HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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Nun habe ich es auch endlich geschafft, "Die Gelehrtenrepublik" von Arno Schmidt zu lesen, der Titel huldvoll an Klopstock angelehnt. Da macht sich also der Urgroßneffe des Schriftstellers nach einem Atomkrieg auf, um in einem verstrahlten und kaum zugänglichen Hominidenstreifen hinter einer riesigen Mauer zu landen (irgendwo in der Zukunft, versteht sich), der gut bewacht ist, selten Besucher empfängt, außer ihm, Mr. Winer, und von dem es heißt, dass dort Zentauren (m/w) leben: "(Mensch, wieso liegt hier ein nacktes Mädchen? Und auf einem (erlegten ?) Reh ? !)" . Die Fahrt dorthin wird, nach etlichen Sicherheitsvorkehrungen, mit dem Heißluftballon absolviert und man landet und erkundet die Welt unter Kakteensäulen (na, da nicht direkt, da warten die Arachnoiden alias never-nevers mit giftigem Stachel).
Wer so schreibt, der wird auch so rezensiert. Und klar, das alles fängt schon gut an und wird immer besser. Man ist schnell drin, in diesem faszinierenden Sog. Schmidt ist ganz in seinem Element, wobei er das Konzept wohl später in "Zettel's Traum" ausbaut und ordentlich überstrapaziert. Hier dann auch schon das Arbeiten mit Hinweisen und Klammern:
Zitat von Schmidt
"(In den Krater Wargentin, im Süden, hatten beide Staaten, USA und UDSSR, angeblich ihr (gesamtes spaltbares Material geschossen — jeder genau 2.000 Bomben — und das Ergebnis war ein rechter Halemaumau in jener Wallebene gewesen, auch bei Neumond sichtbar. Je nun, er war ja ‹unter Kontrolle›, wie uns alle Fortzlang versichert wurde (dabei konnte sich jedes Kind am Arsch abklavieren, daß man die Versuchsexplosionen bloß in interplanetarische Räume verlegt hatte : woher wohl sonst die vielen, ungewöhnlich hellen, Sternschnuppen ?...) "
Arno Schmidt ist ein unbeschreiblicher Wort-Künstler und schafft es, seine Fantasiewelt unglaublich lebendig zu machen. Auch der Humor brüllt an allen Ecken und Kanten, dabei wird man auf so manches Wort gelenkt, über das man noch nie nachgedacht hat - Schmetterling zum Beispiel: "Das muß auch ein deutsches Rindvieh gewesen sein, der für die paar Kleingaukler den Hammervorschlag ‹Schmetter› erfinden konnte !" Schließlich geht's ab in die Gelehrtenrepublik bzw. auf die Insel der Wissenschaftler und Künstler, wo die Bibliotheken leer bleiben, damit sich keiner der dortigen Poeten des Plagiats bezichtigen lassen muss, obwohl das geballte Wissen extra bereit steht: "Alle Antiquare der Erde lieferten ihre Kataloge zuerst hierher, damit sich die Parnassiens nach Behagen aussuchen konnten : »Sinnlos : Niemand!"
Diese Insel-Plattform gigantischen Ausmaßes zeigt sich allerdings auch nach der Katastrophe in zwei Hälften gespalten. Hier stehen sich die Erzfeinde Amerika und Sowjetunion wie gewohnt gegenüber und erweisen sich in ihrer Vorstellung eines Ortes, wo nur die Besten der Besten schöpfen dürfen, umgeben von Wissenschaft und Personal, doch als ganz verschieden, zumindest in Hinblick auf das Individuum und das Kollektiv, aber dann doch nicht so verschieden, wenn es um den Machtanspruch geht. Da sind sie völlig gleich in ihren Verbrechen. Beide Seiten sind einzigartig gelungen in der Charakterisierung. Ich denke, Schmidts "Gelehrtenrepublik" ist wohl einer der schönsten Rufe nach Frieden und ein Kopfschütteln über den Unsinn der Welt, die sich mit Kriegen das Menschsein austreibt.
Die ganze Zeit fragt man sich daneben, wie jemand so etwas schreiben kann, so viele Einfälle pro Millisekunde hat und es schafft, Sprache sichtbar zu machen, dahinter immer der Kommentar des Übersetzers als Selbstbespiegelung und immer die literarischen Andeutungen und Verbeugungen. Da flennt einem wahrhaft "Regen von den Backen", vor Begeisterung und vor Lachen. Dass "Zettel's Traum" eine Herausforderung wäre, ist nicht abzustreiten, aber bei den Preisen für diesen Wälzer wird dieser Lesegenuss wohl noch warten müssen. Schöne Einblicke in Schmidts Schreibkosmos gibt es übrigens hier: https://www.arno-schmidt-stiftung.de/eba/search Es bedarf nur eines Stichworts und es öffnen sich ganze Seiten aus seinen Büchern, darunter auch schöne Auszüge aus Zettel's Traum.
(Alle Zitate der Ausgabe: Arno Schmidt "Die Gelehrtenrepublik, Fischer Taschenbuch Verlag entnommen.)
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