HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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Dieses Buch "Senilità" lese ich im zweiten Anlauf und bin sehr verwundert …
Zitat von Svevo
Was er glaubte, so nennen zu dürfen, war Wissen, das er sich aus Büchern angelesen hatte, großes Mißtrauen und große Verachtung gegenüber seinesgleichen.
Brentani möchte seine Angelina nämlich das Leben beibringen, da er der Meinung ist, dass ihre erste Begegnung mit der Liebe ein unbedachter Fehltritt war. Er hat sehr sonderliche Vorstellungen von der Liebe >>In beengten Verhältnissen könnte ich nicht einmal lieben.<< Angelina würde mit ihm in "Armut und Ergebung" leben.
Zitat von Svevo
..., er selbst könne das Mädchen erziehen. Als Ausgleich für die Liebe, die er von ihr bekam, konnte er ihr nur eines Bieten: Lebenserfahrung und die Kunst das Leben auszukosten. ... Auf diese Weise würde sie sich durch sein Verdienst selbst das Vermögen erobern, das er ihr nicht bieten konnte.
Weil er zu feige ist. Sie wird später diesen gutbetuchten Schneider kennen lernen.
Diese Gegenüberstellung fand ich dann noch krass:
Balli denkt über Amalia
Zitat von Svevo
Seiner Ansicht nach war es statthaft zu leben nur, wenn man den Ruhm, die Schönheit oder die Kraft oder doch wenigstens den Reichtum genoß, sonst aber nicht, denn dann wurde man zur Last und zum Hindernis im Leben anderer.
Sie denkt über ihn
Zitat von Svevo
Nachdem er ihr als Grobian geschildert worden war, sah sie ihn zum ersten Mal beim Tod des Vaters; sie faßte sofort Zutrauen zu ihm, erstaunt über seine Sanftmut. Er war ein hervorragender Seelsorger.
Etwas später denkt er:
Zitat von Svevo
Der Zauber, den ihre vermeintliche Sanftmut über Amalias graues Gesicht gebreitet hatte, verflog …
(Aha, doch ein Zauber…)
Ich denke, anhand dieser Beispiele kann man gut erkennen, worum es im Buch geht. Es sind diese Gegenüberstellungen, von Figuren sprich also Menschen, was sie denken und was sie letztendlich verkörpern oder sagen.
Vor drei Jahren rieb ich mich sehr an der verschmockten Gesellschaft, nun kann ich das ganz anders lesen, viel ruhiger, entspannter und habe sogar meinen Spaß dabei, wenn ich lese …
wie Brentani andere ständig leiten und lenken möchte, obwohl er selber keinerlei Lebenserfahrung besitzt, und dadurch seine Schwester unglücklich macht und Angelina in die Hände des Schneiders treibt. Svevo gibt dem Leser das Gefühl, oben vom Olymp herab betrachten zu können, dieser Schmunzeleffekt, der sich dadurch einstellt, sagt mir zu. Was mir nicht so gut gefällt, sind a. die weiblichen Figuren, vielleicht liegt es wieder an der Zeit, die ich mir nicht wirklich vorstellen kann (1898), sprich die weiblichen und gesellschaftlichen Verpflichtungen, oder, das denke ich eher, es sind arge Stereotypen, weil sie ins Konzept passen müssen. B. insgesamt ist die Figurenkonstellation überzeichnet.
Aber auf keinen Fall wurde das nun zum Abbruch führen, dadurch schwelge ich sprachlich zu sehr. Ich könnte mir vorstellen, dass das im Original dieses wunderbare Italienisch ist, das ich vom Klang her so sehr liebe.
Krümel
Hallo Krümel,
handelt es sich um das Buch "Senilità"? Ich habe den Roman in einer älteren Übersetzung gelesen: "Ein Mann wird älter". So weit ich mich erinnere, kommt der Protagonist nicht an die Dame heran. Mehr als an den Inhalt, erinnere ich mich an den angenehmen Stil von Svevo, den ich sehr mag. Ich habe auch "Kurze sentimentale Reise" gelesen, ein entzückendes Büchlein, in dem er auch freudianisches verarbeitet. Italo Svevo war mit James Joyce befreundet. Schade, dass ich aus dem Stehgreif nicht detaillierter berichten kann, die Lektüre ist einfach zu lange her, hat mir damals aber viel Freude gemacht.
Er gehört zu den Autoren, die ich für mich zu einem reread Vorschlage.
Liebe Grüße
mArtinus
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
Zitat von Martinus
handelt es sich um das Buch "Senilità"?
Natürlich. Ich hatte es oben aus dem Titel heraus geholt, damit er allgemeiner wird und später vergessen zu erwähnen `tschuldigung.
Ich habe letztens einen Essay von Lenz über das Altern in der Literatur gelesen, in dem er diesen Roman lobte. Deshalb bekam er nun die 2. Chance und siehe da, mir gefällt er nun wunderbar.
Ganz komisch was innerhalb von 3 Jahren sich so im Leben verändert, oder ob es nur am Zeitraum lag? Also falsche Lektüre zum falschen Zeitpunkt ...
Naja, ich bin ja eh nicht so die Konstante "was interessiert mich mein Geschwätz von gestern"
Krümel
Zitat von KrümelZitat von Martinus
handelt es sich um das Buch "Senilità"?
Natürlich. Ich hatte es oben aus dem Titel heraus geholt, damit er allgemeiner wird
Ja. Guhut.
Wir machen es hier so ziemlich immer so, dass wir als Threadtitel nur den Autor benennen. So können wir im Thread immer mehrere Bücher eines Autoren besprechen.
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
RE: Italo Svevo
in Die schöne Welt der Bücher 15.08.2010 22:08von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Tja, an den Herrn Svevo habe ich mich noch nicht gewagt, obwohl ich zwei Bücher herumliegen habe. Wieso eigentlich nicht?
Vielen Dank, Krümel, für diesen Ordner. Ich denke, er wird sich noch füllen.
Liebe Grüße
Taxine
Art & Vibration
"Senilitá" ist keine Lektüre, die man aufgrund der Handlung her gerne liest, dafür ist sie zu handlungsarm und eher eine minimalistische Studie der Zeit, eine leise Gesellschaftskritik auf Umwegen …
Italo Svevo hatte zu Lebzeiten (1861 – 1928) keinen großen Erfolg, seine Romane hat er größtenteils selber veröffentlicht. Erst durch den Roman „Zeno Cosini“ in der Neuübersetzung „Zenos Gewissen“ im Jahr 2000 brachte ihm Beachtung.
„Senilità“ handelt von einem Mann, der sich mit seiner Schwester den Haushalt des verstorbenen Vaters teilt. Beide sind schon etwas in die „Jahre“ gekommen, Amalia hat die 4 schon vorne und Emilio Brentani ist 35, und unverheiratet natürlich. Und so lernt Emilio Angiolina, den zauberhaften Engel, kennen und verliebt sich Hals über Kopf in dieses Geschöpf. Eine fatale Verführung, denn Angiolina ist alles andere als ein Engeln, und das stellt Emilio auch schnell fest. Daraufhin erfolgt ein Kampf: Auf der einen Seite kann er sich dieser Leidenschaft zu Angiolina und den überwältigenden Gefühlen nicht entziehen. Auf der anderen Seite sind da seine anerzogenen gesellschaftlichen Moralvorstellungen, die ihm diese Lebensweise (Frau) verbieten. Er trennt sich zwar vorübergehend von seiner Angebeteten, leidet wie ein Hund, und vernachlässigt seine Schwester, seinen Freund, doch letztendlich landet er wieder im Schoss der Geliebten …
Die Titel suggeriert, dass es sich hier um einen greisenhaften Helden handle, ich konnte das so nicht herauslesen, denn Emilio verkörpert keinen alten Mann in herkömmlicher Weise, er ist auch nicht vergesslich, zitternd, zänkisch oder gar senil, und auch sein Alter von 35 weist nicht darauf hin. Martin Mosebach beschreibt es damit sehr gut: „Vielmehr habe er (Autor) das müde zwischen Nihilismus und Bequemlichkeit verzauberte Triest beschrieben …“ Eine Gesellschaft die noch zu sehr in alten Traditionen verhaftete als sich dem Neuen zu öffnen. Und so bleibt dann auch die Leidenschaft auf der Strecke. Der ursprüngliche Titel „Ein Lebensuntauglicher“ hätte mir persönlich besser gefallen.
>>Erlebt aber hatte er damals nicht die wörtliche „Greisenhaftigkeit“, sondern das, was alle seine Antihelden verbindet und am gültigsten von Emilio Brentani verkörpert wird: die Qual nicht dem physischen Alter zuzuschreibender Handlungsschwäche, sondern einem Mangel an jugendlich zukunftsorientierter Neugier auf ein entschieden selbstbestimmtes Leben.<< (Nachwort von Ute Stempel)
Dieses Werk ist literarisch wertvoll, Mosebach nennt es „epischen Minimalismus“ was ich sehr gut nachvollziehen kann. Rein zum Schmökern ist dieses Buch nicht zu empfehlen, mein erster Versuch scheiterte aus diesem Grund.
RE: Italo Svevo
in Die schöne Welt der Bücher 19.08.2012 22:08von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Zitat von Krümel im Beitrag #6
"Senilitá" ist keine Lektüre, die man aufgrund der Handlung her gerne liest, dafür ist sie zu handlungsarm und eher eine minimalistische Studie der Zeit, eine leise Gesellschaftskritik auf Umwegen …
... ganz im Gegenteil liest sich dagegen der "Zeno Cosini" hervorragend. Bin ich froh, dass ich mit diesem Werk begonnen habe. Liest man das beste Werk eines Autors zuerst, findet man ja meistens auch in den anderen noch etwas, weil man weiß, was der Autor kann. Ich hätte nie gedacht, dass Svevo mich so packen kann, zumal ich schon so häufig auf ihn verwiesen wurde und irgendwie nie dazu kam, eines seiner Werke zu lesen. Nun ist es mir aber doch gelungen und hier also meine Gedanken zu seinem letzten Werk.
Bei diesem haben wir es wirklich mit einem Meisterwerk der Literatur zu tun, kein Wunder, dass James Joyce das Buch regelrecht verschlungen hat und als Entdecker von Italo Svevo gilt. Der innere Monolog ist hier ein Ausschöpfen vieler Möglichkeiten an Reflektionen, Selbstbetrachtungen und Selbstanalysen. Svevo versteht es, sowohl äußere Vorgänge als innere ineinander verschmelzen zu lassen, einem Bericht die Authentizität und auch die Erzählkraft zu verleihen, die den Leser bei Laune hält und ihn mitten hinein in die Geschichte katapultiert. Hier muss man sich dann auch vor Augen führen, dass Svevo über die Psychoanalyse sprach, als sie noch nicht so bekannt war. Seine Methode, über Krankheit und Krankhaftigkeit zu schreiben, ohne dabei aufdringlich zu werden oder moralisierend, ist ein typischer Zug dieses wunderbaren Schriftstellers.
„Zeno Cosini“ ist Svevos letztes vollendetes Werk. Er hieß eigentlich Ettore Schmitz und musste sich unter den damaligen Verhältnissen für die deutsche oder die italienische Sprache entscheiden, wobei er die letztere wählte. Geboren wurde er am 19. Dezember 1861 in Triest.
Aufgrund des finanziellen Ruins des Vaters musste Svevo das Studium abbrechen und als Beamter in einer Bank arbeiten. Dies behielt er achtzehn lange Jahre bei. Erste Artikel von ihm erschienen unter dem Pseudonym E. Samigli. Sein erster Roman „Ein Leben“ erschien unter dem bekannten: Italo Svevo, was so viel wie „der italienische Schwabe“ bedeutete. Damit war Svevo der einzige österreichische Dichter, der italienisch schrieb.
Schon in diesem ersten Roman deutet sich die Geschichte an, die auch in „Zeno Cosini“ als Grundmuster noch einmal aufgenommen wird, nämlich bei Guido Speier, dem nicht sehr freundlichen Ehemann von Ada, der Frau, der Zeno lange den Hof macht, und die die Schwester seiner eigenen Frau ist. Auch Guido endet im Ruin, ist dem Geschäftsleben nicht gewachsen und bringt sich am Ende um, wie der Protagonist in „Ein Leben“. Ähnliche Übereinstimmungen sind ebenso bei „Senilità“ zu finden, wo ein fünfunddreißig jähriger Mann Angst vor dem Alter hat, ein krankhafter Zug, wie ihn auch immer wieder Zeno an sich feststellt.
Beide Werke hatten damals kaum Erfolg, „Senilità“ sogar so wenig ,dass Svevo das Schreiben aufgab, zumindest für eine Öffentlichkeit. Man unterstellte ihm, die Sprache nicht zu beherrschen, da er sich in keine der vorherrschenden Literaturrichtungen fügen wollte, weder in den von Verga begründeten Versismus, noch in den literarischen Ästhetizismus eines d’Annunzios. Ganz im Gegenteil weigerte sich Svevo, seine Sprache mit Worten auszuschmücken, die er nicht fühlte.
So heiratete er seine Kusine und trat in die Firma seines Schwiegervaters ein. Viele Bezüge aus dem Roman scheinen daher auch autobiografisch zu sein. Während dieser Zeit versuchte er die Literatur in sich abzutöten und „kritzelte“ nur, bis er den damals noch unbekannten James Joyce kennenlernte, mit dem er sich anfreundete. Beide konnten einander bereichern. Endlich setzte sich Svevo hin und schrieb den „Zeno Cosini“ nieder, wobei er ihn nicht als psychoanalytisches Werk verstehen wollte, sondern die Aufzeichnungen dieses "Kranken" nur als technischen Kniff ansah. Er spricht sich ganz im Gegenteil offen gegen die Psychoanalyse aus. Er hielt beispielsweise Freud besser für Schriftsteller geeignet als für die Kranken.
Als Joyce und andere sich schließlich für Svevos Werk einsetzten, starb dieser durch einen Autounfall, am 13. September 1928. Er gilt heute als Vorreiter solcher Werke, wie sie Joyce und Proust schufen.
"Zeno Cosini"
Ein Arzt veröffentlicht ungefragt die Akte seines Patienten, damit beginnt der Roman. Er ist ihm böse, da der Patient seine Behandlung abrupt abgebrochen hat. Aus Gehässigkeit legt er die Akte offen.
Dieser Patient mit Namen Zeno Cosini berichtet nun ausführlich (und phänomenal) von seinen inneren Abgründen, beschreibt zunächst einmal seinen Wunsch, mit dem Rauchen aufzuhören, um zu erkennen, dass gerade die guten Vorsätze jedes Aufhören sinnlos machen. Dann folgt der Bericht über den Tod seines Vaters (dieser ist wahrlich außerordentlich intensiv und meisterlich verfasst). Zuvor hat er sich mit ihm wie üblich herablassend unterhalten. Der Vater war in seinen Augen schwach, er selbst fühlte sich stark. Als er den letzten Abend mit ihm verbringt, will der Vater ihm etwas mitteilen, das ihm nicht gelingt, in Worte zu fassen. Er verschiebt die Angelegenheit auf den nächsten Tag.
Sätze wie:
„Schon war mein Vater dem Tod näher als mir.“
… oder die Überlegung, dass Gefühl ebenfalls Intelligenz bezeugt, sind tief bewegend. Da heißt es:
Zitat von Svevo
„… man atmet einmal tief ein und billigt und bewundert die ganze Natur, wie sie ist und wie sie unabänderlich auch bleibt: damit offenbart man dieselbe Intelligenz, aus der die gesamte Schöpfung hervorgegangen ist.“
Der Sohn kämpft mit seinem Schuldgefühl, dem Vater nicht die ganze Liebe gezeigt zu haben, ihn in seiner Krankheit, einem Gehirnödem, vernachlässigt zu haben. Das langsame, sich nachher über Wochen hinausziehende Sterben beschreibt er samt der unregelmäßigen Atmung und seinem Schmerz, den Vater bereits abgeschrieben zu haben, ohne die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass Rettung überhaupt möglich ist, wobei er sich in dieser Hinsicht nicht täuscht. Der Arzt, der dazu gerufen wird, nimmt ihm alle Hoffnung, verfährt überhaupt routiniert und erklärt, der Vater könne noch einmal zu Bewusstsein gelangen, sein Bewusstsein sogar in Verrücktheit umschlagen.
„Ich war entsetzt, bei dem Gedanken, dass mein Vater aus der Betäubung erwachen und zum Bewusstsein seines eigenen Sterbens kommen sollte.“
Schließlich stellt er fest:
„Wenn man stirbt, muss man sich wohl mit ganz anderen Dingen abmühen, als dass man an den Tod denken könnte.“
… und fragt sich, für wen er sich in der Zukunft bemühen sollte, besser zu werden, wenn sein Vater nicht mehr ist.
Einen zweiten Vater findet er schließlich in seinem Schwiegervater, einem ungehobelten und rücksichtslosen Menschen, den er bewundert. Er ist Geschäftsmann und wünscht ihm auf seinem Sterbensbett die eigene Krankheit an den Hals, da er nicht, wie Zeno, an „Menschlichkeitsdusel“ leiden würde.
Als er ihn kennenlernt, sieht er ihn auch als Vater vierer Töchter, deren Namen alle mit A anfangen. Von denen heiratet Zeno ausgerechnet diejenige, die er am wenigsten mag.
Mit der Heirat wird Zeno ruhiger und liebt Augusta irgendwann auf seine Art. Er schwankt zwischen seinen Gefühlen, da eine Frau für ihn innerhalb eines Tages im Wert steigen und sinken kann. Er nimmt sich eine hilfsbedürftige Geliebte und versucht darüber, seine Gefühle zu erörtern. Als die andere Schwester, Ada, heiratet, bedeutet sie ihm nichts mehr, die er zuvor angebetet hat. Dennoch ist er betrunken und wirft ihr einen Blick zu, der ihr unmissverständlich zu verstehen gibt, dass er sie immer noch begehrt.
Zitat von Svevo
„Der Wein ist deshalb so gefährlich, weil er nicht die Wahrheit ans Tageslicht bringt, sondern gerade ihr Gegenteil: Er enthüllt die vergangenen, vergessenen und erledigten Geschichten der Menschen, und nur bedingt ihren gegenwärtigen Willen. Er bringt willkürlich all die flüchtigen Gedanken ans Licht, mit denen man vor längerer oder kürzerer Zeit gespielt und die man wieder vergessen hat. Er spottet der Absicht, irgendetwas zu streichen, er liest alles aus dem menschlichen Herzen, was trotz der Streichung immer noch lesbar geblieben ist. (…) Kurz, unsere ganze vergangene Schicksalsgeschichte bleibt für immer irgendwie lesbar, und der Wein liest alles laut vor und schreit es in die Welt hinaus, ohne sich um die Korrekturen zu kümmern, die das Leben später hinzugefügt hat.“
Das Verhältnis zu Ada wird immer angespannt bleiben. Svevo erzählt in großartiger Art und Weise, wie sich Zeno bald dem Ehemann Adas zuwendet und für ihn, der Ada nicht liebt, ein aufrichtiges freundschaftliches Gefühl entwickelt, so dass er auch ganz umsonst in seiner Firma arbeitet, die bald hoch verschuldet ist, das außereheliche Verhältnis Guidos akzeptiert und seine Art, sich hervorzutun. Leider bekommt auch Ada mit, dass ihr Ehemann ihr nicht treu ist und verfällt in eine eigenartige Krankheit, die sie in Zenos Augen stark entstellt und ihr jedwede Schönheit nimmt. Eines der Anzeichen ist ihre übersteigerte Eifersucht, so Zeno, auch wenn Ada dazu allen Grund hat.
Die Krankheit beschreibt er wie folgt:
Zitat von Svevo
„Dieses Leben sieht also aus: Alle Individuen stehen in einer Reihe Spalier, an deren einem Ende die Basedowsche Krankheit herrscht. Alle, die sich an diesem Ende befinden, leiden an einem verschwenderischen und völlig sinnlosen Verbrauch vitaler Kräfte. Gleich dem Schlagen eines entfesselten Herzens, steigert diese ungeheure Verschwendung das Leben zu einem tollen Tanz. Am anderen Ende der Reihe stehen jene Individuen, die aus Geiz eingeschrumpft sind, und diese müssen an einer Krankheit sterben, die eigentlich wie Erschöpfung aussieht, im Grunde aber Faulheit ist. In der Mitte der Reihe findet ein Ausgleich zwischen den beiden Krankheiten statt: der wird fälschlicherweise Gesundheit genannt.
Eigentlich besteht die Gesundheit aber aus zwei Krankheiten, die einander aufheben. Zwischen der Mitte der Reihe und jenem Ende (…) befinden sich alle, die das Leben in Sehnsucht, Ruhmsucht oder Genusssucht und dem daraus resultierenden Mühen verzehren und verschwenden; auf der anderen Seite befinden sich jene, die sich mit Brosamen begnügen. (…) Die absolute Gesundheit aber gibt es innerhalb der ganzen Reihe der Menschheit nicht.“
Dies ist also die Krankheit, von der Ada befallen ist. Es ist ihr einfaches Unglück und die Unfähigkeit, mit dem Leben umgehen zu können. Sie wird in Zenos Augen hässlich, weil sie schwach und anfällig wird, statt stark und lebensbejahend. Zeno beschreibt diese psychologischen Probleme mit dem Verfall ihrer Schönheit. Die Krankheit verschwindet erst wieder, als Guido Selbstmord begeht. Auch verzeiht Ada Zeno nicht, dass er aufgrund von Börsenspekulationen, um die Schulden Guidos wieder zu verringern, was ihm auch gelingt, nicht an seinem Begräbnis teilgenommen zu haben. Sie deutet dies als Zeichen seines Hasses auf ihn, da er nie verziehen hat, dass Guido Ada geheiratet hat. Zeno aber ist in dieser Hinsicht tatsächlich unschuldig.
Überhaupt ist der ganze innere Monolog und das Erzählen all dieser spannenden Umstände ausgesprochend spannend zu lesen. Der Kampf mit dem Rauchen, der Liebe, der Lieblosigkeit, dem Fremdgehen, dem Verlassenwerden, den Zweifeln, Ängsten, eigebildeten Krankheiten, den Erfahrungen in der Geschäftswelt und dem danach ausbrechenden Krieg ist eindrucksvoll geschildert. Die Zeit gerät bei Svevo auch gerne durcheinander, so ist dem Rauchen ebenso viel Raum gewidmet, wie der Liebe. Das macht allerdings überhaupt nichts. Diese psychologische Tiefe, das Hin- und Her-Gerissensein, die Zerrissenheit und Schwankungen der Gefühle des Protagonisten sind ironisch und klug widergegeben.
In seinem Bericht erklärt Zeno, dass ein geschriebenes Bekenntnis immer verlogen sei, da wir nur das festhalten, was wir sagen möchten. Er schiebt es dabei auf die Schwierigkeit, ohne Dialekt die reine italienische Sprache auf das Papier bringen zu müssen, womit auch Svevo in seiner Sprache gehandikapt war ( so sagt an anderer Stelle bezeichnend, er könne ja nicht erst Holzhändler werden, um den Holzhandel ins Wort zu fassen):
„Mit jedem sprachlich reinen Wort lügen wir! Wenn er wüsste, wie wir nur jene Dinge gern erzählen, für die uns das Wort bereitsteht; wie wir fast alle andern auslassen, die uns zwingen würden, das Wörterbuch zu benützen. Auf diese Weise wählen wir aus unserem Leben die Episoden, die wir erzählen.“
Und so ist es häufig auch. Erzählt wird, was man erzählen möchte, wenn auch Zeno durchaus Probleme und Situationen anspricht, in denen er so gar nicht im guten Licht steht. Andererseits berichtet er häufig, wann und wie er gelogen hat, um sich besser zu machen oder aus einer verzwickten Lage zu befreien. Für ihn sind nur Dichtungen Schöpfungen und darum keine Lügen.
Er endet damit, zu erklären, warum viele Menschen das Leben als Krankheit empfinden und dass es nicht möglich ist, den Menschen zu heilen, weil er sich selbst seine Krankheiten erschafft. Mitunter sind auch Fortschritt und die Herstellung von Maschinen Krankheitsauslöser. Die letzten Seiten sind ein Aufruf gegen die Psychoanalyse. Wir brauchen anderes als das, erklärt Zeno.
Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs ist auch der gute Zeno endlich von all seinen Krankheiten und Ängsten geheilt.
Svevo schafft es in diesem Roman, dem Leser die ganze innere und äußere Welt Zeno Cosinis zu vermitteln und ihn in diese Atmosphäre einzuhüllen. Man fühlt und leidet mit dem armen Zeno mit, der es eigentlich gar nicht verdient hat, dass man ihn bemitleidet. Er ist häufig auch sein eigener Widerspruch.
Zeno Cosini ist kein angenehmer Mensch. Er ist häufig in sich selbst gefangen, heuchlerisch, kleinlich, geizig und fühlt sich von vielen Umständen und Menschen ungerecht behandelt. Seine Heilung, indem er den Krieg als Geschäftsquelle nutzt, ist ebenso dubios und zeigt Svevos Spiel mit der Ironie und dem Ernst des Lebens. Im Grunde geht es durch die psychologische Analyse, der sich Zeno durch sich selbst und das Aufschreiben seiner Gedanken unterzieht, nicht so sehr um die Frage, ob er ein guter oder schlechter Mensch ist, sondern überhaupt zu erkennen, wer er ist. Und das gelingt ihm am Ende nur bedingt.
Ein wunderbarer Roman. Ein wunderbarer Autor.
Ich werde auch in seine anderen Werke blicken.
Liebe Grüße
Taxine
Art & Vibration