Form auf, wo sich die Blätter in ihren Attacken gegen Handke gegenseitig zu überbieten versuchten und dabei doch alle das Gleiche gifteten. Lediglich Schriftsteller, darunter Eugen Ruge, haben Handke offen verteidigt und damit eine Gegenposition bezogen.)

Ich denke auch, dass es für Historiker und Journalisten legitim sein sollte, Fragen zu stellen und ein Geschehen von allen Seiten zu untersuchen. Die einseitige Berichterstattung erweckt immer den Verdacht, fern einer neutralen Behauptung von Fakten zu sein, sondern etwas lenken zu wollen oder gar persönliche journalistisch motivierte Interessen und Ziele zu verfolgen. Daher macht Handke auch direkte Andeutungen, welche Journalisten er meint. Und diese werden dadurch, sich selbst erkennend, sicherlich nicht in ihrem Geifer beruhigt worden sein, vielmehr hat sich der Hass auf den Sündenbock Handke verlagert.

Sehr gut ist dann seine Frage, ob es überhaupt möglich ist, dass die verfeindeten Völker auch über Generationen hinaus den Frieden weiter aufrechterhalten können, so lange "blindwütige Reflexmenschen" von außen einen Blick darauf richten. Handke antwortet sich selbst (hier dann durchaus klar Stellung beziehend), mit "Nein".

"Nein, der Friede ging nur so: Lasst die Toten ihre Toten begraben. Lasst die jugoslawischen Toten ihre Toten begraben, und die Lebenden so wieder zurückfinden zu ihren Lebenden." (S. 114)

Auf seiner Reise hat er gesehen, wie sich das Land in seiner Entfremdung und Vereinzelung gezeigt hat, die inmitten des Schneetreibens und der Kälte einer Herzlichkeit und Wärme entbehrte, die sich vielmehr als eine mächtige Traurigkeit offenbarte, inmitten zerstörter Häuser, Brücken voll Grenzern mit "Schießblick" und nächtlicher Dunkelheit mit nicht beleuchteten Fenstern. Aber er bleibt dabei dennoch optimistisch, mit Blick nach vorne.

Und noch besser ist dann sein Verweis, dass hier wieder die Kollektivschuld wirksam wird, dass ein scheinbar großzügiges westliches Vergeben damit einher geht, dass sich die betroffenen Jugoslawen ein" künstlich kaltes Erinnern" und ein "infantiles Nicht-vergessen-Wollen" andrehen lassen müssen, als wäre es nicht schon schwer genug, das Ganze zu verdauen und irgendwie weiterzumachen. Da stimme ich mit ihm völlig überein.

Den eigentlichen Vorwurf gegen Handke, er würde die Kriegsverbrechen verharmlosen oder vielmehr in falschen Relationen messen, relativiert er selbst, spricht davon, ob die "kleinen serbischen Wehwehchen", auf die er verweist, den gewaltigen Kriegsverbrechen überhaupt gegenübergestellt werden können und ob das nicht obszön sei. Er sagt ganz klar, dass es darum nicht geht, dass er sich selbst eine andere Aufgabe gestellt hat. Zwar ist es wichtig, die "bösen Fakten" festzuhalten, aber es braucht auch mehr, ein gemeinsames Erinnern an das Gesamtgeschehen und Danach als die einzige Versöhnungsgeste, die nach den Ereignissen machbar ist.




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#5

RE: Handke und der spezielle Fluch Jugoslawien...

in Sachen gibt's - Sachbuch 14.11.2019 19:12
von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge

Das Buch von Andric habe ich übrigens gerade (durch eine liebe Empfehlung) dieses Jahr gelesen, und es hat mich schockiert. Nie wurde anschaulicher über Gewalt geschrieben oder schriftlich z. B. eine Pfählung festgehalten. Ich musste das Buch einige Tage zuklappen, weil ich das Bild nicht aus dem Kopf bekam. Das nenne ich: schreiben können. Und Handke verehrt den Schriftsteller ebenfalls, auch wenn er ihm seine Schwarzmalerei vorwirft, die mit Sicherheit nicht unberechtigt ist.
Aber die Brücke, mit ihren Steinen und Geschichten, war ein großartiger Einstieg in das Buch, wo jedes Merkmal, jeder Stein und jeder Schatten eine andere (und meistens grausame) Story erzählt. Man glaubt beinahe, Visegrad persönlich zu kennen, samt seiner historischen Ereignisse. Und ausgerechnet diese Brücke ist seit 1992 nun erneut Schauplatz schwerster Verbrechen, als ob sich Andrics Geschichte immer weiter wiederholt.

An diesen Ort verschlägt es Handke dann bei seiner zweiten Reise als sommerlicher Nachtrag, wohl weil nun die Grenzen offen sind. Hier fällt dann auch seine verheerende Bemerkung über das monatelange Wüten der Barflüßler über Hunderte von Muslime, die Stanisic kritisiert hat, und wie ich finde, zu Recht. Handke schreibt:
"... die ganze Stadt ein grausiger Spielraum für nichts als die paar Barfüßler im Katz-und-Maus mit ihren Hunderten von Opfern?" (S. 198)
... und setzt dahinter das Fragezeichen.

Recherchiert man, sind die Berichte sehr unterschiedlich. Auf manchen Seiten steht eine Zahl von Tausenden, auf anderen und auch auf Wikipedia ist gleichfalls von Hunderten die Rede. Laut Zeugenaussagen wurden Männer und Frauen genau auf der Drina-Brücke ermordet und dann in den Fluss gestoßen, was ja auch Handke erwähnt. So oder so herrschte dort ein abartiges Morden, Zerstören und Vergewaltigen, dass viele der Einheimischen, die überlebt haben, dort nicht mehr wohnen, geschweige denn in der Drina schwimmen können. Die treibenden Leichen im Fluss waren zwar ein Gerücht, Handke erwähnt diesen Umstand jedoch trotzdem, erzählt von der Frau seines Mitreisenden in der "winterlichen Reise". In heutigen Zeitungsberichten, z. B. über den Gedenktag, der auf der Brücke jährlich stattfindet, berichtet eine muslimische Frau, von ihrem Sohn wäre nur die Hand gefunden worden und das wäre auch das einzige gewesen, was sie hätte beerdigen können. Und diese Brücke hat, wie man aus Andrics Buch weiß, sowieso eine sehr blutige und lange Geschichte.

Ein Barfüßler - im Grunde galt es ja nur für einen, der in den Medien als Teil der serbischen Paramilitärgruppe so dargestellt wurde und dann verschwand (???) - kann mit einer Waffe durchaus einiges anrichten, aber so einfach wird es wohl kaum gewesen sein. Ich kann mir nicht ausmalen, wie schlimm das Gemetzel dort gewesen ist. Handke aber hinterfragt, weshalb später die Hauptzeugen der Greuel wieder freigegeben werden, wenn sie so schlimme Erlebnisse bezeugen könnten, und dann verschwinden. Er glaubt nicht, dass die Serben hier über Monate lang freie Hand hatten und die serbisch-serbische Armee nur zugesehen oder sogar mitgewirkt hätte. Er stellt in Frage, wie sich eine zu der Zeit "mehrheitlich muslimische, für den Krieg längst gerüstete Bevölkerung" gegen die Angriffe der wenigen Serben nicht zu Wehr setzen konnte.
Für ihn gab es dort einen Bürgerkrieg mit gegenseitigen Kämpfen, während heute bekannt ist, dass die Anzahl der muslimischen Toten weitaus höher war und das Gebiet von Muslimen gesäubert werden sollte, da die Serben Anspruch darauf erhoben. Diese Gedanken, inmitten seiner Landschaftsbetrachtung, wirken auf mich wieder wie hingeworfen, dass nahezu Wut aufkommt. Es ist eher eine Provokation als eine Annahme. Genauso zeigen seine Andeutungen über die „ausschließlich muslimischen Belastungszeugen“ und dieses „wieder wie üblich“ deutlich, wie Handke darüber denkt. Erneut kritisiert er darüber hinaus den westlichen Journalismus mit seinen Interviews mit „Echtheitsstempel“ aller Einwohnerbefragungen und Zeugen, der nur auf eine Story aus ist, die das allgemeine Bild bestätigen soll, aber keine echte Aufklärungsarbeit leistet. Das aber tut er ja irgendwie auch nicht.




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#6

RE: Handke und der spezielle Fluch Jugoslawien...

in Sachen gibt's - Sachbuch 14.11.2019 22:11
von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge

Den zwiespältigen Eindruck, den du erwähnst, kann ich nun, nach Beendigung des Buches, sehr gut nachempfinden. Mir geht es nicht anders. Trotzdem, und da werde ich vielleicht noch mit mir kämpfen, tendiere ich dazu, das Buch für mutig und gut zu halten, auch weil ich Handke aus seinen anderen autobiografischen Sachen kenne und weiß, dass er kein Blatt vor den Mund nimmt, selbst wenn es nicht der Norm entspricht, wenn es Dinge sind, über die niemand wagen würde, zu sprechen, darunter persönliche Eindrücke von Menschen und Ereignissen, die ein Unvoreingenommener als "gemein" einstufen würde. Das war mit ein Grund, weshalb ich sagte, Handke sei mir als Mensch nicht sympathisch. Als Schriftsteller ist er es mir aber schon. Mit ihm zusammentreffen, diesem aus der Subjektivität agierenden Beobachter, möchte man nicht. Was er als Werk zusammengebracht hat, verdient aber durchaus den ihm verliehenen Preis. Aber zurück zum letzten Teil:

Es geht Handke im Grunde darum, immer wieder neu zu zeigen, dass die Serben ein unterdrücktes Volk sind, als Minderheit angesehen werden und in Stätten hausen, die zum Niemandsland geworden sind, ohne dass sie auf Unterstützung hoffen können. Sie sehen keine Perspektive und fühlen sich auch in der eigenen Haut nicht mehr wohl. Er beschreibt, dass sie, wie alle anderen auch, ihre Toten beweinen und versuchen, ihr Leben zu meistern, und das ganz ohne Aufdringlichkeit oder Zurschaustellung. Beim Betreten einer Kirche und beim Teilnehmen an einem Gottesdienst reflektiert Handke darüber, dass das orthodoxe Serbentum nie auf Seelenfang gegangen ist, im Gegenzug zu dem kroatischen Katholizismus mit seinen Zwangsbekehrungen. Die Türken und Muslime lässt er aus, die dann nicht nur bekehrten, sondern direkt abschlachteten.

Wo Handke zunächst stummer Zeuge und Anwesender sein will, schlägt sich der vorherige Argwohn der Serben in Vertrauen um. Sie schimpfen auf Deutschland und auf das NATO-Bomben-Geschwader (jedoch nur selbstironisch zornig, nicht mit Hass, so Handke). Es gibt Gerüchte, dass einige Schauplätze in Jugoslawien eine andere Geschichte als die offizielle erzählen und dass ein Aufbauschen der Toten und die Schuldzuweisung auf die Serben dazu gedacht sind, von dem unsäglichen Bombardement der NATO abzulenken. Auch hier starben etliche Zivilisten. Gerade bekannt gemachte Verbrechensschauplätze dienen manchmal auch einer Vertuschung anderer Verbrechen.

Die Serben um Handke erklären, dass sie die Prozesse gegen die Kriegsverbrecher befürworten, allerdings sollten diese bei allen drei Kriegsvölkern stattfinden, nicht nur bei den serbischen Angeklagten, wodurch auch, ihrer Meinung nach, die Geschichte verbogen wird und in den Köpfen der Leute lediglich das Bild des serbischen Gewaltmenschen haften bleibt. Dazu sagt Handke nichts, bleibt lediglich Zeuge. Leider hat sich das mehr als bewahrheitet.

Und schließlich bricht er dann selbst zum Massaker-Ort Srebrenica auf, wo er ein stark zerbombtes, zerfallenes, zerstörtes und verrußtes Land vorfindet, mit Häusern, an denen die Planen an den Fenstern laut knattern, mit Menschen, die hier sich selbst überlassen sind und aufgrund der ausländischen Vorurteile nicht mit Hilfe rechnen können. Dort begegnet er mit seinen zwei serbischen Bekannten einem Mann, der wegen Kriegsverbrechen auf der Liste des internationalen Gerichtshofs steht. Dieser zeigt sich schweigsam und verkörpert auch die Rolle dessen, der weiß, dass Voreingenommenheit gegen ihn herrscht. Sein einziges Argument bei einem vorsichtig geäußerten "Warum auf der Liste?" ist: „Es war Krieg.“

Das Erdrückende, Trostlose und Düstere dieses Orts wird in Handkes Worten sehr sichtbar, doch hinterher, nur Seiten später, beginnt er sich zu erinnern, berichtet, was noch haften geblieben ist, und kommt auch auf die „mutmaßliche Massakerstätte“ zurück, die bei ihm kein Bild hinterlassen hat. Alles, was er dazu zu sagen hat, ist der Vorwurf, dass hier schon etliche (Achtung Medienkritik) arrangierte und gut ausgeleuchtete, auf den Fotografen-Preis zielende und farbraffinierte Fotos geschossen wurden, mit Totenschädeln auf dem Feld, aus denen Blumen durch die Augen- und Mundhöhlen wuchsen, während ansonsten keine Pflanze zu sehen war.
In seinem Gedächtnis ist kein bewegter Eindruck geblieben (nur vom Ort selbst, nicht von der berüchtigten Stätte), aber der schnelle Übergang des Berichts auf den Vorwurf weckt in mir den starken Verdacht, dass er das Ganze doch anzweifelt, dass er nicht daran glaubt, dass es so gewesen ist, wie es berichtet wird. Und mittlerweile ist Handke ja mit dieser Skepsis nicht alleine. Es gab an diesem Ort auch Tausende serbische Opfer, und diese, so Handke, wurden blindlings für das öffentliche Bild dem anderen Opfervolk zugeschrieben.
Wenn er danach noch hinwirft, dass all das „selbstredend auch gar nichts mit einer Relativierung oder Abschwächung“ zu tun hat, bleibt dennoch gut sichtbar, wieso er diesen Bericht geschrieben hat. Gleiches gilt für seine Anwesenheit am Grab von Milosevic. Er fordert Gerechtigkeit für Serbien. Und daher ist dieser Untertitel auch nicht missglückt, sondern genau das, worauf Handke hinaus will.

Nachdenklich hat mich das Ganze trotzdem gemacht (ich meine jetzt, in die andere Richtung), auch wo er am Ende noch einmal darauf zurückkommt, dass es wichtig ist, die Vorgeschichte der Serben zu kennen und dass die Bezeichnung „ethnische Säuberung“ sehr schnell fällt, obwohl letzteres schon wieder sehr plump hingeworfen war. Es bleibt die Schwierigkeit, Rache einordnen zu können, wenn nur in die Gegenwart geschaut wird. Dass ein Volk, das eine blutige Vergangenheit mit eben diesen Muslimen und Türken über einen ewig langen Zeitraum hinter sich hat, weniger zögert, sich gegen diese erneut und schlimmer zu Wehr zu setzen und dann über das Maß schlägt, ist traurig, aber eben durch die Vergangenheit auch mitbestimmt. All das vergossene Blut und die Ungerechtigkeit solcher Gemetzel bleiben über Generationen hinaus im Gedächtnis haften. Natürlich ist hier wieder einzuwenden, dass der heutige Mensch nichts für den damaligen kann. Dass sich einiges nicht so zugetragen hat, wie es uns vermittelt wird, glaube ich auch. Dass dort Tragisches geschehen ist, bezweifelt keiner, schon gar nicht Handke.




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#7

RE: Handke und der spezielle Fluch Jugoslawien...

in Sachen gibt's - Sachbuch 16.11.2019 15:53
von LX.C • 2.821 Beiträge

Wie aus der Beschäftigung mit dem zweiten Text bei mir hervorgeht, sah ich Handke noch gar nicht so zwiespältig wie Du. Da scheinen wir doch auseinander zu liegen. Am Ende des Textes winterliche Reise hatte ich noch den Eindruck, Handke habe sich erst im Laufe der Debatten ganz nach Schiller in eine Art „Verbrecher aus verlorener Ehre“ entwickelt. Mit einer parteilichen Meinung zum Krieg hält er sich aus meiner Sicht noch eher zurück. Er lässt durch indirekte Zitate vielmehr den Serben selbst das Wort und bewertet die aufgenommenen Äußerungen eher selten.
Natürlich, die Selektion von Meinungen ist auch eine Art der Parteinahme. Hier aber kommen schon einige kritische Stimmen zum Krieg zu Wort, die dann doch, ohne natürlich ihre eigene Nationalität verraten zu wollen, gegen den Krieg Serbiens Partei ergreifen.
Genauer hinschauen sollte man hier vielleicht noch einmal bei dem Diskurs der Schriftsteller im Verlagshaus. Hier scheint Handke tunlichst zu vermeiden, als Für- oder Gegensprecher aktiv aufzutreten.
Auch darin, die Art und Weise von Kriegsberichterstattung zu hinterfragen, sehe ich keinen Konflikt. Das sei jedem gestattet, ohne damit gleich zu unterstellen, die Leiden der Opfer in Frage stellen zu wollen. Ich verweise hier immer gerne auf das Buch des Journalisten Joris Luyendijk „Wie im echten Leben. Von Bildern und Lügen in Zeiten des Krieges“, der aus seiner Zeit als Kriegsberichterstatter Verheerendes in Sachen journalistischer Ethik berichtet.
Welch schiefe Wirkungen Medienbilder anrichten können, kennen wir vor allem aus Propagandakriegen. Aber schon die „normale“ Berichterstattung beeinflusst Meinungen. Aus diesem Grund sei es Handke durchaus gestattet, gerade im Kontext seiner Haltung zum Journalismus Kriegsberichterstattung zu hinterfragen. Es ist sehr interessant, dass Du ausgerechnet hier dem Journalismus Narrenfreiheit gewährst, nur weil es schon immer so gewesen sei oder Opfer im Spiel sind.
Handke will auch keine gestellten Bilder von Serben (so liest sich das bei Dir, wenn auch in einer Art Sarkasmus), Handke will überhaupt keine gestellten Bilder in diesem Zusammenhang. Vielmehr stellt er das spontan entstandene Bild der Serben, das aus seiner Sicht durch die verschiedensten von ihm genanten Merkmale authentisch erscheint, dem mutmaßlich gestellten und sich anschließend selbst entlarvenden Bild gegenüber.
Zu guter letzt möchte ich anmerken, dass mir das Abwälzen von inneren Ursachen auf äußere, interessengeleitete Einflussnahme von Großmächten und Journalismus immer viel zu einfach erscheint und inzwischen viel zu häufig als Allgemeinplatz bedient wird. Das lässt sich leicht dahersagen, wenn man die innere Problematik Ex-Jugoslawiens wie wir nicht genau kennt. Die Konflikte des ehemaligen Vielvölkerstaates, auf einem stets konfliktreichen Balkan, sind vielmehr historischer Natur und brachen mit dem Ableben Titos, der die unterschiedlichen Mentalitäten und Kulturen durch seine Politik katalysieren konnte und einer ihm folgenden instabilen Regierung seit den 80ern nach und nach wieder auf. Wie sehr ein latenter Alltagsrassismus brodelte, kann man selbst in Stanišić Grammofon erfahren. Handke kritisiert, dass hier, auf dem Höhepunkt eines neu aufgekommenen Nationalismus der Journalismus von außen durch Parteinahme noch mal eine verstärkende Wirkung hatte, nicht, dass er die ganzen Konflikte zu verursachen hat. So weit geht auch ein Handke nicht.
Nein. Mein Zwiespälte, mit denen ich in die Texte hineingegangen und letztlich dann doch wieder unverändert hinausgegangen bin (so viel sei schon verraten), begannen erst wieder so richtig mit dem dritten Text, mit der Reise nach Bosnien, für den viele Deiner Vorwürfe gegen Handke dann tatsächlich eintreten. Doch damit setze ich mich noch einmal gesondert auseinander.


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[i]Poka![/i]

zuletzt bearbeitet 16.11.2019 15:59 | nach oben springen

#8

RE: Handke und der spezielle Fluch Jugoslawien...

in Sachen gibt's - Sachbuch 16.11.2019 18:05
von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge

Zitat von LX.C
Welch schiefe Wirkungen Medienbilder anrichten können, kennen wir vor allem aus Propagandakriegen. Aber schon die „normale“ Berichterstattung beeinflusst Meinungen. Aus diesem Grund sei es Handke durchaus gestattet, gerade im Kontext seiner Haltung zum Journalismus Kriegsberichterstattung zu hinterfragen. Es ist sehr interessant, dass Du ausgerechnet hier dem Journalismus Narrenfreiheit gewährst, nur weil es schon immer so gewesen sei oder Opfer im Spiel sind.



Das sei ihm gestattet, durchaus. Ich hatte auch nicht gemeint, dass die Vorgehensweise der Medien akzeptabel ist, nur weil das alles fast ausschließlich so gemacht wird. Im Gegenteil wird damit eine Verfälschung der Tatsachen erzielt, die dann mit emotionalen Geschichten in der Berichterstattung angereichert vom tatsächlichen Geschehen ablenkt oder auf bestimmte Ereignisse konzentriert. Ebenso finde ich die für das Foto ausgeleuchteten Kriegs-Massaker-Stätten pervers und abartig und würde auch das Vorgehen nie als nicht so wichtig bezeichnen oder Handkes Verweis darauf kritisieren. Ich mag nur nicht, wie Handke diese Kritik einfach hinwirft, einfließen lässt, so plump teilweise, dass sie in in ihrem Ernst machmal fast unter geht.

Das Buch in seinem Gesamtbild wäre ohne den dritten Teil in meinen Augen durchaus ein gelungenes, ohne Zwiespalt beim Leser auszulösen. Durch den dritten Teil, wo Handke sich in seinen Ansichten deutlicher äußert und auch auf Schauplätze zurückgreift, die so viel Leid und Blut erfahren haben, entsteht etwas Neues und auch eine Umkehrung der Sympathie (nicht völlig, aber geringfügig schon). Ich finde, wenn Kritik gerechtfertigt ist, dann wegen dem sommerlichen Nachtrag. Beide anderen Berichte sind in sich stimmig und gerechtfertigt, und ich selbst kritisierte nur stellenweise, um auf meine Emotionen beim Lesen aufmerksam zu machen, nicht, weil ich das ablehnen würde, was Handke vermitteln wollte.
Bin gespannt auf deine Sicht.




Art & Vibration
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#9

RE: Handke und der spezielle Fluch Jugoslawien...

in Sachen gibt's - Sachbuch 17.11.2019 17:23
von LX.C • 2.821 Beiträge

Zitat von Taxine im Beitrag #8
Ich mag nur nicht, wie Handke diese Kritik einfach hinwirft, einfließen lässt, so plump teilweise

Das stimmt allerdings. Die von uns gemeinte Stelle kommt ja schon ziemlich am Anfang, in "Vor der Reise" im ich sage mal Prolog vor. Als ich das las, noch bevor ich einordnen konnte, wo die Reise medienkritisch hingeht, bin ich auch erstmal ziemlich zusammengezuckt.

Zitat von Taxine im Beitrag #8
Das Buch in seinem Gesamtbild wäre ohne den dritten Teil in meinen Augen durchaus ein gelungenes, ohne Zwiespalt beim Leser auszulösen. Durch den dritten Teil, wo Handke sich in seinen Ansichten deutlicher äußert und auch auf Schauplätze zurückgreift, die so viel Leid und Blut erfahren haben, entsteht etwas Neues und auch eine Umkehrung der Sympathie (nicht völlig, aber geringfügig schon). Ich finde, wenn Kritik gerechtfertigt ist, dann wegen dem sommerlichen Nachtrag. Beide anderen Berichte sind in sich stimmig

Besser hätte ich es nicht ausdrücken können. Das entspricht voll und ganz auch meinem Eindruck.


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[i]Poka![/i]

zuletzt bearbeitet 17.11.2019 17:28 | nach oben springen


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