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Bunin: "Das Dorf" (1910)
Iwan A. Bunin erzählt von den Brüdern Tichon Iljitsch und Kusma Krasow. Der eine ein Kaufmann und Gutsbesitzer, der andere ein Möchtegernschriftsteller, der es aber auch zu nichts brachte. Ihre Familienkonstellation war auch nicht die Beste. Der Urgroßvater wurde von Windhunden zu Tode gehetzt, weil er die Geliebte seines Herrn absprenstig machen wollte. Der Großvater war ein Meisterdieb, der Vater ein Spekulant, der Pleite machte.
An seine Mutter konnte sich Tichon kaum erinnern.
Das Leben war so stumpfsinnig und von solch einer Perspektivlosigkeit, dass er sein bisheriges Leben vergaß, es lohnt sich nicht, sich an irgendwas zu erinnern, denn der gleiche Stumpfsinn jeden Tag.
Das große Unzufriedenheit zu Gewalt führen kann, können wir hier nachlesen. Sie bricht aus, vergeht wieder, keiner fragt mehr danach. Sogar in manch Landschaftsbeschreibungen, von denen der Roman vorteilhaft zehrt, zeigt sich bedrohliches.
Ein gefügeltes Wort von Kusma fasst das das ganze stumpfsinnige Leben zusammen:
Wie die Armut am leeren Magen nagt zeigt auch eine Szene um den ärmsten Bauern des Dorfes gennant „der Graue“, der ein Schwein, welches durch die Eisdecke des Dorteiches gesackt ist, retten wollte. Der Bauer sprang in den Teich hinterher.
Ivan Bunin (1870 in Woronesch/ Rußland - 1953 in Paris/ Frankreich) gilt als letzter Vertreter der russischen literarischen Tradition des neunzehnten Jahrhunderts. Er kannte noch Tolstoi, Tschechow und Gorki. Aufgrund der Wirren nach der Oktoberrevolution floh er 1920 nach Paris. Auch im Exil blieb seine Literatur thematisch in Russland.
Sein Roman „Das Dorf“ (1910) spiegelt den Untergang des alten traditionsreichen Russlands wieder. An einer Stelle heißt es:
Soviel Tristesse kann ich nur verdauen, weil es gut geschrieben ist. Sogar in der deutschen Übersetzung kann man spüren, welch dichterische Kraft das Werk hat. Der Autor verzichtet auf jedes psychologisieren der Figuren, er erzählt einfach, wie es ist. Im strengen Sinne handelt es sich nicht um einen Roman. So gibt es keine Romanhandlung, die sich aufbaut bis zu einer Schlusswendung, eines Plots. Sondern wir lesen Bilder und Szenen. Ein Dorfleben wie eine Anreihung verschiedener Fotografien, wie eine Dorchronik, die vom Autor geschickt zusammengefügt wurden und so zu einem Ganzen wurden. Bunin sprach von einem „Poem“.
Liebe Grüße
Martinus
Iwan A. Bunin erzählt von den Brüdern Tichon Iljitsch und Kusma Krasow. Der eine ein Kaufmann und Gutsbesitzer, der andere ein Möchtegernschriftsteller, der es aber auch zu nichts brachte. Ihre Familienkonstellation war auch nicht die Beste. Der Urgroßvater wurde von Windhunden zu Tode gehetzt, weil er die Geliebte seines Herrn absprenstig machen wollte. Der Großvater war ein Meisterdieb, der Vater ein Spekulant, der Pleite machte.
An seine Mutter konnte sich Tichon kaum erinnern.
Zitat von Bunin
“Ja, ich erinnere mich einer schrumpeligen alten Frau...Sie dörrte den Mist, heizte den Ofen, trank heimlich Schnaps, brummte...“ Und weiter nichts".
Das Leben war so stumpfsinnig und von solch einer Perspektivlosigkeit, dass er sein bisheriges Leben vergaß, es lohnt sich nicht, sich an irgendwas zu erinnern, denn der gleiche Stumpfsinn jeden Tag.
Zitat von Bunin
Ja, nie in Moskau! Und warum? Die Schweine ließen es nicht zu! Einmal hatte er für den Laden zu sorgen, ein andernmal für die Herberge, dann wieder für den Ausschank. Und jetzt hinderte ihn der Gaul und die Eber...Ach was, Moskau! In dem Birkenwäldchen jenseits der Landstraße war er auch mehr als zehn Jahre nicht mehr gewesen!
Das große Unzufriedenheit zu Gewalt führen kann, können wir hier nachlesen. Sie bricht aus, vergeht wieder, keiner fragt mehr danach. Sogar in manch Landschaftsbeschreibungen, von denen der Roman vorteilhaft zehrt, zeigt sich bedrohliches.
Zitat von Bunin
Die Mittagssonne brannte, der Wind wehte glühendheiß, der wolkenlose Himmel färbte sich schiefergrau. Und immer zörniger wandte Tichon Illjitsch sein Gesicht von den entgegenfliegenden Staubwolken ab, immer besorgter schielte er auf die mageren, von der Zeit verdorrenden Halme.
Ein gefügeltes Wort von Kusma fasst das das ganze stumpfsinnige Leben zusammen:
Zitat von Bunin
Wort und Tat stimmen nicht überein. Das ewige russische Lied: Wie ein Schwein leben ist scheußlich, und doch lebe ich so und werde immer weiter so leben!
Wie die Armut am leeren Magen nagt zeigt auch eine Szene um den ärmsten Bauern des Dorfes gennant „der Graue“, der ein Schwein, welches durch die Eisdecke des Dorteiches gesackt ist, retten wollte. Der Bauer sprang in den Teich hinterher.
Zitat von Bunin
Das Schwein ertrank trotzdem, der Graue glaubte, aber nun ein Recht zu haben, vom Teich nach dem Gesindehaus zu laufen und Schnaps, Tabak und Essen zu verlangen.
Ivan Bunin (1870 in Woronesch/ Rußland - 1953 in Paris/ Frankreich) gilt als letzter Vertreter der russischen literarischen Tradition des neunzehnten Jahrhunderts. Er kannte noch Tolstoi, Tschechow und Gorki. Aufgrund der Wirren nach der Oktoberrevolution floh er 1920 nach Paris. Auch im Exil blieb seine Literatur thematisch in Russland.
Sein Roman „Das Dorf“ (1910) spiegelt den Untergang des alten traditionsreichen Russlands wieder. An einer Stelle heißt es:
Zitat von Bunin
„Ganz Rußland ist ein Dorf – schreib dir das hinter die Ohren!“
Soviel Tristesse kann ich nur verdauen, weil es gut geschrieben ist. Sogar in der deutschen Übersetzung kann man spüren, welch dichterische Kraft das Werk hat. Der Autor verzichtet auf jedes psychologisieren der Figuren, er erzählt einfach, wie es ist. Im strengen Sinne handelt es sich nicht um einen Roman. So gibt es keine Romanhandlung, die sich aufbaut bis zu einer Schlusswendung, eines Plots. Sondern wir lesen Bilder und Szenen. Ein Dorfleben wie eine Anreihung verschiedener Fotografien, wie eine Dorchronik, die vom Autor geschickt zusammengefügt wurden und so zu einem Ganzen wurden. Bunin sprach von einem „Poem“.
Liebe Grüße
Martinus
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
zuletzt bearbeitet 28.08.2007 12:26 |
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#2
von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
RE: Iwan A. Bunin
in Die schöne Welt der Bücher 31.05.2008 15:34von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Und nun ein paar erste Gedanken zu Bunins Das Leben Arsenjews.
„Dinge und Taten, so nicht aufgeschrieben werden, fallen in Dunkel und sinken ins Grab des Vergessens, wogegen die aufgeschriebenen gleichsam weiterleben…“
Das, was Martinus dort oben vom Dorf berichtet hat, trifft auch bei "Arsenjew" wieder zu. Zuerst dachte ich, dass mich die Zeilen ein bisschen an Proust erinnern, dabei aber mehr von Natur und Gott durchdrungen sind, aber eigentlich sind sie ganz Bunin, ein Schriftsteller, der scheinbar viel Zeit hat, um sein Leben zu betrachten. Hin und wieder erscheint es auch, dass er die fehlende Erinnerung an sich selbst mit der Erinnerung der Landschaften überdeckt. Dazu später.
Hier sehen wir den kleinen Arsenjew auf einem Landgut aufwachsen, während seine Familie von adliger Herkunft, jedoch verarmt ist. Sein Bewusstwerden mit dem Leben und dem Tod ist ausführlich geschildert, Bunin bedient sich einer sehr poetischen Betrachtungsweise.
Sicherlich hat der Tod so eine prägende Wirkung auf Bunin, weil seine Großmutter und dann seine kleine Schwester sterben, als er noch sehr jung ist. Er sagt an anderer Stelle, dass die Menschen dem Tod gegenüber keineswegs gleich empfinden.
Das trifft wohl auch auf ihn zu. Es heißt in der Zusammenfassung, dass Arsenjew ein Pseudonym von Bunin ist, dass man das „Buch beim Lesen wie etwas Atmendes in der Hand“ hält. Alles wirkt von tiefer Emotion durchtränkt, urtypisch russisch, voller Leidenschaft und der Sehnsucht nach der guten und unsterblichen Seele.
Gefallen hat mir der Zeitpunkt, an dem der junge Arsenjew seine Liebe zur Poesie und darin seine „Lebenssubstanz“ entdeckt. Da wird Puschkin rezitiert und Gogol durchleuchtet, Tolstois "Krieg und Frieden" gespiegelt, Lermontows Gut besichtigt. Arsenjew ist fast "Nachbar" dieser großen Schriftsteller, auch wusste ich gar nicht, dass "aus der altertümlichen Pistole eines gewissen Martynow wie aus einer Kanone ein Schuss knallte und Lermontow wie niedergemäht umsank". Es sind karge, aber interessante Einzelheiten, die man erfährt.
Das wirkliche Leben Arsenjews ist eher dürftig, darum lebt er dann eben ein erfundenes, also mehr in seinen Büchern. Wenn man in einer Landschaft aufwächst, „die allein aus Feldern“ besteht, ist das nicht verwunderlich.
Schön, der Vergleich zwischen Westeuropa und Russland:
Das erinnert natürlich auch an die bunten Gestalten der russischen Geschichte, zum Beispiel an die gute und bequeme Seele Oblomow, oder an den gutmütigen Lewin, natürlich auch an den unsagbaren Stolz eines Stawrogin oder Rogoshins. Oft wird die Würde vor die Lebensqualität gestellt, dass das Gute über jede schlechte Anwandlung im Menschen siegt. Russische Literatur scheint mir oft durchtränkt mit dem Streben nach Menschlichkeit, Nächstenliebe und strengem Glauben, gleichzeitig ist dieser Gang immer mit großem Leid behaftet, als könne nur das eine so das andere ausgleichen.
Bunin erhebt so manche Kritik an Russland und seinen Angewohnheiten. Der übersteigerte Patriotismus, die weit verbreitete Überzeugung, ein Russe würde in vielen Fällen anders (besser) denken und handeln, dieser immer auferstehende Stolz auf das Vaterland.
Arsenjew (Bunin) wuchs in einer Zeit „der höchsten Machtentfaltung Russlands“ auf, in einem „gewaltigen russischen Selbstbewusstsein“, und selbst nach der Ermordung des Zaren lebte dieser als mystisch verklärtes Ebenbild Gottes auf Erden in den Herzen der Russen weiter. Oft erscheint es, als würden die Menschen zwei Welten in ihrem Kopf vereinen, die eine schimpft auf den Zaren, die andere verehrt ihn, weil er eben der Zar ist, damit die Vertretung der Russen. Man beschimpft den Menschen und verehrt den Glauben.
Nicht nur für seinen Vater gilt:
Dieser scheint, das klingt aber nur unterschwellig durch die Zeilen, die Familie durch seine Trunksucht zugrunde gerichtet zu haben. Und allgemeiner:
Arsenjew versucht all das, was ihm bald nicht mehr gehören wird, noch einmal zu verinnerlichen und kehrt auch später noch einmal an den Ort zurück:
Dieser Roman zeigt das Heranwachsen eines jungen Poeten, der sich mit seinem Umfeld und sich selbst auseinandersetzen muss. Da seine Familie verarmt ist, der Vater ein Trinker, die Mutter eine sich in die Buße stürzende Glaubensfanatikerin ist, schwankt er in seiner Entscheidung zwischen dem Leben als Schreibender und der Notwendigkeit, Geld verdienen zu müssen.
Dazwischen sind kleine, poetische Happen gestreut, die den Leser in eine schöne Nachdenklichkeit treiben.
Zum Beispiel das Bild von Bunin, als Arsenjew die friedlich ruhenden Pantoffeln des zuvor Verstorbenen entdeckt, macht das Erstaunen über den Tod sehr lebendig. Das Erblicken leerer Schuhe erinnert, finde ich, sowieso an Sarg und an einen seltsamen und von Gewohnheit zeugenden Einbruch in die Traurigkeit über den Tod, lassen ihn für einen kurzen Moment unwirklich erscheinen, als müsse der Verstorbene jederzeit wieder durch die Tür treten und wäre nicht dieses erstarrte Etwas, über das sich die Trauergemeinschaft die Tränen wischt.
Seltsam, wie der Tote, in sich zusammengefallen, nichts mehr mit dem Lebenden gemein hat.
Auch ist die Anspannung der Figuren und Erlebnisse die gleiche, die den Leser umhüllt, man treibt in diesem Meer an Sprache und Wort, verfolgt die Betrübnis durch den Tod und atmet auf, wie Arsenjew dann auch selbst, als er sagt:
Was mir auffällt, sind die farbenprächtigen Augen der bunin’schen Menschen. Da trifft man auf violett schimmernde Blicke oder braune Pupillen. All das fängt das Licht und seine Wirkung mit ein, die Veränderung, die beim Auftreffen oder bei einem Lichtwechsel ins Dunkel vonstatten gehen. Man verspürt den Schimmer, den Glanz, kurz gesagt all das Lebendige darin.
Grundsätzlich aber muss ich sagen, dass bei Bunin recht wenig passiert. Das strengt an, macht den Lesespaß träge, zumindest über die ersten hundert Seiten. Er verwendet mehr Zeit darauf, die Landschaft zu beschreiben, als den Menschen darin, was schade ist. Natürlich mag die Wirkung auf Arsenjew so sein, aber mir als Leser ist es einfach zu langweilig, wenn ich den Garten und die Natur zum x-ten Mal in anderen Farben betrachten muss, denn es ist nun einmal kein Bild, vor dem ich verharre, sondern ein Roman, und von einem Roman erwartete ich eine Handlung.
Was einem über diese Seiten hinweg bleibt, ist mit den Bildern dahinzutreiben, in ihnen jene Deutlichkeit und Echtheit zu spüren, die sie durch Poesie in uns erzeugen, wo die Wanzen, wenn man mit der Kerze über das Kissen fährt, nach allen Richtungen auseinander laufen, wo die Hunde den Bauch des eben verstorbenen und geliebten Pferdes auseinander reißen, wo man durch ein endloses Reich der Schneeflocken reitet, in dem es weder Erde noch Himmel gibt, nichts als etwas unaufhörlich nieder rieselndes Weißes.
Dann wird es in meinen Augen wieder spannender, denn er entscheidet sich, zu den „Sozialisten“ aufzubrechen, mit denen sein Bruder Georgi zusammenarbeitet und gerät in ein ihm völlig neues Milieu, das praktisch tätige Menschen nicht anerkennt und den Kontakt zur Polizei als schweres Verbrechen behandelt. (In vielen russischen Büchern haben wir über die auf einmal völlige Ablehnung der alten Traditionen gelesen, besonders erinnere ich mich an die Ausführungen von Dostojewski.)
Man hört den bissigen Ton doch heraus!
Natürlich muss ein Dichter letztendlich mit den Bolschewisten aneinander geraten, die Tschechow und Tolstoi ablehnen und die Pflicht für das Volk zu arbeiten predigen. Poesie und Politik führen im Gemisch zu meist aufdringlich und unangenehm kalten Erzeugnissen, Poesie muss aber wärmen und nachwirken.
Auch der dionysische Rausch ist von Bunin herrlich ins Wort gefasst:
Wunderbar dann auch die Geschichte über den Besuch in Salzburg, wo Mozarts Schädel ruht, so klein wie ein Kinderkopf, und die Farbe der Tastatur seines Klavichords der Farbe des Schädels entspricht.
So oder so schwanke ich also, kann nicht sagen, wie gut mir das Buch nun wirklich gefällt. Über manche Seiten gleitet, über andere kraxelt man. Oft deutet Bunin nach langen Betrachtungen eine "Handlung" an oder wenigstens eine "Begegnung", und führt sie dann einfach nicht aus, lässt den Leser in dieser Andeutung einfach hängen und ist schon wieder bei einer anderen Betrachtung. Ich denke, für Bunin benötigt man viel Zeit und eine sehr ruhige Stimmung, in der man sich einfach den Zeilen überlassen kann.
„Dinge und Taten, so nicht aufgeschrieben werden, fallen in Dunkel und sinken ins Grab des Vergessens, wogegen die aufgeschriebenen gleichsam weiterleben…“
Das, was Martinus dort oben vom Dorf berichtet hat, trifft auch bei "Arsenjew" wieder zu. Zuerst dachte ich, dass mich die Zeilen ein bisschen an Proust erinnern, dabei aber mehr von Natur und Gott durchdrungen sind, aber eigentlich sind sie ganz Bunin, ein Schriftsteller, der scheinbar viel Zeit hat, um sein Leben zu betrachten. Hin und wieder erscheint es auch, dass er die fehlende Erinnerung an sich selbst mit der Erinnerung der Landschaften überdeckt. Dazu später.
Hier sehen wir den kleinen Arsenjew auf einem Landgut aufwachsen, während seine Familie von adliger Herkunft, jedoch verarmt ist. Sein Bewusstwerden mit dem Leben und dem Tod ist ausführlich geschildert, Bunin bedient sich einer sehr poetischen Betrachtungsweise.
In Antwort auf:
Wir haben kein Gefühl für unseren Anfang und unser Ende. Und ich bedauere sehr, dass man mir gesagt hat, wann eigentlich ich geboren bin. Wäre das nicht geschehen, ich hätte jetzt nicht den geringsten Begriff von meinem Alter – zumal ich seine Bürde noch keineswegs spüre – und wäre also von dem Gedanken befreit, ich habe in zehn oder zwanzig Jahren zu sterben. Wäre ich aber auf einer unbewohnten Insel geboren und lebte auf ihr, ich hätte nicht die geringste Ahnung von der Existenz des Todes. „Wäre das ein Glück!“ möchte ich hinzufügen. Aber wer weiß? Vielleicht auch ein großes Unglück. Und stimmt es denn, dass ich’s nicht ahnen würde? Ist uns das Gefühl des Sterbenmüssens nicht angeboren? Wenn aber nicht, wenn ich es nicht ahnte, liebte ich das Leben dann so wie dereinst und jetzt?
Sicherlich hat der Tod so eine prägende Wirkung auf Bunin, weil seine Großmutter und dann seine kleine Schwester sterben, als er noch sehr jung ist. Er sagt an anderer Stelle, dass die Menschen dem Tod gegenüber keineswegs gleich empfinden.
In Antwort auf:
Manche verbringen ihr ganzes Leben in seinem Zeichen und haben für ihn von frühester Kindheit an ein überspitztes Gefühl (meist bedingt durch ein ebenso überspitztes Lebensgefühl).
Das trifft wohl auch auf ihn zu. Es heißt in der Zusammenfassung, dass Arsenjew ein Pseudonym von Bunin ist, dass man das „Buch beim Lesen wie etwas Atmendes in der Hand“ hält. Alles wirkt von tiefer Emotion durchtränkt, urtypisch russisch, voller Leidenschaft und der Sehnsucht nach der guten und unsterblichen Seele.
Gefallen hat mir der Zeitpunkt, an dem der junge Arsenjew seine Liebe zur Poesie und darin seine „Lebenssubstanz“ entdeckt. Da wird Puschkin rezitiert und Gogol durchleuchtet, Tolstois "Krieg und Frieden" gespiegelt, Lermontows Gut besichtigt. Arsenjew ist fast "Nachbar" dieser großen Schriftsteller, auch wusste ich gar nicht, dass "aus der altertümlichen Pistole eines gewissen Martynow wie aus einer Kanone ein Schuss knallte und Lermontow wie niedergemäht umsank". Es sind karge, aber interessante Einzelheiten, die man erfährt.
Das wirkliche Leben Arsenjews ist eher dürftig, darum lebt er dann eben ein erfundenes, also mehr in seinen Büchern. Wenn man in einer Landschaft aufwächst, „die allein aus Feldern“ besteht, ist das nicht verwunderlich.
Schön, der Vergleich zwischen Westeuropa und Russland:
In Antwort auf:
Zudem wuchs ich inmitten einer äußersten Verarmung des Landadels auf, einer Armseligkeit, die der Westeuropäer nie und nimmer verstehen wird, weil ihm die russische Leidenschaft für jede Art der Selbstvernichtung fremd ist. Diese Leidenschaft war nicht nur dem Adel eigen. Warum in der Tat führte der russische Bauer ein Bettlerdasein, obwohl er bei der großen Weite seines Grund und Bodens immerhin einen Reichtum besaß, von dem der Bauer in Westeuropa nicht einmal träumen konnte, warum rechtfertigte er seinen Müßiggang, seine Verschlafenheit, seine Verträumtheit, kurz die ganze Schlamperei nur damit ,dass man seinem Nachbarn, dem ohnehin mit jedem Jahr immer mehr verarmenden Gutbesitzer, nicht einen weiteren Fußbreit Land abzwacken wollte, um es ihm zu geben? Warum wurde das gierige Raffen der Kaufleute immer wieder durch wilde Orgien der Verschwendung abgelöst – unter Flüchen gegen dieses Raffen, unter bitteren, trunkenen Tränen über ihr fluchwürdiges Dasein, unter Fieberträumen, aus freiem Willen ein Hiob, ein Landstreicher, ein Habenichts, ein irrer Gottesnarr zu werden?
Das erinnert natürlich auch an die bunten Gestalten der russischen Geschichte, zum Beispiel an die gute und bequeme Seele Oblomow, oder an den gutmütigen Lewin, natürlich auch an den unsagbaren Stolz eines Stawrogin oder Rogoshins. Oft wird die Würde vor die Lebensqualität gestellt, dass das Gute über jede schlechte Anwandlung im Menschen siegt. Russische Literatur scheint mir oft durchtränkt mit dem Streben nach Menschlichkeit, Nächstenliebe und strengem Glauben, gleichzeitig ist dieser Gang immer mit großem Leid behaftet, als könne nur das eine so das andere ausgleichen.
Bunin erhebt so manche Kritik an Russland und seinen Angewohnheiten. Der übersteigerte Patriotismus, die weit verbreitete Überzeugung, ein Russe würde in vielen Fällen anders (besser) denken und handeln, dieser immer auferstehende Stolz auf das Vaterland.
In Antwort auf:
Wo aber blieb er später, als Russland unterging? Wieso verteidigten wir nicht all das, was wir so stolz als russisch bezeichnet hatten, von dessen Dauer und Gültigkeit wir so überzeugt schienen?
Arsenjew (Bunin) wuchs in einer Zeit „der höchsten Machtentfaltung Russlands“ auf, in einem „gewaltigen russischen Selbstbewusstsein“, und selbst nach der Ermordung des Zaren lebte dieser als mystisch verklärtes Ebenbild Gottes auf Erden in den Herzen der Russen weiter. Oft erscheint es, als würden die Menschen zwei Welten in ihrem Kopf vereinen, die eine schimpft auf den Zaren, die andere verehrt ihn, weil er eben der Zar ist, damit die Vertretung der Russen. Man beschimpft den Menschen und verehrt den Glauben.
Nicht nur für seinen Vater gilt:
In Antwort auf:
Ach, dieses ewige russische Verlangen nach der Feiertäglichkeit! Wie gefühlsbestimmt wir doch sind, wie sehr wir nach dem Genuss des Lebens dürsten - und nicht nur nach seinem Genuss, sondern geradezu nach einem Taumel; wie sehr uns doch der ständige Rausch, ja die Trunkenheit lockt, wie langweilig uns der Alltag und die planmäßige Arbeit dünken!
Dieser scheint, das klingt aber nur unterschwellig durch die Zeilen, die Familie durch seine Trunksucht zugrunde gerichtet zu haben. Und allgemeiner:
In Antwort auf:
Das berühmte „Russland hat am Trinken Spaß“ war gar nicht so einfach abzutun, wie es zunächst schien. Hing dieser „Spaß“ nicht auch mit dem Gottesnarrentum, der Landstreicherei, dem Eifern für Gott, der Selbstaufgabe und allerlei Meutereien zusammen? Ja selbst mit der erstaunlichen Bildhaftigkeit und dem Sprachgefühl, die der russischen Literatur soviel Ruhm eingebracht hat?
Arsenjew versucht all das, was ihm bald nicht mehr gehören wird, noch einmal zu verinnerlichen und kehrt auch später noch einmal an den Ort zurück:
In Antwort auf:
Wie soll ich die Gefühle wiedergeben, die einen befallen, wenn man frevlerisch, ja gewissermaßen wie ein Dieb in ein altes, verlassenes Haus, in das lautlose, geheimnisvolle Heiligtum seines einstigen, erloschenen Leben späht?
Dieser Roman zeigt das Heranwachsen eines jungen Poeten, der sich mit seinem Umfeld und sich selbst auseinandersetzen muss. Da seine Familie verarmt ist, der Vater ein Trinker, die Mutter eine sich in die Buße stürzende Glaubensfanatikerin ist, schwankt er in seiner Entscheidung zwischen dem Leben als Schreibender und der Notwendigkeit, Geld verdienen zu müssen.
Dazwischen sind kleine, poetische Happen gestreut, die den Leser in eine schöne Nachdenklichkeit treiben.
Zum Beispiel das Bild von Bunin, als Arsenjew die friedlich ruhenden Pantoffeln des zuvor Verstorbenen entdeckt, macht das Erstaunen über den Tod sehr lebendig. Das Erblicken leerer Schuhe erinnert, finde ich, sowieso an Sarg und an einen seltsamen und von Gewohnheit zeugenden Einbruch in die Traurigkeit über den Tod, lassen ihn für einen kurzen Moment unwirklich erscheinen, als müsse der Verstorbene jederzeit wieder durch die Tür treten und wäre nicht dieses erstarrte Etwas, über das sich die Trauergemeinschaft die Tränen wischt.
Seltsam, wie der Tote, in sich zusammengefallen, nichts mehr mit dem Lebenden gemein hat.
Auch ist die Anspannung der Figuren und Erlebnisse die gleiche, die den Leser umhüllt, man treibt in diesem Meer an Sprache und Wort, verfolgt die Betrübnis durch den Tod und atmet auf, wie Arsenjew dann auch selbst, als er sagt:
In Antwort auf:
Die Welt schien wieder jünger, freier, weiter und schöner geworden zu sein, nachdem jemand sie für immer verlassen hatte…
Was mir auffällt, sind die farbenprächtigen Augen der bunin’schen Menschen. Da trifft man auf violett schimmernde Blicke oder braune Pupillen. All das fängt das Licht und seine Wirkung mit ein, die Veränderung, die beim Auftreffen oder bei einem Lichtwechsel ins Dunkel vonstatten gehen. Man verspürt den Schimmer, den Glanz, kurz gesagt all das Lebendige darin.
Grundsätzlich aber muss ich sagen, dass bei Bunin recht wenig passiert. Das strengt an, macht den Lesespaß träge, zumindest über die ersten hundert Seiten. Er verwendet mehr Zeit darauf, die Landschaft zu beschreiben, als den Menschen darin, was schade ist. Natürlich mag die Wirkung auf Arsenjew so sein, aber mir als Leser ist es einfach zu langweilig, wenn ich den Garten und die Natur zum x-ten Mal in anderen Farben betrachten muss, denn es ist nun einmal kein Bild, vor dem ich verharre, sondern ein Roman, und von einem Roman erwartete ich eine Handlung.
Was einem über diese Seiten hinweg bleibt, ist mit den Bildern dahinzutreiben, in ihnen jene Deutlichkeit und Echtheit zu spüren, die sie durch Poesie in uns erzeugen, wo die Wanzen, wenn man mit der Kerze über das Kissen fährt, nach allen Richtungen auseinander laufen, wo die Hunde den Bauch des eben verstorbenen und geliebten Pferdes auseinander reißen, wo man durch ein endloses Reich der Schneeflocken reitet, in dem es weder Erde noch Himmel gibt, nichts als etwas unaufhörlich nieder rieselndes Weißes.
Dann wird es in meinen Augen wieder spannender, denn er entscheidet sich, zu den „Sozialisten“ aufzubrechen, mit denen sein Bruder Georgi zusammenarbeitet und gerät in ein ihm völlig neues Milieu, das praktisch tätige Menschen nicht anerkennt und den Kontakt zur Polizei als schweres Verbrechen behandelt. (In vielen russischen Büchern haben wir über die auf einmal völlige Ablehnung der alten Traditionen gelesen, besonders erinnere ich mich an die Ausführungen von Dostojewski.)
In Antwort auf:
Natürlich gab es in diesem Milieu recht unterschiedliche Menschen, unterschiedlich nicht nur, was den Grad ihrer Liebe zum Volk und ihres Hasses gegen seine „Feinde“ betraf, sondern auch ihrem äußeren und inneren Wesen nach. Dennoch blieben sie im allgemeinen reichlich engstirnig, gradlinig und unduldsam und bekannten sich zu etwas recht Einfältigen: Menschen sind doch nur wir und allerlei „Erniedrigte und Beleidigte“; alles Böse steht rechts, alles Gute links, alles Helle und Schöne bewahrt das Volk in seinen Überlieferungen und Ahnungen; alles Unglück kommt von der Regierungsart und von den unfähigen Regierenden (die man geradezu als einen fremden Volksstamm ansah); es gab nur eine Rettung – den Umsturz, die Konstitution oder gar die Republik.
Man hört den bissigen Ton doch heraus!
Natürlich muss ein Dichter letztendlich mit den Bolschewisten aneinander geraten, die Tschechow und Tolstoi ablehnen und die Pflicht für das Volk zu arbeiten predigen. Poesie und Politik führen im Gemisch zu meist aufdringlich und unangenehm kalten Erzeugnissen, Poesie muss aber wärmen und nachwirken.
Auch der dionysische Rausch ist von Bunin herrlich ins Wort gefasst:
In Antwort auf:
Er erschloss mir eine unbekannte, berauschende, qualvoll erhabene Welt, in die ich bei den ersten Tönen mit verzückter, ja erschrockener Freude eintrat, um gleich darauf jener größten, trügerischen Täuschung zu erliegen (dem eingebildeten, göttlichen Vermögen, allselig, allmächtig und allwissend zu sein), die nur die Musik und gewisse Augenblicke der dichterischen Inspiration zu bewirken vermögen.
Wunderbar dann auch die Geschichte über den Besuch in Salzburg, wo Mozarts Schädel ruht, so klein wie ein Kinderkopf, und die Farbe der Tastatur seines Klavichords der Farbe des Schädels entspricht.
So oder so schwanke ich also, kann nicht sagen, wie gut mir das Buch nun wirklich gefällt. Über manche Seiten gleitet, über andere kraxelt man. Oft deutet Bunin nach langen Betrachtungen eine "Handlung" an oder wenigstens eine "Begegnung", und führt sie dann einfach nicht aus, lässt den Leser in dieser Andeutung einfach hängen und ist schon wieder bei einer anderen Betrachtung. Ich denke, für Bunin benötigt man viel Zeit und eine sehr ruhige Stimmung, in der man sich einfach den Zeilen überlassen kann.
Art & Vibration
zuletzt bearbeitet 31.05.2008 16:24 |
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