HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
|
Das kurze Leben von Onetti ist ein so bemerkenswertes Werk, dass ich hier darüber nicht viel schreiben mag.
Die Werft halte ich ebenfalls für gelungen, wenn auch sprachlich nicht auf dem Niveau des Kurzen Lebens. In Leichensammler – von Onetti vor der Werft begonnen, aber später veröffentlicht – wird die Vielfalt des Städtchens Santa María aus verschiedenen Perspektiven detailliert beschrieben. Entsteht anfangs noch hier und da der Eindruck von Verwirrung und übertriebener Ausführlichkeit, wirkt nach ein paar Dutzend Seiten vieles um so klarer, wie die Kapitel mit den anonymen Briefeschreiberinnen oder wo der 16-jährige Jorge mit Julita, der 30-jährigen verrückten Witwe seines Bruders, zusammen ist, die ihm unter anderem über eine von ihr initiierten oder geduldeten Zusammenkunft in ihrem Haus erzählt: "Sie, die Mädchen; am Nachmittag waren sie da, um anonyme Briefe zu schreiben. Ich mag sie nicht, bestimmt sind die Jungfrauen. Wahrscheinlich kommen sie mir deshalb schmutzig vor."
Die Art der anschließenden Paarung beider ist offenbar ebenso Onetti-typisch wie die Rolle der verrückten Frau.
Wer gern Faulkner liest, wird vermutlich dieses Werk ebenfalls zu schätzen wissen. Über Onetti gibt es zudem einen biografisch-essayistisches Band von Mario Vargas Llosa: Die Welt des Juan Carlos Onetti. Der Peruaner gilt ja als Vertreter eines eher direkten "Realismus", den auch Onetti meist bevorzugt, so in Leichensammler und Die Werft. Allein Das kurze Leben bietet aber streckenweise deutlich mehr.
Bei dem, was Vargas Llosa über Mallea schreibt, unterschlägt er allerdings offensichtliche Parallelen zu Onetti, der diesem einen Roman widmete. Dabei denke ich an die Vereinsamung der Hauptfiguren, das Existenzielle und das Psychologische. Abgesehen davon wird Onettis Werk und Leben von Vargas Llosa wunderbar beschrieben.
Hierzulande wurde Onetti in den letzten Jahren nur noch relativ selten erwähnt. Anders als eine Reihe anderer lateinamerikanischer Größen passt er nicht zum Trend zu gesellschaftlich engagierter Literatur. Vor zwanzig Jahren und somit in weniger politisch überkorrekten Zeiten begann Suhrkamp mit der Veröffentlichung seiner "Gesammelten Werke", was damals schon mutig war, denn massentauglich ist der Autor allein schon wegen seiner für Durchschnittsleser nicht ausreichend simplifizierenden Schreibweise kaum. Zu jener Ausgabe gehört ein Band mit "Sämtlichen Erzählungen", achtundvierzig an der Zahl, von den ich sieben las. Diese sind handwerklich vom feinsten und mit originellen Grundideen, allerdings überwiegend in einer Sprache, über die ich nicht sagen könnte, dass diese nur von diesem Autor stammen könne, obwohl mitunter sprachlich etwas glitzert, wie mit Schadenfreude in Willkommen, Bob:
"Niemand liebte je eine Frau mit der Kraft, mit der ich sein Verkommensein liebe, die Endgültigkeit, mit der er in das schmutzige Leben der Menschen untergetaucht ist."
Das kurze Leben ragt aus Onettis Œuvre wie der Kirchturm aus dem Städtchen, aber auch die Lektüre Leichensammler und Die Werft, beide in Band 3 der Werkausgabe, wird von mir sicher nicht bereut.
Onetti, seinen Erzählern und männlichen Hauptfiguren wurde das Etikett "frauenfeindlich" angeheftet, und weil da vereinzelt etwas dran ist, könnte dies als Triggerwarnung auf die Bucheinbände geschrieben werden, zwecks besserer Vermarktung (Hallo, Suhrkamp! Hört dort jemand?), zumindest gibt es dafür eine Klientel (inklusive Frauen), wenn schon die eigentlichen Qualitäten nicht gewürdigt werden.
Von der uruguayischen Generación del 45, zu der Onetti und Idea Vilariño gehörten, zählt auch Ida Vitale, die noch immer lebt, mit über 100 Jahren.
