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Hirngespinste

Austausch zwischen Literatur und Kunst

#1

Heinrich Heine

in Blicke auf Menschen 08.04.2011 20:11
von Martinus • 3.195 Beiträge

Heinrich Heine zum 150. Geburtstag am 17.02. 2006 (aus meiner Mottenkiste geholt)

Heinrich Heine war schon am Krankenbett gefesselt, als er am Romanzero schrieb...meine Matrazengruft zu Paris, wo ich früh und spat nur Wagengerassel, Gehämmer, Gekeife und Klaviergeklimper vernehme...dort erinnert sich Heine an seine unerfüllte Jugendliebe:

"Im Traume war ich wieder jung und munter - / Es war das Landhaus hoch am Bergesrand, / Wettlaufend lief ich dort den Pfad hinunter, /Wettlaufend mit Ottiljen Hand in Hand. /Wie das Persönchen fein formiert! Die süßen / Meergrünen Augen zwinkern nixenhaft. ........"


Im Landhaus seines Onkels Salomon Heine in Ottensen bei Hamburg verliebte er sich Harry in seine Cousine Amalie, sie ließ ihn aber sitzen. Dieses junge Leiden durchzog sein ganzes Leben, er konnte sie nie vergessen. Einige Jahre vor seinem Tod gestand er seinem Freunde Gérard Nerval davon. Nerval hat uns überliefert: "Wir litten beide an einer und derselben Krankheit: Wir sangen beide die Hoffnungslosigkeit einer Jugendliebe fort. Wir singen noch immer, und sie stirbt doch nicht! Eine hoffnungslose Jugendliebe schlummert noch immer im Herzen des Dichters."(Marcuse, S. 25).

Und so träumt Heine in dem Gedicht Böses Geträume quälend weiter. Schließlich ist eine Lilje gebrochen, und der Liebende bekommt nicht mehr die Antwort auf seinen Heiratsantrag mit. ..... "Denn ich erwachte jählings - und ich war /Wieder ein Kranker, der im Krankenzimmer / Trostlos daniederliegt seit manchem Jahr." --

Im Buch der Lieder beklagt Heine seinen Liebesschmerz. Ludwig Marcuse sagt, "die düster-grausamen Traumbilder seiner ersten Dichtung tragen die Farben Josephas" (S. 19), Heines Sefchen, die erste Liebe in Düsseldorf, Tochter eines Scharfrichters. In den Traumbildern wäscht sie sein Totenhemd, zimmert seinen Sarg und hebt das Grab aus, in das der Träumende hineinstürzt. Im Lyrischen Intermezzo (1822/23) möchte das lyrische Ich all seine Liebe und Schmerzen begraben.
"Wißt ihr, warum der Sarg wohl /So groß und schwer mag sein? / Ich legt auch meine Liebe / Und meinen Schmerz hinein."

Liebe und Schmerz bilden in den erotischen Gedichten eine Einheit: Von süßen Lippen und von bittrer Rede... darauf macht uns Marcel Reich-Ranicki in seiner Essaysammlung "Der Fall Heine" aufmerksam. In dem Essay "Es war ein Traum" geht MRR auf Heines Vorrede zur dritten Auflage vom Buch der Lieder ein, und vergleicht diese Verse mit einer Ouvertüre:

"Das ist der alte Märchenwald! / Es duftet die Lindenblüte! / Der wunderbare Mondenglanz / Bezaubert mein Gemüte." ........ ....... In der dritten Strophe singt die Nachtigall: "Sie singt von Lieb und Liebesweh,/ Von Tränen und von Lachen,/ Sie jubelt so traurig, sie schluchzet so froh, /Vergessene Träume erwachen" -

"Das Gedicht gleicht einer nachträglichen komponierten Ouvertüre, die schon die wichtigsten Motive der Oper vorwegnimmt und paraphrasiert. So ist es im >>Buch der Lieder<< - die Kulisse: ein Märchenwald; die Beleuchtung: der Mondenglanz; der Duft: die Lindenblüte. Alles ist hier austauschbar: Der Wald und die Linden; der Mond und die Nachtigall. Nicht austauschbar, weil mit der Sache selbst verquickt, ist dieser Nachtigall trauriges Jubeln, ihr frohes Schluchzen."( MRR, S. 93/94). In der Ouvertüre werden Todesqualen mit Seligkeiten vermischt:
"Entzückende Marter und wonniges Weh! / Der Schmerz wie die Lust unermeßlich! /Derweilen des Mundes Kuß mich beglückt, /Verwunden die Tatzen mich gräßlich."

MRR zielt auf den doppelten Boden von Heines erotischen Gedichten und sagt: "Nirgends kommt die Einsamkeit des Juden Heine unter den Deutschen stärker zum Vorschein, nirgends wird seine Verzweiflung deutlicher spürbar als gerade in jenem Teil seines Werks, in dem von Juden überhaupt nicht die Rede ist - in seiner erotischen Dichtung... Die hoffnungslose Liebe wird zum Sinnbild der Situation des Ausgeschlossenen, des Verstoßenen und Heimatlosen"(MRR, S. 42, 44)

In Deutschland blieb es ihm versagt, eine bürgerliche Existenz aufzubauen. Heine gehörte zur ersten Generation, die dem Ghetto entronnen ist (MRR, S. 40). Im Herbst 1815 brachte ihn sein Vater "als Volontär im Bankhaus Rindskopf" (Kopelew, S.51) unter. Er blieb nicht lange, schrieb dort die Traumbilder. Im Gedicht Nummer VIII sind offenbar Spuren vom damals noch existierenden jüdischen Ghetto Frankfurts hängengeblieben: "Ich kam von meiner Herrin Haus / Und wandelt in Wahnsinn und Mitternachts graus." Was hat er bloß wirklich dort erlebt, wenn er des Nachts durch die Judengasse schlich? Hat der Spielmann auf seinem Leichenstein gesessen und gelispelt, wie es in dem Traumbild heißt? Lispeln, ach ja, das ist wohl jiddisch.

Heine hatte schon früh Angst vor Judenhass, das wird im Brief an Christian Sethe angedeutet: "Bey so bewanderten Umständen läßt sich leicht voraussehen, daß Christliche Liebe die Liebeslieder eines Juden nicht ungehudelt lassen." (06.Juli 1916, MRR, S. 51). Dass er sich später aus taktischen Gründen in Heiligenstadt zur protestantischen Konfession taufen ließ, half ihm nicht weiter, in Deutschland ein deutscher Dichter zu werden. Eine Professorenstelle in Müchen zu erlangen schlug fehl. "Die Münchener Zeitung >Eos< brachte einen Aufsatz über die >Reisebilder<, in dem Heine als >>schamloser Jude<< beschimpft wurde, der die christlichen Heiligtümer in den Schmutz trete." (Kopelew, S. 81). Dem bayerischen König überzeugten solch Zeitungsartikel mehr als die Führsprache seiner Förderer. Und dann erreichte ihn Platens neidischer Hass ("Petrarck des Laubhüttenfestes und Synagogenstolz mit Knoblauchgeruch" Kopelew, S. 185). Damit löste August Graf von Platen einen heftigen unschönen Streit der beiden Dichter aus.

Im Gedicht Nr. XIII aus Die Heimkehr (1823-1824) gewährt uns Heine einen deutlichen Einblick in den doppelten Boden seiner erotischen Dichtung:

"Ich bin ein deutscher Dichter, /Bekannt im deutschen Land; Nennt man die besten Namen, / Wird auch der meine genannt. "Und was mir fehlt, du Kleine, / Fehlt manchem im deutschen Land! / Nennt man die schlimmsten Schmerzen, /So wird auch der meine genannt."


Und auf Helgoland schrieb er:

FRAGEN

Am Meer, am wüsten, nächtlichen Meer
Steht ein Jüngling-Mann,
Die Brust voller Wehmut, das Haupt voll Zweifel,
Und mit düstern Lippen fragt er die Wogen:

"O löst mir das Rätsel des Lebens,
Das qualvoll uralte Rätsel,
Worüber schon manche Häupter gegrübelt,
Häupter in Hieroglyphenmützen.
Häupter im Turban und schwarzem Barett,
Perückenhäupter und tausend andre
Arme, schwitzende Menschenhäupter -
Sag mir, was bedeutet der Mensch?
Woher ist er kommen? Wo geht er hin?
Wer wohnt dort oben auf goldenen Sternen?"

Es murmeln die Wogen ihr ewges Gemurmel,
Es wehet der Wind, es fliehen die Wolken,
Es blinken die Sterne, gleichgültig und kalt,
Und ein Narr wartet auf Antwort.


xxxx xxxx xxxx xxxx xxxx xxxx xxxx xxxx

Als Epilog gedacht:

Und die Glieder matt und träge
Schlepp ich fort am Wanderstab,
Bis mein müdes Haupt ich lege
Ferne in ein kühles Grab.


(H.H. "Abschied")


Quellen und Sekundärliteratur:

Jörg Aufenanger: Heinrich Heine in Paris, dtv, München, 2005
Heinrich Heine: Werke 1, Gedichte, Insel Verlag, Frankfurt/Main, 1968
Heinrich Heine: Buch der Lieder, it 33, Inseltaschenbuch, Frankfurt/Main, 1975
Lew Kopelew: Ein Dichter kam vom Rhein, dtv, München, 1986
Ludwig Marcuse: Heine, rororo-bildmonographie, Hamburg, 1986
Marcel Reich Ranicki: Der Fall Heine, dtv, München, 2000

Liebe Grüße
mArtinus




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#2

RE: Heinrich Heine

in Blicke auf Menschen 11.04.2011 21:49
von Zypresserich (gelöscht)
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Einer meiner Leselieblingsstoffe bis heute. Haste mal damals, Martinus, das Literarische Quartett gesehen, wo's um Heine ging? Reich-Ranicki, Karasek, hm, weißnichmehrwer? Daraufhin hatte ich mir "Der Fall Heine" von MRR geholt. Die gesammelten Werke habe ich auch, da bin ich in etwa bei 3/4 seit 11.2.2006 mit dem Durchlesen. Da geh ich chronologisch vor. Da kenn ich nix. Ich bin grad da: Zitat:

Die böse Welt, die so verdorben,
Verlaß ich bald, die böse Welt.
Ich merke: hat der Mensch kein Geld,
So ist der Mensch schon halb gestorben.

Zitat Ende. Das ist auf Seite 750, aus den Werken 1851-1855, hier: Schnapphahn und Schnapphenne. Insel Taschenbuch it 1963.

zuletzt bearbeitet 11.04.2011 21:51 | nach oben springen

#3

RE: Heinrich Heine

in Blicke auf Menschen 11.04.2011 21:58
von Martinus • 3.195 Beiträge

Zitat von Zypresserich
Einer meiner Leselieblingsstoffe bis heute. Haste mal damals, Martinus, das Literarische Quartett gesehen, wo's um Heine ging? Reich-Ranicki, Karasek, hm, weißnichmehrwer?



Diese Sendung habe ich verfolgt. Welchen Gast sie eingeladen hatten, weiß ich auch nicht mehr.
Heine habe ich immer gemocht, auch wenn er über meine Heimatstadt hergezogen ist.




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#4

RE: Heinrich Heine

in Blicke auf Menschen 11.04.2011 22:03
von Zypresserich (gelöscht)
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Könnte sogar Peter Rühmkorf damals dabeigewesen sein. Ich muss das mal eben recherchieren.

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#5

RE: Heinrich Heine

in Blicke auf Menschen 11.04.2011 22:05
von Martinus • 3.195 Beiträge

Peter Rühmkorf war bei der Brecht-Sendung dabei.




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#6

RE: Heinrich Heine

in Blicke auf Menschen 11.04.2011 22:11
von Zypresserich (gelöscht)
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Ja, habs grad gesehen. Heine war in 2 2006, Brecht in 8 2006 Thema.

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