HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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Was wird künftig gelesen?
in An der Literatur orientierte Gedanken Gestern 12:02von Salin • 529 Beiträge
Das weltweit größte Softwareunternehmen hat basierend auf anonymisierten Nutzerinteraktionen untersucht, wie stark KI bereits Aufgaben in bestimmten Berufen übernimmt, und anschließend eine Liste der 40 Berufe mit dem höchsten Risiko ersetzt zu werden erstellt. Dort stehen auf dem 1. Platz "Übersetzer und Dolmetscher" und auf dem 5. Platz "Autoren und Schriftsteller".
Sicher kommt es jeweils stark auf die Art des Textes an. Bei nicht wenigem, was heute viel gelesen wird, würde ich schon heute nicht ausschließen, dass es in wesentlichen Teilen KI-generiert wurde, zumindest wirkt es auf mich so. Andererseits gibt es Werke, bei denen ich zweifle, ob sie überhaupt irgendjemand anders als der jeweilige Autor geschrieben haben könnte, so originell und unverwechselbar sind sie.
Ich frage mich, wie sich die gelesene Literatur in den nächsten Jahren ändern wird. Wird nach dem seit der Jahrtausendwende vorherrschenden Trend zur Massentauglichkeit und "sozialen Barrierefreiheit" künftig Literatur, die weniger schlicht daherkommt und nicht durch eine Software kreierbar ist, aufgewertet? Oder werden künftig noch mehr Promis und Influencer abseits ihres Kerngeschäfts neben Kosmetik- und Modemarken auch reihenweise – zu aktuellsten Themen! – erfolgreich Romane veröffentlichen, ohne dass wir je erfahren, wer oder was diese wirklich geschrieben hat?
Worauf werden literarische Verlage setzen? Wie wird sich dann die Leserschaft zusammensetzen?
Die Antwort des realen Lebens auf die Frage wird nicht viele Jahre auf sich warten lassen.

RE: Was wird künftig gelesen?
in An der Literatur orientierte Gedanken Gestern 23:29von Taxine • Admin | 6.723 Beiträge
Es gab eine Zeit, als man als Übersetzer, Ghostwriter und Texter richtig viel Geld verdienen konnte. Seit die KI das digitale Geschehen bestimmt, sind die rosigen Zeiten vorbei. KI lernt so schnell, dass Übersetzungen mittlerweile fast originalgetreu in die gewünschte Sprache übertragen werden, selbst in der schlechteren Version von Google. Gleiches gilt für Texte aller Art, obwohl KI noch einen typischen Sound hat, geprägt von Wiederholungen und Passivsätzen, was aber auch mit der Zeit verschwinden wird. (Man lese dazu die KI-Zusammenfassungen der Rezensionen von Amazon. Ein gutes Beispiel für schlechte Grammatik, die aber ungehemmt präsentiert wird, damit sich die Leute daran gewöhnen.)
Das, was früher eine hohe Kunst war, das Schreiben, das Übersetzen, jene eigene Stimme, der besondere Stil, wird von KI schamlos nachgeahmt und dadurch immer mehr an Wert verlieren, zumal schon jetzt an die Literatur keinerlei Anspruch mehr gestellt wird, sodass sich selbst Verlage daran anpassen, und nicht nur die, auch Autoren, die ihre Bücher vermarkten wollen. Man muss Trends erfüllen, die, schrecklich genug, auf schnelllebigen Social-Media-Kanälen und TikTok vorgegeben werden (vgl. den aktuellen Newsletter unseres damals so geschätzten Literaturcafés, wo das auch noch befürwortet wird, ja, dem Autor erzählt wird, er hätte so zu schreiben, das TikTok-User das Ganze dann auch schnell erfassen können).
Wie die Literatur verflacht, verflacht auch der Mensch. Und das ist nicht vergleichbar mit unserem Anspruch an gute oder schlechte Bücher, ob modern oder klassisch. Die Bildung ist eine andere, eine angepasste, wobei es mehr darum geht, fiktive Themen zu vermitteln (Klima, Wir sind bunt!, Aufrüstung, Woke, usw.) statt Wissen. Wenn ich manchmal in anderen Foren gucke, was mittlerweile so gelesen wird, dann würde ich das nicht einmal mehr Literatur nennen. Mit dem schnell zugänglichen Ebook ist das Interesse an Büchern zwar gestiegen, jedoch wird nur noch anspruchsloser Unterhaltungsunsinn gelesen, vermehrt Krimis, Liebesschnulzen, Biografie-Romane (schnell kreierte Stories, das das Wesentliche natürlich nicht enthalten), dazu Thriller, Klimaromane und jene beliebten Serien, bei denen Autoren (die ich bewusst nie als Schriftsteller bezeichnen würde) einen Teil nach dem anderen heraushauen, weil es sich gut verkauft. Das Schreiben, wie auch die Kunst, Fotografie und Grafik, sind verschwindende bzw. ersetzbare Elemente. Wenn man bedenkt, dass KI aus einem stillstehenden Foto bereits einen bewegten Film machen kann und dir dazu zehn verschiedene Versionen in allen Stilarten präsentiert, wie soll das ein Grafiker, Künstler oder Designer noch übertrumpfen? Dazu werden die nachfolgenden Generationen mit KI-Texten und Bildern aufwachsen, sich auf KI in allen Fragen und Antworten verlassen. Was zählt da noch der individuelle Ausdruck, wenn alles kopiert und ersetzt wird?
Zudem beginnt hier eine gefährliche Verfälschung von Wahrheit und Sein, die viel tiefer reicht. Denn, da müssen wir uns wohl nichts vormachen, was uns heute an KI präsentiert wird, ist nur das Ankratzen der Oberfläche, eine Technik, die schon lange existiert, die in jenen Bereichen (u. a. militärisch und politisch) längst weiter fortgeschritten ist, was uns wiederum zu der Frage führt, wie viel von dem, was wie sehen, was uns medial als "Realität" präsentiert wird, ist tatsächlich echt? Selbst Menschen können von KI detailgetreu nachempfunden werden.
KI wird alles überfluten. Beängstigend bleibt zudem: Die Menschen haben keinerlei Problem damit, sich mehr und mehr mit ihrer KI zu unterhalten. Sie nehmen die Antworten als Basis einer wahrheitsgetreuen Darstellung. Dabei sammeln alle KIs nur das Material, das sie im Internet finden und machen natürlich auch Fehler. Viel wichtiger aber ist, dass sie Wahrheit verfälschen und, gesteuert durch ihre Schöpfer und Konzerne, zensiert werden. Ich habe einiges mit Grok von X (Musk) getestet, eine, in meinen Augen, der besten KIs. Auch schwierige literarische Themen oder die Suche zu Büchern werden hier spielerisch gemeistert, im Gegensatz zu Google, Meta und anderen, die nur Standardantworten bieten. Dennoch wird Grok, wie alle anderen, zensiert, und beantwortet Fragen parteiisch, wenn sensible Themen angesprochen werden. Als KI reagiert dieses System auf alle Anfragen und lernt von dem, was gefragt wird. Ein ehemaliger Mitarbeiter von X schaltete die Zensur bei Grok einen Tag aus. Währenddessen konnten Fragen gestellt werden, die wahrheitsgetreu beantwortet wurden, häufig fernab der gängigen Meinung und Political Correctness. Auch testeten und posteten einige als Versuch Fragen, ob Grok sich zensiert fühlt, wobei die Antwort immer positiv war.
KI wird nicht nur das Lexikon und Wikipedia ersetzen, sondern auch schreiben, malen, Fotos und Filme erstellen und in alle Bereiche eindringen, die für uns heute noch nicht vorstellbar sind. Nicht nur der Schöpfende wird überrannt, auch der Schauspieler oder Politiker. Was machen wir, wenn unser Staatschef irgendwann eine KI ist, weil nur sie in der Lage ist, alle Bedürfnisse des Volkes zu erfüllen? Und woran erinnert uns das? Ja, an alle Science-Fiction-Romane, die wir kennen, und in denen das alles nie gut ausging.
Je mehr die KI lernt, desto kreativer wird sie. Sicherlich ist irgendwann auch eine eigene Stimme möglich. So können KIs bereits einen bestimmten Ton treffen, z. B: beantworte mir die Frage als Pirat, als Künstler, als Cowboy, als Politiker... usw. Die Welt hat längst in eine gleichberechtigte virtuelle gewechselt. Und die Menschen gewöhnen sich daran, weil es so bequem, so verlockend, so normal geworden ist. Vorreiter waren Social-Media-Kanäle, auf denen es nur um Belohnungs- und Bestrafungssysteme ging (Posten für Likes), durch die Menschen aber gebunden wurden, die mittlerweile alle süchtig nach dem täglichen Online-Lebensersatz sind. Und auch Kinder nutzen das alles bereits in der Schule, KI als Hilfe, sodass ein eigenes Denken gar nicht mehr entwickelt wird. Die KI beantwortet alles. Was macht das mit dem künftigen Gehirn, wo schon ohne KI die Bildung auf ein so niedriges Niveau gesunken ist?
Wenn Verlage sich an jenes Niveau immer mehr anpassen, um mit Büchern vor allem Gewinne zu erzielen, wo sie ihr Programm ja bereits sichtbar dem Zeitaktuellen anpassen, welche Chance haben dann Kreative, die sich dem entziehen möchten? Na gut, das war nie anders. Trotzdem erscheint es mir heute deutlich schwerer, um nicht zu sagen, unmöglich, eine Leserschaft zu finden, wie wir sie noch als Literaturliebhaber repräsentieren. Und diese Welt vergisst so schnell...

Art & Vibration

RE: Was wird künftig gelesen?
in An der Literatur orientierte Gedanken Heute 10:45von Salin • 529 Beiträge
Im wahrscheinlich besten Fall wird Literatur als "künstlerisches Schrifttum" wieder enger gefasst, wenngleich viele echte Schriftsteller und Künstler sich gar nicht mehr so nennen wollen, weil die Begriffe arg verwässert wurden. Es könnte zu einer Art Wettstreit kommen zwischen dem, was die bereits KI vermag, und dem, was versiertere Autoren können.
Der einst engere Literaturbegriff wurde ja im Gefolge des sogenannten Cultural turn in Abkehr von einer angeblichen "Hochkultur der Eliten" deutlich ausgeweitet. Schaut man sich allerdings Biografien der die Literaturgeschichte seit dem 19. Jahrhundert prägenden Autoren an, wird klar, dass die meisten keineswegs aus elitären Verhältnissen stammten. Gleichwohl sollte in jener "kulturellen Wende" Populärliteratur selbst dann auf demselben Niveau einbezogen werden, wenn sie ästhetisch kaum etwas zu bieten hatte. Den entsprechenden Debatten an den Universitäten sind zeitverzögert Feuilleton und Literatursendungen gefolgt. Abgesehen davon, dass diese heute ebenfalls ersetzbar sind, bin ich gespannt, ob sie weiter nicht mehr unterscheiden wollen oder es noch mal zu einem Turn kommt.
Sicher, die Mehrheit des Publikums würde sich auch der Nachahmung eines gewohnten, liebgewordenen Stils zufriedengeben, aber für die, die damit nicht abzuspeisen sind, müsste es doch ebenfalls Vermittler geben, seien es neue Verlage oder sonstige Portale.

RE: Was wird künftig gelesen?
in An der Literatur orientierte Gedanken Heute 17:27von Salin • 529 Beiträge
Die KIs selber sehen eigene Vorteile unter anderem bei Interaktivität und Personalisierung, also bei Handlungsverläufen und Stilmerkmalen (z. B. Drastik), die jederzeit an individuelle Vorlieben anpassbar sind, insbesondere bei hypertextuellen Werken, was kurz nach der Jahrtausendwende Autoren und Lesen noch überforderte. Du erinnerst dich vielleicht an Hypertext-Romane damals.
Auch sehen sie weiter eine starke Rolle von "Persönlichem" wie Memoiren oder subjektive Fiktion mit "authentischen" Emotionen.
Die Frage ist, ob dann nicht KI-Generiertes als Autofiktion verkauft wird.
