HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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Georges Hyvernaud
in Die schöne Welt der Bücher 16.07.2013 22:47von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Georges Hyvernaud
"Haut und Knochen"
„Ein gleichbleibendes Hin und Her zwischen unüberwindlichen Gewissheiten. Und die Gewissheiten waren nicht einmal unsere eigenen.“
Ein weiterer genialer französischer Schriftsteller, der zu den Vergessenen zählt, der zwei Romane schrieb und entmutigt und enttäuscht das Schreiben aufgab, ist bzw. war Georges Hyvernaud (1902 - 1983).
„Wer Armut sehen will, muss durch Martinville spazieren. Richtig echte Armut, schön authentisch, schön fettig, schön vom Alkohol und der Syphilis gezeichnet. Armut für Kenner.“
Zu „unheldisch“ war sein Blick auf den Krieg, schlechte Verlagsvermarktung kam hinzu, sein erster Roman trug den Titel „Haut und Knochen“, der zweite „Der Viehwaggon“. Danach warf er das Handtuch.
„Haut und Knochen“ ist etwa hundert Seiten dick, ein dünnes Buch, jedoch mit großem Inhalt, eine Reflexion von Zerrüttung und Verfall.
„Leuten, denen das Leben entzogen wurde, bleibt nur die Möglichkeit, das Leben vorzutäuschen. Die Gesten des Lebenden zu imitieren.“
Hyvernaud war Kriegsgefangener im Zweiten Weltkrieg und alles, was er aus diesem Erlebnis gewinnen konnte, war die bittere Erkenntnis, dass sich niemand für die Wirklichkeit interessiert, nur die Heldengeschichten taugen oder die, in denen wenigstens gestorben wurde. Als Kriegsgefangener hatte er nur Alltag und dieser war so unspektakulär, dass er alleine den Erzähler zerstörte und all die, die das Los mit ihm teilten, umgeben von gelangweilten Unteroffizieren, die in Zahlen Menschenleben addierten, keine verzerrte Henkervisage vorwiesen und schon gar keinen Spaß an der Sache hatten – „Wahrscheinlich mangelte es ihnen an Phantasie.“.
Die Rückkehr zur Familie ist auch kein großes Heldenepos. Die Theatervorstellung, in der nur das Wesentliche zählt, fällt aus. Stattdessen muss man irgendwie zurechtkommen, sich mit dem, was man inmitten von Krieg und Leiden an Normalität verloren hat, arrangieren.
Zitat von Hyvernaud
„Meine richtigen Erinnerungen werde ich natürlich nicht auspacken. Schließlich sind sie nicht sonderlich erhaben. Sie sind sogar ziemlich abstoßend. Sie stinken nach Pisse und Scheiße. (…) Man bewahrt sie ganz tief in sich auf, hübsch festgezurrt und verschnürt, Bilder nur für einen selbst, wie obszöne Fotos, die man in der Brieftasche hinter Rechnungen und Ausweisen versteckt. Außerdem sind die Leute wählerisch geworden, was das Leid anderer betrifft. Damit sie es, wenn überhaupt, verstehen, muss es bluten und schreien, dass es ihnen den Magen umdreht. Unsereins kann ihnen aber nur ein mittelmäßiges Leid anbieten, unergiebig und fad. Nicht dramatisch, ganz und gar nicht heldenhaft. Ein Leid, auf das man nicht stolz sein kann. Ein paar Tritte in den Arsch, ein paar Hiebe mit dem Gewehrkolben, das ist alles in allem keine große Sache. Die Erfahrung der Demütigung ist keine große Sache.“
Er berichtet davon, wie sich der Mensch aus der Erhabenheit seines vorherigen Leben in das um sich selbst kämpfende „niedere Wesen“ verwandelt. „Jeder war ein wenig Niederlage. Alles was den Menschen zusammenhält, hatte nachgegeben und war zerbrochen.“
Er entdeckt nicht, wie z. B. Dostojewski, die schönen Seiten zwischen dem Elend oder schlechten Handlungsweisen, im Gegenteil verliert er sogar sein Interesse an jenen gutherzigen Menschen, die sich ihre Erinnerungen bewahren. Nichts davon hat mehr Sinn für ihn.
Das Buch ist unterteilt in mehrere Kapitel, die von der Jetzt-Zeit des Berichtens zurück bis in die Vergangenheit der Kriegsgefangenschaft reichen.
Zunächst wird der Leser mit der Rückkehr in die Familie konfrontiert, die Unmöglichkeit und dennoch das Muss, sich dort wieder einzugliedern:
Zitat von Hyvernaud
„Weil einem das Leben vom Ereignis aufgemischt und zerfetzt wurde, glaubt man, dass man ein Recht auf einen Neubeginn hätte, dass man noch einmal bei Null anfangen würde. Durchaus nicht, alles fügt sich wieder, beruhigt sich und ist wie vorher. Man startet nicht durch, man macht einfach weiter. Man fährt mit allem fort. Fängt wieder an. Man schlüpft wieder in seine alte Jacke und sein altes Leben. Das Leben fließt von neuem durch seine alten kleinen Abflussrinnen.“
An anderer Stelle werden die Erlebnisse der Kriegsgefangenschaft berichtet, führen direkt mitten hinein, in diesen Sumpf aus Ängsten und Leere. Alles hat er verloren, der einstige Lehrer für Literatur und Sprache, sogar seine Liebe zur Literatur. Und mit „seelischer Kraft“ muss man ihm schon gar nicht kommen, die gibt es für ihn nur in Büchern.
Zitat von Hyvernaud
„So was existiert nicht. Unmöglich, die beiden Wörter auszusprechen, ohne einen Lachanfall zu kriegen. Hier, auf dem Klo. Zwischen all den Typen mit runtergelassener Hose, die vor Kälte mit den Zähnen klappern. Diesen gallertigen, weichen, angefaulten Typen. Nacktschnecken, Maden. Was die aufrecht hält, ist nicht ganz klar. Wahrscheinlich jenes Beharrungsvermögen, jenes hartnäckige Festhalten der Lebenden am Leben, das die syphilitischen Tuberkulösen und Krebskranken hindert, sich im Fluss zu ertränken. Aber bestimmt nicht seelische Kraft.“
Deutlich wird sichtbar, dass der Mensch in ihm zwar weitermacht, der Glaube an eine vernünftige Welt jedoch endgültig zerstört wurde. Er glaubt alleine an die Klarheit der Absurdität. Kein Wunder bei all dem, was er erleben musste, und wie deutliche Worte Hyvernaud in seiner Ich-Erzählstimme dafür findet, ist für den Leser immer wieder neu überwältigend.
Zitat von Hyvernaud
„Denn nur das finde ich interessant: wie sich die Geschichte im Menschen auswirkt. Aber ausgerechnet die Historiker interessieren sich nicht dafür. Für die Historiker ist die Geschichte wie ein Bekleidungsgeschäft. Alles darin ist sortiert, geordnet und etikettiert. Politische, militärische, ökonomische und juristische Daten; Ursachen und Konsequenzen; Zusammenhänge, Verbindungen und Triebkräfte. All das schön vor dem Geist ausgebreitet, klar, notwendig, vollkommen verständlich. Was ganz und gar nicht klar, sondern rätselhaft und schwierig ist, ist der Mensch in der Geschichte; oder die Geschichte im Menschen, wenn einem das lieber ist; wie die Geschichte vom Menschen Besitz ergreift. Der Mensch macht alles kompliziert. Sobald der Akteur, also der, der dabei war, sich einmischt, gerät alles durcheinander, kommt man einfach nicht mehr zu Rande. Durch seine ganz eigene Art, mit gewissen Details aufzuwarten, stört er die schönen historischen Standpunkte."
Ein beeindruckendes Buch, das ein so häufig berichtetes Geschehen doch noch einmal ganz anders, ganz eigen und neu beleuchtet.
(Zitate sind der Ausgabe Georges Hyvernaud "Haut und Knochen", Bibliothek Suhrkamp entnommen.)
Liebe Grüße
Taxine
Art & Vibration
RE: Georges Hyvernaud
in Die schöne Welt der Bücher 30.07.2013 19:47von Jatman1 • 1.188 Beiträge
„Leuten, denen das Leben entzogen wurde, bleibt nur die Möglichkeit, das Leben vorzutäuschen. Die Gesten des Lebenden zu imitieren.“
GRANDIOS. Das Buch werde ich wohl dieses Jahr noch lesen. Danke für den Hinweis.
Wie stößt man auf sowas?!
www.dostojewski.eu
RE: Georges Hyvernaud
in Die schöne Welt der Bücher 30.07.2013 23:19von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Hi Jatman. Ja, lies es. Das ganze Buch ist grandios.
Wie man drauf stößt? Durch Buch-zu-Buch-Sprünge, dem Entdecken unbekannter Namen und dem damit verbundenen Risiko, auf gute oder schlechte Literatur zu stoßen. Diesmal hatte ich wirklich Glück.
Art & Vibration
RE: Georges Hyvernaud
in Die schöne Welt der Bücher 27.04.2015 14:49von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Mal ein paar flüchtige Gedanken zu diesem zweiten Roman von ...
Georges Hyvernaud
"D e r V i e h w a g g o n"
„Aus den Lebenden werden Vorsitzende. Aus den Toten werden Denkmale. Steckt das Denkmal mit seinen Palmzweigen, den Bündeln und Zierleisten erst einmal fest in der Erde drin, haben die Lebenden keine Fragen mehr an die Toten. Man sucht in dem Gewirr aus Handlungen und Worten, Träumen und Rollen nicht weiter nach ihrer Wahrheit. Genau das ist der Grund dafür, dass es Gefallenendenkmale gibt: Sie stoppen die Fragen.“
Beide Romane Hyvernauds vertiefen den Kriegsheimkehrer, der sich in der neuen „alten Welt“ angekelt umblickt und nicht mehr zurechtfindet, zumindest nicht im für andere Menschen „angemessenem“ Sinne.
„Es ist merkwürdig“, bemerkt Bouladou oft, „Du interessierst dich für nichts, nicht einmal Zeitung liest du.“
Während Hyvernaud in „Haut und Knochen“ noch ordentlich deftig berichtet und bissig sarkastisch die auf ihn zukommenden Ereignisse betrachtet, ein müdes Lächeln zwischen den Zeilen, hinter dem die Traurigkeit unmißveständlich mitschwingt, ist der „Viehwaggon“ schon etwas ironisch feinsinniger geraten, wenn auch übereinstimmend in der Abneigung des Heimkehrenden für die Dekandenz der restlichen Welt. Der Wechsel der Sätze zwischen Bericht des Gewesenen und dem Wunsch des Ich-Erzählers, ein Buch darüber zu schreiben, in dem das Erlebte Ausdruck findet, gelingt Hyvneraud hier hervorragend, auch wenn dem Berichtenden am Ende, während er erzählt, denkt, beschreibt, nur der Entwurf des Titels gelingt, der mit dem eigentlichen Buch übereinstimmt.
Wie also kann ein Mensch, der das Kriegsgeschehen erlebt hat, dazu noch nicht einmal auf dem Schlachtfeld, sondern nur als gezwungener Teilnehmer in den dreckigen Transportzügen und Gefangenenlagern, Verständnis aufbringen, für Menschen, die sich ihm alleine durch ihre Sammlungen an teurem Geschirr und Kitsch überlegen fühlen? So sehr man die eine Welt an Krieg, Gewalt und Blut vielleicht nicht kennt, wenn auch nachvollziehen kann, so sehr versteht man doch diese Verwunderung darüber.
Hyvernaud sagte in "Haut und Knochen":
Zitat von Hyvernaud
„Für die Schwacköpfe gibts Cafés. Und Kirchen gibts für Gläubige. Aber Gläubige sieht man ja kaum noch ... Und wen das Skatspiel oder die Messe nicht reizt, für den gibts Parteien.“
Diese geheuchelte Suche nach Gemeinschaft ist auch in diesem Roman die stets erhobene Augenbraue über den Außenseiter, die ihm überall begegnet, nur weil er das Spiel nicht mitspielt, noch nicht einmal aus Böswilligkeit oder Überzeugung, sondern ganz schlicht darum, weil es für ihn keinen Sinn macht.
Dennoch kann man bei Hyvernauds Ansichten und Eindrücken nicht von reiner Misanthropie sprechen. Es ist vielmehr ein Aufklären und Kämpfen gegen die allgemeine Heuchelei, die nur allzu schnell wieder in ihre Routine zurückkehrt, sich in ihre Zeitungsmeldungen und Bildungsküchen flüchtet, ohne der Realität ins Auge blicken zu wollen. Wie unwillkommen sind darin Menschen, die nicht das feine Lächeln eines Gastgebers auf den Lippen tragen, die irgendwie weitermachen, dem ehrgeizigen Streben nichts mehr abgewinnen können, die sich nicht einmal für Literatur interessieren, die voll von Ruhmestaten und Tragödien ist, die dagegen Geschichten kennen, in denen kein Glanz vorkommt, weil das Leid, die Armut, der Hunger nun einmal nackt und hässlich sind. Darin gibt es keinen Platz für Größe.
Zitat von Hyvernaud
„Von all den Büchern, die man gelesen hat, von all den Wörtern, wieviel können einem beim Weiterleben helfen, wenn das Leben für den Menschen unerträglich wird?“
Die Abneigung gegen den Trug steckt in vielen Sätzen dieses Schriftstellers. Dagegen schrieb er an und musste einsehen, dass ihn keiner hören wollte. Beide Romane wurden abgelehnt. Der erste blieb unbeachtet, der zweite wurde stark kritisiert. Sein knapper Stil, die ungeschminkte Wahrheit, das lakonische Verweisen auf die Nachkriegszeitbedingungen, die Kritik an der Flucht ins Schöngeistige wollte in Frankreich keiner hören.
Zitat von Hyvernaud
„... und dann die ganzen jungen Leute, die fortwährend von ihrer Generation reden. Wenn die auf zweihundertzwanzig Seiten erzählen, wie sie dem Hausmädchen ihrer Mutter ein Kind gemacht haben, wird daraus gleich das Drama einer ganzen Generation ...“
Unter diesen Umständen blieb ihm dann wohl nur das Schweigen samt dem Verweis auf Baudelaire:
"Warum sollte ich Erfolg haben, da ich nicht einmal Lust habe, es zu versuchen?"
Immer wieder spricht bei Hyvernaud die Verwunderung aus den Zeilen, dass der Mensch, was immer er erlebt, und seien es die schlimmsten Gräuel und Schrecken, ins gleiche Durchschnittsleben zurückfindet. Ein "neuer Mensch" entsteht nicht, weder durch Erfahrung, Leid noch durch Krieg und Tod, so sehr er auch die Idylle des Helden kreieren möchte, sich mit schönen Worten, Gedenken und Denkmälern einlullen lässt, um der Unsinnigkeit der Kriege wenigstens etwas Sinn abzugewinnen. Krieg für Frieden. Gefallene, die sich für ein höheres Ziel geopfert haben ... Die ganze Scheinheiligkeit der Ausreden, schon wunderbar bei Remarques Roman "Im Westen nichts Neues" zu finden. Hyvernaud hat für dieses Verhalten ein anderes Wort. Es lautet „Heuchelei“.
Zitat von Hyvernaud
„Ich müsste andächtig und ergriffen lauschen. Aber bei Heldengesängen werde ich nun mal nicht schwach. Und auch nicht bei klassischen Tragödien, Heimat- und Schlachtenbildern oder Marschmusik, bei allem, was einen aufrichtet, erfüllt, auf Linie bringt, was einem Lust macht, mit einem letzten großen Spruch auf den Lippen zu sterben.“
Denn für den Schriftsteller ist der Krieg und der Mensch im Krieg niemals mit Heldentum gleichzusetzen, und er verurteilt die Verklärung, in die sich der Mensch zu retten versucht, selbst wenn er unbetroffen ist:
„Wenn man keinen eigenen Kireg hat, muss man sich wohl den der anderen anhören ...“
Statt die Umstände zu hinterfragen und zu kritisieren, wird die Opferrolle vergoldet und durch die Jahrhunderte neu durchgekaut.
Letztendlich aber reagiert der Mensch im Krieg nur auf Befehle und hofft, irgendwie aus allem herauszukommen, zumal er sich die Lage meistens nicht selbst ausgewählt hat. Ein Tritt genügt, und man ist wieder bereit, weiterzulaufen. So schlicht ist das Ganze, das kann auch kein Orden im Nachhinein retten.
Der Tod im Krieg hat tausend Gesichter und am Ende tauschen Soldaten höchstens noch „ihre schäbige Materie gegen eine repräsentable Abstraktion ein“, und alle finden sich damit ab, sind gar damit zufrieden. Die Toten fragt ja keiner.
Zitat von Hyvernaud
„An die Stelle von aufgedunsenem, eitrigem Fleisch, herausgestochenen Augen, zerfetzten Bäuchen trat die algebraische Anmut der in Stein gemeißelten Buchstaben. Namen waren etwas Klares, Sauberes. Und noch dazu sogar hübsch anzuschauen. Und harmlos wie eine Seite im Lexikon oder Telefonbuch. Leichen sind immer voller Vorwürfe und Verachtung.“
Bei den meisten Menschen sickern Ereignisse einfach ein und modern dann weiter vor sich hin. So sieht es zumindest Hyvernaud. Auf solche immer gleichen Gestalten trifft auch der Erzähler. Gebildende Durchschnittsmenschen, die ihm vorwerfen, dass er sich in ihren Zeitungen, in ihren kleinen Lebensweisheiten, heuchlerischen Pseudointellektuellengesprächen und in ihrer Gerüchteküche nicht auskennt, gar wagt, sich dafür nicht zu interessieren. Dazu denkt sich der Erzähler:
Zitat von Hyvernaud
„Nicht mal Zeitung. Was in den Zeitungen steht, diese ganzen unentbehrlichen Kenntnisse, was ständig wiederholt und kommentiert wird, die Autounfälle, die Parteitage der Linken, Flouches Reden, was den Menschen erlaubt, sich zu versammeln, Übereinkünfte zu treffen, sich gegenseitig anzuschnauzen, die Regierungskrisen, die Filmschauspielerinnen, die Bohnen – und Literaturpreise, der Achthundertmeterrekord, dieses für die menschlichen Beziehungen und Leidenschaften ach so lebensnotwendige Wissen, Prozesse, Streiks und Handelsverträge, der feierliche Gang der Ereignisse, Truman, Stalin, das alles ist mir scheißegal.“
Sie kommen dennoch zu ihm, die eigentlichen Ignoranten, um sich besser zu fühlen, betreten sein schäbiges Zimmer, um ihn nach dem Repertoire an Meinungen deutlich zu verstehen zu geben, dass man so nicht leben sollte. Sie fühlen sich besser in ihrer Verachtung für ihn.
Und noch wichtiger ist das Eigenlob, während sie den Dreck des Krieges nur am Rande erlebt haben. Das Verstecken eines Gefangenen wird immer wieder als Heldentat herangeholt, um bis in die kleinste Einzelheit ausgiebig erzählt zu werden. Daneben wirkt die „wahre Story“ des Kriegsteilnehmers belanglos und unangebracht.
Schon in „Haut und Knochen“ gab es diesen Verweis, dass ein demütigender Tritt in den Hintern und das Landen im Dreck nun einmal keine Heldengeschichte ist. In „Der Viehwaggon“ sind es die Unbeteiligten, die erzählen wollen und die den Soldaten schweigsam werden lassen.
Diese Mittelmäßigkeit, die sich hinter einer angenehmen und scheinbar gebildeten, häuslichen Atmosphäre verbirgt, ekelt den Erzähler am meisten. Sie umgibt ihn wie eine Schicht, aus der er sich nicht befreien kann. Weder durch Höflichkeit noch Unhöflichkeit. Vielleicht muss er sie hinnehmen, wie der Mensch letztendlich alles hinnimmt.
„Man hält wegen nichts durch, bloß so, weil man Mensch ist“
... schrieb er als Kriegsgefangener an seine Tochter.
usw. usf.
(Alle Zitate aus Georges Hyvernaud "Der Viehwaggon", Bibliothek Suhrkamp)
Liebe Grüße
Taxine
Art & Vibration