HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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Mária Szepes
"Der rote Löwe"
"Gewaltige Hochkulturen wurden durch physische und seelische Kataklysmen zertrümmert, begraben und in Vergessenheit versenkt. Die aber, die übrig geblieben waren, und die jungen, die sich zu ihnen gesellten, stürzten dann wieder in die primitive Finsternis der Anfänge."
Ich bin sehr froh, dieses Buch nun auch zu denen zu zählen, die ich gelesen habe. Es hat eine lange Geschichte hinter sich und gilt als esoterischer Klassiker. Das Buch wurde im kommunistischen Ungarn schnell verboten, so dass nur vier Exemplare übrig blieben, die zum Glück von Bela Hamvas gerettet wurden, der damals gerade als Bibliothekar arbeitete. Szepes schrieb den Roman 1946, weil sie während des Krieges ihr Kind verlor und durch dieses Ereignis in tiefe Depressionen stürzte, die Hinterfragungen aufwarfen, warum das alles geschehen war. Sie fand wohl eine Antwort auf ihre Fragen und begann ihre Gedanken in einem Essay auszuformulieren, aus dem dann nach und nach ein dicker Roman wurde.
Szepes wurde 1908 geboren und wuchs in einer ungarischen Künstlerfamilie auf. Sie sagt über das Schreiben:
»Jene Bücher, von denen ich glaubte, sie würden nicht erscheinen, so lange ich lebte, habe ich nie anders geschrieben als im Feuer brennend, mit einem Gehirn wie glühende Kohle, von einer unwiderstehlichen Kraft mitgerissen, die man vielleicht Inspiration nennen kann.«
Worum geht es also in diesem Werk? Der Erzähler, ein Seelenarzt, der sich mit den Tiefen des Unbewussten und der Geisterwelt beschäftigt, erhält einen eigenartigen Brief, in dem ihm ein Adam Cadmon seine baldige Ankunft mitteilt. Keiner weiß, wo der Erzähler lebt, um so erstaunlicher ist das Auftauchen des Mannes, mit dem sofort eine tiefe Vertrautheit entsteht, während dieser sich dazu auch noch in dem Werk auskennt, dass der Erzähler noch gar nicht veröffentlicht hat, aus dem Cadmon sogar ganze Passagen zitiert. Er erklärt das so:
"In Ihrem Bewusstsein ist der ganze Komplex fertig, und ich habe ihn abgelesen. Diese Fähigkeit schlummert in jedem Menschen, man muss sie nur entwickeln."
Cadmon kündigt an, dass sich die Welt bald in Finsternis wandelt und die große Blutflut alles überschwemmt. Übrig bleiben nur die Menschen, die nicht den Dämonen verfallen sind, alle anderen werden sterben. Gleichzeitig stehen die Planeten und Sterne in gleicher Konstellation wie bei der Geburt Christi. Daher wird ein neuer Messias von einem jüdischen Mädchen geboren werden, und zwar im Krieg, inmitten eines Ghettos. Cadmon übergibt dem Erzähler ein Manuskript zur Aufbewahrung, das denjenigen, die geläutert sind, als Fackel dienen soll, während es den verdorbenen Menschen Wahnsinn bringt. Es enthält die Geschichte seiner zahlreichen Wiedergeburten, beginnend mit dem Leben von Hans Burgner im Jahr 1515.
Der Zeitsprung in die Vergangenheit offenbart die Suche nach dem Stein der Weisen mit dem Pulver des roten Löwens, das nicht nur Blei in Gold verwandelt, sondern vor allen Dingen ein Elexier gegen den Tod ist. Davon ist Burgner bald völlig besessen, da er Vater und Onkel verliert.
"Noch vor wenigen Augenblicken war ein Mensch am Leben, lächelte, fühlte und dachte an die Inseln irgendwo im warmen blauen Meer, wo uralte Paläste voller Schätze standen, dachte darüber nach, welche Wesen auf anderen Planeten lebten, erforschte das starre Antlitz des Mondes, erzählte von Zyklopen und Ungeheuern … und streckte sich plötzlich aus und war tot."
Sein Onkel war auch derjenige, der ihn in die Geschichte der Alchemie einweihte. Nach dessen Tod begibt sich Burgner nach Nürnberg, wo er einen verarmten Arzt trifft, der ihm imponiert und dem er sich als Schüler anbietet. Bald entdeckt er, was es mit ihm auf sich hat und sein Leben verwandelt sich in einen verwirrenden Kreislauf des Schreckens und der Erkenntnisse.
"Was glaubst du, warum der Mensch wohl hinter herabgelassenen Zeitschranken lebt, bis die finstere Unwissenheit in ihm ausgebrannt ist?"
Das beantwortet der Roman. In Verbindung mit diesem fällt einem auch direkt ein Ausspruch von Racine ein, der da lautet:
"So besitzt der Mensch hienieden nur düstere Klarheiten."
Tatsächlich beeindruckt das Werk aber vor allen Dingen durch die Geschichte. Sie ist fesselnd in der Entwicklung. An Stilistischem oder offenem Denkraum ist dagegen eher weniger geboten, wenn man von den esoterischen, mystischen und kabbalistischen Zwischenphasen einmal absieht. Gezeigt wird, wie eine höhere Sache für niedrige Zwecke mißbraucht wird und das Ereignis der Wiedergeburt dann zur Läuterung führt. Interessant sind besonders die Wahnvorstellungen als Höllenfahrten, der Kampf mit den eigenen Dämonen, der Strudel der Lust, durch den der Protagonist immer wieder ins Leben taucht, das geschichtliche Panorama und die zahlreichen bildhaften Beschreibungen. Natürlich tauchen auch Gestalten wie Raymundus Lullus, Cornelius Agrippa von Nettesheim, Giuseppe Francesco Borri, Friedrich III. oder Königin Christina von Schweden auf. Letztere wird im Buch als verrückter Hermaphrodit vorgestellt, was durchaus nahe an der Wahrheit ist. Sie wurde als Kronprinz aufgezogen, heiratete nie und schwärmte für ihre Hofdamen. Bei Wikipedia heißt es über sie:
"Christina hatte wenig Weibliches in ihrem Auftreten. Sie hatte eine tiefe Stimme, ging meistens einfach und als Mann in Hosen und Stiefel gekleidet und ließ sich ihre Haare wie ein Mann schneiden. Sie hatte eine ausgeprägte Vorliebe für erotische Kunst, Literatur und Autoren wie Pietro Aretino."
Szepes macht aus ihr einen Mann, den die Frau absorbiert hat und die im ewigen Kampf miteinander sind, eine Beschreibung, die ich nicht schlecht fand. Der Protagonist schlüpft übrigens häufig in die Rolle einstiger Scharlatane, Ärzte und Alchemisten oder hat bedeutende Persönlichkeiten als Gönner. Sein Weg führt aus den Tiefen der Hölle in die Transmutation der höheren Erkenntnis.
Noch eine kleine Anmerkung am Rande. Ich denke, eine Stelle verweist besonders auf die Verarbeitung des Kindstod. Da heißt es:
"Es war nicht leicht, mit einer merkwürdigen Seelenschwangerschaft irgendwo vor Anker zu gehen. Sooft ich auf eine Gebärmutter traf, die mit ihrer nervösen, empfindlichen, bizarren Verwandtschaftsfrequenz den Kontakt zu mir herstellte, war sie unfähig, mich auszutragen. Entweder stieß sie mich aus, oder sie war unfähig, so viel Lebenskraft zu sammeln, dass ich nach meiner Geburt mehr als einige Monate überlebt hätte. Das waren ermüdende, entsetzliche Experimente zwischen den Versuchungen der Empfängnis, der embryonalen Entwicklung, den Versuchungen der Geburt und des Todes, bis es mir schließlich gelang, am 25. Dezember 1616 endlich festen Boden zu gewinnen."
Vielleicht konnte sich Szepes mit dieser esoterischen Sicht trösten.
Alle Zitate der Ausgabe entnommen: Mária Szepes "Der rote Löwe", Piper Verlag)
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