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Hirngespinste

Austausch zwischen Literatur und Kunst

#1

Denis Johnson

in Die schöne Welt der Bücher 20.02.2012 15:26
von Martinus • 3.195 Beiträge

Denis Johnson: Schon tot

Mein Eindruck nach fast hundertfünfzig Seiten (insgesamt über 600)

Der Roman spielt mit dem Genre der Gothic-Novel. Unheimlich. Brilliant. Eine einsame nebelverhangene Gegend in Nordkalifornien ist Schauplatz von Außenseitern: Psychotikern, Drogen - und Alhoholabhängigen und New Age-lern, die scheinbar tot abseits vom amerikanischem Mainstream ihr Dasein fristen. Außerdem ist Mendochino County ist eine der hässlichsten Gegenden Kaliforniens zwischen Meeresklippen und Redwoods. Hier fährt Van Ness mit seinem Auto herum, der seinem Leben ein Ende bereiten will.

Zitat von Johnson
Doch es ist auch ein Land des Dauerregens und übermächtiger Dürren, ein Land des Nebels, dicht und zäh, besonders im Juli und August. Einundzwanzig Tage lang hüllte er in diesem Sommer den nördlichen Teil der Küste ein, ununterbrochen, als läge da... als läge da am eiskalten Ozean der zusammmgeballte Stoff des amerikanischen Traums.



Van Ness besucht einen Freund, den er als Matrose auf einem Schiff kennengelernt hatte, sie damals über Philosophie diskutierten, Nietzsche, Wittgenstein. Inzwischen Frank, der Freund, offenbar ziemlich abgedreht, seine Wohnung mit schwerem Werkzeug zertrümmert hatte, als Ness bei ihm auftaucht. Er war erst aus dem Drogenentzug oder einer Psychiatrie entlassen worden. Frank scheint immer noch von Dämönen und Halluzinationen befallen zu sein.

Zitat von Johnson
Seine Dämonen flüsterten hinter den Wänden, unter den Dielen.



Nelson Fairchild taucht als Ich-Erzähler auf. An dem Abhang einer Schlucht, wo sich kein Hubschrauber hintraut, deshalb von Behörden unentdeckt, pflanzt Nelson Marihuanastauden an. Aus dem klebrigen Harz der weiblichen Blüten gewinnt er den Rauschstoff Tetrahydrocannabinol. Aus Panik ließ Fairchild in Italien einen Drogengeschäft platzten und ließ ein Päckchen Kokain in einem Flugzeugklo verschwinden, seitdem er von zwei Drogendealern verfolgt wird, denen er Geld schuldet, aus diesem Grunde Fairchild seine Frau Winona umbringen lassen will, um ihre Lebensversicherung einzukassieren. Da kommt ihm Van Ness gerade recht, der gerade dabei ist, sich in einem See zu ertrinken. Da Van Ness an sich irgendwie schon tot ist, da er sich sowieso umbringen wollte, beauftragt Nekson ihn, seine Frau umzubringen.

Die amerikanische Ausgabe des Buches trägt den Untertitel "A California Gothic“. Ich halte es für ein Versäumnis, dass in der deutschen Ausgabe der Untertitel unterschlagen wurde. Denn Denis Johnson legt seinen Roman bewusst an die Gothic Novel an. Betrachten wir nur mal folgendes Textbeispiel:

Zitat von Johnson

Die Nächte sind kalt, doch wir fahren im offenen Wagen des Sauerstoffs wegen. Die Zypressen auf den Kliffs hoch über dem Meer, vom Wind der Jahrhunderte zu bleibenden Schatten, Schlieren, Schmierern niedergebogen, sind wie aus einem Comicstrip, während wir im Zwielicht wild betrunken an ihnen vorüberschießen.



Man beobachte bei sich selbst, was hier für Assoziationen geweckt werden. Ich finde solche Umschreibungen fantastisch und derer gibt es hier viele. Und wenn wir dann noch denken, dass van Ness wie ein schon Toter, ein Zombie, Fairschilds Frau umbringen soll, sind wir nicht weit vom Horror entfernt.

In den Anmerkungen des Autors sagt Denis Johnson bescheiden, dieses Werk stamme nicht von ihm. Er fragte beim Lyriker Bill Knott an, ob er sein Gedicht „Pòeme Noir“ literarisch verwerten dürfe. Der Lyriker genehmigte das. Inhaltlich ist der Roman an Bill Knotts Gdicht angelehnt, welches am Ende des Buches auf amerikanisch mit deutscher Übersetzung erfreulicherweise abgedruckt ist.

Sehr schön und angehaucht von Unheimlichkeit ist der Nachteinsatz des Officer Navarro, der des Nachts von einer Lesbe angerufen wird, sie hätte hinter ihrem Hause etwas Ungewöhnliches gehört,und habe Angst, es sei ihr Ex-Mann und „Sechziger-Veteran“ und Drogendealer, der bewaffnet ist und sie umbringen will, was er in der Vergangenheit schon angedroht habe. Es handelt sich übrigens um Frankheimer, der im Roman auch Frankenstein genannt wird. Dieses Abenteuer endet sehr amüsant, es waren nur Jungens, die voyeuristisch durchs Fenster geschaut haben. Die Dame des Hauses war übrigens mit der New – Age – Hexe Yvonne zusammen, als der Officer das Haus betrat, die Damen engumschlungen waren, um „etwas von dieser seltenen Energie“ aufzunehmen. Der Officer ironisch: „Ist die Gegend hier energiegeladen?“ Darauf hin Yvonne: „ Es wird Gewitter geben.“ (obwohl in dieser Gegend sieben Monate kein Tropfen Regen gefallen war). Ein Beispiel für Johnsons ironischem Umgang mit Esoterik.

Zitat von Johnson
Ich versuchte mich zu beruhigen, indem ich aufs Wasser guckte und über jenen Gedanken der Buddhisten nachsann, daß ein Fluss überall zugleich ist, in jedem seiner Teile, auch wenn er sich ständig zu bewegen scheint und wir glauben, seine Reise habe einen Anfang und ein Ende. Viele Träume, gerade die machtvollsten, beginnen so: auf einer leeren Straße, neben einem Fluß. Dann träumen wir sehr tief.



Hier leben also die Außenseiter Amerikas. Sogar ein tibetanisches Kloster in den Bergen. Eine kuriose Welt für sich und in diesem Sommer 1990 und alles ist in Nebelschwaden getaucht.

Doch der Roman ist noch mehr. Bezüge zur amerikanischen Zeitgeschichte sind ganz offensichtlich.

Der erste Irakkrieg begann am 02. August 1990. Die Romankapitel sind nach Daten bezeichnet. Das erste Kapitel trägt den „7. August 1990“. zu Van Ness sagt Frankheimer an diesem Tage:

Zitat von Johnson

Hab grad Radio gehört. Schon gewußt? Wir schicken zigtausend hirnkranker Marines an den Golf.



Während Fairchild mit seinem Privatkrieg beschäftigt ist, bereitet Bush senior den ersten Irakkrieg vor. Das ist sicher kein Zufall.

weiteres folgt.....
mArtinus




„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
zuletzt bearbeitet 20.02.2012 15:30 | nach oben springen

#2

RE: Denis Johnson

in Die schöne Welt der Bücher 29.02.2012 12:24
von Martinus • 3.195 Beiträge

Wirklich Paranoid sind die Briefe von William Fairchild, Nelsons Vater, dem die Beziehungsidee verfolgt, eine Radarstation könne eine Bedrohung für die Menschen haben. Die Bedrohung von Elektrosmog verfolgt heute vielen Menschen, doch Johnson, und ich finde es schon ziemlich schwierig, so etwas überhaupt zu schreiben, erfindet praktisch Briefe, die im Paranoia geschrieben sind. Ziemlich viele Briefe tischt uns der Autor auf. Diese briefe sschiclt W. Fairshild an Officer Navarro, der diese Briefe nicht ernst nimmt, aber dazu verflichtet ist, sie aufzubewahren, weil sie teilweise als Bedrohung aufgefasst werden können. Officer Navarro ist an sich der einzige, der in dieser Welt von verrückten und seltsamen Gestalten noch einen klaren Kopf behält. Und der Sohn Nelson, macht sich Gedanken, wie er Van Ness dazu gebracht hat, ihn zum Mörder werden zu lassen. Nelson sagt, er hole den Killer aus dem Menschen heraus und verweist auf Dr. Jekylls Elixier. Dieser Verweis auf Stephenson, also auf die Horrorliteratur, ist natürlich bewusst arrangiert. Vielleicht kann man ja sogar Van Ness als Doppelgänger von Nelson betrachten, schließlich Van Ness für Nelson morden soll und dann fällt wieder ein Bezug zu Zeitgeschichte. Nämlich der Irakkrieg:

Zitat von Johnson

..die Welt zerfiel im Inneren wie im Äußeren; (Seite 190)


Iin der einsamen Gegend von Nordkalifornien scheint der Verstand zu zerfallen. Der Irakkrieg bleibt entschieden, aber über den Grund ist man sich nicht im klaren, heißt es sinngemäß bei Johnson.

Es gibt ja so viele schöne Passagen in dem Buch, z.B. wie Nelson nach Hause kommt, und erwartet, dass er irgendwo die Leiche seiner Frau entdeckt. Die durchtriebene Angst, die ihn befällt, knistert aus den Zeilen und dann heißt es lapidar, ein Mann will seine Frau ermorden, kommt nach Hause, anstatt die Leiche zu finden,....klingelt das Telefon. Dann nimmt die Leiche ab, hält dem Mörder den Hörer hin und nennt ihn >>Liebling<<“. Nicht Winona ist tot, sondern William Nelson. Was für ein Spiel spielt Van Ness? Hat er den alten Mann umgebracht? Hier dreht sich einiges ins Gegenteil von dem, wie es Nelson ürsprünglich geplant hatte. Das Wetter schlägt übrigens auch Kapriolen. Erst war Dürre, dann Nebel, Regen, Sturm usw. und Esoterik-Wahn:

Zitat von Johnson

Die schwachen Leben sind lang, weil sie häufig in den leeren Räumen zwischen den Nachwelten fortdauern... (Seite 327)



Über die Radarstation heißt es:

Zitat von Johnson
Die weißen Kuppeln dagegen senden sozusagen Botschaften aus. Sie belästigen die Menschen, stiften Verwirrung. Dies sollte ein Ort der Heilung sein, statt dessen wird jede Menge Energie darauf gerichtet, zerstörerische Interkontinentalrakenten zu suchen, sie rechtzeitig zu orten. (Seite 333/334)

.

Der Leser könnte spekulieren, die Radarstation sei Schuld, weil diese Gegend von seltsamen Außenseitern bewohnt ist.

Liebe Grüße
mArtin




„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
zuletzt bearbeitet 29.02.2012 12:36 | nach oben springen

#3

RE: Denis Johnson

in Die schöne Welt der Bücher 12.03.2012 20:15
von Martinus • 3.195 Beiträge

Denis Johnson: In der Hölle - Blicke in den Abgrund der Welt
Reportagen aus Somalia und Liberia

In der Hölle selbst ist die Hölle Normalität. Der Band enthält zwei Reportagen über Liberia und eine über Somalia. Somalia ist seit Jahren schon in Anarchie versunken, Liberia von Bürgerkriegen und mörderischen Diktatoren durchgeschüttelt. Da erscheint es natürlich, dass Denis Johnson mit einem journalistischen Auftrag aus einem westlichen Industrieland in solch einer Hölle, in der Gewalt Normalität ist, zum Außenseiter wird.

Viele Jahre hatte ich keine Ahnung, dass es einen Staat gibt, der Liberia heißt. Die Bürgerkriege gingen offensichtlich nicht durch die gewohnten Medien. Erst als Charles Taylor 2006 nach Den Haag vor das Kriegsverbrechertribunal geladen wurde, habe ich erstmals von diesem Land gehört. Auch Denis Johnson fragt: „Wo liegt Liberia? Kümmert es da draußen irgendwen?“ Nein, es kümmert kaum einen, und Johnson konnte dies nicht treffender formulieren. Der Horror in manch afrikanischen Staaten, man denke auch an Ruanda, ist im Bewusstsein des Westens kaum angelangt. Es scheint so, dass Afrika für die westlichen Industrieländer ein schwarzer unbekannter Kontinent geblieben ist. Das zeigt auch, wie wir von Medien beeinflusst werden. Wird nicht berichtet, erfahren wir nichts, es sei denn, wir bemühen uns um fachliche Literatur.

Zitat von Denis Johnson
An einer großen Straße mit etlichen Handwaffenfeuer zerfressenen Gebäuden steht das Al Sahafi Hotel, fast ohne Einschusslöcher, alle drei Etagen vollkommen intakt, das letzte Fitzelchen Zivilisation in der Hauptstadt, wie ein Museum, in dem das Leben im zwanzigsten Jahrhundert ausgestellt wird.



Ungefähr so, wie ein „Fitzelchen Zivilisation“ muss sich Denis Johnson wohl in Somalia und Liberia gefühlt haben. Auf seiner zweiten Reise nach Liberia sollte Johnson Charles Taylor interviewen. Seine Ankunft an der Elfenbeinküste war angekündigt, er sollte abgeholt werden, alles war durchorganisiert. Doch Denis Johnson wurde nicht abgeholt. Offenbar wusste niemand, dass jemand im Auftrage des „New Yorker“ im Flugzeug saß. Alles was von westlicher Seite durchorganisiert war, hatte in Liberia Bedeutung verloren. Er war eben in der Hölle gelandet. Ein Treffen mit Charles Taylor wurde immer unwahrscheinlicher. Trotzdem, er hat ihn getroffen, allerdings misslang die Tonbandaufnahme des Interviews, weil das Mikrofon versehentlich schlecht posiert wurde. In diesem Land scheint nach westlichen Maßstäben überhaupt nichts zu funktionieren, stattdessen wird Johnson aufgrund seines eigenen Verhaltens selbst in unheilvolle Konflikte hineingezogen.

In unmittelbarer Nähe ein Bombenangriff:

Zitat von Denis Johnson

Eine Rakete hatte eine verfallene Tankstelle getroffen...Sie war durchs Dach gekommen, als sich ein Mann namens Joseph Koylo und seine Familie gerade darunter zum Gebet versammelt hatten.



Ein bewegender Satz über Taylors Kindergarde:

Zitat von Denis Johnson
..Diese kleinen Jungen sind die Soldaten, auf die Charles Taylor sich intuitiv verlassen kann, weil sie ihn lieben, als wäre er ihr Vater.



Auf der ersten Reise nach Liberia besucht der Autor Prince Johnson, den Gegenspieler Charles Taylors. der auf der Pressekonferenz, auf der Denis Johnson anwesend ist, ein Video vorführt, auf dem der bisherige Diktator Samuel K. Doe zu Tode gefoltert wird (er starb kurz nach der Videoaufzeichnung).

Wie das Töten dort zur Normalität geworden ist, besagt folgende Begebenheit: Prince Johnson empfing nigerianische Journalisten und führte sie durch seinen Sektor Monrovias. Während dieser Rundfahrt schoss er in ein Auto hinein, in dem ein europäisches Ehepaar saß. Der Mann war sofort tot, die Frau wurde verschleppt und ward nie wieder gesehen.

Denis Johnson berichtet von der Hölle auf Erden. In der Einleitung erzählt Georg M. Oswald über den ehemaligen Drogenkonsumenten Denis Johnson, über seinen literarischen Werdegang und bereitet den Leser auf die Reportagen vor. Er findet auch Parallelen zu Joseph Conrads „Herz der Finsternis“.

mArtinus




„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
zuletzt bearbeitet 13.03.2012 05:33 | nach oben springen

#4

RE: Denis Johnson

in Die schöne Welt der Bücher 01.06.2012 23:03
von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge

Dann also auch mein Blick auf Denis Johnsons "Schon tot"


"Bestimmt gibt es Erleuchtete unter uns, in denen wir Gescheiterte sehen."

Tja, was kann ich über den Roman sagen, besonders weil er gerade zugeschlagen ist, also ich noch völlig von dieser Welt umhüllt bin. Kurz: Begeisterung am Anfang, die mit den vielen Seiten nach und nach etwas abnahm, dennoch nicht ganz verschwand. Ambivalente Gefühle. Eine Art Waagschale, die auf keiner Seite sinkt, ausgeglichen ist. Auch bin ich ganz zufrieden, auf den Roman gestoßen (worden) zu sein und ihn gelesen zu haben, da er vollständig aus der Art Lektüre heraussticht, die ich ansonsten lese.

Die Idee, die im Roman vertieft ist, stammt aus dem fabelhaften Gedicht "Poème Noir" von Bill Knott (das auch hinten im Buch angeführt wird – zum Glück) und Johnson hat diese Idee einfach auf 600 Seiten ausgewalzt. Durchaus nicht schlecht, das kann man nicht sagen, aber die Grundidee stammt somit schon einmal nicht von ihm und das Gedicht ist sehr gut und inhaltsreich, es hätte also für sich als die Story völlig ausgereicht, kurz: es war unnötig, daraus noch einen ewigen Roman zu gestalten.
Die Idee selbst nun ist auch nicht besonders gut umgesetzt, denn sie stand ja schon perfekt ins Bild gesetzt, was ich vorab, da das Gedicht ja hinten steht, nicht wusste. So ist der Leser natürlich interessiert, wie sich die Geschichte entwickelt. Hätte ich das Gedicht allerdings gelesen, wäre der Roman sicherlich, wenn auch in seiner Dichte schön beschrieben, kaum überraschend gewesen. Alles, was im Gedicht passiert, geschieht auch exakt so bei Johnson. Er hat nicht einmal versucht, die Idee auszubauen, umzugestalten oder zu verändern, sich dagegen strikt an das Grundmuster gehalten, das ja nun einmal nicht von ihm stammt. Schade eigentlich.

Was Jonsons Roman ausmacht, sind seine Bilder, Vertiefungen, philosophischen Betrachtungen, Beschreibungen. Das Ende hätte dann auch gerne etwas verkürzt oder wenigstens verwirrender gestaltet werden können. Er beschreibt im Grunde nur noch das, was sich der Leser eigentlich schon denken kann und was auch schon feststeht, zeigt nur noch, wie es aus der anderen Sicht der Menschen geschehen ist. Ich hätte mich gefreut, wenn neben den metaphysischen Ebenen – wenn sie sich schon so kitschig esoterisch ausnehmen - wenigstens auch die Menschen nicht immer gewesen wären, was sie sind.
Die esoterischen Phasen, die gegen Ende des Buches immer häufiger und ausführlicher werden, sind dabei durchaus nicht nur ironisch dargestellt und von Johnson gemeint, höchstens in der Reaktion einiger „Nichtgläubiger. Ganz im Gegenteil ist der Roman in vielen seiner Phasen sehr esoterisch angehaucht – auch als ein Vermischen vieler Richtungen, sei es das Christentum und seine Abarten, sei es Buddhismus, Schamanismus, Geisterwelt und ähnliches. Zum Beispiel sind da die Erlebnisse Fairchilds oder die verrückten Gedankenwelten der Gescheiterten, wobei Johnson natürlich auf die Drogenerfahrungen seiner Protagonisten einzugehen versucht, den Rausch und den Wahn in diese eher rauchig verschwommenen Abgründe und Bewusstseinsströme lenkt und damit zu fassen sucht, was allerdings dann wiederum doch eher oberflächlich und bezugslos zu eigentlichen Drogenwelten ist, als rein esoterisch angehauchtes Wissen von Karma, Lebensbewältigung durch die Wiederkehr eigener Verbrechen, Verschwörungstheorien, Wechsel des eigenen Ichs, Dämonbesessenheit und anderem. Auch verweist er am Ende seines Werkes auf ein Buch, in dem Interessierte ihre esoterischen Kenntnisse vermehren, also all die Zitate, Äußerungen und Belehrungen, die er im Buch verwendet hat, noch einmal zum Verständnis nachlesen und vertiefen können. Das ganze Buch samt seiner Entwicklungen ist also durchaus esoterisch ausgerichtet, dass fast alle Figuren des Buches in irgendeiner Art und Weise (später dann auch die Gegner und Nichtgläubigen) an diese Bedingungen glauben, darunter z. B. der Umstand, dass in Menschen, die sterben, neue Geister fahren können und ein anderer Mensch hier den gleichen Körper benutzt.
„Sie ist nicht mehr meine Frau“, sagt Fairchild an mehreren Stellen und meint es ernst. An solche Bedingungen glauben neben ihm auch der Polizist Navarro, sowie einige andere, von den Verrückten wie William Fairchild (der Bruder des Protagonisten) und Frankensteiner einmal abgesehen.

Nachdem ich den Roman gelesen habe, den ich nicht unbedingt tatsächlich „Literatur“ nennen möchte, kann ich dennoch sagen, dass ich Freude am Lesen hatte. Eine eigenartige und verschleiert verrauchte Welt voller Geister, Drogenerfahrung, samt ihrer negativen Auswirkungen (betrachtet man die Verrückten und Gescheiterten in ihren verquasten Ansichten) und Gespenster. Trotzdem hätte der Autor viel… viel mehr noch daraus machen können, wenn auch seine Sprache und Bilder vieles wieder gutmachen.

Was also ist der Inhalt? Eine Welt irgendwo am Rande Kaliforniens – „Doch es ist auch ein Land des Dauerregens und übermächtiger Dürren, ein Land des Nebels, dicht und zäh (…) Einundzwanzig Tage lang hüllte er in diesem Sommer den nördlichen Teil der Küste ein, ununterbrochen, als läge da… als läge da am eiskalten Ozean der zusammengeballte Stoff des amerikanischen Traums.“ - voller Aussteiger, Drogennutznießer, Drogendealer, Verbrecher, Gescheiterte, Auferstandener, Esoterikfreaks, Gläubiger, Nichtgläubiger, Straßentypen und anderer Halunken. Und diese Menschenbetrachtungen sind dem Autor tatsächlich sehr zugute zu halten, denn sie sind wunderbar gelungen. Auch zerteilt sich das, was im Roman durchdacht wird, in verschiedene Menschen, Vorstellungen und Bedingungen. Da sind die Traumdeuter, die Hexen, die Bewusstseinserweiterten, die Halluzinierenden, die Logiker, die Rationalen, die Melancholischen, Teuflischen usw., durch deren Denken und Ansichten dann philosophiert wird:

Zitat von Johnson
„Für die Anhänger der Traumdeutung steht der Wald für das Unbewusste, enthält er all das, was wir im Schlaf erleben. (…) Nacht für Nacht durchstreift ihn der Träumer, ohne zu begreifen, dass er schläft. Die Logik jener Welt und die Logik der Welt des Erwachens sind unendlich verschieden, werden aber als gleich empfunden. Und erkennen wir das Logische nicht genau dadurch? Descartes kann sagen, was er will, seine Grundannahme ruht auf einer Feder, einer Empfindung, die wir haben, wenn wir durch Wälder gehen, die es gar nicht gibt, auch wenn sie in jener Welt genauso fest verankert, genauso wirklich sind wie das Ich-denke-also-bin-ich in dieser.“



Als nun der Drogendealer Fairchild mitbekommt, dass sich vor seinen Augen ein Mann umbringt und in die Fluten stürzt, rettet er ihm das Leben und bietet ihm an, bevor er einen zweiten Versuch unternimmt, dieser „schon Tote“, solle er zuvor seine Frau ermorden, damit er das vom Vater auf sie überschriebene Erbe bekommt. Der Vater, ein kaltherziger und verschrobener Mensch, will damit die Ehe seines Sohnes bestimmen und über seinen Tod hinaus Macht über ihn besitzen, hat aus reiner Gehässigkeit das Erbe seiner Schwiegertochter vermacht, um den Sohn eine Flucht aus der Ehe unmöglich zu machen. Leider aber kühlen beiderseitig die Gefühle ab.
Der Sohn gerät daraufhin ins Schleudern, als seine Frau sich von ihm trennen möchte und erwägt erst darum Alternativen. Hier lässt sich die Schuldfrage sehr schön hinterfragen, auch den Titel des Buches, denn dieser fließt in alle Gestalten mit hinein. Der Vater als unfähig, seinen Söhnen etwas anderes beizubringen, außer die Furcht vor ihm, sein Sohn, Nelson Fairchild, der sich nicht mehr zu helfen weiß, sowieso schon von zwei Handlangern verfolgt wird, weil er einst einen Drogendeal vermasselte und einem Drogenboss viel Geld schuldet, die verwirrten Frauen in diesem Buch, die um das Überleben kämpfen, all diese Menschen sind schon tot, betrachtet man ihr Dasein von einer bestimmten Seite.

Als dann der Selbstmörder Van Ness die Tat (den Mord an Winona, Fairchilds Frau) vollbringen soll und Fairchild überprüft, ob sie tot ist, findet er sie lebendig (wenn auch esoterisch gesehen dennoch tot). Daraufhin stirbt unvermutet sein verhasster Vater und gleich darauf sein Bruder, ermordet mit der Waffe Fairchilds, so dass er schuldig erscheint.

Der Selbstmörder hat damit seinen eigenen Vorschlag gegen ihn gekehrt und heiratet am Ende seine Frau – die, die er umbringen sollte. Das alles ist auch die Grundstory des wunderbaren Gedichts. Johnson fügt lediglich noch einige Zusatzsituationen hinzu, die etwas Gefahr hineinbringen sollen.


Was mir nicht gefallen hat, ist der Umstand, dass Johnson die anfängliche Spannung nicht aufrechterhalten kann, irgendwann ist es nur noch Beschreibung um Beschreibung, obwohl mir Fairchilds tiefsinnige Beichten und Briefe irgendwie doch zugesagt haben. Johnson springt, wie gesagt, nur noch in der Zeit hin und her und zeigt die verschiedenen Perspektiven auf, während das Vorgefallene eigentlich schon ganz klar im Vordergrund steht (der Leser hofft lediglich, dass überraschende Wendungen stattfinden, was nicht geschieht). Und wie der Autor in seiner Zeit hin und her springt, so wechselten auch meine Sympathien für das Buch, sanken und wurden wieder hinaufgehoben. Ein eigenartiges Lesevergnügen.

Warum also gefällt mir das Buch, davon abgesehen, dass ich zuvor noch nie in eine solche Lektüre eingetaucht bin, trotzdem? Einmal waren es die gewissen Perlen zwischen den Seiten, Sätze, die ausdrucksstark waren oder viel beinhalteten. Was mich gleichfalls am Weiterlesen hielt, war allein seine Bildhaftigkeit und die Ausflüge in esoterische und philosophische Welten.

„Neben der Vollkommenheit der unbelebten Welt, neben ihrer harten, leblosen Schönheit ist alles Lebende beschmutzt und krank.“

Sie sind häufig auch stark übertrieben, dass man sie skeptisch betrachtet, wobei genau das wiederum gute Grübeleien und Widerlegungen ermöglicht, der Leser sich seinen eigenen Ansichten stellen kann. Dazu sind die Erlebnisse der Protagonisten und Figuren sehr lebendig, bewegend und manchmal sogar metaphysisch, insbesondere die Figur Yvonne, die als Hexe gilt, und in ihrem Körper die Persönlichkeiten wechselt, während manches, was sie sagt, interessant ist. Oder Fairchilds im Brief festgehaltene „Reise“, die irgendwo in einer scheinbaren Zwischenwelt endet. In den Erlebnissen der Figuren kann man häufig den Staub der Straße schmecken.
Man bleibt auch dabei, weil man irgendwie doch wissen will, was und ob noch etwas geschieht. Das Ende ist befriedigend, kann sogar, wenn man möchte, neue Rätsel aufgeben.

Somit ist der Roman eine interessante Erfahrung für mich gewesen, die als Lesegenuss sicherlich nicht häufig in meine Welt finden wird, aber dennoch als Aspekt nicht unbeachtet bleibt. Ich bin durchaus gerne bereit, ähnliche Werke zwischen die eigentliche "Literatur"lektüre zu schieben. Derartige Werke, so habe ich festgestellt, entspannen und fordern etwas anderes vom Leser. Auch ist die Atmosphäre sehr dicht und authentisch, erweckt jene Highways und amerikanischen Weiten. Das jeden Falls hat Johnson mit diesem eigenartigen Werk bei mir durchaus geschafft.


Liebe Grüße
Taxine




Art & Vibration
zuletzt bearbeitet 01.06.2012 23:23 | nach oben springen


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