HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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Walter Kappacher - Der Fliegenpalast
in Die schöne Welt der Bücher 14.07.2009 21:17von LX.C • 2.821 Beiträge
In Bad Fusch treffen wir auf den gealterten Hugo von Hofmannsthal.
Es ist das Jahr in dem Kafka starb; und auch Hofmannsthals Herz ist schwach. Mit vielen seiner Kollegen ist er zerstritten, er sehnt sich nach Versöhnung und hat doch Angst davor, auf die einstigen Weggefährten zu treffen. Er sucht nach Einsamkeit und doch nach einer Seele, in der er sich spiegeln kann. Die könnte er in Doktor Krakauer finden, der ihn bewundert und mit ärztlichem Rat zur Seite steht; ungünstig nur, auch der hat wenig Zeit. Bleibt Bad Fusch, ein Ort in den Höhen Österreichs, der Hofmannsthal seit frühster Kindheit Zuflucht und Muse bietet. Viele Gedichte gelangen ihm hier, viele Ideen zu Dramen, Brief- und anderer Prosa entstanden. Erinnerungen an die Eltern, auch das ist Bad Fusch. Wäre da nicht der Erste Weltkriegkrieg gewesen, den Hofmannsthal wie viele seiner Dichterkollegen zunächst billigte. Etwas in ihm ist seither zerbrochen. In seinen Schubladen türmen sich die Fragmente, er arbeitet an dem einen, ein bisschen an dem anderen und weiß doch, dass ihm nichts mehr gelingen wird. Wenigstens den Timon beenden, wenigstens den Timon, auf der einsamen Bank am Waldesrand, die ihm stets ein kreativer Ort gewesen, das ist sein erklärtes Ziel. Doch statt sich fernab der Familie zu finden, nimmt die Zerstreuung merklich zu.
"Der Fliegenpalast" strotzt vor Bezügen zu literarischen Werken und Zeitgenossen. Büchernarren, das ist ein Vergnügen! Der Sprachstil ist erfrischend unaufgeregt. Literarische Sätze so zu formen, dass sie ein harmonisches Textgewebe ergeben, ist gewiss eine Kunst, Kappacher beherrscht sie. Seine Sprache ist dem Sujet angepasst, einem Kurort gleich kann man sich von den Schnellergüssen unserer Zeit erholen. Der Erzähler tritt überwiegend hinter der transportierten- und Gedankenrede zurück, wir erfahren nicht mehr, als die Figur Hofmannsthal sich selber und seiner Umwelt preisgeben will. In Analepsen, die bis in die Kindheit zurückreichen, werden Fetzen eines Künstlerlebens, einer sensiblen und oft an sich zweifelnden Künstlerseele vorgeführt. Briefe und Lyrik sind in den Prosatext integriert, sorgen für ein hohes Maß an Authentizität; Schlegel hätte seine wahre Freude an dieser Universalpoesie. Ja, schwer macht es uns der Kappacher, vergessen sollte man dennoch nie, ein Roman bleibt ein fiktives Gebilde. Aber nun: Bitte, lassen Sie sich nicht aufhalten.
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[i]Poka![/i]
RE: Walter Kappacher - Der Fliegenpalast
in Die schöne Welt der Bücher 14.07.2009 21:27von Taxine • Admin | 6.695 Beiträge
Dank dir, Alex, für die Rezension.
Und nein, hier gibt es keine vorgefertigten Formen und Strukturen. Ganz ad libitum!!!
Art & Vibration
RE: Walter Kappacher - Der Fliegenpalast
in Die schöne Welt der Bücher 14.07.2009 21:42von Taxine • Admin | 6.695 Beiträge
Das Durcheinander in "Das andere Buch" zeigt die Schwierigkeiten auf. Da liest man von einem schon mal weitere Bücher und muss dann irgendwie sortieren. Ich mache es so: sobald mehrere Bücher von ein und demselben Autor aufgeschlagen werden, wird ein Ordner aufgemacht, selbst wenn dann Beiträge doppelt dastehen. Oder natürlich... bei einem, der unbedingt erwähnt gehört.
Dies mal ganz kurz zur Form.
Art & Vibration
RE: Walter Kappacher - Der Fliegenpalast
in Die schöne Welt der Bücher 14.07.2009 21:49von Taxine • Admin | 6.695 Beiträge
Das Buch bleibt ja trotzdem durch den Autor verfasst...
P.S. Interessantes Thema. Das Buch steht auf der Liste.
Art & Vibration
RE: Walter Kappacher - Der Fliegenpalast
in Die schöne Welt der Bücher 15.07.2009 19:54von Martinus • 3.195 Beiträge
Hallo LX.C,
herzlichen Dank für deine Rezensionen. Gerade habe ich vor einigen Tagen beschlossen, welche zwei Bücher von Kapacher ich lesen möchte. Einmal "Der Fliegenpalast" und "Selina oder das andere Leben."
Das war jetzt schon ein schöner Einstieg. Bei "Selina" überlege ich noch, ob ich bis Oktober noch auf das Taschenbuch warte. Mal sehen.
Liebe Grüße
mArtinus
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
RE: Walter Kappacher - Der Fliegenpalast
in Die schöne Welt der Bücher 30.08.2009 18:13von Martinus • 3.195 Beiträge
Meine Sicht der Dinge
Walter Kappacher: Der Fliegenpalast
Anhand von Hugo von Hofmannsthals Aufenthalt in Bad Fusch, einem Kurort in den Salzburger Alpen, entwirft Kappacher das Bild eines Künstlers in einer Schaffenskrise. H. Ist gerade erst 50 Jahre alt geworden und gesundheitlich angeschlagen, Schwindelanfälle, hoher Blutdruck. Der Schlaganfall, der ihn fünf Jahre später aus dem Leben wirft, kündigt sich hier schon an. Wegen seiner ruhigen unaufgeregten Prosa wird Kappacher gerne mit Adalbert Stifter verglichen. In dieser Hinsicht vergleiche ich Kappacher noch mit dem norwegischen Per Petterson, der auch so eine herrlich verinnerlichte Prosa schreibt.Neben dem Zerfall des Körpers und der Schaffenskrise schwelt im Hintergrund eine Wirtschaftskrise. In diesem Jahr (1924) fallen wegen Geldmangel die Salzburger Festspiele aus.
Melancholien kommen auf. Immer weniger Lebensjahre hat er zu erwarten, Selbstzweifel überfallen ihn und er erinnert sich an die Sommermonate in seiner Jugendzeit, die er mit seinen Eltern in Bad Fusch verbracht hat. Mit seinem Vater hatte er sich gut verstanden. „Seinem klugen Urteil hatte er manchmal mehr vertraut als jenem der berufsmäßigen Kritiker.“ Nun fühlt er sich einsam und bekommt seinen Timon nicht zu Ende, arbeitet auch immer noch an seinem Turm.
Zitat von Walter Kappacher
Werde ich langsam verrückt? Dachte er. Was macht die Arbeit an den Theaterstücken?
Tatsächlich leidet H. an sporadisch auftretenden Bewusstseinstörungen.
Zitat von Walter Kappacher
Jetzt setzte der Mann sich in Bewegung, kam auf ihn zu. H. Spürte, wie sein Herz sich verkrampfte. Der Rudolf Borchardt? Verrückte Idee, dachte er sogleich, aber das hatte ich mir doch schon vor ein paar Tagen eingebildet...
Im Roman gibt es allerlei literarische Anspielungen, und manches könnte mit Hintergrundwissen besser verstanden werden. Da gibt es den Tag, an dem H. schlechte Laune gehabt hatte. Bevor er nach Bad Fusch kam, verbrachte er bei seinem Freund Carl. In Davos hatten ihn die vielen Bestattungsunternehmen dort einen Schrecken eingejagt, dann stieß er auf folgendes Zitat von Robert Walser „Wann ging die feine Säuberung des Schmetterlings in mir verloren?“ Warum ihm dieser Satz durcheinandergebracht hat, sodass er die Schweiz verlassen wollte, weiß ich nicht, dass kann man eben nur wissen, wenn die literaturhistorischen Tatsachen bekannt sind. Desweiteren scheint sich der Roman über weite Strecken auf Hofmannsthals Briefe des Zurückgekehrten zu beziehen. Wahrscheinlich eröffnen sich dem Leser noch tiefere Ebenen des Romans, wenn er diese Briefe oder auch den Brief an Lord Chandos gelesen hat.
Kappachers Fliegenpalast lässt sich selbstverständlich auch ohne Hintergrundwissen lesen, dann liest man eben, was man weiß. Wer gerade nicht auf Actionliteratur aus ist und herrliche unaufgeregte Prosa mit Hauch von Melancholie lesen möchte, der ist in diesem Roman bestens aufgehoben.
Abschließend habe ich eine Frage: Beeinhaltet die reclam-ausgabe von dem Brief an Lord Chandos auch die Briefe des Zurückgekehrten? Dann würde sich ein Kauf doppelt lohnen.
Liebe Grüße
mombour
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
RE: Walter Kappacher - Der Fliegenpalast
in Die schöne Welt der Bücher 30.08.2009 18:47von Taxine • Admin | 6.695 Beiträge
Zitat von Martinus
Abschließend habe ich eine Frage: Beeinhaltet die reclam-ausgabe von dem Brief an Lord Chandos auch die Briefe des Zurückgekehrten? Dann würde sich ein Kauf doppelt lohnen.
Nein, enthält nur den Brief an den Lord, einen aus Wien und verschiedene Schriften zur Literatur.
Liebe Grüße
Taxine
Art & Vibration
RE: Walter Kappacher - Der Fliegenpalast
in Die schöne Welt der Bücher 30.08.2009 23:34von LX.C • 2.821 Beiträge
Zitat von Martinus
Tatsächlich leidet H. an sporadisch auftretenden Bewusstseinstörungen.Zitat von Zitat von Walter Kappacher
Jetzt setzte der Mann sich in Bewegung, kam auf ihn zu. H. Spürte, wie sein Herz sich verkrampfte. Der Rudolf Borchardt? Verrückte Idee, dachte er sogleich, aber das hatte ich mir doch schon vor ein paar Tagen eingebildet...
Hofmannsthal und Borchardt verband eine jahrzehntelange Freundschaft, die immer wieder konfliktreich war. Im Jahr 1924 kam es zu einem schwerwiegenden zwischenzeitlichen Bruch (der fällt in die Zeitspanne des Romans), der nie mehr richtig gekittet werden konnte. Borchardt war immer sehr "flegelhaft" in seinen Anfeindungen, gegen George hegte er bis zu dessen Tod und darüber hinaus eine offene Feindschaft, ohne selbigen je persönlich begegnet zu sein. Auch gegen Brecht schoss er quer, gegen die Expressionisten und viele andere. Hofmannsthal nahm dagegen eher einen devoten Part in der Freundschaft ein, war stets zurückhaltend, geduldig. Im Roman sehnt er sich innig nach Versöhnung, hat aber gleichzeitig Angst vor der Begegnung mit dem ungestümen Borchardt. Das als Bewusstseinsstörung abzutun, greift zu kurz.
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[i]Poka![/i]