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Hirngespinste

Austausch zwischen Literatur und Kunst

#1

Malcolm Lowry

in Die schöne Welt der Bücher 11.06.2012 12:18
von Taxine • Admin | 6.678 Beiträge

Malcolm Lowry
Unter dem Vulkan


Es war allein dieser Roman und seine Erfolgsgeschichte, der Lowry überhaupt erst bewusst machte, dass er ein Schriftsteller war. Sein Leben war von Anfang an bis zum tragischen Ende seines Selbstmordes voller Krisen und Identitätssuche. Er schwankte dabei in einem, von ihm selbst kreierten Begriff des „Delowryum tremens“. Lowry wurde am 28. Juli 1909 in Birkenhead geboren, stammte aus einer Liverpooler Kaufmannsfamilie, verließ früh die Schule, reiste (unter anderem auch zur See) und landete in Spanien, Norwegen, Amerika, Mexiko und Kanada, wo er im Winter ohne Strom in einer verfallenen Holzhütte lebte. Beständig kämpfte er mit der Geldnot und dem Alkoholproblem. Die Zeit dort in der Hütte, wo er die jüdische Geheimlehre der Kabbala studierte (einige Thesen und Hinweise sind auch im Roman enthalten) und an seinem Hauptwerk schrieb, bezeichnete Lowry als paradiesisch. Doch dann geriet die Hütte in Brand und mit ihr sämtliche Manuskripte. Nur „Unter dem Vulkan“ konnte von seiner Frau, die Schriftstellerin Margerie Bonner, gerettet werden. Mit ihr kehrte er nach England zurück und beging am 27. Juni 1957 Selbstmord.


Nun zu seinem Werk „Unter dem Vulkan“

Jemand warf einen toten Hund ihm nach in die Schlucht.

Zunächst hält Lowry es für notwendig, seinem Werk ein Vorwort voranzustellen, wobei er zugibt, dass er dieses in anderen Büchern gerne selbst überspringt. Allerdings würde es in seinem Fall nicht zweckdienlich sein, denn er hielte, so sagt er, nicht den Leser für zu dumm, sondern vielmehr nahm er die Schwierigkeit in Kauf, nicht alles richtig gesagt zu haben. Neben wichtigen Hinweisen, die er als Beispiel anführt, weshalb nicht jeder Satz seines Buches reine Oberfläche ist, schildert er seinen Kampf mit dem Verleger und macht sich lustig darüber, dass sein Werk zu langweilig sei, denn an so einer Situation ist, seinem ironischen Zwinkern nach, nicht der Schriftsteller Schuld, da keiner sich an das Schreiben setzt, um langweilig zu erscheinen, sondern eher der Leser, der weiterliest und sich hinterher beschwert. Was Lowry fürchtet, weiß ich allerdings nicht, denn sein Stil gefällt mir sehr gut, seine Landschaft ebenso und die Figuren in ihren innerlichen Abgründen sind erschütternd einprägsam.

Der Roman „Unter dem Vulkan“ spielt in der Ödnis Mexikos, in deren Hintergrund Vulkane und ihre Krater in den Himmel ragen. Erzählt wird die Geschichte eines Trinkers, dem ehemaligen Konsul Geoffrey Firmin. Lowry hat in diesem Werk viel Autobiografisches verarbeitet. Zunächst stand die Idee als Kurzgeschichte, die ihn aber über die Jahre hinweg nicht los ließ. Immer mehr verdichtete sich die Vorstellung für eine Weiterentwicklung und so auch sein Hauptwerk, dass ein Meisterwerk innerer Abgründe und äußerer Bedingungen ist.

Anfangs wirkt alles noch als ein großes Durcheinander, so dass der Leser ordnen muss, was sich zugetragen haben könnte. Viele Dinge bleiben auch ungesagt, lassen sich lediglich durch Rückblicke, Gedanken, Gespräche deuten. Was wirklich, was alleine im Geist vor sich geht, muss der Leser häufig selbst entscheiden, besonders, wenn es so tiefgründig in den Schädel des Konsuls geht. Bald werden die Umstände sichtbarer, die Menschen verständlicher.

Da ist also der Protagonist Geoffrey Firmin, der verzweifelt mit seinem Alkoholismus ringt, mit der Sucht, die ihn innerlich auffrisst. Seine Frau Yvonne, eine gescheiterte Schauspielerin, hat sich von ihm scheiden lassen, kehrt nun aber wieder zu ihm zurück, ohne zu wissen, wie sie ihm helfen kann. Die Hintergründe ihrer Scheidung kann der Leser für sich nach und nach selbst erschließen, da Lowry die Jetzt-Situation ihrer Rückkehr und die verschiedenen Gedanken und Auseinandersetzungen ins Bild setzt. Anhand ihrer gemeinsamen Rückblicke auf Situationen und traurige Momente, die alle mit dem Suff zusammenhängen, erfährt man allmählich, dass ein Zusammenleben nicht mehr möglich war. Geoffrey verfällt ständig in die Sehnsucht nach seiner Frau, nach seiner Rettung und nach der nächsten Flasche. Letzte Gier überwiegt. Auch findet er, dass er sich betrunken ganz gut macht, immer nüchtern wirkt, nicht, wie andere, schwankt oder stolpert, höchstens ganz und gar auf der Straße liegt, wenn es denn geschieht. Lowry versteht es herrlich, diese inneren Befehde und Widersprüche des Trinkers ins Bild zu setzen, ironisch zu untermalen oder aber auch in all der traurigen Auswirkung zu zeigen. Bekannt ist, dass Lowry nicht nur selbst Trinker, sondern auch aufgrund seiner Alkoholprobleme in einer Irrenanstalt saß. Daher weiß er jenen Zustand so gut zu formulieren:

Zitat von Lowry
„So ähnlich, sagte er sich, muss ein Verrückter leiden, wenn er friedlich im Anstaltsgarten sitzt und die Verrücktheit plötzlich keine Zuflucht mehr ist und sich im Zersplittern des Himmels und der ganzen Umgebung verkörpert.“



Für den Trinker sind Ausreden an der Tagesordnung. – „Ich werde nicht trinken. (…) Oder doch? Jedenfalls keinen Mescal.“ - Der Trinker wird immer einen Grund finden, weiter zu trinken, die Rettung auf später zu verschieben, den Alkohol den Gefühlen vorzuziehen. Daran zerbrechen alle Beziehungen, weil der Alkohol immer wichtiger für den Trinker ist als seine menschlichen Beziehungen und Kontakte. Alles wird auf ein anderes Mal aufgeschoben, noch ein Drink und dann sieht die Welt schon ganz anders aus. Dann noch einer und es hat sowieso keinen Sinn mehr, aufhören zu wollen… Der Suff macht den Trinker einsam, in sich selbst verschlossen. Dabei sieht er ganz genau, was er falsch macht, woran er zugrunde geht, weshalb er sich der Rettung entzieht, ist aber zu schwach, den eigenen Begierden zu widerstehen, die gerade bei Geoffrey weit entfernt von Genuss und Rausch sind, sondern Schmerz und Halluzinationen hervorrufen. Das Trinken ist ihm Ersatz, Trost, Liebe. Ein Schluck und der momentane Rausch der Euphorie wird als beständig angenommen, drängt sofort die Schwierigkeiten, Schmerzen, die Willenlosigkeit in den Hintergrund. Stark und fröhlich glaubt er, immer so weiter machen zu können, findet sich in Situationen geworfen, denen er sich gewachsen glaubt und dann, wenn schon nicht stark genug, in ihnen versinkt.
Er will dabei geliebt werden, nicht als Mensch, der gerne trinkt, sondern:
„… geliebt wegen meines sorglos-verantwortungslosen Äußeren oder vielmehr wegen der Tatsache, dass unter diesem Äußeren ganz offenkundig das Feuer des Genies brennt, das weniger offenkundig, nicht mein eigenes ist…“

Als Yvonne ihren Exmann so in Mexiko vorfindet, sieht sie seinen Zerfall buchstäblich vor Augen. Er kann kaum laufen, seine Hände zittern, er trinkt morgens den ersten Schluck, wobei er sich dabei noch zusammenreißt, während er nicht ihr, sondern nur sich selbst etwas vormacht. Er nimmt an, er sei nüchtern und würde große Opfer bringen, während sie natürlich genau erkennt, was mit ihm los ist. Sie wiederum will ihm gleichsam entgegen kommen, ihm anbieten, mal aus der Reihe mitzutrinken, kann sich dann aber nicht dazu überwinden. Schon herrscht die Kälte erneut zwischen ihnen, die Trennung durch die Flasche, nach deren Inhalt er giert und vor dem sie sich fürchtet. Auch ist er erschüttert, als sie ihm erklärt, sie würden alles besprechen, wenn er nüchtern wäre. Erschüttert darum, weil er sich nüchtern fühlt und sie annimmt, dass es einen Tag in der Zukunft geben könnte, an dem er tatsächlich nüchtern ist.

Diese ganzen Kopfgeburten und Verirrungen sind wunderbar dargestellt. Man spürt als Leser die ganze Verzweiflung beider Perspektiven. Yvonne, die nicht weiß, ob und wie sie ihm helfen soll, Geoffrey, der mit seiner Liebe zur ihr und zur Flasche hadert. Noch intensiver sind die Ausfälle, wenn Geoffrey eben noch in der „Ein-Schluck-Phase“ ist und sich auf einmal Stunden später auf irgendeinem Badezimmerboden wiederfindet, in der Verzweiflung, sich die vorangegangenen Ereignisse Stück für Stück wieder zusammensetzen zu müssen, um überhaupt zu sehen, was geschehen ist. Man spürt, dass Lowry eigene Erfahrungen mit einfließen lässt (Erfahrungen, die sehr authentisch sind), diese plötzlichen Veränderungen um den Trinkenden herum, der sich taumelnd woanders wiederfindet, der ständig in der Misere ist, sich die Ereignisse wieder bruchstückhaft zurückholen zu müssen.

Auch Hugh, sein Bruder und M. Laruelle, sein Freund, versuchen verzweifelt, Geoffrey zu helfen, ihm zu zeigen, dass er auf seinen eigenen Tod hin arbeitet. Beide kann Geoffrey nicht ernst nehmen, einmal, weil er sein eigenes Innenleben natürlich genau kennt und weiß, dass sie Recht haben, zum anderen, weil er sich für den Tod entschieden hat, des Weiteren, weil Hugh in Yvonne verliebt ist, Laruelle mit ihr, wie sich nach und nach herausstellt, ein Verhältnis hatte, während sie mit Geoffrey verheiratet war. Die Hilfe, die von außen an ihn heranreicht, stößt er mit Freude zurück. Nur in bestimmten Augenblicken, wenn er betrunken „nüchtern“ ist, sucht er die Hand seiner Frau, bis der Moment wieder vorübergezogen ist.

In Hugh wird Lowrys eigene Erfahrung auf See erzählt und verarbeitet. Der junge Mann geht von der Schule ab und fährt zur See, weil ihn Romane wie „Der Seewolf“ von Jack London beeindruckt haben. Was er dann vorfindet, ist eine andere, gleichsam versetzte Welt, die ähnliche Gehässigkeiten und Vorurteile birgt, wie er sie von der verhassten Schule gewohnt war und vor denen er geflüchtet ist. Wo er Romantik, Sehnsucht, Abenteuer erwartet hat, findet er dümmliche Gespräche und Feindschaft vor. Jeder verachtet den anderen, und Hugh alias Lowry fühlt sich bald schon sehr verloren. Nicht das Meer ist das, was ihn nun anzieht, sondern das von ihm verlassene England als eine Sehnsucht, die ihn weitermachen lässt. Was er von dieser Reise zurückbehält, ist nur Ekel, Traurigkeit und Krankheit, denn die Ruhr greift um, die Lebensmittel sind schlecht gelagert, Schmutz und Abfall sind Bedingung auf einem Schiff. Die romantische Literatur-Vorstellung ist bald an der Wirklichkeit zerplatzt.

Was die See ist, zeigt er deutlich:

Zitat von Lowry
„Jahre zermürbender Langweile, in denen man jeder Art von unbekannten Gefahren und Krankheiten ausgesetzt war, auf Gedeih und Verderb einer Reederei ausgeliefert, die nur, weil sie eventuell Versicherung für ihn bezahlen musste, an der Gesundheit des Seemanns interessiert war, das Familienleben reduziert auf ein Sitzbad mit der Frau in der Küche alle achtzehn Monate, das war die See. Das und eine heimliche Sehnsucht, darin begraben zu werden.“



Und auch:

Zitat von Lowry
„Es war, als habe die Erfahrung der See außerdem, unmäßig vergrößert durch die Zeit, einem die tiefe Anpassungsunfähigkeit des Seemanns eingepflanzt, der an Land nie mehr glücklich sein kann.“



Auch werden in der Figur des Bruders die Hoffnung auf Erfolg, die Enttäuschungen und Selbstzweifel verdeutlicht, die Lowry unzweifelhaft selbst erfahren hat. Neben diesen inneren und äußeren Konflikten dieser Menschen, der Unmöglichkeit, den betrunkenen Konsul vor sich selbst retten zu können, wird auch Mexiko großartig sichtbar. Der Staub der Straße, die überall herumliegenden toten Skorpione, die Stimmung, die Armut, der Glaube (die Geschichte spielt ausgerechnet am Tag der Toten, der in Mexiko gefeiert wird), die Tavernen, die „Cantinas“, eine besonders gut erzählte Busfahrt über die holprigen, manchmal fast unbefahrbaren Straßen, bis am Rande einer solchen ein lebloser Körper liegt. Lowry gibt nicht nur atmosphärisch wider, wie sich Mexiko und seine Menschen ausnehmen, sondern spricht auch die politischen Probleme an, erzählt vom Streik der Polizisten, die durch verbrecherisch faschistische Hilfspolizisten ersetzt werden, in einer Zeit, in der die ganze Welt vom Faschismus und Kommunismus bedroht wird. Da sind die verheerenden Auswirkungen in Mexiko, der Spanische Bürgerkrieg, Hitlers Machtergreifung, Stalins Präsenz. Der Wahnsinn Geoffreys ist eine Art Spieglung der äußeren Umstände. Immer wieder vergleicht der Konsul die um ihn herum stattfindenden Veränderungen mit der Literatur Tolstois, mit Vorfällen und Menschen aus „Krieg und Frieden“. Er versucht sein eigenes Elend über bestimmte äußere Probleme zu kompensieren, wird allerdings immer wieder auf sich selbst zurückgeworfen, bis er erkennt:


Zitat von Lowry
„Meine Desillusionierung ist wieder einmal eine Pose. Was will ich mit alldem beweisen? Finde dich ab; man ist ein Gefühlsdusler, ein Pfuscher, ein Realist, ein Träumer, Feigling, Heuchler, Held, kurzum, ein Engländer, der hinter seinen eigenen Metaphern zurückbleibt. Streber und Pionier in Tarnung. Bilderstürmer und Entdecker. Unverzagter Langweiler, entlarvt von Trivialitäten!“



Nichts bedrückt ihn tatsächlich so stark, dass er darüber verzweifelt trinken muss. Er trinkt einfach, das ist die Wahrheit. Er trinkt, weil er ein Trinker geworden ist. Weder der Betrug durch seine Frau, die demütig zu ihm zurückkehrt, obwohl die Trinkerei schon so häufig zwischen ihnen stand, noch die Weltbedingungen, der Zweite Weltkrieg, die tragische Geschichte Mexikos sind Gründe für seinen Suff. Er allein hat sich aufgegeben und weiß, dass es so ist. Er ist ein Gefallener, der den Fall fürchtet und genießt. So endet er dann auch.


(Alle Zitate stammen aus Malcolm Lowry "Unter dem Vulkan", Rowohlt)


Das nächste Werk von Lowry wird für mich "Die letzte Adresse" sein, wo er seine Erfahrungen von Psychiatrie und Wahnsinn verarbeitet.


Liebe Grüße
Taxine




Art & Vibration
zuletzt bearbeitet 11.06.2012 13:53 | nach oben springen


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