HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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„Der Geist blüht weder in den Exzessen der Freiheit noch in jenen des Terrors. Er bedarf eines erträglichen Zwangs. Eine angenehme Epoche ist eine Epoche, in der die Ironie nicht ins Gefängnis bringt.“
(Cioran "Notizen 1957 - 1972")
Und genau den lese ich, wie immer, mit Genuss.
Art & Vibration
Gedichte müssen her, aber solche, die nachklingen. Daher Hans-Jürgen Hilbig "Wir baden in farbenfroher Bitternis".
Zitat von Hilbig
das glück rutschte und rutschte und fiel nicht
die welt war ein klarer unendlicher gedanke
als hätte ein dichter namens borges uns einen
guten tag gewünscht und wir hätten ihm alle geglaubt
Art & Vibration
RE: Januar/Februar/März 2023
in Lektüreliste 17.03.2023 18:37von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
"Der Mensch ist das Geschichten erzählende Wesen, die einzige Kreatur auf Erden, die sich Geschichten erzählt, um zu begreifen, was für ein Geschöpf sie ist."
Seit vielen Jahren lebt Rushdie ein verborgenes Leben, um sich vor den muslimischen Fanatikern zu schützen, die seinen Tod wollen. Die Fatwa, ausgerufen von einem alten und bald verstorbenen Politiker, der sie nicht mehr zurücknehmen konnte oder wollte, ist zu seinem Los und Schicksal geworden. Die Summe auf seinen Kopf, die sich über die Jahre erschreckend vervielfacht hat, lockt immer wieder Attentäter an, nach dem Mord an einem seiner Übersetzer war einer dieser Wahnsinnigen im August 2022 auch bei ihm fast erfolgreich. Durch mehrere Messerstiche verlor Rushdie ein Auge, kann seine Hand kaum noch gebrauchen und ist seelisch ein Wrack, so dass auch das Schreiben schwerfällt. Trotzdem trägt er dem Attentäter nichts nach, verzeiht ihm seinen religiösen Wahn.
"Die satanischen Verse" und "Mitternachtskinder" habe ich vor einigen Jahren gelesen, nun widme ich mich seiner Autobiografie "Joseph Anton", in der er erzählt, wie alles begann und wie sein Umfeld, einschließlich Verleger und Freunde, darauf reagierten. Er erzählt von sich in der Dritten Person, irgendwie bezeichnend für jemanden, der sein Dasein jederzeit verlieren kann:
Zitat von Salman Rushdie
"Er besaß jetzt ein neues Ich. Er war der Mensch im Auge des Sturms, nicht mehr der Salman, den seine Freunde kannten, sondern Rushdie, Autor der satanischen Verse – dieses Buches mit dem auf subtile Weise durch das Fortlassen des Artikels Die entstellten Titels. Die satanischen Verse war ein Roman. Satanische Verse waren Verse, die satanisch waren, und er war ihr satanischer Verfasser, ›Satan Rushdy‹, eine gehörnte Kreatur auf Plakaten, die von Demonstranten durch die Straßen ferner Städte getragen wurden, der Gehängte mit langer roter Zunge auf primitiven hochgehaltenen Bildern. Hängt Satan Rushdy. Wie leicht es doch war, eines Menschen Vergangenheit auszulöschen und eine neue Version von ihm zu schaffen, eine überwältigende Version, gegen die anzukämpfen unmöglich schien."
Art & Vibration
bist du schon durch? Herrlich ist die Stelle mit den Leibwächtern, die auf einer Party die Maschinengewehre vergessen und die Freunde von Rushdie laufen denen hinterher, mit den Maschinengewehren, hallo, sie haben was vergessen.
Ansonsten ist das ganze ein Debakel für die ganze Welt. Cat Stevens ruft zum Mord eines Schriftstellers auf und lässt sich nun als Friedenspfeife feiern, wenn es nicht so lächerlich wäre, aber Roger Waters bekommt Auftrittsverbot
RE: Januar/Februar/März 2023
in Lektüreliste 22.03.2023 13:04von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Noch nicht ganz, aber Rushdie ist schon herrlich. Yusuf Cat Stevens hat nach dem Attentat Rushdie auf seinem Twitteraccount alles Gute gewünscht, aber sich nie für seine Befürwortung von Chomeinis Mordaufruf entschuldigt. Scheinheiliger geht es nicht. Wir wollen alle nur Frieden, sagt er. Sicher. Diese Art Frieden kennen wir. Religiöser Fanatismus ist ein Kult, kein Glaube. Und das macht ihn noch gefährlicher.
Art & Vibration
Zitat von Taxine im Beitrag #5
Noch nicht ganz, aber Rushdie ist schon herrlich. Yusuf Cat Stevens hat nach dem Attentat Rushdie auf seinem Twitteraccount alles Gute gewünscht, aber sich nie für seine Befürwortung von Chomeinis Mordaufruf entschuldigt. Scheinheiliger geht es nicht. Wir wollen alle nur Frieden, sagt er. Sicher. Diese Art Frieden kennen wir. Religiöser Fanatismus ist ein Kult, kein Glaube. Und das macht ihn noch gefährlicher.
ich hab ihn auf Facebook einen Heuchler genannt :-)
RE: Januar/Februar/März 2023
in Lektüreliste 22.03.2023 19:53von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Passend zum Forum aus "Die satanischen Verse" wäre da noch das zu nennen:
"... und nun begannen ihnen die Hirngespinste aus den Augenwinkeln zu schimmern."
Art & Vibration