HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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Sadek Hedayat
„Die blinde Eule“
„Kalt und gleichgültig nimmt das Leben nach und nach jedem die Maske ab, die er trägt. Denn alles geschieht, als habe jedes Individuum mehrere Masken. Manche verwenden immer die gleiche: notwendigerweise wird sie schmutzig und vergilbt.“
Das Buch ist wie ein Schweben durch die tiefen, düsteren Abgründe und surrealen Tagträume des Opiumrauchers, der versucht, sein Leiden in Worte zu fassen, das tief in ihm wuchert und für das es keine Heilung gibt, während er keinen Zugang zum Leben oder zu anderen Menschen (jenen von ihm zu bezeichneten Kanaillen) findet und er das eigene Sein als Grab empfindet, in dem Zeit keine Rolle mehr spielt. Lediglich der Rausch verhilft zu einer begrenzten und ersehnten inneren Ruhe, gibt ihm Trost, wenn sich das Leben hinter die Grenzen der Welt zurückzieht, während sich die Erinnerungen und Ereignisse, die Schreckbilder und Gespenster, die wiederkehrenden Szenen und Menschen miteinander vermengen, fast zu einem Bild verschmelzen und durch ein entsetzliches Gelächter begleitet werden, das am Ende das eigene Echo ist.
Der Schimmer einer Gegenwart durchzittert die Vorstellung des Erzählten, während gleichzeitig Vergangenes, Imaginäres, Geträumtes und Reales wie eine giftige Gischt aufgewühlt wird und zum staubigen Sand vor den eigenen Füßen gerät. Zuhörer sind nicht notwendig, sind lediglich die Schatten an der Wand, genauer der eigene Schatten, der durch die Öllampe gegen die Wand geworfen wird und dem sich der Ich-Erzähler zu offenbaren meint.
Ein gemaltes Bild auf einem Schreibetui ist die Metapher für alles, was geschehen ist und was in seinen Ängsten wiederkehrt. Eine Zypresse, ein alter Mann, eine junge Frau und ein Fluss, der die Trennung suggeriert. Bild, Traum, Furcht und Wirklichkeit sind eins. Die Halluzinationen ergeben am Ende einen Sinn.
Er berichtet von Träumen und von realen Dingen, darunter von der Heirat mit einer Frau, die ihn nicht liebt und betrügt, selbst aber nicht an sich heran lässt. Verführt hat sie ihn am Sarg ihrer Mutter, so dass er gezwungen war, sie zu ehelichen. Ihre Weigerung und Herablassung ihm gegenüber entfacht eine grausame Leidenschaft in ihm, die gleichzeitig den Wunsch nach Unterwerfung und Qual weckt. Er nennt sie „die Dirne“, während er an der Liebe zu ihr zugrunde geht. Es ist die Zurückweisung, die ihn tief trifft und die ihn nach und nach gleichzeitig herausfordert, um noch mehr Leid auf sich zu nehmen.
All das ist mit dem iranischen Kolorit geschmückt, erinnert an alte Traditionen, persische Weisheiten, Mystik, kurz, es ist eine wahre Perle der Literatur, die tiefgründig nachwirkt und auch westliche Einflüsse verarbeitet. Kein Wunder, dass der innere Monolog stark an Rilke, Baudelaire, Artaud oder Nerval erinnert. Hedayat selbst war von Nerval fasziniert und bewunderte entsprechend auch seinen Selbstmord.
Viele iranische Traditionen werden angeführt, fast meint man als Leser, den Ruf des Muezzins zu vernehmen, der bei Hedayat nicht umsonst zur ungewohnten Stunde erfolgt, als Hinweis darauf, dass etwas Schreckliches geschehen ist. Spürbar ist der Verweis auf das echte Leben des Schriftstellers, der sich weit weg vom Iran als unglücklicher Exilant in einer Pariser Wohnung das Leben nahm, zerstört und desillusioniert. Sein erster Erzählband trug den Titel „Lebendig begraben“.
Er selbst starb durch den aufgedrehten Gashahn, nachdem er die meisten Unterlagen und Notizen vernichtet hat, die noch da waren. Fast scheint es, dass der Iraner seinen Tod vorausgesehen hat. Er selbst spricht von Schicksal.
Auch in „Die blinde Eule“ befasst er sich lange mit dem Tod, dem Sterben, dem Danach, beschwört dabei Gedanken und Bilder herauf, die etwas von seiner Frucht offenbaren. Das Buch ist eine Metapher des Todes, wühlt die Erde mit kalten Fingern auf.
Zitat
„Es gibt Greise, die ihre Seele mit einem Lächeln auf den Lippen zurückgeben, als drehten sie sich schlafend von einer Seite auf die andere, oder die wie Öllampen verlöschen.“
Aber was, so weiter, ist dann die Empfindung eines noch jungen Menschen, der stirbt und der vielleicht um sein Leben gekämpft hat? Der Ich-Erzähler hält an der Vorstellung fest, dass es ein Danach gibt, hofft jedoch auf das Nichts, das ihn befreien könnte, während ihm anderes Furcht einjagt. Gleichzeitig mit der Todesangst existiert jedoch auch der Todeswunsch, verschwinden zu können. Er hat nur die Angst, dass sich seine Atome mit denen anderer vermischen. Und dieser Gedanke ist ihm unerträglich.
Der Leser kann nun hinterfragen, was einen Menschen in dieser Verfassung leitet, weshalb er z. B. in die Opiumsucht flüchtet. Es ist die Angst vor dem Leben, vor dem Tod, vor allem, aber besonders vor dem Leben oder der Unfähigkeit, das Leben zu meistern. Die Scheinwelt des Rausches gewährt zwar kurzzeitig Trost. Gleichzeitig bleibt das Bewusstsein bestehen, dass es sich nur um eine Illusion handelt, die sich genauso verwandelt wie die Figuren, echten Personen, Gespenster, Halluzinationen und Erinnerungen, mit denen der Ich-Erzähler konfrontiert wird.
„Niemand“, so Hedayat an anderer Stelle, „trifft plötzlich die Entscheidung, sich umzubringen; der Selbstmord sitzt tief in manchen Menschen, gehört zu ihrem Naturell.“
Das hat er hinlänglich bewiesen ... als Entscheidung zum Tod, um sein Wesen nicht verändern zu müssen, und dabei ein kleines Meisterwerk hinterlassen.
(Alle Zitate aus Sadek Hedayat "Die blinde Eule", Edition Pajam, Goethe & Hafis Verlag, Bonn)
Eine Illustration von mir dazu: (Der Schmerz hat viele Gesichter. Und manchmal wird ein Leben zu einem Grab.)
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