background-repeat

Hirngespinste

Austausch zwischen Literatur und Kunst

#1

Jorge Barón Biza

in Die schöne Welt der Bücher Heute 12:16
von Taxine • Admin | 6.760 Beiträge

Jorge Barón Biza
"Die Wüste und ihr Samen"

Dieses Buch kann man tatsächlich nur bedingt empfehlen. Es ist eine Zumutung, lässt einen aber aufgrund der Geschichte auch nicht mehr los, die tragisch und grausam zugleich ist und auf wahren Begebenheiten beruht. Als es zur Scheidung kommt, schüttet der Vater des Protagonisten Mario seiner Frau aus Rache Schwefelsäure ins Gesicht und erschießt sich danach selbst. Mario, in dem unschwer der Autor selbst zu erkennen ist, versucht das Ganze zu verarbeiten und begleitet seine Mutter durch die Torturen der Wiederherstellung, mit schmerzhaften Operationen und einem nie zufriedenstellenden Ergebnis. Ihre Reise reicht von Argentinien bis nach Mailand, um die besten Ärzte aufzusuchen. Seine Zeit vertreibt er sich in Bars und bei den eigenartig veranlagten Freiern der Prostituierten Dina, die ihn immer wieder auffordert, sie zu begleiten. Der Zerfall ist schleichend. Das entsetzliche Ereignis und der Anblick des zerfressenden Gesichts der Mutter (die er nie so nennt, sondern immer bei ihrem Vornamen) hinterlassen unauslöschliche Spuren, die aber nur subtil an der Oberflächliche aufleuchten. Es geht nicht um Anklage, sondern um die philosophische Hinterfragung, ob Gewalt vererbbar ist. Als Sohn beider steht Mario alias Biza zwischen den Fronten.

Bevor er die Mutter entstellte, galt Bizas Vater als reicher, exzentrischer Sonderling und Philantrop, der sich, wie die Mutter Rosa Clotilde Sabattini, politisch engagierte, dazu auch skandalöse pornografische Bücher schrieb, von denen er eins dem Papst mit ironischer Widmung schickte. Auch Mario spricht im Roman immer wieder von sich als entschiedener Gegner der Gewalt. Umso erschütternder ist dann die Szene, in der er Dina mit dem Rasiermesser plötzlich und scheinbar grundlos zwei tiefe Schnitte ins Gesicht versetzt. Das ist kein bloßer Schockeffekt, sondern eine präzise Spiegelung der ursprünglichen Gewalttat des Vaters. Biza vermittelt damit vor allem den unausweichlichen Gang der Dinge. Mario, der Zeuge der Säureattacke wurde und jahrelang die vergebliche Rekonstruktion der Mutter begleitet, trägt die Saat des Vaters in sich, als einen destruktiven Impuls, der sich unerwartet Bahn bricht. Dina, die Dirne, der er vor allem nachts begegnet und die so den Kontrast zur taghellen, sterilen Krankenhauswelt der Mutter bildet, wird zur Projektionsfläche der inneren Gefühle, die kaum äußerlich sichtbar sind, außer durch den Alkoholexzess Marios, als ein misslungener Versuch der Betäubung. Dina entwickelt im Laufe ihrer Bekanntschaft echte Zuneigung zu Mario, doch er verletzt sie ausgerechnet in dem Moment, in dem sie sich näher kommen, als könne er diese Nähe nur durch Zerstörung ertragen.

In seinem Verhalten wird auch die Vergeblichkeit einer Wiederherstellung des mütterlichen Gesichts erkennbar, mit dem alleine die Ärzte zufrieden sind, weil sie ihr möglichstes getan haben. Die Beschreibungen sind sehr genau und eindringlich. Sie sezieren die angeblichen Fortschritte in allen Details. Gerade das Gesicht als Träger und Übermittler von Identität, Sinnlichkeit und Menschlichkeit verliert seine Konturen und den gewohnten Ausdruck. Es lässt sich zwar operativ flicken, aber nie wirklich heilen oder gar in den Ursprungszustand zurückversetzen. Dadurch ist eine Identifizierung mit dem alten Ich unmöglich geworden. Für Mario verschwindet so auch die eigene Kindheit.

Biza erwähnte in einem Interview, dass seine Figuren in einem geschlossenen Kreis aus Zerstörung und Leere gefangen seien. Es ist, als wollte er sagen: In dieser Familie (und vielleicht in der menschlichen Natur allgemein) gibt es keine Erlösung, nur die endlose Wiederholung des Abgrunds. "Die Wüste und ihr Samen" war sein einziger Roman, der eher als Versuch gelten mag, das Unfassbare festzuhalten. Wie sein Vater, seine Mutter und seine Schwester beging Biza schließlich ebenfalls Selbstmord, während sein Roman das Unausweichliche dieses Schritts nahezu vorwegnimmt. Er wählte 2001 für seinen Sprung in die Leere ausgerechnet das Apartment und Fenster, für das sich auch seine Mutter Rosa Clotilde Sabattani 1978 entschied und in dem 14 Jahre zuvor der Anschlag auf ihre Schönheit erfolgte.

Sein Buch, drei Jahre vor seinem Tod im Selbstverlag erschienen, liest sich rückblickend wie eine Abschiedsnotiz, mit der eigenwilligen Distanz des Beobachters, der das Ereignis narrativ umkreist, ohne es jemals verarbeiten zu können. Verwunderlich ist für mich, dass so ein Werk heute erscheinen kann, während viele andere umso leichter in Vergessenheit geraten. Etwas ist darin auch die Geschichte Argentiniens eingefangen, vor allem die vielen politischen Umwälzungen als eine Landschaft, in der Revolutionen keimten und verdorrten, Diktatoren aufstiegen und fielen, und das Volk in einem Kreislauf aus Hoffnung und Zerstörung gefangen blieb. Rosa Clotilde Sabattani war die Rivalin Evitas, eine aktive Protagonistin im Radicalismo (Unión Cívica Radical), jener Partei, die das Land in den 1910er und 1920er Jahren prägte und gegen Peronismus und Militärdiktaturen antrat. Evita blieb die mythische Heilige der Unterdrückten, während Rosa Clotilde als intellektuelle Kämpferin für eine liberale Emanzipation stand, jedoch ihre Tragödie über die politische Karriere und dann auch über ihr Leben die Oberhand gewann.


---
(Die Rezension orientiert sich an der Ausgabe: Jorge Barón Biza "Die Wüste und ihr Samen", Suhrkamp Verlag, 2025)




Art & Vibration
nach oben springen


Besucher
1 Mitglied und 2 Gäste sind Online

Forum Statistiken
Das Forum hat 1131 Themen und 24775 Beiträge.

Xobor Einfach ein eigenes Forum erstellen | ©Xobor.de
Datenschutz