HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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Am Rande der Nacht
In der Filmbranche würde man sagen, bei "Am Rande der Nacht" handelt es sich um einen Episodenfilm. Lampe selbst beschrieb seinen Debütroman als: "Lauter kleine, filmartig vorübergleitende, ineinander verwobene Szenen [...] Alles leicht und fließend, nur ganz locker verbunden, malerisch, lyrisch, stark atmosphärisch. Inhaltlich ist die Sache leider etwas heikel." Und seine Vorahnung bestätigte sich. 1933 erschienen, wurde der Roman sogleich wieder von den Nationalsozialisten verboten, da er unter anderem Homosexualität und die Liebe einer deutschen Frau zu einem Afrikaner thematisiert. Lampe in einer Widmung dazu: "Mein Kind, bei der Geburt so gesund und rot, aber nach vier Wochen da war es tot. Es liebte die Lüfte mild, frei und weich, es konnte nicht atmen im Dritten Reich."
Die Episoden finden an verschiedenen Orten der Hafenstadt Bremen ihren Ausgangspunkt. Es sind so viele, dass man sie schwerlich alle aufzählen kann. So steigt die Handlung in einem Park ein, in dem ein vereinsamter alter Mann auf einer Bank seine Zeit totschlägt und nur darauf wartet, dass einer der Protagonisten wie jeden Abend vorbeikommt und ein bis zwei Sätze mit ihm wechselt. Währenddessen beobachten lärmende Kinder am Flussufer das Treiben der Ratten, was später zu heftigen Alpträumen führt. In einem anderen Szenario moppt und denunziert ein grobschlächtiger Kapitän vor den Passagieren seinen Stewart, bis die Stimmung gewaltsam umschlägt. Und in einem Gartenlokal suchen vergnügungssüchtige Bürger Geselligkeit bei Ringkämpfen und Varietévorstellungen. Der Varietékünstler wiederum zwingt seinen Sohn gewaltsam zu immer waghalsigeren Vorstellungen, dabei will er doch einfach nur Kind sein dürfen. Und der gealterte Star der Ringmanege verliebt sich in seinen gut gebauten, jungen Kontrahenten, macht sich durch seine erfolglosen Liebesmühen immer lächerlicher und entwickelt sich vom Ringkämpfer zur Mimose. Die Liebe lässt ihn leichtsinnig seine größte Angst vergessen: vor den Augen der Menschen zu versagen.
"Am Rande der Nacht" gilt als Vorreiter des polyperspektivischen Romans und als Musterbeispiel für den Magischen Realismus. Der Roman spielt sich, wie der Titel vermuten lässt, von der Abenddämmerung bis in die Morgenstunden einer einzigen Nacht ab. Natürlich nicht zufällig, beabsichtigt nutzt Lampe aus, dass der Mensch in den späten Stunden sensibler für Sehnsüchte und Einsamkeiten ist. Womit schon die zentralen Motive erwähnt sind. Es kommt durchaus vor, dass sich die eine oder andere der zahlreichen Protagonisten, es handelt sich um drei Dutzend, hier und dort zufällig und ohne wirklich miteinander zu tun zu haben über den Weg laufen. Gekonnt setzt der Autor gerade an diesen Stellen oft seine Überleitungen und Schnitte an. Das scheinen oberflächlich betrachtet auch schon die Eckpunkte zu sein, welche die Protagonisten miteinander verbinden: manchmal der selbe Schauplatz, immer die selbe Stadt, die selbe Nacht und das, was die Nacht aus ihnen macht.
Quelle der Zitate: Lampe, Friedo: Am Rande der Nacht, DTV, München 2003, S. 143/144.
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Septembergewitter
Friedo Lampe (1899-1945) gehört stilistisch und technisch zweifellos in die Reihe der großen Literaten dieses Landes. Wie ein Komponist beherrscht er die Melodie der Sprache und platziert auf den Punkt stimmungsgeladen-poetische Bilder. „Das möchte ich wirklich: volkstümlich und schlicht und doch neu in der Form sein.“ (148) Zur Avantgarde wird er heute gezählt, als Vorreiter und Musterautor des Magischen Realismus benannt, der sich durch „Überscharfe Beschreibung und ein[en] Hang zum Miniaturistischen“ auszeichnet und der „prinzipiell realistischen fiktionalen Welt etwas Unheimlich-Bedrohliches bzw. Wundervolles“ verleiht (Metzler Lexikon Literatur). Lampes Volkstümlichkeit zeichnet sich in der thematischen Einfachheit und in der natürlichen Mundart der Dialoge aus. Sein Werk umfasst eher das Leben des „kleinen Mannes“, die kleinen Freuden und die großen Verzweiflungen. Eine Einfachheit, die jedoch durch den technisch-stilistischen Feinschliff Friedo Lampes höchste literarische Wirksamkeit entfaltet, sprich den Gegensatz zwischen Lebenszweifel und Lebensfreude, Bedrohung und Hoffnung im malerischen Sinne anspruchsvoll kontrastiert und eindringlichste affektive Stimmungen erzeugt.
Wir steigen zunächst mit einem Heißluftballon in die Lüfte, mit dem Abenteurer Pencock und seiner Tochter Mary, die es aufgrund einer Wette nach Dover schaffen müssen. Friedlich erscheint die Welt aus der Vogelperspektive. Das erinnert an ein Kapitel aus Victor Hugos „Der Glöckner von Notre-Dame“, in dem sich der Erzähler vom Domturm aus in die Lüfte schwingt, um dem Leser einen Überblick zu verschaffen. So friedlich die Welt von oben scheint ist sie natürlich auch in „Septembergewitter“ nicht. Der Erzähler zoomt nun wie ein Kameramann heran. Marie Olfers ist kürzlich ermordet worden. Fieberhaft rätselt man ihrem Mörder nach. Die Enkelkinder des Friedhofsgärtners, der Marie Olfers Grab aushebt, haben sich einen hübschen Drachen gebastelt, Lach-Wein Gesicht seines Namens, dem ein Attentat durch Drache-Emil bevorsteht, den die Bande um Dickie Brent an diesem Tag endlich stellen will. Der kleine einsame Martin Hollmann, dessen Mutter mit dem Tod ihres Gatten nicht zurechtkommt, will bei den Jungs Anschluss finden und dazugehören, muss sich aber erst noch beweisen. Der Freund der Marie Olfers, Leutnant Charisius, den Dickie Brent als Held bewundert und verehrt, will nach dem Mord an seiner Verlobten nach Kamerun auswandern. Die Rückkehr in ein lebenswertes Leben plant der starke Held dabei nicht. Und der Organist Metzler, der in der Friedhofskirche immer so traurige Melodien spielt und den Dichter Runge zu lyrischen Höhenflügen animiert, schleppt ein schreckliches Geheimnis mit sich herum, das den Kreis am Ende schließen wird.
Dies sind nur einige Handlungsansätze und Protagonisten, die in der Zahl nicht so sehr wie in Lampes Erstling „Am Rande der Nacht“ ausufern, aber doch für diesen dünnen Roman eine umfangreiche Struktur ergeben und diesmal auch etwas intensiver ineinander greifen. Technisch bleibt sich Lampe treu. Ähnlich lose wie in seinem Erstling geben sich die Figuren in kurzen Kapiteln die Klinke in die Hand. Wir folgen dem Geschehnen horizontal von Schauplatz zu Schauplatz und schwingen uns am Ende wieder vertikal in die Lüfte. Zurück in den Heißluftballon, mit seinen Insassen, die das Gewitter glücklicherweise heil durchfliegen konnten – sie leben. Und doch melancholisiert der Abendteurer Pencock: „das andere, - das wäre vielleicht auch ganz schön gewesen […] so im Gewittersturm zu vergehen, zu verlöschen, hinzusinken ins Meer, ins All“ (124), was wie viele der auftauchenden Motive des Romans, Beispiel Lach-Wein Gesicht, Friedhof/Hafen, Gewittersturm/Abendröte, Soldaten/Kinder, charakteristisch für Lampes kafkaesker Zerrissenheit ist.
In „Am Rande der Nacht“ (1933) grenzen Abenddämmerung und Morgengrauen den Blick in das Leben der Protagonisten ein. Auch in „Septembergewitter“ (1937) gibt der Lauf der Natur den zeitlichen Rahmen vor. Der Roman ist bestimmt vom Rhythmus eines aufziehenden, ausbrechenden und abklingenden Spätsommergewitters. Das ausbrechende Gewitter markiert zugleich den Höhepunkt, an dem sich alles rasant zu beschleunigen scheint, in höchste Unruhe gerät und vor allem in einem allumfassenden Überblick des Erzählers mündet. Alle Figuren und Schauplätze erfahren hier eine Vereinigung in einem Kapitel und in einem Ereignis, das sie alle angeht und niemanden kalt lässt. „Laß es krachen, laß es donnern, recht so, scharf muß der Blitz den Wolkensack zerschneiden“ (71), spitz der Erzähler wie ein wütender Gott das entladende Ereignis zu, welches zuvor eine bangend knisternde Atmosphäre unter den Handelnden erzeugte. Mit Abklingen des Gewitters lösen sich die Rätsel, Konflikte und Spannungen. Bei Abendröte finden die Protagonisten, die durch die Schauplätze wirbelten und sich vermischten und die Handlungsstränge pluralisierten und vereinten wieder in ihr ursprüngliches Gefüge zurück, oder dort, wo das nicht mehr möglich ist, zumindest zu einer inneren Klarheit.
Seit Jahrzehnten versucht man den gebürtigen Bremer Friedo Lampe, Germanist und Philologe, Bibliothekar in Stettin und Hamburg, später Lektor beim Rowohlt Verlag in Berlin, aus der Versenkung ans Licht der deutschsprachigen Literatur zu heben. Wie schwer das bei einem durch Kriegswirren vergessenen Autor ist, der aufgrund seines kurzen Lebens - ein russischer Soldat erschoss ihn kurz vor Kriegsende in seiner Wahlheimat bei Berlin, weil er sich nicht glaubhaft identifizieren konnte - nur ein kleines Oeuvre vorlegen konnte, zeigt sich dabei immer wieder. Es will nicht recht gelingen. Er behält den Status des ewigen Geheintipps, auch wenn er Fürsprecher wie Wolfgang Koeppen und Hermann Hesse fand und die Forschung sein Werk inzwischen aufgegriffen hat. Man kann nur hoffen, dass die Mühen nicht irgendwann im Sande verlaufen und das Licht des Lampe nicht völlig verlischt.
(Zitate: Lampe, Friedo: Septembergewitter, Wallenstein, Göttingen 2001.)
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RE: Friedo Lampe
in Die schöne Welt der Bücher 10.06.2012 17:39von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
"Am Rande der Nacht" hat mir in seiner Einfachheit, in den verschiedenen Menschenbegegnungen, in seiner Traurigkeit sehr gut gefallen. Einerseits ist da das bald ablegende Schiff "Adelaide", andererseits die Show im Hotelgarten des Astorias als eine wunderbare Verknüpfung der zu erzählenden Begebenheiten, die wirklich wie kurze Momentaufnahmen aufblitzen und sich wieder verflüchtigen. Das Werk ist dicht und dennoch sehr einfach. Alle Situationen scheinen ganz natürlich und belanglos, verdichten sich aber zu literarischen Kostbarkeiten, so die Szene mit den Ringern oder dem Hypnotiseur und seinem kleinen Sohn, so der Flötenspieler am Fenster oder der Tod des Herrn Mahlers. Oder Bauer, der sich vom Kapitän erniedrigen lässt, weil er glaubt, es irgendwie zu verdienen, samt der Begegnung mit seinen ehemaligen Kommilitonen... Auch wenn man Lampe schnell lesen kann, so bleiben diese Bilder dennoch länger erhalten, schwirren noch im Kopf herum, wenn das Buch längst zugeschlagen ist.
In meiner Ausgabe - Friedo Lampe "Das Gesamtwerk" fand ich hinten einen interessanten Zeitungsartikel (der dem Buch beigelegt war). Dort ist auch eines seiner Werke abgedruckt, das in keinem Buch erschien. Es heißt "Neros Tod".
Über Lampe steht dort:
"Als er starb, war es ein schrecklicher Irrtum. Der vom Krieg ausgemergelte Mann, der auf dem Paßfoto noch so pausbäckig in die Welt gesehen hatte, war am 2. Mai 1945, dem Tag der Kapitulation Berlins, einer Gruppe von sowjetischen Soldaten über den Weg gelaufen. Der Schriftsteller Friedo Lampe, der allen Anlass hatte, die Besatzer als Befreier zu begrüßen, erregte Argwohn, weil er seinem Foto nicht mehr ähnlich sah, und wurde als vermeintlicher SS-Mann erschossen."
(Tilman Spreckelsen - Feuilleton/16. August 2002)
Art & Vibration
Eine gewollte Einfachheit: "Das möchte ich wirklich: volkstümlich und schlicht und doch neu in der Form sein." Man kann und darf (wie Lampe selbst betonte), doch sollte man bei aller Einfachheit die poetische Tiefe nicht verkennen, die eine weitere Rezeptionsebene bildet. Dieser Zwiespalt Lampes und der Wille zur Vereinigung beider Formen des Schreibens wird in dem epischen, aber doch persönlichen Künstler-Manifest Lampes: "Krise. Briefe zweier Dichter" thematisiert.
"Neros Tod" findet man inzwischen in der Wallenstein Ausgabe "Von Tür zu Tür. Phantasien und Capriccios", welche die auseinandergehenden Vorstellungen von Verleger Claassen und Autor Lampe vereinigt. Die Titelvorstellungen beider wurden vereint und die von Claassen aus der Sammlung herausgenommenen Werke wurden beigefügt, wobei die ursprüngliche Folge der Ausgabe "Von Tür zu Tür" (1945) beibehalten wurde. Ausnahme bildet der Kurzroman "Septembergewitter", dem seine Eigenständigkeit wiedergegeben wurde. Zudem finden sich Werke aus dem Nachlass wie "Neros Tod" und "Krise. Briefe zweier Dichter". Die Wallenstein Ausgaben sind wirklich sehr schön.
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[i]Poka![/i]
RE: Friedo Lampe
in Die schöne Welt der Bücher 11.06.2012 12:13von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Ach... dann hast du "Neros Tod" ja zur Verfügung, sonst hätte ich das Werk heute noch abgetippt.
Der Artikel ist ja auch schon etwas älter. 2002.
Art & Vibration