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Hirngespinste

Austausch zwischen Literatur und Kunst

#1

Philippe Sollers

in Die schöne Welt der Bücher 16.09.2017 22:07
von Taxine • Admin | 6.678 Beiträge

Philippe Sollers
„Portrait eines Spielers“


„Wenn der Wein reif ist, muss man ihn trinken … Wenn der Körper einmal auf der Welt ist, muss er die Reise bis ans Ende machen …“

Die Zeit ist ein spielendes Kind, sagte Heraklit. Sie ist ein Kind, das Kind spielt, meint der Ich-Erzähler. Was bleibt dem Menschen auch anderes übrig, als sein Leben zu leben und sich zu erinnern, denn was ist besser als das Leben selbst? Natürlich die Kunst des Lebens. Das zu erkennen, ist nicht nur Aufgabe des kreativen Menschen, des Künstlers oder Schriftstellers. Begegnungen öffnen neue Perspektiven, besonders die mit sich selbst.

Zitat
„Es ist, als würde sich mein Gehirn umwälzen, tiefe, unerforschte Schichten zutage bringen … Andere Wege eröffnen sich, seit langem verriegelte Pforten springen auf, ich trete in meine wahre Dauer wie ein Unbekannter ein, schüchtern, überrascht.“



So erfährt es Philippe Sollers in seinen fiktiven (und gleichzeitig wahren) Memoiren als Philippe Diamant und so schafft er es auch, all das dem Leser spielerisch zu vermitteln. Er ist Schriftsteller, hat einige experimentelle und obszönere Werke verfasst und wird von Kritikern und Bekannten gleichermaßen in die entsprechende Schublade gesteckt. Er hat mehrere Geliebte, aber nie zwei Frauen zugleich, schließlich wäre das Bigamie, ist auch verheiratet und hat ein Kind. Was aber wichtiger ist, bleibt die Konfrontation mit sich selbst und den menschlichen Bedürfnissen (darunter auch das Denken, Vögeln oder Weintrinken).

So macht sich der Erzähler auf, um die Welt seiner Kindheit ein zweites Mal zu betreten. Leider ist das einstige Haus seiner Familie mittlerweile ein Einkaufszentrum, was ihm viel Fantasie abverlangt, um die Räume wiederauferstehen zu lassen. Seine Schwestern sind ihm fremd geworden, der Vater ist längst tot und die Mutter lebt in einem Pflegeheim. Auch Schwarzweißfotografien werden zu Rate gezogen, verweisen aber lediglich auf das Vergängliche, das längst Weggewischte, während das Gedächtnis jene flüchtig festgehaltenen Szenen viel besser koloriert.

Dieses Werk ist beachtlich, tiefsinnig und unterhaltsam zugleich, wenn man sich darauf einlässt. Eine Innenschau, die niemals langweilt, die offenbart und gleichzeitig mit einem Augenzwinkern die Welt und Menschen aufs Korn nimmt.
Der Sarkasmus ist nicht bösartig, sondern erfrischend. Sollers serviert seinen „Spieler“ als wahren Spieler des Lebens, dass trotz der vielen Verzweigungen an Eindrücken ein roter Faden vorhanden ist. Gedanken reihen sich aneinander, über Leben, Liebe, Lust und Frust, über das Schreiben und Sein, den Glauben und die Kirche, über Frauen und Männer und all die, die nicht wissen, wer sie sind. Seine Erinnerungen wechseln mit Erlebnissen. Daneben kommen auch Dialoge oder die Briefe einer Frau vor, die den gemeinsamen Sex lustvoll vorher plant. Es gibt Interviews mit Kritikern, Gespräche mit Verlegern, ehemaligen Lehrern, Angestellten … Die Wesensschau reicht tief und lässt sich auch ganz flüchtig an die Oberfläche spülen, denn es ist wichtig, all das festzuhalten.

Zitat
„Wieviele Sätze werden im Geiste in die Nacht geschrien, geflüstert, hier und heute, von so vielen Stimmen und in allen Sprachen. Sätze der Wut, der Scham, Gebete. Niemals aufgezeichnet, niemals veröffentlicht. Windstöße, Untertitel zu dem großen Film … Gott, nimm sie an dich.“




(Alle Zitate stammen aus der Ausgabe Philippe Sollers "Portrait eines Spielers", Verlag Das Wunderhorn)




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