HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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Als erstes Buch im neuen Jahr greife ich auf Altbewährtes zurück. Miroslav Krleza "Ohne mich - eine einsame Revolution".
"Jede Angst vor einem Erdbeben oder einer anderen unerwarteten Katastrophe, welche es auch sei, ist unbegründet, solange der Bürger auf seinem Nachtisch einige Packungen seiner patentierten Weltanschauungen liegen hat, die alle Verdauungsstörungen seines Verstandes behebt, das Sodbrennen seines Gewissens beruhigt, seinen Geist klärt und ihm ein erfolgreiches Leben garantiert.
(...)
Einer, der glaubt, dass seine Weltanschauung eine wissenschaftlich beglaubigte Wahrheit wäre, und dementsprechend weiß, aber nicht glaubt, oder aber glaubt, weil er weiß, gleicht aufs Haar dem Gläubigen, der gläubig ist, nicht weil er weiß, sondern weil er weiß, dass er nicht weiß, das heißt, dass er glaubt.
Nachdem ich aber nicht glaube zu wissen oder glaube, nicht zu wissen und nicht wirklich wissen zu können, denn es lehrt mich die wissenschaftlich erhärtete Erfahrung, glaube ich auf Grund meiner Weltanschauung, dass man grundsätzlich überhaupt nichts glauben sollte. Also auch nicht daran, dass wir wüssten, was Wahrheit ist.
(...)
Das Leben ist zu kurz, als dass sich ein einzelner Mensch auf Grund seiner persönlichen Lebenserfahrung ein wie immer geartetes Urteil bilden könnte."
(Zitiert aus "Ohne mich", Fischer Verlag, S. 164)
Art & Vibration
Taxine, die unermüdliche Leserin. Ganz klassisch: Ein gesundes Neues!
Ich leser derzeit querbeet, dachte ich mir, kann ich doch auch mal nen Satz hier fallen lassen. Ist ja schon eine Weile her.
Beendet gerade: Lieber wütend als traurig - Die Lebensgeschichte der Ulrike Meinhof von Alois Prinz
Kann man mal lesen. Nicht weltbewegend. Man weiß ja schon so vieles. Rätselhaft nur, wie es so einen durchgeistigten Menschen so verwandeln kann. Die Bader Meinhof Truppe hatte schon eins an der Waffel. Dagegen wäre ja selbst Che ein Friedenskämpfer gewesen.
Jetzt gerade: Anna Politovskaja "Russisches Tagebuch". Ein unterhaltsame Sache, wenn auch bitter. Verleiht Einblicke in Dingen von den ich dachte dass sie in etwa eben so laufen. Insbesondere interessant nach dem ich vor Meinhold Michail Chodorkowski "Briefe aus dem Gefängnis" gelesen habe, was in etwa die gleiche Zeit abdeckt. Zu dem Buch. Vom Saulus zum Paulus hätte es im Untertitel heißen können.
Soweit mein Wiederauftauchen. Werde sicherlich immer mal zwei profane Sätze zum gerede Gelesenen hier fallen lassen.
Und noch drei Konzert-Tipps, falls es die noch gibt. Habe ich voriges Jahr entdeckt. Zwei wunderbare griechische Bands. Mich überdurchschnittlich ansprechend.
insbesonders die beiden höre ich manchmal in Schleife
Coole Zitate. Passt wie der A auf den Eimer in Sachen RAF
Die bunten Bildchen gehören hier nicht hin. Betrachte es als ausnahmsweisiges Konfetti-Werfen zum Jahrebeginn.
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RE: Januar/Februar/März 2022
in Lektüreliste 05.01.2022 21:03von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Jatmaaaan… das freut mich aber. Ein schönes neues Jahr auch für dich. Möge 2022 Besseres bringen und der griechische Rock mit uns sein.
Die Briefe aus dem Gefängnis habe ich auch noch irgendwo herumliegen. Solche Oligarchen und Neuaufsteiger in Russland wurden ja vielfach kritisiert. Sein Blick wäre durchaus einmal interessant in Sachen Putin und co. Hab's noch nicht aufgeschlagen. Dazu gibt es auch noch ein Buch von Chodorkowski über seine Mitgefangenen.
In Sachen RAF-Zeugs – letztendlich bleibt mir am meisten „Die Reise“ von Vespers in guter Erinnerung, auch literarisch gesehen. Der stand ja, im Gegensatz zu Ensslin, auch mehr abseits des Geschehens.
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Das Buch über Chodorkowski kann meines Erachtens nur dienlich zu sein, um festzustellen, dass er wohl tatsächlich etwas gegen Putin ist und nun den Menschenfreund in sich entdeckt hat. Ich will es nicht ganz ausschließen. Er ist / war vermutlich zu weich für die inzwischen geltenden Sitten. Er meint, dass er heute mit seinen Tricksereien (so fasst er seinen Weg zum Oligarchen mehrfach zusammen) nicht mehr durchkommen würde. Nunja, er war ja auf der roten linie und hat sich zum rechten Zeitpunkt in echt russischer Art an Jelzin gehängt. Der dürfte ihn reich gemacht haben. So oder ähnlich wie es Putin halt auch macht. usw. usw. Es ist müßig.
Das Buch von Politovskaja hingegen, ist erschutternd. Für mein Gefühl hat sich in Russland im Vergleich zu Dostojewskis Zeiten aber rein gar nichts verbessert. Ich habe eher den Eindruck, dass das Zaren-Regime etwas "nachsichtiger" war. Kling vielleicht seltsam, aber das Gefühl hatte ich schon länger mit dem Buch der Politovskaja wechselt es scheinbar in Richtung Gewissheit. Das Buch lese ich noch zu Ende, auch wenn es wirklich niederschmetternd. Dann ist für mich das Thema erledigt. Faktisch bewegt sich ja in der russischen Geschichte unsäglich viel und doch nichts. Achso, irgendeindein Buch von Jelzins Zeit werde ich mir noch antun, um zu sehen wie Chodorkowski und Co. von Null auf Milliarden! gekommen sind. Dann ist das alles durch.
Passt auch "prima". Heute beginnt der nächste Einmarsch, um es den Terroristen zu zeigen.
Ich kann mir SEHR GUT vorstellen, dass das von Putin und Co iniziiert ist. Die Übung haben die Amis schon Südamerika x-fach in den 60iger durchgezogen.
Aber das ist Politik-Gedöns. Kann man sich sparen.
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Auf Südamerika kam ich, weil ich kurz zuvor die Biographie von "Che" Jon Lee Anderson gelesen habe. Ich glaube mit der hatte ich Glück. Ausführlich, spannend und vor allen Dingen nicht ikonisierend. Und man bekommt (das ja zumeist mein Hauptziel) auch viel von den ganzen Vorgängen mit.
Ein Stichwort. Ich habe jetzt einige Bücher über den nahen Osten gelesen. Eigentlich nicht mein Thema, aber hochinteressant. Das besondere an dem ganzen Schlamassel da unten: Es ist, mir war es jedenfalls, unmöglich, sich auf eine Seite zu schlagen. Völlig. Gekommen bin zu diesem für mich eigentlich Nicht-Thema, durch das Buch eines ehemaligen TV-Korrespondenten: Ulrich Kienzle "Abschied von 1001 Nacht". Ein abgebrühter Hund. Muss man so flapsig formulieren. Das aber macht das Buch aus. Es ist kein vorrangiges Erklärbuch, sondern eher ein Erlebnisbericht mit viel Witz, Subjektivität und eben doch Sachlichkeit. War mal ein Buch, dass ich als zu kurz empfand. Hier hat Lesen Spaß gemacht und so folgten dann weitere zu dem Thema. Sowas muss ein Buch erstmal schaffen.
Geschafft hat es ein anderes Buch nicht. Also mich für genau die Geschichten zu interessieren. Alexander Solschenizyn "Meine amerikanischen Jahre". Ich kannte nur den Namen und dass er Exilant war, aber ansonsten nix. Die 570 Seiten hätten auch 100 sein können. Hätte gereicht. Mein, wie stets, vereinfachendes subjektives Urteil. Extrem weitschweifig. Wirkte auf mich recht konservativ und stark nationalistisch. Herr D. hätte wohl seine Freude an ihm gehabt. Etwas schnöselig, von sich eingenommen und ziemlich abgehoben.
Zur tiefen literarischen Betrachtungen wird es nach wie vor bei mir nicht kommen. Aber ab nun lege ich nach jedem Buch hier meine Duftnote. So komme ich auch wieder faktisch dazu Deine Beiträge zu durchstöbern. Vielleicht komme ich dann mal kurz von meinem Sachbuch-Trip weg.
So wie Dein Tip mit der Tschechow-Biographie von Troyat. Der Mann kann es einfach. Beweis: Ich habe mir dann ein Buch mit Briefen von ihm gekauft. Waren, denke so seine letzten drei Jahre. Steckt man nicht drin, ist reichlich viel unklar und trotzdem in jedem Fall lesenswert. Mir ist er recht sympatisch geworden. Ein Unruhe vorm Herrn und doch fokussiert auf ass was er will. Zugleich aber eine Bescheidenheit und zudem Gelassenheit. Vom feinsten.
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RE: Januar/Februar/März 2022
in Lektüreliste 07.01.2022 22:16von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Zitat von Jatman1 im Beitrag #5
Geschafft hat es ein anderes Buch nicht. Also mich für genau die Geschichten zu interessieren. Alexander Solschenizyn "Meine amerikanischen Jahre". Ich kannte nur den Namen und dass er Exilant war, aber ansonsten nix. Die 570 Seiten hätten auch 100 sein können. Hätte gereicht. Mein, wie stets, vereinfachendes subjektives Urteil. Extrem weitschweifig. Wirkte auf mich recht konservativ und stark nationalistisch. Herr D. hätte wohl seine Freude an ihm gehabt. Etwas schnöselig, von sich eingenommen und ziemlich abgehoben.
Natürlich war Solschenizyn Nationalist (oder besser ein Patriot), liebte Russland (nicht die Sowjetunion) und hat, wie andere, darunter Grossman, darauf hingewiesen, dass während der Zarenzeit die Dinge besser liefen als später im Aufbau des Kommunismus‘ mit all seinem Trug, Terror, Verbrechen und der systematischen Ermordung in den Arbeitslagern, das alles natürlich als späte Erkenntnis. Solschenizyn hat allerdings frühzeitig darauf verwiesen, dass nicht nur Stalin, sondern schon Lenin gefährliche Figuren der Geschichte waren. Er ist einer der bedeutendsten Aufklärer über die Stalin- und Gulag-Zeit und hat viel dazu beigetragen, über die wirklichen Tatsachen zu berichten. Seine Gulag-Bände sind Schwerstarbeit in Hinblick auf das Zusammentragen der Daten und Aussagen. Die Lektüre ist jedem anempfohlen, der ausführlich über diese Zeit lesen möchte. Es gibt auch eine gekürzte autorisierte Fassung, wobei ich trotzdem die drei Bände im ausführlichen Format bevorzuge, die das Ausmaß der Arbeit gut verdeutlichen. Schön haben es auch Historiker und Russlandforscher wie Karl Schlögel oder Orlando Figes zusammengefasst. Von letzterem kann ich „Die Flüsterer“ empfehlen. Das handelt u. a. davon, wie sich die Menschen gegenseitig verraten und denunziert haben, manchmal nur, um einige Quadratmeter an Wohnplatz zu gewinnen.
Solschenizyn war selbst mehrfach den schlimmen Lagerbedingungen ausgeliefert, mit einer kurzen Unterbrechung durch die Internierung in ein Sonderlager für Wissenschaftler. Er hat wunderbare Romane geschrieben, darunter „Krebsstation“ oder „Der erste Kreis der Hölle“. Der Roman befasst sich mit der eigenen Erfahrung, die mit denen anderer durchaus mithalten kann, so die von Schalamow und ähnlichen. Sein "Tag im Leben des Iwan Denissowitsch" war der erste Schritt aus dem Samisdat heraus, um eine wahrheitsgetreue Darstellung des Stalinterrors zu zeigen. Auch Solschenizyn hat den Lageralltag kennengelernt, wo Hunger, Gewalt und Arbeitsüberpensum vorherrschten. Und ebenso hat er die Erfahrung machen müssen, dass sich seine Frau von ihm abwandte und sich scheiden ließ, wie viele andere, die sich damit von der staatlichen Verfolgung freikaufen wollten. Seine Natascha hat er bei der Rückkehr in die Sowjetunion nach der Verbannung zwar wieder zurückbekommen und noch einmal geheiratet, aber das Eheglück war zerstört. Er lebte für sein Werk und seine Aufgabe. Für ihn war wichtig, all den Menschen, die gelitten und gestorben sind, eine Stimme zu verleihen. Und das hat er wahrlich getan. Dass er Russland liebt und sein Blick auf die Welt immer kritisch war, auch über das „Politisch Korrekte“ hinaus, macht ihn mir eher sympathisch.
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Danke für den Dezember-Hinweis auf Goran Petrović. Sein Roman ist wirklich lesenswert. Eine originell fabulierte Geschichte, obwohl die Sprache auf Satzebene eher dem heutigen Standard entspricht. Thematisch und in Bildern schimmert hier und da auf nicht unangenehme Weise durch, wer ihn beeinflusst hat. Schade, dass weder in deutsch noch in englisch eine gebundene Ausgabe veröffentlich wurde. Auch der deutsche Titel "Die Villa am Rande der Zeit" lässt eine Einordnung ins Triviale vermuten, während im serbischen Titel von einem kleinen Lädchen "Mit glücklicher Hand" die Rede ist, was aber nicht aufs Zentrum der Geschichte zielt.
Vielleicht sollte ich auch mein Exemplar in Saffian binden lassen und darauf als Titel "Villa mit Garten" oder schlicht "Vermächtnis".
RE: Januar/Februar/März 2022
in Lektüreliste 16.01.2022 20:42von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Ja, Petrovic schreibt relativ einfach und fasziniert mehr durch die Idee selbst und die dichte Atmosphäre. Das Ende war für mich dann allerdings etwas enttäuschend, die Auflösung zu banal (man hätte mehr daraus machen können). Dennoch hat mir der Roman gefallen und ich würde ihn durchaus auch in Saffian binden.
Ich habe mittlerweile den dritten Roman von Krleza herausgekramt, nach „Die Glembays“ und „Ohne mich“ nun das „Bankett in Blitwien“. Dabei hält sich die Begeisterung bei allen drei Werken die Waage. „Die Glembays“ sind verspielt und enden mit einem Theaterdialog. „Ohne mich“ besticht durch die Rebellion des Protagonisten und seine Schimpftiraden auf die Welt und die Dekadenz und „Bankett in Blitwien“ beeindruckt durch die Auseinandersetzung zwischen dem Gewaltherrscher und demjenigen, der gegen ihn den Kampf aufnimmt. Sprachlich hat Krleza viel zu bieten, weicht dabei auch immer in philosophische Tiefen ab. Er erinnert an eine gute Mischung aus Karl Kraus, Thomas Mann und Dostojewski.
Das nächste Buch wird „Die Verlobten“ von Manzoni, das du bei den Epidemie-Werken aufgelistet hast. Habe bereits hineingelesen und fand darin die Saat guten Lesestoffs. Zudem bin ich immer wieder erstaunt, mit welcher literarisch aufgebauten Spannung diese alten Werke arbeiten. Man merkt doch, dass dem Leser damals noch etwas anderes geboten werden musste, was heute mehr und mehr durch Film, Effekte und Schnelligkeit verloren geht. Lust auf Altes, z. B. Balzacs Werke, macht übrigens der schöne Essay-Band "Balzac - der Geheimagent der Unzufriedenheit" von Wolfgang Porth.
"Wie später Proust, so muss Balzac damals, als es noch keine Schreibmaschinen gab, der Schrecken aller Schriftsetzer gewesen sein. Den ersten Fahnenabzug behandelte er als Romanmanuskript, und die Änderungen und Ergänzungen, die er darauf anbrachte, waren oft umfangreicher als der gedruckte Text. Mindestens vier und bis zu sieben Fahnenabzüge waren nötig, ehe Balzac seine Romantexte für den Druck freigab. (...) Die rund achtzig Romane, die er zwischen 1829 und 1848 verfasste, hat er also, ehe die Werke in endgültiger Fassung und in Buchform vorlagen, nicht einmal, sondern viermal geschrieben."
So viel zu den Schreibern für Geld, wie Balzac einer war. Zwar musste er für das Publikum schreiben, die Ansprüche an Literatur waren zu jener Zeit jedoch noch wesentlich höher. Der Autor sollte zwar Romane am laufenden Meter schreiben, aber auch die gleiche Art von Qualität liefern. Und einige haben es hinbekommen, während Dumas lieber andere Schreiber beauftragte oder am Ende nur noch seinen Namen unter bezahlte Werke setzte. Das z. B. hat Balzac vollständig abgelehnt.
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Derzeit bin ich dabei, die eine oder andere vor zwei Jahrzehnten vorgenommene Lektüre nachzuholen. Rikki Ducornets "Die Fächermacherin" ist eine davon.
Einen eigenen Sprachstil der Autorin vermochte ich bislang nicht zu erkennen, aber souverän geschrieben ist es. Die Handlung spielt während der Französischen Revolution. Teil I besteht aus der Befragung der Fächermacherin Gabrielle durch den im Roman Comité genannten Wohlfahrtsausschuss, die wie in solchen Fällen üblich endet. Teil II wird vom Marquis de Sade erzählt, der damals ebenfalls im Kerker saß, während die Stimme Gabrielles nur nicht in Briefform auftaucht. Die für die Herstellerin von Fächern mit oft erotischen Motiven verhängnisvolle Verbindung zu Sade besteht in einem gemeinsamen Buchprojekt über das Mitte des 16. Jahrhunderts in Yucatán von Bischof Lande errichtete Schreckensregime, dessen Schilderung im Roman teilweise als parallele Handlung erfolgt.
Olympe de Gouges wird uns als Ex-Geliebte Gabrielles nähergebracht und Restif taucht als Gegenspieler Sades in einer Nebenrolle auf.
Das Werk wurde nach Erscheinen nicht zu Unrecht in die Tradition von Georges Bataille gestellt und wird mitunter deftig, wenn Sade erzählt, wie in diesem Beispiel: "Eva ist die Mutter von Juliette. Eva, die nie 'Warum hast du uns verlassen?' fragt, sondern stattdessen aus dem Paradies spaziert und ins Bett steigt. Eva, die in vollem Wissen fickt und eine Welt zeugt. Als ich als Kind von jenen Ereignissen im Garten Eden las, das die Tyrannei untergrub, von diesem einzigartigen Augenblick, rief ich: 'Eva hatte Recht!' und schleuderte das Buch quer durch das Zimmer. Dafür wurde ich ausgepeitscht."
Die bei Deuticke veröffentliche Übersetzung ist übrigens tatsächlich im festen Paperback und nicht – wie beim Online-Händler ebenfalls zu lesen ist – broschiert.
Meine profanen Anmerkungen nehmen sich in diesen durchgeistigten Betrachtungen mehr als dünn aus. Auch der Grund verschwunden zu sein.
Nun ist mir mal wieder so. Ich werfe ein paar profane Brocken hierher. Besser wie nichts - denke ich mir.
Rüdiger Bernhardt - August Strindberg Kurzweilig schnell wissend leicht nicht fabulierend. Man bekommt eine Idee von diesem doch überdurchschnittlich seltsamen bis befremdenden Menschen. Ein Glück, dass ich ein Buch mit 150 Seiten erwischt habe. Ein umfangreiche, mit Detail gezeichnet Biographie hätte mich vermutlich um den Verstand gebracht. Oder nicht, denn zum Ende ich es nicht gelesen. Das hier war jedoch lesenswert. In irrer Typ. Es hat nicht dazu geführt, dass ich mal ein Buch von ihm lesen wollte.
Atef Abu Saif - Frühstück mit der Drohne -Tagebuch aus Gaza. Kein agitierendes Buch. Es beschreibt das Leben während Kriegszeiten in Gaza. Nüchtern und sprachlich versiert. Nicht theatralisch. Unglaublich, das Problem Gaza. Offensichtlich ein absolut aussichtsloses. Nirgendwo wird die Wahrheit sezierter dargebracht als zu diesem Thema. Mein Eindruck. Nicht allein durch dieses Buch. Dafür dient es nicht. Sondern aus mehreren.
Derzeit: Heiner Geißler - Ou Topos. Kurzweilig unterhaltsam, aber sehr ernst. Es geht um gesellschaftliche Utopien, die Rolle der Kirchen. Kommunismus und Kapitalismus-Kritik in einem. Ein rechter Politiker, der gegen Lebensende sich Attack aktiv zuwandte. Nicht ganz gewöhnlich.
Parallel: David Schuhmann - the tokyo diaries. Ein Japanistik(?)-Student lebte / studierte in Tokyo. Ein Blick auf dieses Land, einfach frei Schnauze niedergeschrieben. Ohne schriftstellerische Süffisanz. Leichte Lektüre. Sagt man so? Aber sie vermittelt ein 1:1 Bild. Keine Reportage kommt dem Leben und Sittengebilde dieses außerirdischen Landes so nahe.
Zuvor: Christiane zu Salm - Dieser Mensch war ich - Nachrufe auf das eigene Leben. Lediglich je auf etwas mehr als auf einer Seite, sind bald, aber sicher, Sterbende dazu angehalten ihr Leben Revue passieren zu lassen. Von der Putzhilfe bis zum Prof. Eine gute Sache und erstaunlich wie nüchtern und zuweilen belanglos diese Texte ausfallen. Und somit die Sichten und Wichtungen des eigenen Lebens.
Andreas Weiss - Flucht ins Leben _ Die Erika und Klaus Mann-Story. Kurz gehalten. Kompakt. Nachvollziehbar. Erhellend, nicht verklärend. Meine Vorbehalte gegenüber olle Thomas wurden damit jedoch keinesfalls kleiner.
Stern / Herrmann - Andreas Baader. Erstaunlich wie so ein prolliges Drecksstück "vernünftige Menschen" dermaßen in seinen Bann ziehen konnte. Mir absolut unklar. Buch liest sich aber gut weg. Lebendig geschrieben und ohne Wertung.
Demnächst: John Kennedy Toole - Ignatz oder die Verschwörung der Idioten. Soll was Abgedrehtes sein. Ich hoffe doch sehr. Mal wieder ein Versuch KEIN Sachbuch zu lesen. Ich sach ma zu mich: Toi toi toi
Johannes Kunisch - Friedrich der Große. Ein Buch der Vollständigkeit halber. Habe mich lange davor gescheut, weil Mister König ja inflationär allenthalben und unentwegt auftaucht. Faktisch weiß ich aber nichts. Das will ich ändern. 600 Seiten - mal sehen ob ich es durchziehe.
Soweit der telegraphische Rundumschlag.
PS
Am Manuskript Fjodor-Michail bin ich dran. Quellenstudium geht dem Ende entgegen. Eine sehr interessantes Thema. Bin nicht enttäuscht. Als nächstes ist der wüste Berg an Infos und Fakten erstmal chronoligisch aufzufädeln.
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RE: Januar/Februar/März 2022
in Lektüreliste 27.01.2022 00:12von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Zitat von Jatman
Am Manuskript Fjodor-Michail bin ich dran. Quellenstudium geht dem Ende entgegen. Eine sehr interessantes Thema. Bin nicht enttäuscht. Als nächstes ist der wüste Berg an Infos und Fakten erstmal chronoligisch aufzufädeln.
Super. Thematisch hast du diesmal gute Chancen, alleine das Thema zu behandeln. Falls übrigens Sekundärlektüre vorhanden ist, die sich lohnt, dann immer her damit, so nach dem Auffädeln.
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Atef Abu Saif - Frühstück mit der Drohne -Tagebuch aus Gaza. Heiner Geißler - Ou Topos. David Schuhmann - the tokyo diaries
Alles in Ordnung, hat Freude gemacht zu lesen. Wenn die ausbleibt breche ich radikal ab, schleppe mich nicht durch. In diesen drei Fällen so ziehmlich jeweils bei zwei Drittel des Buches.
Deswegen ist jetzt schon: John Kennedy Toole - Ignatz oder die Verschwörung der Idioten Der Wahnsinn. Vollkommen abgedreht. Fast nur Dialog. Beim Lesen läuft das Buch parallel als Film ab. Oh shit, davon MUSS es einfach einen Film. Wie genial wär der. Um was geht es? Kann ich nicht beschreiben. Ich muss auf den Buchrücken zurückgreifen: Ignaz ist lethargisch, pedantisch, überheblich, keineswegs dumm. Von seiner Mutter zur Arbeitssuche gezwungen, gerät er von einer grotesken Situation in die nächste . . Die zweifellos hinreißendste und kurioseste Posse über den Verlust jeglicher amerikanischer Werte. Auch geklaut: Ein "Wirrkopf von Gottes Gnaden, ein fetter Don Quijote, ein perverser Thomas von Aquin"
Traurig, dass ich es nicht in Worte fassen kann. Kann es ja auch mal geben. Das Buch ist absolut unangestrengt witzig und lakonisch. Da liest man durch, wie das Messer durch weiche Butter. Slapstik gibt es geschrieben ja eigentlich nicht. Doch, gibt es. Die Dialoge, und fast nur die gibt es, fliegen mit einer Leichtigkeit und Geschmeidigkeit durch die Gegend. Wann kann man beim Lesen tatsächlich, also nicht nur gedanklich, die Mundwinkel nach oben ziehen. Selten. Sehr selten. Hier bin ich ständig am Schmunzeln und dem Sich-Ständig-Wünschen, der Film muss her!
So sieht Begeisterung aus. Und die taucht hier zu Recht auf. Ich WILL das als Film sehen.
Wenn also zwischen schwer Durchgeistigtem mal etwas Leichteres, aber alles andere als Geistloses, anstehen soll, dann Ignatz J. Reily
Sekundärliterartur. Faktisch gibt es die zu Michail nicht. Noch nicht.
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John Hawkes – befreundet mit Robert Coover, in einem Nachruf von John Barth in der New York Times gewürdigt, für Die Leimrute verehrt von Thomas Pynchon, hochgelobt sowohl von Leslie Fiedler als auch von Flannery O'Connor und unabhängig von diesem Werk sollen ihn selbst Sontag, Gaddis, Gass, Barthelme, Bellow, Burgess, Robert Penn Warren und Edmund White bewundert haben. Bei Barthelme und Gass ist dies für mich naheliegend, ebenso wie im Falle Pynchons, der in V. und Gravity's Rainbow Hawkes in manchem nahekommt, was mir sprachlich bei beiden nicht gefällt.
Auffällig ist in Die Leimrute eine Anhäufung von Subjekt-Prädikat-Objekt-Sätzen in einer Art, die die Vermutung nahe legt, dass der Erzähler eher berichten als erzählen (oder mich als Leser auf Abstand halten) will.
Nicht die traumähnlichen Verkürzungen und die dadurch entstehende etwas chaotische Struktur stören hier. Die Sprache wirkt künstlich –nicht nur, weil niemand mündlich so erzählen würde –, aber nirgends so, dass ich den Eindruck hatte, dass so zu schreiben eine Kunst ist. 1961 mag die Wirkung freilich eine andere gewesen sein als heute, und Die Leimrute entstand während Hawkes Harvard-Zeit, wo er damals Englisch lehrte, und womöglich kommt es daher "akademisch" rüber.
Für mich eine Enttäuschung.
John Fowles: The Magus
Ein Werk aus einer Zeit (1965), in der Romane noch nicht "von Bildungsfracht befreit" waren und in ihnen dennoch nicht damit geprotzt wurde. Das Buch hat einige American-Tragedy-Momente, wenngleich The Magus wesentlich facettenreicher ist.
Die Dialoge sind intelligent, stets milieugerecht, oft leicht distinguiert und gelegentlich mit britischer Ironie. Einiges in Französisch, Griechisch und Latein. Weitgefächerter und oft sehr passender Wortschatz (rheum und lachrymatory neben tears...), selbst oder gerade wenn Wörter mit griechischem oder lateinischen Ursprung gegenüber welchen mit angelsächsischem und gälischem Ursprung bevorzugend werden (tantalizing); Ähnliches gilt für figürliche Wörter (brand statt torch). Mit zahlreichen mythologischen Versatzstücken und intertextuellen Bezügen, die auch als Hypertexte deutbar sind, unter anderen drei Dramen von Shakespeare. "Three Hearts" von Theodoritis scheint fiktiv zu sein, zumindest konnte ich dazu nichts finden.
Zum Geschehen möchte ich nichts weiter sagen, da dies anderen die Freude am Entdecken nehmen würde. Vielleicht ein Fingerzeig zu einem Hintergrund des Titels: "There`s a card in the Tarot pack called the magus. The magician . . . conjuror. Two of his traditional symbols are the lily and the rose."
Dass Taxine dieses Werk noch nicht gelesen haben könnte, ist für mich schwer vorstellbar, nicht nur wegen des primären Handlungsortes. Ansonsten empfehle ich die endgültige Fassung von 1977, wegen der wohlgestalteten Sprache vorzugsweise in Englisch.
Für mich enttäuschend hingegen Fowles Die Geliebte des französischen Leutnants, dessen Titelfigur als "one of the most enigmatic female characters in literary history" gilt. In der Haltung des allwissenden Erzählers zu jenen Verhältnissen im 19. Jahrhunderts schwingt ein selbstgerechter Grundton mit, besonders in den Kommentaren, wovon es überreichlich gibt. Daneben allerlei bildungsbürgerliche Erklärungen. Immerhin die Dialoge auch dieses Mal sehr fein.
Serhij Zhadans Die Erfindung des Donbass (im Original 2010 erschienen) und Juri Andruchowytschs Perversion (1996) liegen hier schon seit längerer Zeit und warten darauf, dass die Ukraine aus dem tagesaktuellen Rampenlicht entschwindet. Bislang vergeblich.
RE: Januar/Februar/März 2022
in Lektüreliste 28.02.2022 17:53von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Tatsächlich habe ich von Fowles noch überhaupt nichts gelesen und werde deine Empfehlung gerne beherzigen und mich auch literarisch nach Griechenland begeben. Dann lese ich es im Original (gibt eine schöne Ausgabe der revidierten Fassung), da die Ullstein-Übersetzung allgemein grottenschlecht sein soll und viele Druckfehler enthält.
Andruchowytschs Bücher habe ich alle gelesen, wobei mir „Moscoviada“ am besten gefiel. Als kreativer Autor ist er für mich weniger interessant und packt mich (trotz Humor und interessanter Gestaltung) selten, ganz anders dagegen der Ukrainer Wynnytschuk. Was gerade passiert, ist äußerst bedenklich, nicht nur für die Ukraine und Russland, sondern auch für Europa und die ganze Welt. („Faszinierend“ übrigens, wie die Pandemie dahinter auf einmal vollständig verschwindet.)
Und erneut erleben wir eine einseitige Ausrichtung der Medienberichterstattung mit Hetze, Amerika als Kriegstreiber (erinnert etwas an Jugoslawien), mit Saktionen, die durch Gegenreaktionen auch Europa belasten werden, mit Sperrung und Zensur von Quellen, die beide Seiten zu Wort kommen lassen, mit absurden Fakenews und falschen Bildern und mit einer Verharmlosung der Asow-Nazis und ihrer Methoden (denn das sind echte, die auch Gewalt verherrlichen und sogar in Videos unter Beweis gestellt haben, ohne belangt zu werden, und die haben dort das Sagen).
Mich persönlich ärgern neben der Medienhetze auch die vielen Stand For-Bezeugungen (egal für welches Land) von Menschen, die oberflächlich informiert sind und dem Geschehen kaum folgen können. Der Krieg ist schrecklich und die europäische Unterstützung mit Waffen und Kriegsmaterial wirkt auf mich wie eine Provokation, die den misslichen Zustand kaum verbessert.
Was Putin macht, ist eine Sache, wie Europa reagiert, eine andere, wo dieses doch, im Gegensatz zum weit entfernten Amerika, am meisten gefährdet ist, in das Kriegsgeschehen miteinbezogen zu werden. Putins Kampfansage erfolgte in Bezug auf die NATO an seinen Grenzen und auf die unterlassenen Sicherheitsgarantien. Amerika hätte unter gleichen Bedingungen nicht anders reagiert. (Schon 2007 sagte Putin in einer Rede: "Ich denke, es ist offensichtlich, dass der Prozess der NATO-Erweiterung keinerlei Bezug zur Modernisierung der Allianz selbst oder zur Gewährleistung der Sicherheit in Europa hat. Im Gegenteil, das ist ein provozierender Faktor, der das Niveau des gegenseitigen Vertrauens senkt. Nun haben wir das Recht zu fragen: Gegen wen richtet sich diese Erweiterung?" (Zitiert aus dem Buch von Wolfgang Bittner „Die Eroberung Europas durch die USA“) Man könnte also kaum sagen, Putin hätte über die Jahre eine Annäherung unterlassen. Dagegen war diese von Amerika und den politischen Marionetten in Europa nicht gewünscht.
Schon anhand der Medienerstattung bestätigt sich Putins Aussage: "Der Westen ist ein Imperium der Lügen." Dieser Mann ist unberechenbar und leider auch sehr verlässlich in seinen Drohungen und Umsetzungen. Er hat bereits verkündet, dass jeder, der die Ukraine unterstützt, als Feind betrachtet wird. Hoffen wir, dass es zu einer Einigung kommt und die NATO sich nicht mehr verheerend in die inländischen Probleme einmischt oder gar die Ukraine aufnimmt. Für China oder Kuba liegt die Hauptschuld der Eskalation bei Kiew und der durch die USA geschürten Krise mit der Weigerung, sich an das Minsker Abkommen zu halten. Das Hassschüren gegen Putin bringt keinem etwas. Besser wäre es, die Dinge klarer zu betrachten und als echte Bedrohung für alle einzustufen. Zu häufig wird gegen das Völkerrecht verstoßen. Da fragt man sich allmählich, wozu dieses gemacht ist, wenn sich keiner daran hält.
Meine momentane Lektüre: Abram Terz (alias Sinjawskij) und sein Buch "Ljubimow", für das er ins Lager kam.
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