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Hirngespinste

Austausch zwischen Literatur und Kunst

#1

Kunst - betrachtet durch das Auge eines Tolstois

in An der Literatur orientierte Gedanken 15.08.2007 17:26
von Taxine • Admin | 6.678 Beiträge

So schrieb er in seinen Tagebüchern:

In Antwort auf:
Das also wäre die eine Kunst: die Kunst zu spielen, neue Spiele zu ersinnen, das alte zu spielen und zu dichten. Das ist eine Sache, die gut, nützlich und wertvoll ist, weil sie dazu beiträgt, die Freuden des Menschen zu vermehren. Aber es ist klar, dass man sich mit dem Spiel nur dann abgeben kann, wenn man satt ist. So kann sich auch die Gesellschaft nur dann mit der Kunst beschäftigen, wenn alle ihre Mitglieder satt sind. Und solange nicht alle Mitglieder satt sind, kann es eine richtige Kunst nicht geben, sondern nur eine Kunst der Übersättigten, die abscheulich ist, und eine Kunst der Hungrigen, die grob und erbärmlich ist, wie sie auch ist. Darum ist in dieser ersten Art der Kunst, die Spiel ist, wertvoll nur die Kunst, die allen zugänglich ist und welche die Freuden aller vermehrt.



Nun stellt sich die Frage, ob er wirklich den Kern getroffen hat. Die Kunst als Spiel? Kunst kann nur genießen, wer satt ist? Sicher, hungernde Menschen haben kein Verlangen nach Kunst, solange der Magen brummt. Erst müssen die Grundbedürfnisse befriedigt sein, bevor man die Sinne erfüllt. Nur, kann man diesen Ausspruch nicht auch auf die heutige Zeit übertragen?
Denn so steht doch der moderne Mensch übersättigt an allem. Genießt er darum mehr? Stilbrüche um Stilbrüche, radikale Bewegungen wie auch Schmierereien bedingen Kunst und Kultur. Doch, was ist mit allen Künstlern, die hungerten und trotzdem erschufen? War diese Kunst etwa erbärmlich?
Tolstoi glaubte nicht an die Kunst, die im Menschen "bessere und höhere Gefühle" erweckt.
Das sollte man diskutieren.

Grüße
Taxine




Art & Vibration
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#2

RE: Kunst - betrachtet durch das Auge eines Tolstois

in An der Literatur orientierte Gedanken 15.08.2007 17:30
von Ferro
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Kunst ist Zerstreuung, wenige malen mit ihrem Herzen.
Der Übersättigte hofft dagegen auf Verletzungen!

Zur Zeiten des hungernden Künstlers war dessen Kunst in anderen Augen erbärmlich. Die, die sich auf Klassisches berufen, gehen nicht mit der Zeit. Trotzdem kommen heute so viele in ihrer Vielfalt.
Ich finde, man sieht manchen Bildern tatsächlich den Hunger dahinter an. Aber ein Hunger des Wesens, der danach hungert, anerkannt zu werden oder sich auszudrücken.

Dass Kunst im Menschen höhere Gefühle auslöst, glaube ich auch nicht. Wie gesagt, sie zerstreut, ist Flucht in Phantasie.
Außerdem, ein Künstler, der versucht, mich als Betrachter zu belehren, ist mir unsympathisch.

Trotzdem, ich denke darüber nach.

Liebe Grüße
Ferro

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#3

RE: Kunst - betrachtet durch das Auge eines Tolstois

in An der Literatur orientierte Gedanken 15.08.2007 17:30
von Taxine
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Oh... Ferro. Du blickst eben durch die strengen Augen des Betrachters. Doch der Künstler, der vor dem Werk tobt, der sucht nicht nach satten Menschen, der malt um seiner selbst willen. Und wo er doch hungert und seine "kleinen Tode" stirbt, da wird er sich nicht fragen, ob es gefällt oder nicht. Aber trotzdem ist die ganze Vielfalt der Kunst heute wohl tatsächlich nur möglich, weil ein gewisser Grad der Sättigung eingetreten ist. Wie, so frage ich mich, konnte Kunst überhaupt jemals "gefeiert" werden? Doch nur in Kreisen des Reichtums, der Dekadenz. Und dann liegt der Sinn der Kunst leider tatsächlich nur in der Zerstreuung.

Zudem:
Wenn das Leben Spiel ist, dann ist auch der Sinn der Kunst darin Spiel. Dann spielen wir unsere Glasperlenspiele und üben uns in der "Erkenntnis". Aber, einfach die Kunst als Spiel abzutun, wo das Leben ernst genommen wird, da überlege ich eben.

Sei ordentlich gegrüßt
Taxine

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#4

RE: Kunst - betrachtet durch das Auge eines Tolstois

in An der Literatur orientierte Gedanken 15.08.2007 17:31
von Ferro
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Liebes Taxinchen,

ja ich blicke streng, ich sehe ohne das Zerwürfnis des Künstlers. Und Kunst ist für mich immer Zerstreuung, nicht Lebensinhalt. Sicher, ich vermisse etwas, wenn ich lange keine Ausstellung besucht habe, das kann man in etwa vergleichen mit dem Empfinden, lange nichts mehr gelesen zu haben.

Aber, wenn man sich die gesellschaftlichen Bedingungen vor Augen führt, dann steht die Kunst nicht ganz oben auf der Pyramide. Da steht zuerst das Überleben, die Sorge um das eigene Wohl.
Ich streite allerdings nicht ab, dass es Menschen gibt, die ihre Prioritäten anders setzen, die für die Kunst leben.
Für mich wäre der Kampf zu anstrengend, aber ich bin froh, dass andere Menschen dieses Ziel verfolgt haben.

Sei auch ordentlich gegrüßt
Ferro

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#5

RE: Kunst - betrachtet durch das Auge eines Tolstois

in An der Literatur orientierte Gedanken 15.08.2007 17:31
von ascolto
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Zitaterey:

"Wenn ein Künstler sein Bild schafft, dann bezwingt er immer auch sein eigenes Denken, das ein Nichts ist gegenüber einem emotional wahrgenommenen Bild von der Welt, das für ihn eine Offenbarung ist. Der Gedanke ist kurzlebig, das Bild aber absolut.
Daher kann auch von einer Parallele zwischen dem Eindruck, den ein spirituell empfänglicher Mensch von einem Kunstwerk erhält, und einer religösen Erfahrung gesprochen werden. Die Kunst wirkt vor allem auf die Seele des Menschen und formt seine geistige Struktur." (Andrej Tarkowskij/ Die versiegelte Zeit/S.47)

Grußerl,
ein A

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#6

RE: Kunst - betrachtet durch das Auge eines Tolstois

in An der Literatur orientierte Gedanken 15.08.2007 17:31
von Taxine
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Wertester Ascolto,

da bringst du es auf den Punkt. Jeder blickt nun einmal anders, und es gibt dabei sicherlich Bilder, die irgendwo im Inneren etwas verändern, einen Menschen wandeln. Ob nun dabei ausschließlich "höhere Gefühle" geweckt werden, das kann man so gar nicht bestimmen, aber auf jeden Fall ist Kunst Mittel zur Entdeckung von Seele und Gefühl.

Auch die Betrachtung ist kurzlebig, aber die innere Empfindung hält vielleicht an.

Grüße dem Künstler
Taxine

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#7

RE: Kunst - betrachtet durch das Auge eines Tolstois

in An der Literatur orientierte Gedanken 15.08.2007 17:32
von ascolto
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So sey es uns im streben...darum ein Salud; Prosit, der Ungemütlichkeyt und dem faulen Mammongierlappen ein paar Schläge auf die Lipp.....Prosit auf all die Künstler die an den inneren Empfindungen unseres Gemeinsamgeystigen werkeln oder haben!

Ein Hoch auf Tolstoi,
ein A

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#8

RE: Kunst - betrachtet durch das Auge eines Tolstois

in An der Literatur orientierte Gedanken 15.08.2007 17:32
von ascolto
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der Neuzeit,
einen AltMeister
der "Opferpoesie"
zur Seite:

Getrieben durch des Geistes Gier,
darbt`ich in Wüsten, als sich neigte
ein sechsflügliger Seraph mir,
wo sich der Weg zum Kreuz verzweigte.
Und seines Fingers Lichtgebild
berührten meine Augen mild:
Und Seheraugen, furchtlos-wahre,
erwachten wie erschreckte Aare,
und in mein Ohr sein Finger drang,
und es erfüllte Schall und Klang:
Und ich vernahm des Himmels Beben,
der Engel sternumwehten Flug,
des Meergetiers verborgenen Zug,
das Tasten erdennaher Reben.
Und er griff tief in meinen Schlund
und riß die Zunge aus dem Mund,
die eitle, sündhafte und bange,
und durch erstarrter Lippen Rand
stieß seine blutbespritzte Hand
den weisen Stachel ein der Schlange.
Und meine Brust sein Schwert durchstob,
und ihr mein bebend Herz entrang er,
und in die offene Wunde schob
er eine Kohle, flammenschwanger.
Ich lag im Wüstensand wie tot,
und Gottes Stimme mir gebot:
"Steh auf, Prophet, und sieh und höre,
verkünde mich von Ort zu Ort,
und wandere über Land und Meere,
die Herzen brenn mit deinem Wort."

(Puschkin 1826)

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#9

RE: Kunst - betrachtet durch das Auge eines Tolstois

in An der Literatur orientierte Gedanken 15.08.2007 17:32
von Taxine
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Ja, ein Prosit auf den Künstler, der noch sucht, der noch strebt nach dem Wandel, danach, den Menschen anregen zu wollen, ohne ihn zu belehren.

Danke, Wertester, für den Puschkin. Hier in Ruhe zu genießen.

In kreativem Drang
Taxine

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