HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
|
heute wird in den gedichten nicht
mehr gestohlen
keiner steht schmiere und ängstigt
sich am meisten
keiner flüstert in den gedichten
hast du noch was von dem
guten slivovitz
nein
in den gedichten wird nicht getrunken
und wenn dann nur in den gedichten
halbverschlafener bosnier oder serben
kroaten oder leuten die slivovitz trinken
keine fickt in den gedichten
was gut ist
denn ficken ist nicht gut
wäre in den gedichten
vom ficken die rede
gäbe es gleich eine riesenschelle
so wie ein handschlag eines tausendfüßlers
so fühlt sich das an
die zeiten sind sensationell
wahrscheinlich gibt es krieg und
wahrscheinlich werden wir nicht
beschossen
weil es bei uns nur fahrradhelme gibt
in den gedichten kommt keiner grade aus dem knast
niemand frisst dem anderen sein hasch weg
das hasch wird aber auch nicht geteilt
es wird einfach nicht benutzt
denn in den gedichten ist nie einer hai
höchstens ein einhörn flötet an einer schraube
das ist auch schon alles
Manchmal sorgt so ein Kniff für den wesentlichen Unterschied, vor allem wenn, so wie in diesem Fall, ein nur indirekt metafiktives Element wiederholt eingeflochten wird.
Auch gut die Art wie die "Botschaft" nie ganz klar ist. Bei den Fahrradhelmen ließ der Gedanke an die EU-Cookie-Richtlinie und das lästige Wegklicken der entsprechenden Pop-up-Fenster, was ja auch nicht vor den Hackern und den Datenschnüfflern schützt, die Ironie die Oberhand gewinnen.
Zeitkritik in dieser Form ist wichtig. Früher dachte ich immer, Poesie sollte nicht politisch sein. Heute geht das nicht mehr und wahrscheinlich früher ebenso nicht. Gefällt mir, das Gedicht, auch in den radikalen und bewusst "deftig" gesetzten Ebenen.
Als kleine Erwiderung von mir folgende Zeilen:
Gedichte beißen nicht
Gedichte sind Fluch geworden, Kreuz
auf grüner Haut im Opiumtraum.
Bellen nur laut, wenn das Klima verbrennt
und Friedenstauben auf Stahlhelmen landen.
Gedichte töten nicht, wetzen nur Messer
als Ton, der den Zweifler zum Wahnsinn treibt.
Das Wort ist geschwärzt und klirrt wie Eis.
Im Cocktail verrührtes Knochengebein.
Sie tanzen beschwipst unter Marys Galgen,
der Schatten aufs träge Gewissen wirft.
Sie wühlen im Schmutz, um Reinheit zu künden.
Verwesungsruf bis ins Gelobte Land.
Das Gedicht ist der Dornbusch, der ewig brennt,
auch dann, wenn die Narben wieder verblassen.
Das Wort wird zur Asche und Auferstehung.
Wo Tote marschieren, liegt Wüste verlassen.
🙂✌️
Art & Vibration
Gedichte sind genormt
geköpft
landen im topf
einerlei
gedichte erzählen nicht
sie sagen uns
nicht
warum wir die türe
mit den rostigen stellen
unbedingt öffnen müssen
sie rufen
öffnet sie nicht
gedichte sind billige gesten
wortlos gewordene worte ziehen
von einem lob zum anderen
gedichte sind der streifschuss
mit der dir
eine bosnische heckenschützin das leben erklärt
falte es zusammen und verlange mehr davon