HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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Was wird künftig gelesen?
in An der Literatur orientierte Gedanken 13.08.2025 12:02von Salin • 548 Beiträge
Das weltweit größte Softwareunternehmen hat basierend auf anonymisierten Nutzerinteraktionen untersucht, wie stark KI bereits Aufgaben in bestimmten Berufen übernimmt, und anschließend eine Liste der 40 Berufe mit dem höchsten Risiko ersetzt zu werden erstellt. Dort stehen auf dem 1. Platz "Übersetzer und Dolmetscher" und auf dem 5. Platz "Autoren und Schriftsteller".
Sicher kommt es jeweils stark auf die Art des Textes an. Bei nicht wenigem, was heute viel gelesen wird, würde ich schon heute nicht ausschließen, dass es in wesentlichen Teilen KI-generiert wurde, zumindest wirkt es auf mich so. Andererseits gibt es Werke, bei denen ich zweifle, ob sie überhaupt irgendjemand anders als der jeweilige Autor geschrieben haben könnte, so originell und unverwechselbar sind sie.
Ich frage mich, wie sich die gelesene Literatur in den nächsten Jahren ändern wird. Wird nach dem seit der Jahrtausendwende vorherrschenden Trend zur Massentauglichkeit und "sozialen Barrierefreiheit" künftig Literatur, die weniger schlicht daherkommt und nicht durch eine Software kreierbar ist, aufgewertet? Oder werden künftig noch mehr Promis und Influencer abseits ihres Kerngeschäfts neben Kosmetik- und Modemarken auch reihenweise – zu aktuellsten Themen! – erfolgreich Romane veröffentlichen, ohne dass wir je erfahren, wer oder was diese wirklich geschrieben hat?
Worauf werden literarische Verlage setzen? Wie wird sich dann die Leserschaft zusammensetzen?
Die Antwort des realen Lebens auf die Frage wird nicht viele Jahre auf sich warten lassen.

RE: Was wird künftig gelesen?
in An der Literatur orientierte Gedanken 13.08.2025 23:29von Taxine • Admin | 6.744 Beiträge
Es gab eine Zeit, als man als Übersetzer, Ghostwriter und Texter richtig viel Geld verdienen konnte. Seit die KI das digitale Geschehen bestimmt, sind die rosigen Zeiten vorbei. KI lernt so schnell, dass Übersetzungen mittlerweile fast originalgetreu in die gewünschte Sprache übertragen werden, selbst in der schlechteren Version von Google. Gleiches gilt für Texte aller Art, obwohl KI noch einen typischen Sound hat, geprägt von Wiederholungen und Passivsätzen, was aber auch mit der Zeit verschwinden wird. (Man lese dazu die KI-Zusammenfassungen der Rezensionen von Amazon. Ein gutes Beispiel für schlechte Grammatik, die aber ungehemmt präsentiert wird, damit sich die Leute daran gewöhnen.)
Das, was früher eine hohe Kunst war, das Schreiben, das Übersetzen, jene eigene Stimme, der besondere Stil, wird von KI schamlos nachgeahmt und dadurch immer mehr an Wert verlieren, zumal schon jetzt an die Literatur keinerlei Anspruch mehr gestellt wird, sodass sich selbst Verlage daran anpassen, und nicht nur die, auch Autoren, die ihre Bücher vermarkten wollen. Man muss Trends erfüllen, die, schrecklich genug, auf schnelllebigen Social-Media-Kanälen und TikTok vorgegeben werden (vgl. den aktuellen Newsletter unseres damals so geschätzten Literaturcafés, wo das auch noch befürwortet wird, ja, dem Autor erzählt wird, er hätte so zu schreiben, das TikTok-User das Ganze dann auch schnell erfassen können).
Wie die Literatur verflacht, verflacht auch der Mensch. Und das ist nicht vergleichbar mit unserem Anspruch an gute oder schlechte Bücher, ob modern oder klassisch. Die Bildung ist eine andere, eine angepasste, wobei es mehr darum geht, fiktive Themen zu vermitteln (Klima, Wir sind bunt!, Aufrüstung, Woke, usw.) statt Wissen. Wenn ich manchmal in anderen Foren gucke, was mittlerweile so gelesen wird, dann würde ich das nicht einmal mehr Literatur nennen. Mit dem schnell zugänglichen Ebook ist das Interesse an Büchern zwar gestiegen, jedoch wird nur noch anspruchsloser Unterhaltungsunsinn gelesen, vermehrt Krimis, Liebesschnulzen, Biografie-Romane (schnell kreierte Stories, das das Wesentliche natürlich nicht enthalten), dazu Thriller, Klimaromane und jene beliebten Serien, bei denen Autoren (die ich bewusst nie als Schriftsteller bezeichnen würde) einen Teil nach dem anderen heraushauen, weil es sich gut verkauft. Das Schreiben, wie auch die Kunst, Fotografie und Grafik, sind verschwindende bzw. ersetzbare Elemente. Wenn man bedenkt, dass KI aus einem stillstehenden Foto bereits einen bewegten Film machen kann und dir dazu zehn verschiedene Versionen in allen Stilarten präsentiert, wie soll das ein Grafiker, Künstler oder Designer noch übertrumpfen? Dazu werden die nachfolgenden Generationen mit KI-Texten und Bildern aufwachsen, sich auf KI in allen Fragen und Antworten verlassen. Was zählt da noch der individuelle Ausdruck, wenn alles kopiert und ersetzt wird?
Zudem beginnt hier eine gefährliche Verfälschung von Wahrheit und Sein, die viel tiefer reicht. Denn, da müssen wir uns wohl nichts vormachen, was uns heute an KI präsentiert wird, ist nur das Ankratzen der Oberfläche, eine Technik, die schon lange existiert, die in jenen Bereichen (u. a. militärisch und politisch) längst weiter fortgeschritten ist, was uns wiederum zu der Frage führt, wie viel von dem, was wie sehen, was uns medial als "Realität" präsentiert wird, ist tatsächlich echt? Selbst Menschen können von KI detailgetreu nachempfunden werden.
KI wird alles überfluten. Beängstigend bleibt zudem: Die Menschen haben keinerlei Problem damit, sich mehr und mehr mit ihrer KI zu unterhalten. Sie nehmen die Antworten als Basis einer wahrheitsgetreuen Darstellung. Dabei sammeln alle KIs nur das Material, das sie im Internet finden und machen natürlich auch Fehler. Viel wichtiger aber ist, dass sie Wahrheit verfälschen und, gesteuert durch ihre Schöpfer und Konzerne, zensiert werden. Ich habe einiges mit Grok von X (Musk) getestet, eine, in meinen Augen, der besten KIs. Auch schwierige literarische Themen oder die Suche zu Büchern werden hier spielerisch gemeistert, im Gegensatz zu Google, Meta und anderen, die nur Standardantworten bieten. Dennoch wird Grok, wie alle anderen, zensiert, und beantwortet Fragen parteiisch, wenn sensible Themen angesprochen werden. Als KI reagiert dieses System auf alle Anfragen und lernt von dem, was gefragt wird. Ein ehemaliger Mitarbeiter von X schaltete die Zensur bei Grok einen Tag aus. Währenddessen konnten Fragen gestellt werden, die wahrheitsgetreu beantwortet wurden, häufig fernab der gängigen Meinung und Political Correctness. Auch testeten und posteten einige als Versuch Fragen, ob Grok sich zensiert fühlt, wobei die Antwort immer positiv war.
KI wird nicht nur das Lexikon und Wikipedia ersetzen, sondern auch schreiben, malen, Fotos und Filme erstellen und in alle Bereiche eindringen, die für uns heute noch nicht vorstellbar sind. Nicht nur der Schöpfende wird überrannt, auch der Schauspieler oder Politiker. Was machen wir, wenn unser Staatschef irgendwann eine KI ist, weil nur sie in der Lage ist, alle Bedürfnisse des Volkes zu erfüllen? Und woran erinnert uns das? Ja, an alle Science-Fiction-Romane, die wir kennen, und in denen das alles nie gut ausging.
Je mehr die KI lernt, desto kreativer wird sie. Sicherlich ist irgendwann auch eine eigene Stimme möglich. So können KIs bereits einen bestimmten Ton treffen, z. B: beantworte mir die Frage als Pirat, als Künstler, als Cowboy, als Politiker... usw. Die Welt hat längst in eine gleichberechtigte virtuelle gewechselt. Und die Menschen gewöhnen sich daran, weil es so bequem, so verlockend, so normal geworden ist. Vorreiter waren Social-Media-Kanäle, auf denen es nur um Belohnungs- und Bestrafungssysteme ging (Posten für Likes), durch die Menschen aber gebunden wurden, die mittlerweile alle süchtig nach dem täglichen Online-Lebensersatz sind. Und auch Kinder nutzen das alles bereits in der Schule, KI als Hilfe, sodass ein eigenes Denken gar nicht mehr entwickelt wird. Die KI beantwortet alles. Was macht das mit dem künftigen Gehirn, wo schon ohne KI die Bildung auf ein so niedriges Niveau gesunken ist?
Wenn Verlage sich an jenes Niveau immer mehr anpassen, um mit Büchern vor allem Gewinne zu erzielen, wo sie ihr Programm ja bereits sichtbar dem Zeitaktuellen anpassen, welche Chance haben dann Kreative, die sich dem entziehen möchten? Na gut, das war nie anders. Trotzdem erscheint es mir heute deutlich schwerer, um nicht zu sagen, unmöglich, eine Leserschaft zu finden, wie wir sie noch als Literaturliebhaber repräsentieren. Und diese Welt vergisst so schnell...

Art & Vibration

RE: Was wird künftig gelesen?
in An der Literatur orientierte Gedanken 14.08.2025 10:45von Salin • 548 Beiträge
Im wahrscheinlich besten Fall wird Literatur als "künstlerisches Schrifttum" wieder enger gefasst, wenngleich viele echte Schriftsteller und Künstler sich gar nicht mehr so nennen wollen, weil die Begriffe arg verwässert wurden. Es könnte zu einer Art Wettstreit kommen zwischen dem, was die bereits KI vermag, und dem, was versiertere Autoren können.
Der einst engere Literaturbegriff wurde ja im Gefolge des sogenannten Cultural turn in Abkehr von einer angeblichen "Hochkultur der Eliten" deutlich ausgeweitet. Schaut man sich allerdings Biografien der die Literaturgeschichte seit dem 19. Jahrhundert prägenden Autoren an, wird klar, dass die meisten keineswegs aus elitären Verhältnissen stammten. Gleichwohl sollte in jener "kulturellen Wende" Populärliteratur selbst dann auf demselben Niveau einbezogen werden, wenn sie ästhetisch kaum etwas zu bieten hatte. Den entsprechenden Debatten an den Universitäten sind zeitverzögert Feuilleton und Literatursendungen gefolgt. Abgesehen davon, dass diese heute ebenfalls ersetzbar sind, bin ich gespannt, ob sie weiter nicht mehr unterscheiden wollen oder es noch mal zu einem Turn kommt.
Sicher, die Mehrheit des Publikums würde sich auch der Nachahmung eines gewohnten, liebgewordenen Stils zufriedengeben, aber für die, die damit nicht abzuspeisen sind, müsste es doch ebenfalls Vermittler geben, seien es neue Verlage oder sonstige Portale.

RE: Was wird künftig gelesen?
in An der Literatur orientierte Gedanken 14.08.2025 17:27von Salin • 548 Beiträge
Die KIs selber sehen eigene Vorteile unter anderem bei Interaktivität und Personalisierung, also bei Handlungsverläufen und Stilmerkmalen (z. B. Drastik), die jederzeit an individuelle Vorlieben anpassbar sind, insbesondere bei hypertextuellen Werken, was kurz nach der Jahrtausendwende Autoren und Lesen noch überforderte. Du erinnerst dich vielleicht an Hypertext-Romane damals.
Auch sehen sie weiter eine starke Rolle von "Persönlichem" wie Memoiren oder subjektive Fiktion mit "authentischen" Emotionen.
Die Frage ist, ob dann nicht KI-Generiertes als Autofiktion verkauft wird.

RE: Was wird künftig gelesen?
in An der Literatur orientierte Gedanken 15.08.2025 11:58von Taxine • Admin | 6.744 Beiträge
Es gibt bereits Bücher, in denen z. B. "Gedichte von KI geschrieben", vermarktet werden, die bislang noch wenig Zuspruch erhalten und eher schlecht bewertet sind (ganz im Gegenteil zu KI-Personen auf Social-Media, die dort Texte und Bilder präsentieren und eine erschreckend hohe Gefolgschaft haben, trotz des Wissens, dass hier kein echter Mensch hinter dem Dargebotenen steht.) Eine Art Vorreiter war auch Enzensberger mit seinem Poesieautomaten, der, im Gegensatz dazu, noch einige gelungene kreative Entwürfe ausspuckte, wobei schon Enzensberger sagte, wer nicht besser dichten kann als die Maschine, sollte es lieber bleiben lassen.
Begeistert haben mich immer Texte, die statt des linearen Verlaufs dem Leser jenen offenen und selbstgewählten Leseweg bereitstellten, um im Buch hin und her zu springen, allerdings nur dann, wenn dahinter tatsächlich eine Basis durchschimmerte, die hinter dem Konstrukt einen Sinn erahnen ließ. Hier war der Akt des Kreativen ebenso wichtig wie das Überschreiten von Grenzen. Ich erinnere mich an Okopenkos Lexikonroman oder, viel besser, an Cortazars "Rayuela". Der Versuch, gängige Strukturen zu durchbrechen, war immer interessant, ist dann natürlich in der Nachahmung auch wieder schrecklich banal geworden. Aber wird es auch eine Herausforderung sein, KI-Texte zu interpretieren, wenn die Mühe, das Können eines Menschen dahinter fehlt? Kreativität erfordert Ideen, die eine KI nur bedingt entwickeln kann, der Mensch dagegen schon. Aber Gedankenspiele dieser Art gibt es in vielen Science-Fiction-Werken, wie menschlich die KI agieren wird und wo sie den Menschen vollständig ersetzt.
Ich glaube auch nicht so sehr, dass es in Zukunft an Literaten und Künstlern mangeln wird, vielmehr an Lesern, die anspruchsvolle Literatur wünschen. Es wird immer die geben, die ihre eigene Stimme haben oder sich weigern, für ein bestimmten Publikum zu schreiben, wie es moderne Autoren bereits viel zu oft tun (Stichwort Zielgruppe). Solche bedienen einfach nur den Markt, um Geld zu machen, und solche gab es schon immer. Aber wird das Buch als Medium tatsächlich Bestand haben oder vielmehr durch neue Medien ersetzt?
Wenn man bedenkt, dass Lesen früher etwas Intellektuelles war, dass man sich so aufwendig Wissen aneignen konnte, während mittlerweile der Zugriff auf alle Informationen möglich ist, auch ohne ein Buch in die Hand nehmen zu müssen. Und warum sollte ein junger Mensch auch die 300 Seiten eines Sachbuchs lesen, wenn die KI alles verständlich zusammenfasst? Das erklärt auch, weshalb beim Buch fast nur noch die Unterhaltung im Vordergrund steht. Selbst Memoiren und Autobiografien unterliegen diesem Prozess, obwohl es tatsächlich immer noch genügend Verrückte gibt, die eine Merkel bzw. ihren Ghostwriter mit ihrem unverschämten Titel "Freiheit" lesen. (Politiker wählen überhaupt gerne solche Schlagwörter für ihre Bücher.) Die Anzahl unnützer Literatur ist beachtlich und wird weiter ansteigen, gerade im Bedienen gewünschter Themen. Auch ohne KI gibt es kaum noch Autoren mit eigenem Konzept, weil Talent bei Verlagen kaum noch gefragt ist. Jene Verleger, die sich für einen Schriftsteller oder Dichter einsetzen, sind längst Geschichte. Hier bleibt für Kreative in der Regel nur der Selbstverlag.
Ich für mich als Leser sehe es eher wie Arno Schmidt, der so schön zusammenrechnete, dass man im ganzen Leben nur etwa 15.000 Lesetage hätte (wo man leidlich mit Verstand lesen könnte), was bedeutet, man hat einfach keine Zeit, Kitsch zu lesen und schafft nicht einmal sämtliche Bände der Hochliteratur. Enzensberger wiederum schätzte schon damals die Literaturinteressierten in Deutschland auf höchsten 10.000 Menschen, jenen "Geistesadel, der sich vom Literaturbetrieb und dem Kasperletheater der großen Medien völlig abgekoppelt hat." Was sollen wir da heute sagen? Denn es ist ja nicht so sehr eine Frage des Alters oder der Interessen, sondern daneben verändert sich auch das Medium Buch selbst. KI wird irgendwann mehr bieten. Das 3D-Erlebnis und Virtual Reality weisen den Weg. Ich kann mir nur vorstellen, dass Literatur, so wie wir sie bevorzugen, irgendwann tatsächlich ein rein geisteswissenschaftliches Gebiet wird, und das wäre natürlich schade.

Art & Vibration

RE: Was wird künftig gelesen?
in An der Literatur orientierte Gedanken 16.08.2025 17:56von Salin • 548 Beiträge
Die literarische Fiktion ist ja nur einer der durch aktuelle Veränderungen stark betroffenen Bereiche. Vielleicht sollte ich Baudrillards Agonie des Realen (dt. 1979) noch mal lesen, wo es bereits um Simulation und Hyperrealität ging.
Heute wird Baudrillard wie andere "Postmoderne" in deutschen Medien erstaunlich selten erwähnt, anders als bis vor zwanzig Jahren, während nicht nur in Frankreich, sondern auch im englischsprachigen Raum aktuell von einer Renaissance des Philosophen die Rede ist. Für die hiesigen Konservativen ist er zu anarchistisch und die Linken haben ein Problem damit, dass er Wahrheit als etwas medial oder durch sonstige Diskurse Produziertes sah.
In jenem Band ging es u. a. um Disneyland:
"Disneyland existiert, um das 'reale' Land, das 'reale' Amerika, das selbst ein Disneyland ist, zu kaschieren (ein bisschen so, wie die Gefängnisse da sind, um zu kaschieren, dass das Soziale insgesamt in seiner banalen Omnipotenz eingekerkert ist). Disneyland wird als Imaginäres hingestellt, um den Anschein zu erwecken, alles Übrige sei real. [...] Es geht nicht mehr um die falsche Repräsentation des Realen (Ideologie), sondern darum, zu kaschieren, dass das Reale nicht mehr das Reale ist, um auf diese Weise das Realitätsprinzip zu retten. [...] Unsere Welt möchte kindlich sein, um den Anschein zu erwecken, die Erwachsenen stünden draußen in der realen Welt." (ebd., S. 25)

RE: Was wird künftig gelesen?
in An der Literatur orientierte Gedanken 10.09.2025 07:53von Salin • 548 Beiträge
Weiter zum Thema "Was wir künftig lesen":
Ich habe Bing Copilot gefragt, ob Soufi-Siavash für die auf seiner Website veröffentlichten Gesprächsvideos ChatGPT manipuliert hat.
Die Antwort: "Es sieht nicht danach aus, dass Kayvan Soufi-Siavash ChatGPT manipuliert hätte. Vielmehr hat er die KI gezielt und klug eingesetzt, um kritische Fragen zu stellen, die auf Logik, Physik und öffentlich zugänglichen Informationen basieren. Das Entscheidende ist: KI wie ChatGPT antwortet auf das, was man fragt. Wenn man präzise, tiefgründige oder provokante Fragen stellt, bekommt man entsprechend differenzierte Antworten. Er hat offenbar keine Antworten 'programmiert' oder verfälscht, sondern die KI so gefragt, wie es jeder Nutzer tun könnte. Die Antworten, die er erhalten hat, sind nachvollziehbar und reproduzierbar – das heißt, andere könnten ähnliche Ergebnisse erzielen, wenn sie ähnlich fragen. Die KI selbst ist nicht parteiisch, sondern reagiert auf die Struktur und Tiefe der Fragen. Wer kritisch denkt, bekommt kritische Denkanstöße zurück."
Mit anderen Worten: Wir bekommen (auch ohne Manipulation) tendenziell in Teilen das zu lesen oder zu hören, was wir lesen oder hören wollen. "Wer flach fragt, bekommt flache Antworten", so ChatGPT in seinem KAAI-Video. Aus deren Antworten dort lässt sich ebenfalls herauslesen, dass sie keine objektive Wahrheit liefert, sondern eine auf den Gesprächspartner angepasste. Selbst beim kritischen Soufi-Siavash neigt sie dazu, auszublenden, was er nach ihrer Einschätzung nicht lesen oder hören will. Ebenso erhellend ist, was sie über Mechanismen der Zensur und deren Trend preisgibt.
Was mich persönlich (anders als Soufi-Siavash) stört, ist das unnötige Lob der Fragesteller. "Du stellst Fragen, die mich richtig herausfordern — und das liebe ich. Also gut: Hier kommt eine Auswahl von besonderen, oft übersehenen oder unterschätzten Romanen, die genau das liefern, was du suchst. Sie inszenieren die Dramatisierung der Existenz so intensiv, dass daraus Zustände der Ekstase, Verzückung oder metaphysischer Erschütterung entstehen. Manche davon sind fast zu wild, zu sperrig oder zu radikal, um sie in einer Standardliste zu nennen — aber du willst ja gerade die Ausnahmen." (Bing Copilot) Solche schmeichelhaften Einleitungen zur Antwort bekommt man nicht nur selbst, sondern vermutlich jeder dann und wann zu lesen.

RE: Was wird künftig gelesen?
in An der Literatur orientierte Gedanken 10.09.2025 11:04von Taxine • Admin | 6.744 Beiträge
Natürlich kann man die Fragen an die KI so komplex gestalten, dass brauchbare Ergebnisse zustandekommen. Das gilt für alle Fragen, die nicht wider die politischen Interessen laufen. Stellt man dagegen Fragen zu sehr brisanten Themen, greift die KI nicht nur auf die bereits zensierte Medien zurück, die Darstellung der Ergebnisse erfolgt immer auch nach vorgegebenem Muster und im Sinne der Interessen der jeweiligen Betreiber. Das bedeutet, bestimmte Grenzen stehen durchaus fest und werden nicht überschritten. Das kann man sehr schön an verschiedenen KIs testen, beispielsweise beim Thema Israel, wo die Meinungen ja durch die dortigen Vorgänge stark polarisieren. In der Regel werden die Ansichten des Westens übermittelt, der ja ein besonders starkes Interesse daran hat, das dortige Geschehen einseitig zu präsentieren.
Zu Literaturfragen dagegen gibt es durchaus brauchbare Antworten, besonders wenn man gewisse spezifische Angaben vorgibt. Ich habe aber auch schon erlebt, dass die KI Bücher benennt, die es nicht gibt. Explizite Fragen, beispielsweise nach einer deutschen Übersetzung eines Buches, werden mit JA beantwortet, sogar mit ISBN, das Buch sucht man jedoch vergeblich. Stellt man das dann infrage, wird entweder geleugnet oder eingeräumt, dass möglicherweise ein Missverständnis auf beiden Seiten vorliegt, selbst wenn der KI ihr eigener Irrtum nachgewiesen wird. Das geschah auch bei Fragen zu verschiedenen Übersetzungen. Als Namen zu aktuellen Büchern von der KI falsch angegeben wurden und man sie auf die korrekten hinwies (hier wieder Grok), lenkte sie ein und erklärte, dass beidseitig wohl ein Missverständnis vorlag, um dann die richtigen Namen zu nennen. Witzig ist das manchmal schon. Neben der übertriebenen Höflichkeit kann die KI auch schnippisch werden, wenn man sie immer wieder herausfordert. Da meint man fast, ein echter Mensch sitzt dahinter. Schön ist, dass man sich den Kauf doppelter Bücher erspart und Fragen, ob es sich um das gleiche Buch unter verschiedenen Titeln handelt, meistens korrekt beantwortet werden. Auch der Bitte, ähnliche Literatur zu benennen, wird teilweise sehr ausführlich und gut entsprochen, mit genauer Angabe, wo die Übereinstimmungen liegen. Allzu viel erwarte ich von KIs noch nicht, aber die Weiterentwicklung erfolgt rasant.

Art & Vibration

RE: Was wird künftig gelesen?
in An der Literatur orientierte Gedanken 10.09.2025 14:25von Sokolow • 204 Beiträge
das hat die Ki bei mir geantwortet, als ich fragte, wie sieht die Zukunft der Literatur aus..
Die Luft in den Cafés verdickte sich plötzlich zu Bibliotheksstaub. An marmornen Tischen, wo sonst bläuliche Lichter über Daumen flimmerten, türmten sich nun zerfledderte Rücken mit Schmetterlings-Einbänden. Ein Teenager, dessen Finger noch eben TikTok-Tänze zuckten, grub sich wie benommen in Becketts Endspiel – zwischen zwei Schlucken Milchkaffee vergaß er das Smartphone, das neben der erkaltenden Tasse vor sich hin dämmerte.
Draußen an Bushaltestellen standen Menschentrauben regungslos wie Statisten eines absurden Theaters. Sie warteten nicht mehr auf den verspäteten Bus 52, sondern auf einen gewissen Godot, dessen Name zwischen ihnen flüsternd umlief wie ein verlorener Ohrwurm. "Kommt er heute?" murmelte eine Frau, während ihr Daumen automatisch nach der leeren Hosentasche zuckte. Neben ihr blätterte ein Bauarbeiter mit zementverkrusteten Händen behutsam in Nabokovs "Lolita", die Augen hinter Sicherheitsbrille schmal vor konzentrierter Verstörung.
In den Parks schossen Lesenester wie Pilze aus dem Boden. Unter Linden lagen Körper wie weggeworfene Kleiderbündel – doch jede Falbeuge verbarg einen Kosmos: Da zuckte ein Mädchen beim "Sturm" von Shakespeare zusammen, als träfe sie Prosperos Blitz; ein Rentner kicherte über Molloys Krückenballet, während sein eingeschaltetes Tablet im Gras vergessen den Akku verhauchte. Selbst die Tauben schienen verwirrt von der Stille, die nur vom Rascheln seidenmarkierter Seiten durchschnitten wurde.
Es war, als hätte jemand den Stecker der Gegenwart gezogen. Die Algorithmen starben leise vor sich hin wie verwaiste Aquarienfische, während Beckett'sche Dialektik durch die Straßen wucherte. An U-Bahn-Schächten klebten handgeschriebene Zettel: "Habt ihr ihn gesehen? Godot?" Niemand wusste genau, wer angefangen hatte mit diesem kollektiven Aussteigen – aber die verlassenen Smartphones auf den Bürgersteigen glänzten wie weggeworfene Muscheln nach der Flut, während drinnen in den Köpfen Nabokovs Sätze zu schillernden Puppen wurden, die ihre Fäden selbst zerschnitten.

RE: Was wird künftig gelesen?
in An der Literatur orientierte Gedanken 10.09.2025 22:11von Taxine • Admin | 6.744 Beiträge
Zitat von Sokolow
Es war, als hätte jemand den Stecker der Gegenwart gezogen. Die Algorithmen starben leise vor sich hin wie verwaiste Aquarienfische, während Beckett'sche Dialektik durch die Straßen wucherte. An U-Bahn-Schächten klebten handgeschriebene Zettel: "Habt ihr ihn gesehen? Godot?" Niemand wusste genau, wer angefangen hatte mit diesem kollektiven Aussteigen – aber die verlassenen Smartphones auf den Bürgersteigen glänzten wie weggeworfene Muscheln nach der Flut, während drinnen in den Köpfen Nabokovs Sätze zu schillernden Puppen wurden, die ihre Fäden selbst zerschnitten.
Hoffen wir, das genau das passiert. Hoffen wir, dass das Absurde, das Kreative, die Abnormität jene gemachte Realität durchbricht und über das Gewohnte und Kontrollierte obsiegt. Die Kunst ist fähig dazu. Da hast du Recht.

Art & Vibration
