HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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In letzter Zeit gelesen und für gut befunden:
Atanas Skema "Das weiße Leintuch"
"Ich habe vergessen, dass ich nur einmal lebe. Ich habe gelebt, als würde ich mich auf immer neue Leben vorbereiten."
Faszinierend verbinden sich hier meine Interessen für das New York der 50er Jahre und das Leben der Emigranten, mit der Suche nach Wahrheit und der Liebe zur Poesie. Skema ist beeindruckend, verschachtelt sein eigenes Leben, um einen sterbenden Dichter auferstehen zu lassen, dem seine Sprache abhanden gekommen ist und der als Liftboy in einem New Yorker Luxushotel nur noch seine Erinnerung hat. Diese wird poetisch verwoben, während immer auch die Gegenwart durchschimmert. Verliebt in eine verheiratete Frau flieht der Erzähler Atanas nicht nur vor ihr, sondern auch vor sich selbst. Litauen, sein Heimatland, liegt in weiter Ferne, ist aber tief in seinem Herzen verankert. Trotzdem wirft ihm sein Freund vor:
"Du müsstest in Litauen deklamieren, im Wald. Dort hättest du Zuhörer, die bereit sind zu sterben. Dort wäre deine patriotische Rhetorik eine Waffe. Hier aber bist du in Sicherheit und bekommst Honorare. Das ist unanständig."
Ein weiteres hervorragendes Buch des Schriftstellers sind seine "Apokalyptischen Variationen".
Alain Claude Sulzer "Ein perfekter Kellner"
Fast könnte man anfangs meinen, hier ist die Geschichte Thomas Manns erzählt, aus den Augen eines Kellners, der den Mann, den er liebt, verliert, weil dieser als Diener mit dem berühmten Schriftsteller nach Amerika geht und ihn dafür sitzen lässt. Sulzers Version ist allerdings weitaus tragischer. Nach 30 Jahren erhält der Kellner einen Brief von seinem einstigen Geliebten, in dem er ihn um Hilfe bittet, um Geld von jenem Schriftsteller zu erhalten, mit dem er anscheinend nicht mehr zusammen ist. Die Geschichte, die er auftischt, ist gelogen. Dennoch hilft ihm sein Freund und erpresst sogar den Schriftsteller, der sich zunächst weigert. Es geht darum, zu zeigen, wie der Stolz den Gefühlen unterliegt und wie sich das Leben durch Verrat verändert. Das Ganze ist gut und flüssig erzählt, mit erstaunlicher Präsenz der Figuren, ohne dass das eigentliche Thema zu aufdringlich ist.
Art & Vibration