HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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Philip Roth verwendet in seinen Romanen gerne einzelne Partikel seiner eigenen Biografie. So ist es nicht zu verwundern, dass David Kepesh, um den es hier geht, einer jüdischen Familie entstammt, dessen Vorfahren, seine Großeltern, vor fünfzig Jahren, aus Mitteleuropa kommend nach Amerika auswanderten. Den Kindern ist höchstens noch ein sentimentales Interesse ihrer Herkunft vorhanden, und so gibt Kepesh auch seinen Plan auf, Rabbiner zu werden. Seine Eltern betreiben an der Ostküste in den Catskill-Mountains ein Ferienhotel.
Die Seßhaftigkeit seiner Eltern bewirken keine innere Ruhe und Gelassenheit auf den noch jungen Kepesh. Wenn es um seine Berufswünsche geht, gerät er schon ins schwanken. Wie schwer ist es doch für einen jungen Menschen, seine Lebensziele schon im Griff zu haben.
Zitat von
Mich selbst zerfleischend mache ich mir die heftigsten Vorwürfe, daß ich aller Welt – jawohl! - erlaubt habe, mich bereits zu kennen und die Abgründe hirnloser Eitelkeit auszuloten.
Er war der Schauspielerei verfallen. Mit zwanzig kam er zu dem Entschluss, sich nicht in andere Rollen zu verlieren, sondern „Ich Selbst“ zu "Werden."
Zur Selbstwerdung gehört für Kepesh dazu, ein
Zitat von
Wüstling unter Gelehrten und Gelehrter unter Wüstlingen
zu sein. Er schnappt dieses Zitat aus Kierkegaards Entweder-Oder auf und macht es zu seiner Lebensmaxime, doch weiß er noch nicht, wie sehr er unter seinen Begierden leiden werde. In seiner Studentenzeit ist er sichtlich irritiert, als er herausbekommt, sein bester Freund sei ein Homosexueller , und Silky Walsh läßt ihn nur seinen Bauchnabel küssen.
Philip Roth spielt mit Humor, wenn er Kepesh von Silky\\\\'s Hintern schwärmen lässt, und sie bekennt, sie sitze ja nur darauf. Spielfreudig wird so versucht, Kepesh\\\\'s Illusionen zu nehmen, er sei ein „Gelehrter unter Wüstlingen“. Wie peinlich, als Kepesh viel später eine Wohnung mietet, in der ein Homosexueller gewohnt hat, und ständig von einem Freier belästigt wird.
Seine Vergangenheit holt ihn immer wieder ein. Er ist schon längst Literaturprofessor, hat eine kaputte Ehe hinter sich gelassen, hält er sich mit seiner Freundin Claire, bei der er glaubt, endlich Ruhe gefunden zu haben, in Venedig auf, und schon kommen die Geister der Vergangenheit hoch – Birgitta, mit der er in jungen Jahren freizügig sexuelle Eskapaden durchlebt hat und auf diese Weise ein Jahr Studienzeit verplempert.
Zitat von
Du bist hoffnungslos darauf versessen, etwas zu sein, was du gar nicht bist.
Menschen laufen Illusionen und Träumen nach, die siie nicht verwirklichen können. David Kepesh\\\\'s Weg ist voll von Stolpersteinen, ist aber beruflich vom Erfolg gesegnet. Er wird Literaturprofessor, ein Spezialist für Tschechow und Kafka. Philip Roth\\\\'s Kunstgriff nach diesen beiden Autoren machen meiner Meinung nach den Roman so sehr wertvoll. David Kepesh möchte seine Dissertation
Zitat von
Über die romantische Desillusionierung in den Geschichten von Anton Tschechow
zu einem Buch umarbeiten. Der Professor sucht in den Geschichten Tschechows einen Spiegel seiner Selbst.
Zitat von
In den Wochen vor Semesterabschluß, als wir uns mit Tschechows Erzählungen beschäftigten, kommt es mir beim Vorlesen von bestimmten Passagen, auf die ich meine Studenten besonders aufmerksam machen möchte, vor, als enthielten sie samt und sonders und in jedem einzelnen Satz vor allem Anspielungen auf meine eigene Misere....
Und so beschäftigt sich Kepesh mit seinen Studenten mit Literatur, die die erotische Begier zum Thema haben, Mishima, Genet u.a., und wird so zum "Professor zur Begierde."
Eine große Rolle in dem Roman spielt Tschechows Erzählung "Die Dame mit dem Hündchen." Man solle diese Parallel zum Roman lesen, so meine Empfehlung. Ihr werdet sowieso Lust auf Tschechow bekommen. So erging es jedenfalls mir.
Liebe Grüße
Martinus
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
RE: Philip Roth
in Die schöne Welt der Bücher 15.08.2007 22:34von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Hallo Martinus,
das ist ein ganz fantastischer Einblick in Roths Kosmos.
Das Buch werde ich auch lesen.
Mir geht es auch immer so, dass ich durch Bücher zu anderen Büchern angeregt werde.
Roth hat einen wunderbaren Schreibstil, wunderbare Gedanken und ein umfassendes Wissen um die Literatur, was ich sowieso immer schätze, besonders, wenn der Autor uns als Leser dann daran teilhaben lässt.
Vielen Dank.
Zu Roths Büchern werde ich auch noch etwas schreiben.
Liebe Grüße
Taxine
Art & Vibration
Hallo Taxine,
ich war fleißig und habe noch einmal frisch
"Das sterbende Tier"
gelesen. Es geht wieder um Kepesh.
Jetzt ist er 70 Jahre alt und blickt acht Jahre zurück, als er mit der Studentin Consuela Castillo eine Affäre hatte. Natürlich wäre es für Philip Roth zu billig, nur von einem sexlüsternen alten Herrn zu erzählen, der Kepesh selbstverständlich ist. Vielmehr möchte Roth sexuelle Beziehungen analysieren. Unfrei wird der Mann, wenn er Besitzansprüche stellt. Weil es so ist, lässt Kepesh sich in das Dilemma der Eifersucht ziehen. Auf diese Weise leidet er natürlich.
In Antwort auf:
„...vielleicht sehne ich mich jetzt, da mein Tod näher rückt, insgeheim auch danach, nicht frei zu sein.
Damit Kepesh sein Alter nicht zu sehr zu Bewusstsein schlägt, pflegt er, neben seiner Beziehung zu Consuela noch eine andere Beziehung zu einer etwas älteren Frau. Doch vor seinem Alter weglaufen zu wollen kann nicht funktionieren.
In Antwort auf:
Man müsste schon ein Idiot sein, um sich jung zu fühlen. Wenn man sich jung fühlen würde, wäre alles ganz leicht. Aber man fühlt sich keineswegs jung – vielmehr empfindet man schmerzlich, wie ungbegrenzt ihre Zukunft im Vergleich zu der eigenen, begrenzten ist, und man spürt noch schmerzlicher als sonst alles, was einem nicht gewährt wurde.
„Das sterbende Tier“ bezieht sich auf Verse des irischen Lyrikers William Butler Yeats:
In Antwort auf:
Verzehr mein Herz/ krank vor Begehren und/ Gefesselt an das sterbende Tier/ Weiß es nicht, was es ist...
Roth wäre nicht Roth käme der Humor zu kurz. So ist es belustigend, wenn Kenny seinem Vater vorwirft, die Familie verlassen zu haben, der verheiratete Sohn aber, seine Frau mit einer Jüngeren betrügt. Und da Kepesh Literaturprofessor ist, bildet Dostojewskijs „Die Brüder Karamassoff“ die Vorlage dieser angeknacksten Vater/Sohn-Beziehung. Das Dilemma des Mannes nach Kepesh: Ein Mann betrügt dauernd seine Frau und lässt sich endlich scheiden, um frei zu sein; er heiratet aber wieder, um nicht allein sein zu müssen.
Der Roman greift die Themen Sexualität, Macht, Alter und Tod auf. Mir haben insbesondere die vielen klugen Gedanken sehr gefallen. Roth hat die Gabe, den Problemen auf den Puls zu fühlen, sie offen darzulegen, wie sie sind und in wunderbare Worte zu kleiden. Ich habe den Eindruck, dass man in diesem kurzen Roman die ganze Welt des Philip Roth entdecken kann.
Liebe Grüße
ein Leser
Ach, das ist schön, Martinus. Ich werde Philip Roth auch auffrischen müssen, um hier noch einmal in gleicher Stimmung zu schwingen. Bin im Moment noch völlig im Hamsun.
Liebe Grüße
Taxine
Philip Roth: Mein Leben als Mann
„Mein Martyrium als Mann“, so hätte der Roman über die total verkorkste Ehe des Schriftstellers Peter Tarnopol ohne weiteres auch durchgehen können. Man fragt sich natürlich, warum ein intelligenter Mensch so eine „pathologische Lügnerin“ wie Maureen Johnson überhaupt heiratet. Die Ehe ist die Hölle. Mit moralischer Erpressung (ich bin schwanger, wenn du mich nicht heiratest, bringe ich mich um...) wird Tarnopol in die dreijährige Hölle verdammt und landet als Klient bei einem Psychoanalytiker namens Dr. Spielvogel. Natürlich gibt es vor der Ehe schon Frauen, während der Ehe ( eine Studentin) und dann noch Susan Clarke, eine sehr labile Persönlichkeit. Selbstverständlich ergeben sich für Peter Tarnopol genügend Gelegenheiten, Maureen zu verlassen, aber Schuldgefühle plagen ihn, oder er wagt es aus Anstand nicht. Irgendein Grund fällt ihm immer ein, sich weiterhin von so einer fürchterlichen Gestalt quälen, anlügen und Schuldgefühle machen zu lassen. Ein Martyrium, jawohl.
Die Streitereien und Auseinandesetzungen mit Maureen, die fast in den Wahnsinn abgleiten, gehen deftig unter die Haut. Philip Roth ist und bleibt ein großer Erzähler und was für eine Idee, Tarnopol mit Damenwäsche autreten zu lassen – aus Verzweiflung aus der Mannrolle auszuschlüpfen. Das hat weniger juristische Folgen, als eine Frau mit einer Axt zu erschlagen („Du wolltest sie umbringen?“ „Ja! Mit einer Axt.“), so im Roman.
Es geht darum, warum ein Mann sich so etwas bieten lässt. Die mehrjährige Psychoanalyse bei Dr. Spielvogel bringt ihn weiter, doch geraten beide in Streit, weil Tarnopol sich ganz anders wahrnimmt als Dr. Spielvogel ihn darstellt. Die Kontroverse zwischen Tarnopol und seinem Arzt gehört zweifelsfrei zu den Höhepunkten des Romans, einfach deshalb, weil Philip Roth sich auch hier herrlich einfühlen kann. Die Argumente des Arztes prallen aufeinander. Absolut bühnenreif. Ein Drama eben, und weil Philip Roth sich in die Seelen der Figuren so herrlich hineinschreiben kann, darum liebe ich seine Figuren, seine Bücher.
Der Psychotherapeutenjargon imponiert natürlich auch:
Zitat von Roth
„Ironischerweise ist es gerade der hier besprochene narzißtische Abwehrmechanismus, der sie daran hindert, in dem Aufsatz etwas anderes zu sehen als einen Angriff auf ihre Würde oder einen Versuch, Sie bloßzustellen oder herabzusetzen.“
Trotzdem habe ich nie den Eindruck, dass das Fachgesimpel ausufert. Philip Roth flirtet im Roman sehr häufig mit Anpielungen auf große literarische Werke. Meiner Ansicht nach hätte er hier etwas sparsamer sein können, an manchen Stellen wird es mir doch etwas zuviel. Sehr viel reizvoller wendet er diese Vorliebe in „Professor der Begierde“an, weil dort die Beschäftigung mit Tschechow und Kafka viel eindeutiger zum Inhalt des Romans steht.
„Mein Leben als Mann“ wird mit mit zwei Erzählungen von Peter Tarnopol eingeleitet, in dem erstmals im literarischen Werk von Philip Roth Nathan Zuckermann als Protagonist auftaucht, hier als Alter Ego von Tarnopol. Roth kokettiert natürlich sehr sympathisch mit sich selbst, wenn er Tarnopol diese Erzählungen an Verwandte und andere Leute schickt, die sich dann kritisch zu diesen Texten äußern.
An Humor fehlt es natürlich nicht. Zuckermann meint:
Zitat von Roth
Monica, Lydias zehnjährige Tochter, lernte ich erst einen Monat später kennen, so daß niemand behaupten kann, ich hätte, wie Nabokovs intriganter Schurke, eine reizlose Mutter ertragen, um an die verführerische und verführbare Tochter heranzukommen. Das kam erst später.
Herzliche Leseempfehlung
Liebe Grüße
Martinus
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
Philip Roth: Exit Ghost
Lange noch bei den Rosen
bleibt er stehen, sehnt sich nach Ruh.
Langsam tut er die (großen)
müdgewordenen Augen zu.
Richard Strauß, Vier letzte Lieder (Textausschnitt aus „September“ von Hermann Hesse)
„Exit Ghost“ ist der endgültige Abschied von Nathan Zuckerman, der in zahlreichen Romanen von Philip Roth auftritt, der z.B. in Roth`s Roman „Die Anatomiestunde“ in eine schriftstellerische Krise gerät, unter Schmerzen leidet, in seinem Leid zum Wodka und zu den Frauen greift. Nun ist er alt, einundsiebzig Jahre, lebt gewollt einsam auf dem Lande, weit ab vom Trubel New Yorks. In dieser Ruhe ist er vor den Frauen sicher, oder die Frauen vor ihm. Mit einem Paukenschlag beginnt der Roman. Vor elf Jahren wurde seine Prostata entfernt – Krebs. Infolgedessen setzte ein Lebenswandel ein, er zog sich aus der großen Welt zurück, spürte eine innere Dürre.
Zitat von Roth
Den Impuls, in dieser Welt zu sein und zu ihr zu gehören, hatte ich längst abgetötet.
In der Einsamkeit hat er seine sexuellen Begierden unter Kontrolle. Keine Versuchungen, außerdem ist er inkontinent und impotent. Groß ist Roth wenn er Zuckermans Gebrechen und die Konsequenzen daraus schildert. Detailliert, bis es sich ins Mark und Bein des Lesers festsetzt. Er entwirft Bilder, die nicht mehr aus dem Kopf gehen.
In New York verliebt er sich wieder. Dorthin muss er nämlich zu einer Nachbehandlung hin, die ihm aber schließlich nichts einbringt, aber er lernt Jamie Logan kennen.
Zitat von Roth
Die Wucht der sexuellen Anziehungskraft lässt keinen Raum für Resignation – nur für die Gier des Begehrens.
Hier können wir auch sagen, der Geist ist willig, der Körper aber massakriert. Nach jeder Begegnung mit Jamie, macht sich Zuckerman Notizen, denn die Angst der Vergesslichkeit sitz ihm in den Gehirnwindungen. In den Zwiegesprächen, die Zuckerman schriftlich festhält, kann er sich in seinen Fantasien ausleben. Das gefällt mir sehr, weil er im Gedächtnis sowieso nicht alles behalten kann. Das Alter schlägt auch auf den Geist und gipfelt sehr bizarr, Amy habe einen Teil ihres Gehirns eingebüßt. Im Zusammenhang mit der Schwäche des Geistes, werden auch die Folgen für einen Schriftsteller erörtert. Hervorragend finde ich übrigens Zuckermans Kritik über den Gebrauch von Handys.
Trotz einiger Höhepunkte, die ich sehr schätze, muss ich aber auch sagen, dieser Roman gehört nicht zu den besten, die Philip Roth zu Papier gebracht hat. „Das sterbende Tier“ und „Jedermann“ waren komprimiertere Romane über das Alter und stringent sprachlich auf literarischem Höhenpflug, in „Exit Ghost“ nur teilweise. Es werden vielerlei Themen angesprochen: literarische, journalistische und politische, jüdische. Die Angst vor Bush's Wiederwahl im Jahre 2004 haben auch viele Europäer gespürt, doch ich meine, Roth lässt sich hier viel zu bunt darüber aus, er kaut gleich vier oder fünfmal darüber.
Herrlich integriert sind Strauss'Vier letzte Lieder über Tod, Abschied und Verlust. „Der Komponist“, so lesen wir, "lässt alle Masken fallen und steht, mit zweiundachtzig Jahren, nackt vor einem. Und man zerfließt."
Im Angesicht des Todes steht der menschliche schwache Körper.
Liebe Grüße
Martinus
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)