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Hirngespinste

Austausch zwischen Literatur und Kunst

#1

Ansichten Büchners über Literatur

in An der Literatur orientierte Gedanken 17.10.2010 11:04
von LX.C • 2.821 Beiträge

Der Blick auf Georg Büchners (1813-1837) Ansichten über Literatur und Dichtung macht seine damalige Ausnahme- und Vorreiterposition deutlich. Eine programmatische Schrift über Literatur existiert nicht. Einblicke gewähren Briefe und Werke, insbesondere die Novelle "Lenz".
Noch vor der Dichterphase im Exil fällt er durch Äußerungen auf, die seine Abneigung gegen jegliche Stilblüten des Ästhetizismus verdeutlichen. Im Dezember 1833 schrieb er an seinen Freund Stoeber: "Das ästhetische Geschlapp steht mir am Hals [...] die Kunstsprache ist abscheulich, ich meine für menschliche Dinge, müsse man auch menschliche Ausdrücke finden" (Büchner 1994, 33).
Eine unauthentische Darstellung ist in Büchners Augen konsequent zu verwerfen, wenn man Menschen mit Literatur erreichen will. Auch der Satz, den er im August desselben Jahres in Stoebers Album schrieb: "Verse kann ich keine machen, eine Phrase fällt mir eben nicht ein" (1994, 25), belegt, dass Büchner frühzeitig die klare, packende Aussage dem ästhetisch Schönen und Leeren vorzog. Eine revolutionäre Kunstauffassung, die eine Abkehr von den im Allgemeinen noch gültigen ästhetischen Maßstäben bedeutete. Büchner war demzufolge nicht nur ein Revolutionär, der zum Autor wurde, sondern in zweifacher Hinsicht ein revolutionärer Autor. Ein Autor, der sich in seiner Literatur engagierte und ein Autor, der die Literatur revolutionierte. Beides ist gewiss nicht von den revolutionären Bestrebungen vor dem Exil abzulösen. Büchners inhärenter Veränderungsdrang lässt sich als Disposition seines literarischen Schaffens benennen.
Im Juli 1835 folgte eine weitere programmatische Äußerung, die Büchners Sicht auf die Profession verdeutlicht. Bezüglich "Dantons Tod" schrieb er an die Familie:

"Der dramatische Dichter ist in meinen Augen nichts, als ein Geschichtschreiber, steht aber über Letzterem dadurch, daß er uns die Geschichte zum zweiten Mal erschafft und uns gleich unmittelbar, statt eine trockne Erzählung zu geben, in das Leben einer Zeit hinein versetzt [...] Seine höchste Aufgabe ist, der Geschichte, wie sie sich wirklich begeben, so nahe als möglich zu kommen" (1994, 74).

Die Forderungen nach Geschichtsaufarbeitung und wiederum Wahrhaftigkeit stehen hier im Vordergrund. Büchner wollte kein Lehrer der Moral sein. Er sah seine Aufgabe darin, Vergangenes so wirklichkeitsgetreu wie möglich wieder aufleben zu lassen, die Lehren daraus sollte jeder Leser für sich selbst ziehen.
Er wusste inzwischen aus seiner Zeit als politischer Aktivist nur zu gut, dass man Ansichten nicht mit der Brechstange durchsetzen kann. Mit der Dichtung Missstände vor Augen führen, im Bewusstsein der Menschen Eingang finden, etwas bewirken, ohne den Zeigefinger zu erheben.
Dem Wahrhaftigkeitsanspruch liegt eine Absage an den Idealismus inne. Dem philosophischen Hegels und Kants. Und dem literarischen der Weimarer Klassik, insbesondere Schillers, sowie der Romantik, die sich nach Schlegels Begriff dem unerreichbaren Ideal zumindest anzunähern hatte: "Wenn man mir übrigens noch sagen wollte, der Dichter müsse die Welt nicht zeigen wie sie ist, sondern wie sie seyn solle, so antworte ich, daß ich es nicht besser machen will, als der liebe Gott, der die Welt gewiß gemacht hat, wie sie seyn soll" (1994, 75).
Jene Position findet sich auch in der Novelle "Lenz" als narrativer Exkurs wieder. Eine programmatische Einbettung, die, wie obiges Zitat aus Büchners Brief vom Juli 1835 zeigt, nicht aus Oberlins Aufzeichnungen über den Autor Lenz entstammt, sondern Büchners eigene Kunstauffassung war, die er hier verarbeitete:

"Die Dichter, von denen man sage, sie geben die Wirklichkeit, hätten auch keine Ahnung davon, doch seien sie immer noch erträglicher, als die, welche die Wirklichkeit verklären wollten. Er sagte: Der liebe Gott hat die Welt wohl gemacht wie sie sein soll, und wir können wohl nicht was Besseres klecksen, unser einziges Bestreben soll sein, ihm ein wenig nachzuschaffen. Ich verlange in allem Leben, Möglichkeit des Daseins, und dann ist’s gut; wir haben dann nicht zu fragen, ob es schön, ob es häßlich ist, das Gefühl, daß was geschaffen sei, Leben habe, stehe über diesen beiden, und sei das einzige Kriterium der Kunstsachen" (Büchner 2006, 14).

Diese durch und durch naturalistische Auffassung von einer der Wirklichkeit angelehnten Darstellung blieb bis zuletzt programmatischer Grundsatz Büchners. Die des Geschichtsschreibers hatte nach dem Danton an Bedeutung verloren, zumindest was die Historie des Stoffes betrifft. Die Plakativität des Menschlichen, des natürlich und sozial Widersprüchlichen rückte im Exil, das zunehmend auch desillusionierend auf Büchner wirkte, noch stärker in den Vordergrund.
Beständig blieb das Verfahren wahrhaftige Themen, die in Quellen festgehalten wurden, als Vorlage zu nutzen und dichterisch aufzuarbeiten. Und sei es auf Leonce bezogen, die Quelle des eigenen Ich’s.

Zitate aus:
Büchner, Georg 1994: Briefwechsel. Kritische Studienausgabe, hg. v. Jan-Christoph Hauschild, Stroemfeld Verlag, Frankfurt/M.
Büchner, Georg 2006: Lenz. Studienausgabe, hg. v. Hubert Gersch, Philipp Reclam jun., Stuttgart.


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[i]Poka![/i]

zuletzt bearbeitet 17.10.2010 11:28 | nach oben springen


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