HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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Selbständige und unselbständige Aphorismen, Dialoge und Reste aus Dialogen, Synopsen, Protokollsätze, Bekenntnisse, Axiomata, offene, noch nicht zerschlissene Analysen, Überbleibsel, triviale Effekte, Parallelen, Analogien, Folgerungen, Verschleierungen, etc. etc.
Im Vorwort schreibt Max Bense:
In Antwort auf:
Durch alle Bilder und Aussagen, alle Metaphern und Reflexionen Jean Genets, schimmert als beständiges Korrelat der Selbstbeschreibung die abstrakte Überlegung, wie weit eine öffentliche Moral für künstlerische Schöpfung, die stets intim ist, überhaupt zuständig ist, anders ausgedrückt: wie weit ein ästhetischer Prozeß ethisch bestimmt und vielleicht aufgehoben werden kann.
Bei all diesen Erlebnissen, die den Leser in diesem Buch faszinieren, erweist sich trotz allem, "dass dieser Autor durchaus kein pornographischer, sondern ein metaphysischer Schriftsteller ist".
Was mein Interesse in erster Linie an Genet geweckt hat, ist sein Lebenslauf. Er wurde 1910 in Paris geboren, über seine Eltern ist nichts bekannt, und mit zehn Jahren kam er in eine Erziehungsanstalt, aus der er aber nach einigen Jahren weglief. Er vagabundierte dann durch Europa und bestritt seinen Lebensunterhalt durch Diebstahl, Zuhälterei und Schmuggel. Im Zuchthaus von Fresnes schrieb er seine ersten Gedichte und seinen ersten Roman "Notre-Dame des Fleurs", und Leute wie Sartre (dem diese Aufzeichnungen gewidmet sind), Cocteau oder Picasso haben sich nach dem Kriege für eine Freilassung von Genet stark gemacht.
Dieser Mensch, der eigentlich die ganze Zeit um das Überleben kämpft, unzählige Festnahmen und später dann Depressionen mitgemacht hat, schreibt in seinen Aufzeichnungen:
In Antwort auf:
Dieses Buch will nicht, seiner einsamen Sphärenbahn am Himmel folgend, ein Kunstwerk, ein vom Verfasser und von der Welt losgelöstes Objekt sein. Ich hätte mein bisheriges Leben auch in einem anderen Stil, mit anderen Worten schildern können. Ich habe aus ihm ein Heldenleben gemacht, weil ich das, was dazu nötig ist, in mir trug: den Schwung der Begeisterung.
Aber noch ein bisschen intensiver auf Genets seltsames Leben eingegangen.
Bei Wikipedia heißt es schön ausführlich:
In Antwort auf:
Von Juli 1936 bis Juli 1937 war Jean Genet als Deserteur auf der Flucht. Er durchwanderte dabei viele europäische Länder und legte angeblich 8.500 km zurück. Er kam nach Italien, Albanien, Jugoslawien, Österreich, Tschechoslowakei, Polen, Deutschland, Belgien und schließlich nach Paris. Immer wieder wurde er verhaftet, für ein paar Tage oder Wochen inhaftiert, und in das nächste Land abgeschoben.
Er blieb auch ein paar Tage in Berlin und lebte dort, wie so oft während dieser Reise, von der Prostitution. In Berlin traf er Wilhelm Leuschner, der später wegen angeblicher Beteiligung am Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 gehenkt wurde. Lily Pringsheim schreibt später: Es ist ein ewiger Jammer, daß Genet nicht dazu ausersehen war, Hitler zu ermorden. Als unbekannter Vagabund und Bettler, der politisch unverdächtig und Ausländer ist, hätte es ihm gelingen können.
Zurück in Paris beginnt eine Serie an Festnahmen.
Nachdem Genet seine ersten Gedichte und seinen ersten Roman im Gefängnis geschrieben hatte, wobei zuerst Jean Cocteau seine Begeisterung für diese Schriften zeigte, stieg ganz langsam sein Bekanntheitsgrad in den Pariser Kreisen.
In Antwort auf:
(...) trotz seiner steigenden Anerkennung versuchte er sich weiter als Dieb, und wurde am 29. Mai 1943 erneut verhaftet. Diesmal stand er nicht allein vor dem Richter, denn Cocteau besorgte ihm sofort einen Anwalt. Er wurde ein psychologisches Gutachten erstellt, das als Ergebnis feststellte: Genet dürfte als jemand bezeichnet werden, der zu jener Menschenkategorie gehört, denen moralische Verantwortlichkeit leicht vermindert ist. Ihm drohte aufgrund seiner vorigen Verurteilungen lebenslange Haft, aber der Richter blieb bei seinem Strafmaß genau einen Tag unterhalb dieser Grenze. Somit wurde er am 30. August 1943 wieder entlassen.
In Antwort auf:
Von 1944 bis 1947 war Genet juristischer Status sehr unsicher. Es waren noch zwei Jahre Haft anhängig, die vollstreckt worden wären, wenn er erneut straffällig geworden wäre. Somit lebte er in der Gefahr, erneut eingesperrt zu werden.
PARISER KREISE
Jean Genet fand nach der Entlassung aus dem Gefängnis immer mehr Aufnahme in den künstlerischen Kreisen von Paris. Anfangs verkehrte er viel in der Gesellschaft um Jean Cocteau, dort lernte er u. a. Boris Kochno, Christian Bérard (der später das Bühnenbild für „Die Zofen“ entwarf) und den Schauspieler Jean Marais kennen. Dann orientierte er sich zunehmend zu der Szene in Saint-Germain-des-Prés. Hier traf er auf Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir, Roger Blin, Alberto Giacometti, Pablo Picasso, Dora Maar und Jacques Prévert.
Danach folgten dann die ersten Schreibblockaden und Depressionen. Genet berichtete Cocteau hin und wieder, er würde seine aktuellen Werke vernichten und verbrennen. Dazu kam eine sehr unglückliche Liebschaft, die ihn in mehrere Selbstmordversuche trieb.
In Antwort auf:
Er war verliebt in einen römischen Stricher, doch er bekam nur Gefühlskälte zurück und wurde ausgenutzt. Genet reiste mit ihm, kleidete ihn ein und gab ihm Geld, somit wurde es Sex für Bezahlung.
Danach kam eine neue Schaffensphase.
In Antwort auf:
Zwischen 1955 und 1957 schuf Genet seine drei abendfüllenden Theaterstücke: „Der Balkon“, „Die Neger“ und „Die Wände“. Zu der Zeit lernte er den Bildhauer Alberto Giacometti kennen und bald verband eine tiefe Freundschaft diese Künstler. Giacometti schuf vier Zeichnungen und drei Gemälde von Genet, der wiederum einen vielgelobten Essay über ihn schrieb („Alberto Giacometti“, 1957). Sie diskutierten stundenlang und beide ließen sich davon in ihrem Werk inspirieren. Im Januar 1956 wurde Genet zu acht Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Anlass waren Illustrationen zu „Die Galeere“ (von Leonor Fini) und zu „Querelle“ (von Jean Cocteau). Laut Gericht waren diese Abbildungen ein Verstoß gegen die guten Sitten.
(...)
Ende 1955 begann Genets Beziehung mit dem damals 18-jährigen Artisten Abdallah Bentaga. Gemeinsam reisten sie viele Jahre durch Europa, zum einen, weil Abdallah aus der französischen Armee desertiert war, zum anderen, um seine Ausbildung zum Hochseilartisten voranzutreiben und nach Zirkusengagements zu suchen.
Genet arbeitete währenddessen an „Die Wände“ und plante ein umfangreiches Werk mit dem Arbeitstitel „La Mort“ Es sollte aus dem Roman „La Mort I“ und einem Zyklus von sieben Theaterstücken (u. a. „Die Wände“, „Le Bagne“ [„Die Strafkolonie“ nach dem gleichnamigen Drehbuch], „La Fée ) bestehen. Doch es blieb nur bei dem Plan. Seine zweite Schaffensphase ging zu Ende. Zwar schrieb er weiterhin Nacht für Nacht, doch mehr an Änderungen seiner Stücke und am Schluss von „Die Wände“, als an neuen Sachen.
Die Uraufführung von „Die Wände“ gab in es gekürzter Fassung 1961 in Berlin. Im gleichen Jahr entfernte sich Genet immer mehr von Abdallah Bentaga. Der war nach mehreren Stürzen nicht mehr in der Lage als Artist zu arbeiten und auf finanzielle Hilfe von Genet angewiesen. Doch der ließ ihn allein und am 27. Februar 1964 beging Abdallah Selbstmord. Diese Tat erschütterte Genet so sehr, dass er keine zwei Monate später das Gelübde ablegte, nie mehr zu schreiben. Seine Depressionen wurden immer stärker und im Mai 1967 unternahm er in Italien einen Selbstmordversuch mit einer Überdosis des Schlafmittels Nembutal.
Obgleich Genet nicht mehr schrieb, stieg sein Stern unaufhörlich. Seine Bücher verkauften sich in den USA und England sehr gut, es erschien sogar eine Taschenbuchausgabe, für die Genet einen hohen Vorschuss erhielt. In Frankreich erreichte er einen Kultstatus und immer mehr international renommierte Bühnen spielte seine Stücke – außer „Die Neger“, da hier Genet nicht von der Vorgabe abrückte, das Stück ausschließlich mit Schwarzen zu besetzen.
(... )
Die Zeit der Studentenunruhen in Frankreich 1968 berührten auch Genet. Er schrieb einen Artikel über den damaligen Anführer Daniel Cohn-Bendit (... )
Im Mai 1979 wurde bei Jean Genet Kehlkopfkrebs diagnostiziert und er begann eine einjährige Kobalttherapie, die ihn sehr schwächte. Erschwerend kam eine Prostataoperation und Zahnprobleme hinzu. (... )
Sein Kehlkopfkrebs wurde wieder schlimmer und er arbeitete meistens im Liegen unter starken Schmerzen. Dennoch reiste er im März 1986 nach Spanien und Marokko. Zurück in Paris stieg er in einem kleinen, verkommenen Hotel ab.
(... )
In der Nacht vom 15. zum 16. April 1986 stürzte Jean Genet auf dem Weg vom Schlafzimmer ins Bad eine Stufe herunter, schlug mit dem Hinterkopf auf und starb. Es war ein Tag nach dem Tod von Simone de Beauvoir. Sein Leichnam wurde wie von ihm gewünscht nach Marokko überführt und in Larache still beerdigt.
Solch ein Leben weckt sicherlich die Neugierde des Lesers. Und auch, wenn es dann heißt:
"Le Journal du voleur"Genets ist nach Kierkegaards "Entweder-Oder" und nach Nietzsches "Ecce homo" das brutalste und peinlichste Stück Existenzmitteilung, das es für die Gesellschaft unserer Zivilisation gibt.
(bei Bense)
... bin ich ... natürlich ... sehr gespannt!
Art & Vibration
RE: Jean Genet
in Die schöne Welt der Bücher 15.08.2007 22:27von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Hier heißt es:
In Antwort auf:
Jean Genet schildert das Verbrechen, die Päderastie, das Töten nicht als eine Sache, mit der man im übrigen nichts zu tun zu haben braucht; die Existenz des Päderasten, des Verbrechers, des Mörders ist in jedem Augenblick, in jeder Zeile ein essentieller Teil seines Selbst, ein Stück eigenster Erfahrung, wie gesagt: vielleicht Asche, Auswurf seines Daseins, seines im Geist verbrennenden Lebens.
Bense zieht Vergleiche mit Nietzsche heran, Genet sowieso geprägt von diesem und Pascal, aber hauptsächlich auch in seinem Verhaltensmuster. Er sagt:
In Antwort auf:
... wer wie Nietzsche oder Genet das Schreiben als Macht über sein Leben setzt, (lässt) auch das Dasein in seine Texte eindringen.
Weiter heißt es:
In Antwort auf:
Genet ist Päderast, Genet ist Verbrecher, Genet kennt die Gefängnisse - vermutlich ist Marquis de Sade sein wirklicher Verwandter im Bereich der "existentiellen Literatur (nicht sprachlich, wohl aber in der Bindung des Schreibens an das Leben) - im ganzen also ein Beispiel in vivo für Sartres (übrigens bis auf Heidegger zurückführbare) These, dass die Existenz der Essenz (des Daseins) vorangehe, dass dem Menschen die Existenz gegeben wird, dass diese aber erst dann an Wesen, an Essenz gewinnt, wenn man sich kraft seiner Entschlüsse, seiner Wahl, seines Willens zu einem Wesen, zu einer Essenz macht, sei es auch in der Abweichung, im bewussten Heraustreten aus der Gesellschaft, in der man sich vorfindet, so wie sich Genet (...) schon früh entschloss, nicht nur zu stehlen, sondern ein Dieb zu werden, ausgeschossen, entrechtet, gesellschaftlich ein Toter zu sein.
Tagebücher eines Diebes
Wir werden direkt mit dem Bösen konfrontiert, die Verbrecher in ihrer „Schönheit“, die nächtlichen "Liebesspiele", ein Wechsel von einem Licht durchflutetem Gefängnis in ein Zuchthaus, was Genet wie eine Entmannung empfindet. Zitat:
Die Luft ist in ihnen so dumpf, dass man sich durch sie hindurchschleppt. Man kriecht in ihnen. Die Zuchthäuser erigieren steifer, schwärzer und strenger…
Genet findet poetische Umschreibungen für alles Geschehen:
In Antwort auf:
Wenn der Held die Nacht bekämpft und besiegt, bleiben Fetzen von ihr an ihm hängen.
In Antwort auf:
Aber, wenn ich ihr Verbrechen liebe, so für den Anteil an Bestrafung, an Strafe, den es enthält…
Die Beschreibung eines Mitinsassen, den er in Freiheit, genauer in Barcelona, kennengelernt hatte:
In Antwort auf:
Er lebte unter Bettlern, Dieben, Strichjungen und Huren. Er war schön, aber es wäre noch zu untersuchen, ob er nicht diese Schönheit meinem eigenen Verfall verdankte. Meine Kleider waren schmutzig und abgerissen. Ich hungerte und fror.
Wir landen in Spanien, wo Genet seine Bettelgewohnheiten beschreibt.
In Antwort auf:
Was ich beschreiben werde, sind die Lebensgepflogenheiten des Ungeziefers.
Wenn ich richtig rechne, ist er 22 Jahre alt und schläft zu sechst auf einem Bett ohne Laken, und sobald der Morgen graut, zieht er hinaus auf die Märkte, um zu betteln.
In Antwort auf:
Sein Gesicht war armselig, unglücklich, heimtückisch, blaß und schmutzstarrend; denn es war so kalt, dass wir nicht einmal wagten, uns zu waschen.
In Antwort auf:
Ich hatte schon für andere und für mich selbst gebettelt und kannte die Formel, nach der sich die christliche Religion mit der Nächstenliebe verbindet und der Arme Gott gleichgestellt wird. Diese Ausdünstung des Herzens ist so demütig, dass sie den leichten, geraden Dunst des Bettlers, der sich ihrer bedient, mit einem Veilchenhauch zu überziehen scheint.
In Antwort auf:
So lehrten mich Spanien und mein Bettlerleben den Glanz der Erniedrigung kennen, denn es brauchte viel Hochmut (das heißt: Liebe), um diese schmutzstarrenden und verachteten Menschen zu verschönen.
In Antwort auf:
Niemals versuchte ich, es zu etwas anderem zu machen, als es war, ich versuchte nicht, es zu beschönigen, ihm eine hübsche Maske umzuhängen, sondern ich bemühte mich im Gegenteil, es zu bejahen in seiner ganzen Niedrigkeit, so dass die Zeichen größten Schmutzes mir zu Zeichen der Größe wurden.
Ich habe mich einmal mit einem Bettler unterhalten, der mir sagte:
„Ja, es ist schwer, es ist sehr kalt und schwer, dieses Leben. Aber, ich habe mich nun einmal dazu entschlossen!“
Jetzt verstehe ich besser, was er meinte, dieser zerzauste, bärtige Mann.
In Antwort auf:
"Eine Diebin“ sagte ich mir. Als ich mich von ihr abwandte, überkam mich eine Art hellen Wachtraums; er stieg aus meinem Inneren auf, nicht etwa aus den Randzonen meines Verstandes, und er ließ mich denken, ich habe sobeben vielleicht meine Mutter getroffen.
(Man erinnere sich, Genet kannte seine Mutter nicht, auch finde ich es herrlich, wie er hier von sich, dem Bettler und Dieb, auf die Mutter, ebenfalls eine Diebin, schließt)
In Antwort auf:
Ich weiß nichts von ihr, die mich, als ich in der Wiege lag, verließ; aber ich hoffte, sie sei jene alte Diebin, die hier des Nachts bettelte.
„Wenn sie es wäre?“ dachte ich, indem ich mich entfernte. Ah! Wenn sie es wäre, würde ich sie mit Blumen, mit Gladiolen und Rosen – mit Küssen – überhäufen! Ich würde vor Rührung auf die Augen dieses Mondfischs, auf dieses runde, dumme Gesicht, weinen! Aber warum, so frug ich mich dann, warum denn weinen? Mein Verstand brauchte nur kurze Zeit, um die gewohnten Zeichen der Zärtlichkeit durch irgendwelche anderen Gebärden, und selbst durch die verrufensten und würdelosesten, zu ersetzen, denen ich auftrug, Küsse, Tränen und Blumen zu bedeuten.
Wie sich die Reaktion wandelt, wenn man das Gefühl als Wort nimmt und aus diesem Gefühl die bestimmten Reaktionen abschätzt, die allgemein darauf verwandt werden. Was wäre tatsächlich, wenn man statt mit Küssen zu antworten, Schläge verteilt? Als Ausdruck von Freude und Rührseligkeit? Genet hat eine andere Lösung:
In Antwort auf:
"Ich würde mich damit begnügen, auf sie zu sabbern“, dachte ich und floß über vor Liebe. Auf ihre Haare zu sabbern oder in ihre Hände zu erbrechen. Und ich betete sie an, diese Diebin, meine Mutter!
Ich bin sehr beeindruckt von Genets Schreibstil.
Art & Vibration
Hallo Pat,
Genet lohnt sich auf jeden Fall. Man bekommt ein bisschen von allem. Mich fasziniert besonders die Sprache. Solche Sätze zum Beispiel sind ganz eigene "Juwelen":
In Antwort auf:
Die Läuse waren wertvoll geworden, da ihre Nützlichkeit als Kennzeichen unseres Tiefstands derjenigen der Juwelen als Kennzeichen für das, was man „Triumph“ nennt, entsprach.
In Antwort auf:
Je tiefer ich in den Schmutz vordringe, desto stärker wird mein Hochmut sein (wenn dieser der Bettler ich selbst bin), falls ich die Kenntnis besitze – die Kraft oder Schwäche – aus einem solchen Geschick meinen Nutzen zu ziehen. So wie sich die Lepra über mich niedersenkt, muss ich mich über sie niedersenken und schließlich obsiegen. Ich werde mich also immer mehr erniedrigen, zum Gegenstand eines immer tieferen Abscheus absinken, bis zu einem Endpunkt, den ich noch nicht kenne, der jedoch von ästhetischen ebenso wie von moralischen Überlegungen bestimmt sein wird.
Ein Mensch, der sich für den "Dreck der Strasse" entschieden hat, der also diesen Zustand nicht ändern möchte, weil er hier lernt, zu überleben, sucht eine Möglichkeit, sich vor sich selbst zu rechtfertigen. Genet sagt:
In Antwort auf:
Das Elend hob uns empor.
Statt sein Leben zu verfluchen, eröffnet er sich selbst das Abenteuer, die Suche nach dem Sinn, der hier im Dreck geboren wird. Er lässt über allen Hunger und allen Kampf einen Goldregen rieseln.
In Antwort auf:
So entwickelte sich meine Fähigkeit, dem armseligen Äußeren einen edlen Sinn zu verleihen.
Hier sieht er nun seine Stärke, denn wer schafft es schon, unter solchen Lebensbedingungen zu existieren, gar zu lächeln?
Es handelt sich hier nicht mehr um ein Leben der Moral, das Leben nach bestimmten Regeln zu führen, sondern vielmehr richtet Genet dieses Dasein "nach gewissen Gesetzten einer romantischen Ästhetik" aus. Diese, sicherlich, bestimmt er allein.
In Antwort auf:
Manchmal mussten wir freilich stehlen, und so erfuhren wir auch die klare, irdische Schönheit des Wagemuts.
Es ist großartig, wie Genet hier über das Ritual des Diebstahls spricht, über die in jedem Augenblick einzigartige und einmalige Handlung, über die man nicht nachdenkt und die man um so mehr schätzt, weil sie so zerbrechlich ist. Hier steht sich der Dieb selbst gegenüber und hinterfragt nicht, sondern genießt die langsame Entfaltung einer einzigen Handlung, ohne bereits an die nächste zu denken. Es ist immer die letzte, im Moment. Wie er hier seinen Aberglauben aktiviert und gute Taten am Tag vollbringt, um nachts mit ein bisschen Glück gesegnet zu werden. Er widmet seine Diebstähle sogar Personen.
In Antwort auf:
Das Gesicht eines Bestohlenen hat etwas Abstoßendes. Die Gesichter der Bestohlenen, die ihn umgeben, verleihen dem Dieb eine hochmütige Einsamkeit.
In der Welt der Schwulen erscheint mir das Verhältnis zwischen sehr jungen Menschen und älteren Menschen ganz normal zu sein. Es gibt hier bei Genets Berichten viel Selbstverständlichkeit, dass ein Junge sich mit Vergnügen an einen älteren „verkauft“, damit er etwas zu essen hat.
Oft gibt es Zusammenschlüsse bestimmter Jungs, die gemeinsam leben, wo der jüngere dann für den anderen betteln oder klauen geht, um es ihm als Geschenk zu reichen.
Wenn also Genet hier von Päderastie spricht, so wird dieses wohl eher gemeint sein, nicht das, was man gewöhnlich darunter versteht.
Ganz im Gegenteil, wird alles hier mit Humor genommen:
In Antwort auf:
Auch er beraubte Päderasten – Pedalos -. Von einem Kameraden erfuhr ich, dass ihn lange Zeit hindurch ein Auto, das von einem seiner Opfer gesteuert wurde, in ganz Paris suchte, um ihn „zufällig“ zu überfahren. So furchtbar ist manchmal die Rache der Tunten.
Und immer wieder diese Sprachgewalt:
In Antwort auf:
Wir sind gefallen, solange wir die Male des Gefallenseins tragen, und das Wissen um den Betrug, das wir in uns haben, nützt wenig. Unser einziges Aushilfsmittel war der vom Elend gezüchtete Hochmut; wir forderten Mitleid heraus, indem wir die abstoßendsten Wunden pflegten. So wurden wir Eurem Glück zum Vorwurf.
In Antwort auf:
Er erzählte mir damals, dass eine spanische Hure unter ihrem Kleid eine Rose aus Seihtuch trug, die auf der entsprechenden Höhe angesteckt war.
„Um ihre verlorene Blüte zu ersetzen“, sagte er mir.
Dann bircht Genet alleine nach Andalusien auf, lässt alles hinter sich.
In Antwort auf:
Im Inneren des Landes durchquerte ich Landschaften mit spitzen Felsen, die den Himmel annagten und den Azur zerstückelten.
In Antwort auf:
Ich war weniger einsam, wenn ich in der Natur eine meiner wesenhaften Eigenschaften entdeckte: den Hochmut.
Währenddessen lebt Genet von seinen Diebstählen, macht daraus eine Tugend. Er bestiehlt nicht nur reiche Leute (denn das hinterlässt keine Wirkung auf seiner Seele), sondern vor allen Dingen arme Menschen und Bettler.
Hallo.
Muss sagen, der Genet ist für mich anstrengend zu lesen. Schleppend. Aber, ganz wunderbar in der Sprache. Diese Anbetung von niedrigem Handeln und die Verherrlichung von einarmigen, verlausten Menschen und dem Diebstahl - nicht schlecht.
Wenn ich mir vorstelle, dass der diese Dinge wirklich erlebt hat.
Ich fand den Vergleich zwischen einem Königreich und einem Gefängnis so wunderbar. Gleiche Steine, dahinter der Schutz. Für Genet ist das Gefängnis Zuflucht.
Gruß
Pat
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
RE: Jean Genet
in Die schöne Welt der Bücher 18.05.2008 15:00von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
(Ich kann mir gut vorstellen, dass die Drag Queen Divine sich ihren Namen hier von Genets Entwurf entliehen hat.)
Autobiographisches ist darin auf jeden Fall enthalten, denn er schreibt das Buch im Gefängnis und auch aus der Sicht des Gefangenen.
Art & Vibration
RE: Jean Genet
in Die schöne Welt der Bücher 19.05.2008 16:49von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Es beginnt mit dessen Besuch in Genets Sterbezimmer und endet an seinem Grab.
Zitat von Winkler
Aber, Sie werden sich doch nicht im Sterbebett Genets umbringen? sagte der Kunstmaler, als ich ihm während eines Telefonats aus Paris erzählte, das ich versuchen würde, in Genets Totenbett zu übernachten.
Die Vorstellung, dass Winkler in dem Zimmer übernachtet, in dem Genet gestorben war, seine letzten Schritte nachvollzieht, ist irgendwie aufregend und unheimlich. Er beschreibt, wie er am Tisch sitzt, eine Flasche Wein trinkt und sich immer wieder etwas ängstlich nach dem Sterbebett umsieht, in dem er nun schlafen soll und in dem Genet als Toter lag. Tot, ein lebloser, langsam zerfallener Körper. (Ja, ich dramatisiere etwas…) Ich hätte, so sehr ich auch bewundere, nicht das Bedürfnis danach. Das Schlimme, Winkler findet sogar Löcher und Blutflecken auf der Bettdecke.
Zitat von Winkler
„Ich hatte das Gefühl auf Genets Eingeweiden zu liegen…“
Genet zum Tod:
Zitat von Genet aus Totenfest
Ich bin also tot. Ich bin ein Toter, der sein Skelett in einem Spiegel sieht, oder ein Traumwesen, das weiß, dass es nur in den finsteren Tiefen eines Menschen lebt, dessen Gesicht nach dem Erwachen es nicht kennt.
Als Winkler nach Berlin zurückkehrt und eine Biographie über Genet aufschlägt, erwartet ihn dann allerdings eine unangenehme Überraschung, genauso unangenehm, wie diese schreckliche Nacht, in der er sich selbst mit dem „Geist Genet“ gequält hat.
Winkler hat hier eine schöne, kleine Biographie über Genet verfasst, die mich als Leser sofort wieder gefesselt und in mir diese tiefe Sympathie für Genet neu entfacht hat. Wir sehen den jungen „Zögling“, der von der Mutter sofort in die öffentliche Fürsorge gegeben wird und dann für kurze Zeit, bevor der Lebensweg dann in das bekannt Vergitterte wechselt, bei einem Mann landet, der hauptsächlich Särge baut.
Winkler gelingt das Bild von Genet sehr deutlich, der als Zögling in die Besserungsanstalt kommt. Er zieht auch wunderbar passende Linien zu Bataille, Oskar Wilde, Dostojewski und anderen, die jeweilig ihre Sicht auf bestimmte Erlebnisse schildern, mit denen der junge Genet auch konfrontiert war. Da sieht man Wilde sich empören, weil ein Aufseher gefeuert wurde, weil er einem so jung Inhaftierten ein paar Kekse geschenkt hat, oder Dostojewski, wie er in seinem „Tagebuch eines Schriftstellers“ erzählt, dass die jungen Zuchthäusler grundsätzlich für die Unzucht herhalten mussten und die älteren Neuankömmlinge sich dieser Sitte nicht entziehen konnten, selbst, wenn sie von dem Laster noch nicht angesteckt waren. Mit solchen Beispielen macht Winkler Genets hartes Jugendleben sehr lebendig. Dazu natürlich die jeweiligen Auszüge aus Genets Büchern.
Zitat von Genet
Ich habe gesehen, wie die Zöglinge sich unter den gleichgültigen Blicken der Wärter zerbissen und zerfleischten und sich um den Vorrang und um eine verweigerte Stellung ihres Ältesten schlugen. Ich habe in Mettray das Blut aus den Körpern der Kinder fließen sehen. Ich habe gesehen, wie einige getötet wurden und dahinstarben. Die Wärter wagten es nicht, sich zu rühren.
Flucht war fast unmöglich, weil die Bauern, die um die Zuchtanstalt herum lebten und in ständiger Sorge waren, einer dieser jugendlichen Ganoven könnte ihnen den Hof abfackeln, Geld für jeden eingefangenen Flüchtling erhielten, woraufhin sie sich dann mit ihren Heugabeln, Gewehren und Hunden auf die Jagd machten.
Trotzdem war Genet, wie er behauptete, dort glücklich, weil gerade diese schlechten Umstände dazu führten, dass die Zöglinge sich kleine, aneinander bindende Rituale verschafften und damit diesen Ort des Geschehens immer wieder im Gedächtnis neu belebten.
Sartre dazu:
Zitat von Sartre
… auch in den schlimmsten Verirrungen wird er der Moral seiner Kindheit treu bleiben, er wird sie vielleicht verhöhnen, er wird sie hassen, er wird versuchen, sie mit sich in den Schmutz zu ziehen: aber die „Urkrise“ hat sich wie mit rot glühendem Eisen in ihn eingebrannt.
Genet sagt über das Schreiben:
Zitat von Genet
Als ich zu schreiben begann, war ich dreißig Jahre alt. Als ich das Schreiben aufgab, war ich 34 oder 35 Jahre. Das war ein Traum, zumindest eine Träumerei. Ich schrieb im Gefängnis. Als ich freikam, war ich verloren.
Das Schreiben, so Genet, hat ihn vielleicht auch davon abgebracht, niemanden umzubringen.
Seine Vagabundenleben in Spanien bezeichnet er als das größte Elend in seinem Leben, wo er sich verschiedenen Matrosen und Soldaten in Barcelona als Strichjunge anbietet. Aus dem „Tagebuch eines Diebes“ kennt man folgende Zeilen:
Zitat von Genet
Weder Gendarmen noch Ortspolizisten nahmen mich fest. Was sie da an sich vorbeiziehen sahen, war kein Mensch mehr, sondern das kuriose Produkt des Elends, auf das sich Gesetze nicht anwenden ließen.
Er reist dann von Spanien nach Frankreich, wo er aufgrund seiner zerschlissenen Kleidung sofort verhaftet wird, dann wieder durch ganz Europa. In Deutschland beschließt er, nur von der Prostitution zu leben, da er, wenn er dort, „in einem von Banditen errichtetem Lager“, stehlen, keine besondere Tage begehen und sich nur der herrschenden Ordnung fügen würde.
Zitat von Genet
Nur den Deutschen war es zu Hitlers Zeiten gelungen, zugleich die Polizei und das Verbrechen zu sein. Diese zwingende Synthese der Gegenstände, diese kompakte Wahrheit war furchterregend und mit einem Magnetismus geladen, der uns noch lange aus der Richtung bringen wird.
Nach Frankreich zurückgekehrt wird er so geschickt, dass er die Bücher unter den Augen des Buchhändlers stehlen kann. Dort schreibt er auch Teile seines „Notre-Dame-des-Fleurs“. Eine Widmung für Marice Reynal, in dessen Pariser Zimmer er zwischen 1939 und 1943 gelebt hat, lautet:
In Erinnerung an eine Katze, die ich in seinem Zimmer verschlang. Jean Genet
Und über die gestohlenen Bücher selbst:
Zitat von Genet
Wäre ich kein Dieb gewesen, so wäre ich ein Ignorant geblieben, und alle Schönheiten der Literatur wären mir unbekannt. Denn mein erstes Buch habe ich gestohlen, um das ABC zu lernen. Darauf folgten ein zweites und ein drittes.
In "Notre-Dame-de-Fleurs" heißt es:
Zitat von Genet
Überall begegne ich platten, scheinbar ungefährlichen Ereignissen, die mich in den ekelhaftesten Schrecken untertauchen lassen: als wäre ich ein Leichnam, der verfolgt wird von dem Leichnam, der ich bin.
Ich habe festgestellt, dass man Genets Bücher mehrmals lesen muss, um überhaupt die ganze Poesie seiner Sprache zu erfassen. Oft übersieht man zwischen den "harten Begebenheiten", von denen er erzählt, die kleinen Philosophien, die sein ganzes Wesen ausmachen.
Ab dem fünften Kapitel erzählt Winkler dann von seiner Begegnung mit den Romanen von Genet.
Zitat von Winkler
„Ich wagte es lange nicht, irgend jemandem die Bücher zu zeigen, im Gegenteil, ich kaufte in Villach und Klagenfurt alle vorrätigen Bücher von Genet, damit in meiner näheren Umgebung, so hoffte ich, keiner außer mir seine Romane in die Hände bekommen könnte.“
Winkler war lange Zeit auf der Suche nach dem Tod und suchte ihn in allen Büchern. So fragt er sich:
Zitat von Winkler
Ob mich damals, als ich wie eine Schnecke meinen Sargdeckel auf dem Rücken herumschleppte, Genets Pompes funèbres vor dem Selbstmord gerettet hat?
Winkler war, nachdem sich in seinem Dorf auch noch zwei von ihm gekannte Jungen erhängten, völlig besessen von diesem Thema und fuhr mit einem Trauerkranz und dem „traurigen Blick eines scheißenden Hundes“ nach Venedig, um sich umzubringen. Dann aber ging er ins Hotel zurück und hörte tagelang nicht mehr auf zu schreiben.
Canetti sagte: Vom Zufall des Gelesenen hängt es ab, was man ist!
… und Winkler entdeckt in „Notre-Dame-des-Fleurs“ den eigenen Stolz auf seine homoerotischen Neigungen.
In seinem Dorf war der Hass auf alles Fremde großgeschrieben, auf Juden, Zigeuner, Arbeitscheue, Schwule, und noch heute hört Winkler:
Zitat von Winkler
„Wenn wir nur einen kleinen Hitler hätten…“
Und Genet zu diesem Thema:
Zitat von Genet
Als von meiner Familie Ausgestoßener schien es mir natürlich, diesen Zustand noch zu verschärfen, durch die Knabenliebe, und diese Liebe durch den Diebstahl, und den Diebstahl wiederum durch das Verbrechen oder jedenfalls mein Wohlwollen dem Verbrechen gegenüber. So wies ich entschlossen eine Welt zurück, die mich selbst zurückgewiesen hatte.
Als er „Notre-Dame-des-Fleurs“ im Gefängnis zu schreiben begann, das er übrigens einem Mörder widmet, bediente er sich brauner Papiersäckchen (die jeder Gefangener zusammenkleben sollte), die ihm dann wegen Aneignung öffentlichen Eigentums weggenommen wurden. Danach kaufte er sich ein paar Notizbücher und rekonstruierte die fünfzig Seiten aus dem Gedächtnis. Während er mit der rechten Hand schrieb, blätterte er mit der linken in einem Grammatikbuch, weil er das Handwerk des Schriftstellers nicht beherrschte, und inspiriert wurde er durch Marcel Proust.
Zitat von Genet
Das ist ein Autor, den man im Gefängnis oder im Krankenhaus lesen muss.
Als Genet, auf freiem Fuß, am Seineufer Bücher aus seiner „Bouquinistenkiste“ verkauft, auch Abschriften seiner Gedichte und von "Notre-Dame-des-Fleurs", wird er von Jean Cocteau entdeckt. Zunächst ist dieser irritiert, dann begeistert. Nachdem er Valery (der ja eine andere Generation ist) fragt, was er von dem Roman „Notre-Dame-des-Fleurs“ hält, sagt dieser: „Verbrennen sie es!“
Cocteau dazu:
Zitat von Cocteau
Dieses Buch ist bei mir gelandet, weil es bei mir landen musste. Es zu verbrennen wäre einfach. Es verbrennt mich.
Durch das Schreiben hat Genet gefunden, wonach er gesucht hat. Darum konnte er dann auch damit aufhören. Zu Sartres „Saint Genet“ sagte er, als er gefragt wurde, ob er damit einverstanden sei:
Zitat von Genet
Natürlich bin ich einverstanden. Sartre las mir die ersten hundert Seiten vor und fragte mich, ob ich glaube, dass es so richtig sei, und ob er weitermachen solle oder nicht!
Soweit mal die groben Eindrücke. Wie gesagt, es ist ein sehr schönes Buch, mit vielen Rundum-Beleuchtungen auf Genet, seine Welt und seine Wirkung.
Ich glaube, Genets Romane zeigen neben einer wunderbar poetischen Sprache ganz einfach eine Welt, die man als Leser nie betreten möchte, auf die man aber sehr neugierig ist. Es ist die Spannung des Verbrechens, der Gefängnisinnenhöfe, der Sexualität, die man durch seine Augen ein bisschen miterleben kann, ohne, dass man je in die Gefahr gerät, sie selbst zu erfahren. Es sind Bücher, die uns erschüttern (die es nicht sollen, sondern es tun), und Genet war ein Mensch, der sich nicht in die Karten gucken ließ, dessen Reaktion man nie vorhersehen konnte. Er lebte nicht für den Ruhm, nicht für den Leser, nicht für die Welt, sondern nur für sich selbst, was ihm eine unumstößliche Ehrlichkeit verleiht. Er schrieb das, was Kafka meinte, als er sagte:
Zitat von Kafka
"Wenn das Buch, das wir lesen, uns nicht mit einem Faustschlag auf den Schädel weckt, wozu lesen wir dann das Buch? Damit es uns glücklich macht (...)? Mein Gott, glücklich wären wir eben auch, wenn wir keine Bücher hätten, und solche Bücher, die uns glücklich machen, können wir zur Not selber schreiben.
Ich habe gemordet, gestohlen, geplündert, verraten. Welch ein Ruhm! Aber kein Mörder, Dieb oder Verräter, wer er auch sei, soll wagen, sich meine Gründe aneignen zu wollen. Ich habe zuviel gelitten, als ich sie mir errang. Sie gelten nur für mich. Kein Mensch kann aus dieser Rechtfertigung Nutzen ziehen. Leute ohne Gewissen mag ich nicht.
(Genet)
Art & Vibration
Zitat von Taxine
Ich glaube, Genets Romane zeigen neben einer wunderbar poetischen Sprache ganz einfach eine Welt, die man als Leser nie betreten möchte, auf die man aber sehr neugierig ist.
Das glaube ich auch. Du hast den Genetso herrlich zusammengefasst, dass ich noch neugieriger geworden bin und Genet jetzt erst recht lese.
Liebe Grüße
Martinus
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
RE: Jean Genet
in Die schöne Welt der Bücher 19.05.2008 17:20von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
mich hat Winklers Buch über Jean Genet sehr beeindruckt, wobei ich noch neugieriger auf Genet geworden bin, und auch auf Josef Winklers Werk selbst. Es ist schon viel gesagt worden. Ich war angetan, wie Jean Cocteau in einem Brief, der vor Gericht vorgelesen wird, Genet verteidigt:
Zitat von Cocteau
Ich vertraue Ihnen Genet an,...der stielt, um sich Leib und Seele zu bewahren. Sie haben Rimbaud vor sich.Rimbaud kann man nicht verurteilen.
was für ein Wort. Und bei anderer Gelegenheit:
Zitat von Cocteau
Jean Genet, den man eines Tages wohl oder übel zu den Moralisten wird rechnen müssen, so sonderbar das auch erscheinen mag, da man den Moralisten für gewöhnlich mit dem Moralprediger verwechselt.
Es gibt im Buch eine ziemlich krasse Stelle, wie Winkler erzählt, wie schlecht und übel Leute in Kärten über Juden und Homosexuelle. So richtig bieder, sogar schlimmer. Mein Gott, wie hätte Thomas Bernhard hier gegrantelt:
Zitat von Winkler
Ich höre noch heute, daß es, wenn wir nur einen "kleinen Hitler" hätten, keine Schwulen, Juden und Zigeuner mehr gäbe.
Ich habe gelesen, Winklers Bücher sind oft morbid. So fängt das Buch um Genet, wie Taxine schon ausführte, mit dem vermeindlichen Totenbett an und hört auf Genets Friedhof auf.
Das Buch sollte man wirklich lesen. Man erfährt auch viel nebenbei, über Gilles de Rais, eine kleine Geschichte zur Guillotine, und und und....
Liebe Grüße
Martinus
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RE: Jean Genet
in Die schöne Welt der Bücher 27.05.2008 21:38von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Siehe auch hier!
Liebe Grüße
Taxine
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