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Iwan Schmeljow
in Die schöne Welt der Bücher 14.05.2024 21:33von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Iwan Schmeljow
"Der Mensch im Restaurant"
"Manchmal tut sich der Mensch mit seinem ganzen Inneren vor uns auf, und dann sieht man erst, was sich unter seinem gestärkten Hemd für ein Gekröse verbirgt …"
Dieses Buch ist einfach herrlich. Während es von den schwierigen Bedingungen des Lebens spricht, ist darin ein so unbeschreiblich schöner Humor enthalten, dass man völlig überrascht einfach loslacht. Das kommt dann immer so trocken herüber, wenn der Kellner Jákow Sofrónytsch Skorochodow (wie oft in russischen Romanen steckt hinter dem Namen ein Hinweis auf den Charakter der Figur, hier in der Bedeutung: "der Schnellfüßige") über sich selbst und seine Familie berichtet, die dekadenten Gäste in seinem Restaurant oder auch die Tricks und Kniffe der Belegschaft beschreibt, um ihnen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Bestellt eine Dame z. B. eine Filet a la Cayenne...
"... so kostet eine Portion anderthalb Rubel, während der Aufschlag für die Schärfe dreieinhalb beträgt! Und Granit Victoria auf Pariser Art! Was hier Pariser Art bedeutet, weiß der Küchenchef vielleicht selber nicht. Er legt ein Blättchen Salat woandershin, und fertig ist die Pariser Art!) "
Die Familie Skorochodows besteht aus Luscha, seiner Frau, Nikolai oder Kolja, seinem Sohn, und Natascha, der Tochter. Da sie arm sind, haben sie Untermieter, so der Denunziant und Selbstmörder Kriwoi, der Posaunenspieler Tscherepachin, der später verrückt wird, und andere Dissidenten. Durch Kolja, der das revolutionäre Russland repräsentiert, rutscht die Familie nach und nach ins Elend ab, bis dieser dann auch noch unschuldig verhaftet wird. Am Ende leuchtet blass eine Art Happy End auf, jedoch vernarbt durch etliche Schicksalsschläge à la Hiob.
"Der Mensch im Restaurant" ist eines der besten Bücher, das ich in letzter Zeit gelesen habe und das mich wunderbar amüsiert und auch tief bewegt hat. Dazu mag ich Schmeljows russisch-orthodoxe Sichtweise, die hier seine Figur Skorochodow verkörpert, der die Moral in den Vordergrund stellt, indem er sich selbst, trotz der Niedrigkeiten des Lebens, nicht verrät und so seine Seele rettet.
Geschrieben ist der Roman im sogenannten Skas-Stil, mit realistischem Grundton. Dabei legt Schmeljow seinem Erzähler die eigenen Gedanken in den Mund und bedient sich verschiedener tonaler und stilistischer Dimensionen der gesprochenen Sprache. Das Restaurant nimmt im Buch natürlich den Mittelpunkt ein. Während dort die feine Gesellschaft (die alles andere als feine Manieren hat) sich selbst zelebriert, läuft daneben das harte und leidvolle Dasein des liebenswerten Protagonisten ab und wird einzigartig in seinen Beobachtungen gespiegelt.
»Das ganze Leben – ein einziges Restaurant. Ringsum wird tagaus, tagein getrunken und gepraßt, und unsereins schleppt sich mit Tabletts und Schüsseln ab und sieht zu, wie andere schlingen und zechen.«
Wer Melvilles "Bartleby", Nabokovs "Pnin" und die Erzählungen Tschechows liebt, wird hier ähnlich begeistert sein. Der Titel, von Gorki empfohlen, bezieht sich vor allem auf das Wort "Tschelowjek" (Mensch), denn im vorrevolutionären Russland war es üblich, dass der Gast den Bediensteten in einem Restaurant mit "tschelowjek" ansprach, wobei oft ein unpersönlicher, manchmal sogar herablassender Unterton mitschwang. Und das kriegt zur Erheiterung des Lesers auch der gute Jakow immer wieder hart zu spüren.
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P. S. Etwas bekannter ist Iwan Schmeljow wahrscheinlich durch sein Werk "Der Toten Sonne", das Thomas Mann und Hamsun hochgelobt haben, in dem aber das Leid und der Hunger der Menschen auf der Krim stark im Vordergrund stehen und auch jedweden Humor ersetzen. Die Leichtigkeit des "Menschen im Restaurant" ist darin nicht zu finden, jedoch eine tiefe Poesie und eine schonungslose Sichtweise auf die Dinge. Schmeljow hat eine ganz eigene Stimme, die auch in der Übertragung ins Deutsche nicht verloren geht. Beide hier genannten Werke sind neu übersetzt. Andere Werke des Schriftstellers gibt es nur noch in älteren Ausgaben.
(Alle Zitate stammen aus der Ausgabe: Iwan Schmeljow "Der Mensch im Restaurant", Die andere Bibliothek)
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