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Hirngespinste

Austausch zwischen Literatur und Kunst

#1

Mercé Rodoreda

in Die schöne Welt der Bücher 13.11.2007 13:46
von Martinus • 3.195 Beiträge
Selbst in Spanien sei Mercé Rodoreda nicht so bekannt, schreibt Gabriel García Marquez im Nachwort. Es liege nicht daran, weil der Roman in katalanischer Sprache verfasst wurde, meint Marquez, denn dieser Roman sei in mehr als 10 verschiedene Sprachen übersetzt worden. Woran es liegt, dass dieser Roman unbekannt geblieben ist, bleibt unklar. Sicher ist nur, dass wir über das Leben der Autorin kaum etwas wissen. Offenbar hielt sie sich vom literarischen Rummel fern.Nach dem spanischen Bürgerkrieg lebte sie in Genf. Márquez hat aus dieser Zeit ein Zitat von ihr aufgetrieben (aus einem Vorwort eines Romans).

Zitat von Rodoreda
Als ich anfing, den Roman zu schreiben, erinnerte ich mich kaum mehr daran, wie die Plaça del Diamant aussah.


Trotzdem hat es Mercé Rodoreda geschafft, diese Lokalität in Barcelona wieder auferstehen zu lassen.

Die Sprache fließt dahin, zart und geschmeidig. Und schon sind wir auf der Plaça del Diamant. Colometa arbeitet in einer Bäckerei. Sie befindet sich in den Hochzeitsvorbereitungen. Quimet heißt der Glückliche. Er ist sehr eifersüchtig, weil der Bäckermeister seiner künftigen Braut auf den Hintern schaut. So streiten sie schon mal hin und her. Colometa tut es aber leid, dass sie mit Pere ihrem ersten Verlobten Schluss gemacht hat, einen sehr harmonischen und sensiblen Mann, der nun sagt, weil Colometa ihn verlassen habe, sein Leben kaputt sei.

Der Romanbeginn ist aber ein anderer: Auf der Plaça del Diamant ist ein Volksfest, buntgeschmückt, Musik. Colometa tanzt mit einem noch fremden Mann, das ist Quimet, der sie hier kennenlernt und von ihr angetan ist. Lustig fand ich es, als Colometa am Ende vor dem Mann wegläuft, durch die Gassen usw., ihr der Unterrock herunterrutscht. Herrlich so ein Romaneinstieg, hier schnuppert man schon spanische Temperamente, die Freude am Feiern. Mercè Rodoreda verzaubert schon hier mit eleganter Prosa.

Colometa wird in die Ehe geschubst. Quimet will es und darum heiratet sie ihn. Man sieht, mit der Emanzipation ist es vor dem Bürgerkrieg in Spanien nicht weit gekommen. Quimet ist ziemlich erfolglos im Berufsleben und beschäftigt sich mit seinem Taubenschlag, der zur Belastung der Familie wird. Wehmütig schaue ich auf die Szene zurück, als Colometa ihren ehemaligen Verlobten zufällig auf der Straße wieder trifft. Es ist ja so, Rodoreda verliert nicht viel Worte, sie beobachtet nur, doch der Schmerz, dass sie den Pere nicht geheiratet hat, windet sich in dieser kurzen Begebenheit. Ich bin immer wieder beeindruckt, wie Autoren das schaffen, so lakonisch zu schreiben. Und Quimet eher ein Nichtsnutz – stöhn. Hier deutet sich schon die Tragik an. Colometas Heirat eher eine Zwangsheirat. Ein Mädchen, die in einer Bäckerei arbeitet, was hatte die schon zu bestimmen.

Gabriel García Márquez sagt, er habe den Roman oft wiedergelesen

Zitat von Márquez
...einige Male auf katalanisch, mir einer Mühe, die viel über meine Verehrung aussagt.


Nach der Lektüre "Auf der Plaça del Diamant" frage ich mich natürlich, warum ich diesen Roman mit solch einer verzauberten Sprache nicht früher gelesen habe. Im September 2007 erschien auf deutsch ihr zweitletzter Roman "Weil Krieg ist", der schon 1980 auf katalanisch erschien ist. Wieviel Jahre mögen noch vergehen, bis ich nicht mehr das Gefühl haben muss, Mercé Rodoreda sei ein Geheimtipp?

Nicht auf den Schlachtfeldern spielt "Auf der Plaça del Diamant", nein, wir erfahren vom Bürgerkrieg nur aus der Sicht von Colometa, d.h. wir erfahren wie der Krieg in das Leben der Normalbürger schnitt, mit welchen Problemen sie zu kämpfen hatten. So verzaubert die Sprache Rodoredas selbst noch in der Übersetzung ist, so durchleuchtet diese Sprache genau die Stimmung die beschrieben wird, sei es Freude, sei es Trauer, sei es Abschied. Schließlich wird klar, das Quimets Taubenschlag zur Metapher wird und wie die Stimmung umschlägt, als der Krieg beginnt. Das ist ein literarischer Höhenpflug, eine ergreifende Elegie. Wenn man als Leser die Stimmungen des Romans auffangen kann, dann bleibt der Leser vom Buch gefangen.

Ich werde noch einige treffende Zitate auswählen.
bis dann mit lieben Grüßen

Martinus



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zuletzt bearbeitet 13.11.2007 23:34 | nach oben springen

#2

RE: Mercé Rodoreda

in Die schöne Welt der Bücher 13.11.2007 16:26
von Martinus • 3.195 Beiträge
Zitat von Rodoreda
Eine Tomate kann nicht röter werden als ich damals, und ich drehte mich wütend um, ärgerte mich vor allem über mich selbst, und mir war beklommen, weil mir der kerl nachguckte, und sein Blicke ging mir durch Mark und Bein.


Zitat von Rodoreda
Ich ging aufs Dach, und über mir spannte sich der Himmenl, um im Westen war er rot wie frische Erdbeeren, und die Tauben kammen mir bis an die Füße mit ihren glatten Federn, über die das Wasser einfach abglitt, wenn es regnete, ohne in sie einzudringen. Ab und zu plusterte ihnen ein leichter Wind das gefieder auf...Und zwei oder drei flatterten auf und flogen in den erdbeerfarbenen Himmel, vor dem sie ganz schwarz aussahen.

Zitat von Rodoreda

Er ließ lange auf sich warten, und sie stand da und wartete, und es wurde immer dunkler, und die Zypressen bewegten sich ächzend hin und her wie die Schatten von vielen aufgehäuften Toten, denn die schwarzen Zypressen sind Friedhofsbäume. Und als er dann endlich auf sie zukam, sagte sie, wurde sie noch ängstlicher als sie schon war, weil sie sein Gesicht nicht erkennen konnte und nicht wußte, ob er es war oder nicht.


Zitat von Rodoreda
Ich fühlte plötzlich ganz deutlich den Lauf der Zeit. Nicht die Zeit der Wolken und der Sonne und des Regens und der Sterne, die nachts den Himmel schmücken, und auch nicht die Zeit, in der ein Frühling nach dem anderen und ein Herbst nach dem anderen vergeht, und auch nicht die Zeit, die die Blätter auf die Zweige setzt oder die sie wieder losreißt, und auch nicht die Zeit, die den Blumen ihre Farben gibt, und sie ihnen dann wieder nimmt, sondern die Zeit in mir, die Zeit, die man nicht sieht und die einen zurechtknetet. Die Zeit, die vergeht und verstreicht, im Herzen drin, und die einen mitnimmt und verändert, innerlich und äußerlich, und einen langsam, aber sicher zu dem macht, was wir am letzten Tag sein werden.


Martinus



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