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Dragan Velikić
in Die schöne Welt der Bücher 30.11.2019 22:12von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Dragan Velikić
"Bonavia"
"Darauf allein kommt es an. Dass in dir kein anderer wohnt“.
Der Beginn des Romans ist etwas gewöhnungsbedürftig, auch die Art zu schreiben, dieses Springen zwischen Bericht und philosophischer Betrachtung wirkt bemüht. Der Roman spielt in Wien und Belgrad, handelt von Protagonisten, die aus dem ehemaligen Jugoslawien sind und hinterfragen, ob das Bleiben überhaupt Sinn macht. Trotzdem hält die Geschichte ihre Spannung und so den Leser bei Laune. Man hat nach dem Lesen nicht das Gefühl, seine Zeit verschwendet zu haben.
Es geht um Heimatlosigkeit, um ein Geworfensein in die Welt, wobei jeder der drei Hauptprotagonisten versucht, seine eigene Theorie vom Leben und Fühlen umzusetzen, während alle auf die eine oder andere Art scheitern. Die Heimat als inneres Gefühl ist verloren, da helfen auch keine nostalgischen Rückblicke oder uralte Hotelzimmer, in denen Erinnerungen lagern. Alles, was spürbar bleibt, ist eine große Leere, die sich allmählich ausbreitet.
Die eine (Kristina) flüchtet aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Amerika, versucht dort die Vergangenheit völlig auszugrenzen, bis sie zufällig erfährt, dass der Exfreund, der vielleicht der entscheidende Anlass für diese Flucht war, gestorben ist. Von da an beginnt sie, sich mit den Toten zu unterhalten, mit ihm, mit der Tante und mit ihren eigenen Dämonen, während gleichzeitig alles immer sinnloser wird. Der Versuch, ein neues, von der Kindheit und Jugend abgegrenztes Leben aufzubauen, misslingt auf fatale Weise.
Ähnlich geht es den beiden anderen Figuren, Marko und Marija, einem Paar, das grundverschieden ist und zusammen bleibt, weil nichts Besseres kommt oder alles irgendwie ähnlich ist, um sich gleichzeitig ausgiebig übereinander zu ärgern. "Gibt es in jeder Beziehung verfeindete Unterwelten?", lautet eine der vielen Fragen. Die Ausrede, irgendwann ein Buch zu schreiben, hält Marko aufrecht, während Marija längst nicht mehr an ihn glaubt und auch eine ganz andere Lebensauffassung hat. Dazu dringt der Hass auf den Vater durch, der für Marko, den Möchtegernschriftsteller, nie erreichbar war, obwohl er das Kind nicht völlig aus dem eigenen Leben ausgegrenzt hat. Dessen flüchtige Beziehung zur Mutter endet mit der Geburt des Kindes, und während sich der Vater noch wünscht, die Frau würde irgendwie verschwinden oder sterben, ihn so von der Verantwortung entbinden, wird das Kind geboren und sie stirbt dabei tatsächlich.
Er akzeptiert die Bedingungen nicht, gibt den Sohn bei Verwandten in Pflege und verschwindet trotz des Todes der Mutter, um dann sein Gewissen immer wieder neu zu prüfen. Das bleibt dem Sohn jedoch verborgen, der wenigstens von seinen Geldmitteln lebt und ansonsten mit seinem Leben nichts anzufangen weiß. Die Wut sitzt tief und bestimmt sein Denken. Auch wirkt sein Alltag wie eine Revolte gegen den Erfolg des Vaters, der in Wien Restaurants und Cafés eröffnet hat und damit in gleicher Weise das Leben im ehemaligen Jugoslawien ablehnt.
Velikić baut dabei auch Brücken zur eigenen Kindheit und zu seinen Eltern, die bis zu ihrem Tod eine Lebenslüge gelebt haben, was er im Anschluss in einer Art Nachwort erzählt. Sein Vater hat sich hier für die Frau entschieden, obwohl er sie ohne die Geburt des Kindes verlassen hätte. Glücklicher sind sie deshalb auch nicht geworden.
Das lässt vermuten, dass Velikić verdeutlichen will, dass keine Entscheidung Garantie für das Glück ist. Dieses bleibt flüchtig und von vielen Faktoren abhängig. Während sich der eine für Flucht entscheidet und der andere für das Bleiben, fehlt bei beiden der entscheidende Beweggrund einer Liebe. Verantwortung übernehmen wäre dem Kind gegenüber gerechtfertigt, hilft jedoch nicht, um Stabilität und Zufriedenheit ins Leben zu bringen. Das lässt sich auch auf das große Ganze übertragen. Flucht und Bleiben. Heimat oder Fremde. Wenn innen nur Leere ist, kann der feste Halt nirgendwo erfolgen.
Um die Entfremdung seiner Protagonisten darzustellen, wechselt Velikić mehrfach von der Ich-Perspektive in die dritte Person, wodurch sich auch die Intensität der Erzählung verändert. An sich bleibt es ein schönes Buch, in dem viele Stellen angestrichen werden können. Trotzdem hat es mich nicht genug gefesselt, um weitere Romane von ihm zu lesen. Das liegt vielleicht an der Story selbst oder daran, dass aus den Zeilen eine tiefe Traurigkeit und Leere dringt, die sich auch unangenehm auf den Leser überträgt und zur Belastung wird.
„Die Seele ist wie Wasser, einmal bezaubert, registriert und bewahrt sie jede Erregung, jedes kaum merkliche Aufgewühltsein, auch wenn es lange zurückliegt.“
Kann natürlich sein, dass das Buch noch nachklingt. Handke hat den Schriftsteller zumindest nicht umsonst gelobt.
(Alle Zitate aus: Dragan Velikić "Bonavia", Hanser Berlin Verlag)
Art & Vibration