HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
|
Edward Bulwer-Lytton
in Die schöne Welt der Bücher 28.09.2021 20:06von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Edward Bulwer-Lytton
„Vril oder das Geschlecht der Zukunft“
Dieser Roman gilt als einer der ersten Science-Fiction-Werke und stammt von Edward Bulwer-Lytton, nach dem der bekannte Wettbewerb für den schlechtesten ersten Satz in einem Roman benannt ist. Geschrieben wurde „Vril“ im 19. Jahrhundert, kurz vor dem Tod des Schriftsellers, der sein Manuskript anonym herausgab, da er den Verriss fürchtete. Das Werk hatte eine enorme Wirkung auf die Esoteriker, Okkultisten und Theosophen gehabt, später auch auf viele Künstler, Schriftsteller und auf die sogenannte Vril-Gesellschaft während der Nazizeit, von der nicht sicher ist, ob sie wirklich existiert hat. Die berüchtigte Madame Blavatsky wiederum hat zwar die Geschichte selbst als Fantasie abgetan, nicht jedoch die dort beschriebene Energie Vril, von der sie behauptet, dass sie real ist und mit deren Hilfe höhere Erkenntnisse erlangt werden könnten. Vril hat in ihre Hauptwerke „Isis entschleiert“ und „Die Geheimlehre“ gefunden und wird dort ausgiebig beschrieben.
Bulwer-Lytton wiederum ist durch sein Werk „Die letzten Tage von Pompeji“ berühmt geworden, als einer der wenigen, die das Ereignis in Romanform dokumentiert haben. Er hat sich allgemein viel mit Okkultismus und Magie beschäftigt und soll auch ein Mitglied der Rosenkreuzer gewesen sein. Mir persönlich gefallen beide genannten Werke sehr gut und darüber hinaus auch das wunderbare „Zanoni“. Die Sprache ist oftmals etwas blumiger, der Inhalt der Werke jedoch immer unterhaltsam.
Der Roman „Vril oder das Geschlecht der Zukunft“ birgt eine spannende und poetisch angenehm geschriebene Geschichte über ein unterirdisch, im Inneren der Erde lebendes Volk, auf das der Erzähler beim Abseilen in einer Höhle stößt. Der Rückweg ist zunächst ausgeschlossen. Er lernt die Welt der Vril-ya nach und nach ausgiebig kennen und wird später nicht umhin kommen, vor dieser zu warnen.
Die Wesen sind engelsartig, größer als Menschen, weisen symmetrisch schöne Gesichter auf und leben in einer friedlichen Gesellschaft harmonisch miteinander. Die Frau, die sogenannte Gy, ist größer und stärker als der Mann, der als An bezeichnet wird. Nach einer längeren Zeit der Unterdrückung, die zur Folge hatte, dass sich die Männer aus dem Staub machten, haben die Frauen ihre dominante Rolle aufgegeben und erwählen ihren Gatten aus Liebe, der wiederum aus Bequemlichkeit die Ehe wertschätzt. So laufen die Dinge anders herum, wobei die Frau nach der Eheschließung ihre Flügel ablegt.
Beherrscht wird das unterirdische Reich durch eine Art Lebensenergie, die Vril genannt wird und die sich die Bewohner zunutze gemacht haben. Sie gestattet die Kontrolle durch Telekinese, Telepathie, über höhere Kräfte und über das Wissen aller erworbenen technologischen Errungenschaften. Mit Hilfe der Energie wird der Erzähler in Schlaf versetzt und erlernt so innerhalb kurzer Zeit die Sprache der Vril-ya. Sehr schön ist Bulwer-Lyttons Versuch, die Sprache zu entschlüsseln und für den Leser zu verdeutlichen. Dabei orientiert er sich u. a. auch am Sanskrit. Vril jedenfalls erlaubt den höheren Zugang der Erkenntnis durch Ekstase.
In einem Brief an einen Freund beschreibt Bulwer-Lytton das Ganze mit folgenden Worten:
„… so gehe ich von der Existenz einer Rasse aus, die mit Elektrizität geladen ist und die Kunst erworben hat, sie zu konzentrieren und zu kontrollieren, mit einem Wort, Leiter ihrer Blitze zu sein.“ Dafür verwenden die Vril-ya einen hohlen Stab.
Blavatsky ging davon aus, dass Bulwer-Lytton durch sein Werk indirekt auf einer geheimen Naturenergie hinweisen wollte, während dieser eher seiner Fantasie folgte. Ein sehr schöner Entwurf stammt von dem Künstler John Martin. So könnte man sich diese unterirdische Welt durchaus vorstellen.
(Quelle https://commons.wikimedia.org/wiki/File:...or-sharpend.jpg)
Bald stellt sich heraus, dass die hohe Vollkommenheit der Vril-ya daher rührt, dass die Fortpflanzung nur mit gleichwertig hohen Wesen erfolgte, die überall in den unterirdischen Gängen und Höhlen leben, und dass durch die Vervollkommnung der eigenen Rasse die Vril-ya dazu auserkoren sind, nicht nur das Barbarentum unter der Erde, sondern auch irgendwann den Menschen über der Erde zu verdrängen.
Zitat von Bulwer-Lytton
"Durch die heftigen Kämpfe, die unsere Urahnen zu bestehen hatten, sollte eine reine Ausscheidung erreicht werden, und nach Vollendung unserer Erziehung sollten wir dazu bestimmt sein, in die Oberwelt zurückzukehren, um alle die dort lebenden niederen Rassen zu verdrängen."
Hier bezieht sich Bulwer-Lytton sicherlich auf die Griechen, für die alle außerhalb der Stadt lebenden und des Griechischen nicht mächtig seienden Menschen als Barbaren galten und als minderwertig betrachtet wurden. Bulwer-Lytton bringt zudem das rassistische Beispiel des Negers in New York und die Abwertung dessen durch den New Yorker, zu seiner Zeit noch gängig.
Die Eugenik kommt auch zum Tragen, als sich die Tochter des Gastgebers in den Erzähler verliebt, was für ihn eine neue Gefahr bedeutet, denn „… die Kinder einer solchen Ehe würden die Rasse schänden“, heißt es.
Die dort niederen Arbeiten übernehmen Maschinen und Kinder. Interessant ist auch, dass es in dieser höchsten Gesellschaftsform keine Literatur mehr gibt. Dem Erzähler wird erklärt, dass sich andere Theorien mit der jetzigen Situation nicht vertragen. Anders gesagt, es herrscht Zensur und Unterdrückung zum Wohl der Gesellschaft. Diese benötigt, so die Erklärung, keine neuartigen Theorien, da auch die Leidenschaften und Kämpfe nicht mehr existieren. Poesie und andere Künste sind entsprechend verpönt, ganz nach dem Staate Platons.
Manchmal wird es nötig, dass die Vril-ya und Ana (hier für Männer (Plural) oder Menschen stehend) den Staat verlassen und sich woanders niederlassen. Damit das möglich ist und nicht zu viel Landschaft zerstört wird, werden andere Barbarenvölker getötet, die im Weg sind. Mehr und mehr erkennt der Erzähler, dass die Vollkommenheit gefräßig ist und entwickelt eher Sympathie mit den als minderwertig bezeichneten Nebenstämmen. Hinter der Freundlichkeit und Zuvorkommenheit verbirgt sich das starre Denken der Perfektion, das jedwede Gefährdung des Konstrukts erbarmungslos ausmerzt. Die so freien Entscheidungen der Vril-ya selbst entpuppen sich als Gehorsam auf Befehl, der anerkannt und nicht in Frage gestellt wird. Als der Erzähler die Erkenntnis nach und nach gewinnt, dient er bereits selbst als Lockvogel und wird schließlich zum Gefangenen.
Art & Vibration
RE: Edward Bulwer-Lytton
in Die schöne Welt der Bücher 20.10.2021 19:24von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Ich habe es in der Übersetzung von Jenny Piorkowska gelesen vom Theosophisches Verlagshaus, Leipzig, 1873. Darin ist vermerkt, dass die Übersetzung zum Teil neu und überarbeitet ist.
"Zanoni" war vom Banu Verlag. Stilistisch habe ich keine großen Unterschiede gemerkt. Ist "Vril" thesophisch verfälscht worden? Mich hat das Buch fasziniert.
Art & Vibration
Wachsmuth wurde von Steiner persönlich zur Übersetzung aufgefordert und ich habe keinen Schimmer, was ausgerechnet einem ehemals leitenden Theosophen an der vorhandenen "theosophischen" Übersetzung nicht gefiel. Auch die Suhrkamp-Übersetzung dürfte, statt originalgetreu zu sein, jede "esoterisch/okkulte" Wortwahl eher vermieden haben, wodurch sie aber vielleicht auch langweiliger wurde. Da diese ohnehin nicht neu erhältlich ist, habe ich die von Wachsmuth geordert, wenngleich der typische Anthro-Look des Einbands jener 8. Auflage nicht meinem Geschmack entspricht.
Das englische Original ist bei Gutenberg frei lesbar, nur leider nicht in Deutschland (außer mit ausländischer ID via VNP).
Abgesehen von dem, was aus theosophischen und anthroposophischen Erzählungen bekannt ist, erinnert mich Vril als Kraft auch vage an Paracelsus' Archaeus maximus (o. a. Spiritus rector) und die Quintessenz Agrippa von Nettesheims. Doch ich werde besser lesen, bevor ich spekuliere.
RE: Edward Bulwer-Lytton
in Die schöne Welt der Bücher 21.10.2021 21:20von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Der Hype um Vril ist zwar interessant, aber für mich gar nicht so nachvollziehbar, wenn man davon absieht, dass es sich um eine dem Menschen verborgene Energie handelt, die von den fiktiven Wesen des Romans genutzt wird und die sowohl positive als auch zerstörerische Kräfte hat. Vielmehr geht es im Roman um eine perfektionierte Gesellschaftsform und um jene reine Rasse und Kontrolle für den Erhalt dieser Rasse unter einer durchaus kritischen Betrachtung, dass ich mir höchstens vorstellen kann, eine spätere Übersetzung aus den 80er Jahren könnte eine Zensur bestimmter Stellen aufweisen, selbst wenn diese eher an der Antike und an der griechischen Kultur angelehnt sind und weniger an der Auferstehung des Macht- und Übermenschen, wie wir sie später in der Geschichte erleben mussten, lange nach der Entstehung des Romans.
Interessant ist das Buch aufgrund der eindrucksvoll erschaffenen Welt und als eines der ersten Fantasy- und Science-Fiction-Werke. Der Deutungsrahmen ist größer als in vergleichbaren Werken.
Art & Vibration
Dass sich Bulwer-Lytton mit Vril an Okkultes anlehnt, mögen viele kritisch sehen, doch führte wohl gerade die damit verbundene Vagheit zu jenem bis heute ergiebigen Deutungsrahmem. Wollte er den Glauben seiner Zeitgenossen an die eigene Fortschrittlichkeit in Frage stellen? Oder ging es darum zu zeigen, welchen Einfluss naturwissenschaftliche Entdeckungen bzw. technische Erfindungen auf gesellschaftliche Entwicklungen haben? Selbst dies ist schwer zu sagen.
Bulwer-Lyttons Sprache ist konventionell, was freilich zum Erzähler passt. Lesenswert ist es allemal.
In der von mir gelesenen Ausgabe lieferte Dr. Wachsmuth keine Übersetzung, sondern eine relativ freie Übertragung ins Deutsche. Beispielsweise wurde aus "no Hannibal, no Washington, no Jackson, no Sheridan" "keinen Hannibal, keinen Washington, Napoleon, Friedrich den Großen" und aus "a Demosthenes, a Webster, a Sumner, a Wendell Holmes, or a Butler" "Demosthenes, Robespierre, Metternich oder sonstige hervorragende Staatsmänner" – durchaus beachtlich bei einem Erzähler, der US-Amerikaner ist. General Sheridan war übrigens für seine Taktik der verbrannten Erde im Bürgerkrieg und für zahlreiche Kriege gegen indigene Völker Nordamerikas bekannt.
Aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt, werden Texte gewöhnlich länger. Englische Ausgaben von "The Coming Race" (ohne Illustrationen) haben 168 bis 192 Seiten, aber meine deutsche Übersetzung von Dr. Wachsmuth nur 143 Seiten. Das heißt, da wurden vieles weggelassen, u. a. das zugegebenermaßen theorielastige und den Fluss der Erzählung hemmende Kapitel über die Sprache jenes Volkes. Die Übersetzung von Michael Walter erschien bei Suhrkamp mit 162 Seiten, allerdings mit einem Nachwort und Anmerkungen, und bei dtv mit 256 Seiten, ebenfalls mit Nachwort und Anmerkungen. Wie von dir bereits geschrieben, vermute ich hier ebenfalls, dass diverse Wörter und Aussagen, die 1871 als unbedenklich galten, dem aktuellen Toleranzvermögen angepasst wurden.
RE: Edward Bulwer-Lytton
in Die schöne Welt der Bücher 26.10.2021 17:02von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Bulwer-Lytton hat das Manuskript nicht zu Lebzeiten veröffentlichen wollen, da er die Kritik fürchtete. Es erschien erst nach seinem Tod und weicht deutlich von der Art seiner anderen Werke ab, durchaus nicht zu seinem Nachteil. Er selbst mag hier einiges an Wissen verarbeitet haben, das ihm durch seine Kontakte zu okkulten und freimaurerischen Kreisen bekannt war. Seine anfängliche Begeisterung hat er wohl später gegen eine eher kritische Sichtweise eingetauscht, die sich sowohl auf die Praktiken der Rosenkreuzer als auch auf den allgemeinen Fortschritt bezog. Einen direkten Bezug dazu haben die Werke "Das Geschlecht der Zukunft" und "Zanoni". Darin spricht er von einem tieferen Wissen, das verborgen liegt und nur wenigen Eingeweihten zur Verfügung steht.
Mich wiederum hat genau das Okkulte angezogen, um auch gleich danach zur "Geheimlehre" der Blavatsky zu greifen, die ich zuvor nur in einigen Auszügen kannte. Sie spricht von sieben Perioden der Menschheit, entsprechend sieben Rassen, die sich nacheinander entwickeln, während zu ihren Lebzeiten bereits die fünfte Rasse existierte. Damit stellt sich nicht nur der direkte Bezug zur höheren Energiequelle Vril her, sondern auch zu einer metaphysisch zu sehenden Entwicklung des menschlichen Geistes auf mehreren Ebenen, wie es bei Bulwer-Lytton ähnlich vertieft wird, jedoch nicht gleichzeitig, sondern in Folge.
In ihrer langen Einleitung schreibt Blavatsky zum Beispiel, dass die Geheimlehre eine Zusammenfassung aller spirituellen Schriften ist und sich zu einem großen Anteil am Buddhismus anlehnt, den sie als esoterischen bezeichnet. Sie weist darauf hin, dass es in zahlreichen unterirdischen Verstecken weiterhin verborgene Schriften gibt, so in Bezug auf die Veden und andere geheime Dokumente, die bewusst zurückgehalten wurden oder über mehrere Generationen hinweg für die Öffentlichkeit verloren gingen. Andere wurden selbst aus der Bibliothek von Alexandria vor den Flammen gerettet und dann privat versteckt. Natürlich muss man den Inhalt mit Vorbehalt lesen, jedoch scheint vieles eine spannende Lektüre zu versprechen.
"Denn es ist nicht die Schuld der Initiierten, daß diese Dokumente jetzt für den Profanen „verloren" sind, noch war ihr Verfahren durch Selbstsucht diktiert oder durch irgend ein Verlangen, die lebenspendende heilige Lehre zu monopolisieren. Es gab Teile der Geheimwissenschaft, die für unzählbare Zeitalter dem profanen Blick verborgen bleiben mußten. Aber das geschah, weil ein Mitteilen von Geheimnissen von so furchtbarer Bedeutung an eine unvorbereitete Menge gleichbedeutend damit wäre, einem Kinde in einem Pulvermagazin eine brennende Kerze in die Hand zu geben."
(Blavatsky im Vorwort)
Die vier Bände ihrer Geheimlehre offenbaren mehr als ich erwartet habe, so dass ich sie wohl lesen werde.
Art & Vibration
RE: Edward Bulwer-Lytton
in Die schöne Welt der Bücher 16.01.2022 22:30von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Gedanken zu dem Werk
"Zanoni"
Neben "Vril" ist auch "Zanoni" ein durchaus lesenswertes Werk und führt direkt in die Französische Revolution. Nachdem ich jetzt doch einige seiner Werke gelesen habe, muss ich sagen, dass es eigentlich schon sehr gemein ist, Bulwer-Lytton den schlechtesten ersten Satz zuzuweisen und sogar einen Wettbewerb daraus zu machen. Da habe ich nun wirklich bei vielen anderen deutlich Schlechteres gelesen, z. B. bei gelobten Schreibern wie Stendhal (den ich nur in seinen autobiografischen Sachen mag). Aber auch das ist ein Zeitphänomen und sozusagen die Folge einer mit dem Zeitgeist verlorenen Tiefe. Alles muss kompakter und deutungsleichter sein. Dabei faszinieren diese älteren Werke gerade durch ihre Dichte, durch die Atmosphäre und die Lebendigkeit der Figuren. Selbst an Humor fehlt es Bulwer-Lytton nicht, wenn dieser auch seltener durchschimmert. So heißt es überraschend an einer Stelle:
„Am nächsten Morgen beim Frühstück sah Mrs. Mervale aus, als ob sämtliche Beschwerden beleidigter Frauen sich in ihren Zügen aussprächen.“
Bulwer-Lyttons Stil spricht mich, trotz der sehr poetisch blumigen Sprache, durchaus an. Dazu weiß er fesselnd zu schreiben und würzt das Ganze mit philosophischen Gedanken.
Zitat von Bulwer-Lytton
In einem Augenblick erfüllt uns oft das Gefühl der Ewigkeit, und wenn wir vollkommen glücklich sind, wissen wir, dass es unmöglich ist, zu sterben. – Wenn der Geist sich selbst fühlt, dann fühlt er ewiges Leben!"
Man merkt es schon. "Zanoni" ist ein Roman über Okkultismus, Magie, Kunst und Musik, die Liebe und das ewige Leben. Er spielt während der Französischen Revolution, sodass gegen Ende auch Robespierre und seine Anhänger auftreten. Die Geschichte wirkt, als ob man in den Kunstwerken von Watteau oder Rossa wandelt.
"Der Astronom, der die Sterne zählt und benennt, kann dem Weltall kein Atom hinzufügen; der Dichter dagegen kann aus dem Atom eine Welt hervorrufen."
Es geht um den geheimnisvollen Zanoni, der in Neapel aufkreuzt und der schönen Sängerin Viola auf der Bühne alleine durch seine Anwesenheit Kraft gibt, so dass sie ihn nicht vergessen kann. Ihr sympathisch ist jedoch auch Glyndon, ein reicher Engländer und Gelegenheitskünstler, der sie gerne zur Geliebten hätte, der sie jedoch, ihrer Stellung und ihres Rufes wegen, nie heiraten würde. Als Zanoni ihn vor die Wahl stellt, Wissen und Abgrund oder Liebe und Glück zu wählen, entscheidet er sich gegen Viola und für die Ausbildung zu höherem Wissen, wie es Zanoni und ein Ebenbürtiger namens Mejnour schon lange praktizieren und so bereits mehrere Jahrhunderte durchwandert haben. Während sich der eine gegen das irdische Leben und die Liebe entscheidet und aufsteigt, sinkt Zanoni ins Irdische zurück und wählt eine Liebe, die durch sein verlängertes Leben notwendig zur Qual werden wird. Daher muss Zanoni eine Entscheidung treffen.
"Ich liebe, und durch die Liebe beginne ich in der holden Menschlichkeit eines Sterblichen zu leben."
Und er kommt zu dem Schluss:
„Die Liebe führt alles auf sich selbst zurück. Entweder ich muss zu der Natur der Geliebten hinabgezogen werden oder sie muss zu der meinigen erhoben werden.“
Die Ausbildung von Glyndon ist zeitaufwendig und mühselig. Die Studien sind für den Leser interessant, besonders, wenn es um kabbalistische Zahlenberechnung für die Voraussage bestimmter Ereignisse geht und dann ein Teil des Manuskripts fehlt, als hätte Bulwer-Lytton hier zu viel gesagt oder dafür gesorgt, dass bestimmte Erkenntnisse nicht in Romanform verbreitet werden.
Um seine magische Erkenntniswelt besser zu definieren, bedient sich Bulwer-Lytton an chaldäischen Kulten und an buddhistisch hinduistischen.
Zitat von Bulwer-Lytton
"Sie halten jenes Streben des Geistes von der beschränkten Welt des Menschen zu der unendlichen Heimat der Geister für eine Krankheit, die der Arzt mit Heilmitteln und Tränken verbannen müsse, und sie wissen selbst nicht, dass diesem Zustand ihres Daseins in seiner unvollkommensten Form Poesie, Musik und alles, was einer Idee von Schönheit angehört, wozu weder Schlafen noch Wachen ein Vorbild gewähren können, ihren Ursprung verdanken.“
Glyndon wird nach langer Zeit endlich zum ersten Mal in seiner Tauglichkeit als Schüler für den Zugang zum höheren Wissen geprüft und fällt glatt durch, jedoch nicht ohne einen Hauch der anderen Erkenntniswelt zu erfahren und mitzunehmen. Sowohl das Schöne und Erhabene wird ihm als Künstler offenbart als auch der Schrecken einer anderen Welt, die in ihrer Erscheinung schlimmer als eine Übernachtung in Katakomben ist. (Dieser Vergleich von Bulwer-Lytton wird mir unvergesslich bleiben und lässt sich im Grusel so intensiv nachvollziehen, dass er hier wahrlich ein lebendiges Bild geschaffen hat.)
Glyndon kehrt zu seinem früheren Leben zurück, das rastloser wird, da ihn der böse Geist seiner inneren Zweifel verfolgt und dem er nur entkommt, wenn er sich dem Laster zuwendet, während Zanoni und Viola ein Kind bekommen, was die Liebe zunächst fördert, dann jedoch, durch gesäten Zweifel das Unglück der Trennung bewirkt. Viola beginnt an Zanoni zu zweifeln und schenkt den Gerüchten des bösen Zauberers Gehör. Sie glaubt, ihr Kind retten zu müssen, ohne zu ahnen, was Zanoni für diese Liebe und das Kind alles geopfert hat. Mit Glyndon flieht sie nach Frankreich, mitten in die blutigen Hände Robespierres, der Jakobiner und der Guillotine.
Die beiden letzten Überlebenden, Zanoni und Mejnour, sind trotz gleicher Bestrebungen Gegensätze. Zanoni repräsentiert die Jugend mit dem Interesse an der Welt, das Helle und die Sorge um den Menschen, Mejnour ist das Alter, der nach reinem Wissen Strebende, gleichgültig, ob dieses Glück oder Leid verursacht. Diese einander ergänzenden Sphären sind das Interessanteste im gesamten Werk, da sie die Frage aufwerfen, inwieweit das Streben nach höherer Erkenntnis dem Leben dient.
Zitat von Bulwer-Lyton
›Es gibt ein Prinzip des Geistes, das aller äußeren Natur überlegen ist, und durch dieses Prinzip sind wir fähig, die Ordnung und die Systeme der Welt zu übersehen und an dem unsterblichen Leben und der Tatkraft des himmlischen Wesens teilzunehmen. Wenn der Geist zu Naturen erhoben wird, die ihm überlegen sind, verlässt er die Ordnung, der er angehört und wird durch einen religiösen Magnetismus zu einer anderen und besseren, mit der er sich vereinigt und vermischt, hinaufgezogen.‹
Der Roman endet tragisch und gleichzeitig mit einem Hoffnungsschimmer, denn in einer Welt, die das Übernatürliche akzeptiert, endet nichts, einfach so.
Art & Vibration