HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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Wenn ich schon so begeistert von ihm bin, dann bekommt er auch einen eigenen Ordner, der Österreicher.
Josef Winkler ist in Kamering geboren,in Kärnten aufgewachsen und lebt zur Zeit in Klagenfurt.
Immerhin habe ich schon einige seiner Bücher gelesen und einige stehen noch an. Da war "Das Zöglingsheft des Jean Genet", "Natura Morta", "Friedhof der bitteren Orangen"...
Aber zunächst zu "Domra", ein Buch, das sehr beeindruckend ist.
Mein Bericht wird der schwarze Ast sein, der ein Knie bildet am Himmel.
(André du Bochet)
Zunächst muss man sagen: Josef Winkler berichtet wirklich. Er berichtet nicht nur, sondern senkt seinen Blick auf die kleinsten Einzelheiten. Sein Erlebnis dieser beiden Klassenkameraden, die sich in so jungen Jahren erhängt haben und aus einer "Selbstmordfamilie" stammen, hat ihn durch all seine Bücher geprägt. Der Tod lässt ihn nicht los. Darum ist seine Reise nach Indien in "Domra" auch schockierend lebendig.
Man kann sich genau vorstellen, wie er da am Ganges sitzt, sein Notizbuch auf dem Schoß und in aller Seelenruhe den Leichenverbrennungen beiwohnt. Da wird das ganze Umfeld beschrieben, die kleinen Jungen mit ihren Lendenschurz, durch den das Schamhaar sichtbar wird, da knistern und knacken die Feuerstellen, ein Bein löst sich vom Körper und wird gleichgültig mit einem Bambusstock wieder zurückgeschoben, Gleiches geschieht mit einem Arm, während Funken aufsprühen und die verkrallte Hand zum Vorschein kommt. Zwei Touristen (Travellerboy und Travellergirl - wie Winkler sie ironisch nennt) halten sich Taschentücher vor den Mund, während ein Mann sich unbeeindruckt vom Geschehen in aller Gewohnheit am noch glühenden und löchrigen Knochenrest seine Zigarette anzündet.
Winkler, im Fieber nach Tod und Eindrücken, lässt den Leser auch danach nicht entspannen. Im Wasser des Ganges liegen die noch zu verbrennenden Leichname, um sie vor der glühenden Hitze zu schützen, dazwischen baden kleine Jungen. Ein Stück weiter badet eine Frau ihren Säugling, seift ihn ein und tunkt ihn in das braune Wasser, während im gleichen Sud eine Wasserbüffelherde steht. Ein bereits verwesendes Kalb treibt im Wasser, mit Fliegen übersät, ein kleiner Junge springt ins Wasser und schiebt das tote Kalb flussabwärts. Am Ufer liegt ein weiterer Kadaver eines toten Hundes, über dem sich ein Inder ruhig die Zähne putzt, aus dem Ganges Wasser schöpft und gurgelt.
Tote Heilige, so Winkler, werden mit Hilfe eines Korbes in den Ganges versenkt, damit sie die Fische nicht anknabbern, und der Glaube erhebt sich auch über Krankheiten, so gilt es als hilfreich, das Essen von einem dargereichten Leichnam zu verzehren und gegen Epilepsie soll sogar helfen, Leichenteile mit in das Essen zu mischen.
Alles wird mit Hilfe des Flußwassers verrichtet, da es heilig ist. Da werden Menschen, Wäsche und Leichen gewaschen, Tiere kühlen sich von der Hitze und das Wasser wird zum Trinken geschöpft.
Diese ausführlichen Beschreibungen der sich waschenden Menschen im Fluß, unweit der Leichenverbrennungen und verfallenden Tierkadaver nehmen den Leser ziemlich mit, trotzdem kann man nicht aufhören zu lesen. Die direkte Armut neben den Hotelanlagen, die Betrachtungen Winklers von Elend und Tourismus, von an Stengeln und Opferblumen kauenden kleinen Indern und fettleibigen, in ihrer Nachspeise rührenden Hotelinsassen bewirken, dass man sich selbst in dieses Geschehen hineinversetzt fühlt, weil Winklers Sicht die eines normal Reisenden entspricht. Dadurch wird alles fast bedrohlich nahe und löst ein intensives Gefühl von Ekel, Entsetzen und Staunen aus.
Die Reise Winklers und sein scharfsinniger Blick auf alles um ihn herum, hat mich als Leser sehr bewegt. Dazwischen sind auch einige Fotos, auf einem sitzt ein Inder mit "offenem Geschlecht" und fehlendem Bein. Man erkennt das dreckige, braune Wasser selbst auf schwarzweißen Bildern und versucht sich, diesen Geruch aus Sandelholz, Leichenfleisch, Armut und Hitze, vorzustellen. (Zum Glück ist das durch das bloße Lesen nicht möglich!)
Ein Lesetipp, aber sicherlich nichts für schwache Nerven! Vielleicht nicht einmal etwas für den Leser, mit guten Nerven.
Josef Winkler ist in Kamering geboren,in Kärnten aufgewachsen und lebt zur Zeit in Klagenfurt.
Immerhin habe ich schon einige seiner Bücher gelesen und einige stehen noch an. Da war "Das Zöglingsheft des Jean Genet", "Natura Morta", "Friedhof der bitteren Orangen"...
Aber zunächst zu "Domra", ein Buch, das sehr beeindruckend ist.
Mein Bericht wird der schwarze Ast sein, der ein Knie bildet am Himmel.
(André du Bochet)
Zunächst muss man sagen: Josef Winkler berichtet wirklich. Er berichtet nicht nur, sondern senkt seinen Blick auf die kleinsten Einzelheiten. Sein Erlebnis dieser beiden Klassenkameraden, die sich in so jungen Jahren erhängt haben und aus einer "Selbstmordfamilie" stammen, hat ihn durch all seine Bücher geprägt. Der Tod lässt ihn nicht los. Darum ist seine Reise nach Indien in "Domra" auch schockierend lebendig.
In Antwort auf:
Schwere, gebogene und bereits angekohlte Holzprügel lagen auf dem Körper der toten Frau. Deutlich konnte man im offenen Mund die berußten Zähne und das aufgebrochene, schmorende Lippenfleisch sehen. Ihre Augenhöhlen waren leer und schwarz. Immer wieder schlug der bloßfüßige Domra mit einer dicken, langen Bambusstange auf den Federnden Brustkorb der Toten und stach die rußig gewordene Spitze der Bambusstange in ihren angekohlten, wulstig hervortretenden schwarzgrauen Darm. (...) Man hörte die Schreie der Krähen, das Knistern des brennenden Scheiterhaufens und das Niederklatschen nasser Wäsche auf eine flache, breite, von zwei Steinen aufgestützte Steinplatte am Ufer des Ganges. Mit der Bambusstange zertrümmerte der Domra einen brennenden, fingerlosen, an der Spitze rauchenden Unterarm, der sich in die Höhe gebogen hatte. Als sich von den Flammen und der Hitze die Beine der brennenden Toten auseinandergrätschten, begannen die vor dem Scheiterhaufen hockenden, Zigaretten rauchenden Inder zu lachen und zu scherzen.
Man kann sich genau vorstellen, wie er da am Ganges sitzt, sein Notizbuch auf dem Schoß und in aller Seelenruhe den Leichenverbrennungen beiwohnt. Da wird das ganze Umfeld beschrieben, die kleinen Jungen mit ihren Lendenschurz, durch den das Schamhaar sichtbar wird, da knistern und knacken die Feuerstellen, ein Bein löst sich vom Körper und wird gleichgültig mit einem Bambusstock wieder zurückgeschoben, Gleiches geschieht mit einem Arm, während Funken aufsprühen und die verkrallte Hand zum Vorschein kommt. Zwei Touristen (Travellerboy und Travellergirl - wie Winkler sie ironisch nennt) halten sich Taschentücher vor den Mund, während ein Mann sich unbeeindruckt vom Geschehen in aller Gewohnheit am noch glühenden und löchrigen Knochenrest seine Zigarette anzündet.
Winkler, im Fieber nach Tod und Eindrücken, lässt den Leser auch danach nicht entspannen. Im Wasser des Ganges liegen die noch zu verbrennenden Leichname, um sie vor der glühenden Hitze zu schützen, dazwischen baden kleine Jungen. Ein Stück weiter badet eine Frau ihren Säugling, seift ihn ein und tunkt ihn in das braune Wasser, während im gleichen Sud eine Wasserbüffelherde steht. Ein bereits verwesendes Kalb treibt im Wasser, mit Fliegen übersät, ein kleiner Junge springt ins Wasser und schiebt das tote Kalb flussabwärts. Am Ufer liegt ein weiterer Kadaver eines toten Hundes, über dem sich ein Inder ruhig die Zähne putzt, aus dem Ganges Wasser schöpft und gurgelt.
In Antwort auf:
Ein Mann bestrich mit einem angefeuchteten roten Pulver seine Ober und Unterkieferzähne, schlürfte Gangeswasser aus einer halbierten Kokosnussschale, verstrich das mit Speichel und heiligem Gangeswasser benässte rote Pulver auf seinem Gebiss und Zahnfleisch und putzte abwechselnd mit dem linken und rechten Zeigefinger seine Zähne. Mit der Kokosnussschale schöpfte er Wasser aus dem Ganges, spülte den Mund, gurgelte und spuckte das rotgefärbte, mit Speichel vermischte Wasser neben dem Hundekadaver auf die trockene, von der Vormittagssonne warmgewordene Steintreppe. Als dabei ein paar Wassertropfen von der Treppe auf die Hundeleiche spritzten, hob sich ein Schwarm Fliegen, setzte sich aber sofort wieder auf den verwesenden Kadaver.
Tote Heilige, so Winkler, werden mit Hilfe eines Korbes in den Ganges versenkt, damit sie die Fische nicht anknabbern, und der Glaube erhebt sich auch über Krankheiten, so gilt es als hilfreich, das Essen von einem dargereichten Leichnam zu verzehren und gegen Epilepsie soll sogar helfen, Leichenteile mit in das Essen zu mischen.
Alles wird mit Hilfe des Flußwassers verrichtet, da es heilig ist. Da werden Menschen, Wäsche und Leichen gewaschen, Tiere kühlen sich von der Hitze und das Wasser wird zum Trinken geschöpft.
Diese ausführlichen Beschreibungen der sich waschenden Menschen im Fluß, unweit der Leichenverbrennungen und verfallenden Tierkadaver nehmen den Leser ziemlich mit, trotzdem kann man nicht aufhören zu lesen. Die direkte Armut neben den Hotelanlagen, die Betrachtungen Winklers von Elend und Tourismus, von an Stengeln und Opferblumen kauenden kleinen Indern und fettleibigen, in ihrer Nachspeise rührenden Hotelinsassen bewirken, dass man sich selbst in dieses Geschehen hineinversetzt fühlt, weil Winklers Sicht die eines normal Reisenden entspricht. Dadurch wird alles fast bedrohlich nahe und löst ein intensives Gefühl von Ekel, Entsetzen und Staunen aus.
Die Reise Winklers und sein scharfsinniger Blick auf alles um ihn herum, hat mich als Leser sehr bewegt. Dazwischen sind auch einige Fotos, auf einem sitzt ein Inder mit "offenem Geschlecht" und fehlendem Bein. Man erkennt das dreckige, braune Wasser selbst auf schwarzweißen Bildern und versucht sich, diesen Geruch aus Sandelholz, Leichenfleisch, Armut und Hitze, vorzustellen. (Zum Glück ist das durch das bloße Lesen nicht möglich!)
Ein Lesetipp, aber sicherlich nichts für schwache Nerven! Vielleicht nicht einmal etwas für den Leser, mit guten Nerven.
Art & Vibration
zuletzt bearbeitet 01.06.2008 22:08 |
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Hallo Taxine,
nach deinen Beschreibungen zu Urteilen gehört Winkler zu den Realisten, die nichts Beschönigen oder herumdeuteln, sondern beobachtend erzählen, wie es ist. Erinnert ein wenig an Aleksandar Tišma (auch wenn Tišma natürlich ganz andere Themen behandelt).
Josef Winkler hat mich ja schon mit seinem Buch über Jean Genet begeistert. Von Winkler werde ich jedenfalls noch einiges lesen.
Dankeschön
Martinus
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
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Josef Winkler bekommt den Büchner-Preis 2008
Inzwischen habe ich Winklers "Natura Morta" erhalten.
Das ruft nach Lektüre.
mArtinus
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
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Josef Winkler: Natura Morta
Ein Markt in Rom, auf der Piazza Vittorio Emanuele, dort zentriert sich die Novelle, wobei, wie der Titel schon verrät, die Aufmerksamkeit auf leblose Gegenstände gerichtet wird, wie sie in der Bildenden Kunst seit dem Barock in Form von Stilleben üblich sind. Darstellung von Obst, Blumen, Fisch, Jagd -, Küchen – und Waffengegenständen u.a. So auch in der Novelle. Da kullern Granatäpfel die Ubahntreppe hinunter, als ob der Spaziergänger nur den Äpfeln folgen braucht, um auf den Marktplatz zu kommen, einem Bettler liegt ein Heiligenbild zu Füßen. Der Erzengel sticht am Höllenrand stehend mit einem Schwert einen Dämon nieder. Ein Knabe tastet seinen Hosen schlitz ab, ob er geschlossen ist, weil er sich von jemanden beobachtet fühlt. Mit der Ubahn an der Piatta, dem Marktplatz angekommen, lesen wir von einem Macellaio, der mit einem Hackebeil den Kopf eines Schafs auseinander spaltet, das Gehirn dem Schädel entnimmt, die Gehirnteile auf ein fettiges rosarotes Papier legt, es wird sogar erwähnt, das Papier habe Wasserzeichen. Diese ins Detail gehenden Blicke, die den normalen Marktbesucher entgehen, zeichnet der Autor wie in einem Stilleben nach.
Schon auf den ersten Seiten erkennen wir Zusammenhänge zwischen Heiligenfiguren, Eros und Tod. Die Sprache ist sehr markant visuell und alles erscheint uns sehr direkt. Übrigens ist es auffallend, das Körpersäfte eine große Rolle spielen. Da spritzt der Saft aus einer Zitrone, der Kittel des Fleischers blutverschmiert, verschmiert auch rostbraune Fischgalle auf einem Oberschenkel und Sätze wie diese:
Im Markttreiben ist der Tod allgegenwärtig und macht auch vor der Kirche nicht halt. Josef Winkler kritisiert die katholische Kirche mit eindrucksvollen Bildern, da ist nicht nur der Sohn einer Feigenverkäuferin, der auf seinem Kruzifix herumbeißt und mit Speichel benetzt, wir begegnen in der Pilgerstadt Bilderchen von Heiligen, die im Umkreis von Ständen mit totem Rindschfleich und Fischkörpern ihren blutigen Mäytyrertod erleiden und ausgerechnet auf dem Petersplatz hängt dem Jungen (wohl versehentlich) sein Geschlechtsteil aus der kurzen Hose heraus. Es ist die Macht der Bilder, die ihre zielgerechte Wirkung zelebrieren. So ist mit Sicherheit die Dornenkrone Christi gemeint, wenn von den „irgelstachelartigen, aus dem Stirnfleich ragenden schwarzen Chirurgenfäden“ die Rede ist. Als das Unglück, der Plot der Novelle, hereinbricht, regnet es sturzbachartig, als ob die Natur mit ihrem Saft alles reinwaschen will, sogar das Märtyrium des Heiligen Sebastian, weches ein Straßenmaler auf dem Asphalt gemalt hat, wird weggespült.
Eine sehr interessante Rezension hat Stefan Wackwitz in der FAZ geschrieben. Er glaubt, >>Das wichtigste Stilelement der Novelle „Natura morta“ scheint Josef Winkler Kafkas Erzählung Der Jäger Gracchus entlehnt zu haben.<<
Josef Winkler erhält am 01.November 2008 den Büchnerpreis
Liebe Grüße
mArtinus
Ein Markt in Rom, auf der Piazza Vittorio Emanuele, dort zentriert sich die Novelle, wobei, wie der Titel schon verrät, die Aufmerksamkeit auf leblose Gegenstände gerichtet wird, wie sie in der Bildenden Kunst seit dem Barock in Form von Stilleben üblich sind. Darstellung von Obst, Blumen, Fisch, Jagd -, Küchen – und Waffengegenständen u.a. So auch in der Novelle. Da kullern Granatäpfel die Ubahntreppe hinunter, als ob der Spaziergänger nur den Äpfeln folgen braucht, um auf den Marktplatz zu kommen, einem Bettler liegt ein Heiligenbild zu Füßen. Der Erzengel sticht am Höllenrand stehend mit einem Schwert einen Dämon nieder. Ein Knabe tastet seinen Hosen schlitz ab, ob er geschlossen ist, weil er sich von jemanden beobachtet fühlt. Mit der Ubahn an der Piatta, dem Marktplatz angekommen, lesen wir von einem Macellaio, der mit einem Hackebeil den Kopf eines Schafs auseinander spaltet, das Gehirn dem Schädel entnimmt, die Gehirnteile auf ein fettiges rosarotes Papier legt, es wird sogar erwähnt, das Papier habe Wasserzeichen. Diese ins Detail gehenden Blicke, die den normalen Marktbesucher entgehen, zeichnet der Autor wie in einem Stilleben nach.
Schon auf den ersten Seiten erkennen wir Zusammenhänge zwischen Heiligenfiguren, Eros und Tod. Die Sprache ist sehr markant visuell und alles erscheint uns sehr direkt. Übrigens ist es auffallend, das Körpersäfte eine große Rolle spielen. Da spritzt der Saft aus einer Zitrone, der Kittel des Fleischers blutverschmiert, verschmiert auch rostbraune Fischgalle auf einem Oberschenkel und Sätze wie diese:
Zitat von Winkler
Eine Biene saugte sich an weißen schleimigen Calamariringen fest,..
In den Löchern der tödlichen Schußwunde in der Stirn von zwei an Fleischerhaken hängenden, leichenweißen Kuhköpfen steckte das Preisschild.
Im Markttreiben ist der Tod allgegenwärtig und macht auch vor der Kirche nicht halt. Josef Winkler kritisiert die katholische Kirche mit eindrucksvollen Bildern, da ist nicht nur der Sohn einer Feigenverkäuferin, der auf seinem Kruzifix herumbeißt und mit Speichel benetzt, wir begegnen in der Pilgerstadt Bilderchen von Heiligen, die im Umkreis von Ständen mit totem Rindschfleich und Fischkörpern ihren blutigen Mäytyrertod erleiden und ausgerechnet auf dem Petersplatz hängt dem Jungen (wohl versehentlich) sein Geschlechtsteil aus der kurzen Hose heraus. Es ist die Macht der Bilder, die ihre zielgerechte Wirkung zelebrieren. So ist mit Sicherheit die Dornenkrone Christi gemeint, wenn von den „irgelstachelartigen, aus dem Stirnfleich ragenden schwarzen Chirurgenfäden“ die Rede ist. Als das Unglück, der Plot der Novelle, hereinbricht, regnet es sturzbachartig, als ob die Natur mit ihrem Saft alles reinwaschen will, sogar das Märtyrium des Heiligen Sebastian, weches ein Straßenmaler auf dem Asphalt gemalt hat, wird weggespült.
Eine sehr interessante Rezension hat Stefan Wackwitz in der FAZ geschrieben. Er glaubt, >>Das wichtigste Stilelement der Novelle „Natura morta“ scheint Josef Winkler Kafkas Erzählung Der Jäger Gracchus entlehnt zu haben.<<
Josef Winkler erhält am 01.November 2008 den Büchnerpreis
Liebe Grüße
mArtinus
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
zuletzt bearbeitet 19.10.2008 16:35 |
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"Der Leibeigene"
Mit der Romantrilogie „Das wilde Kärnten“ (Menschenkind 1979, Der Ackermann 1980, Muttersprache 1982) tritt Josef Winkler erstmals in die Öffentlichkeit und gewinnt 1979 mit „Menschenkind“ den zweiten Platz ders Ingeborg-Bachmann- Preises. Im Roman „Der Leibeigene“(1987) wird diese Thematik fortgeführt. Winkler schreibt von einem patriachalisch unterdrücktem Leben in Kamering, einem Dorf in Kärnten, gleichzeitig der Geburtsort Josef Winklers. Er schreibt und windet sich gegen den Erzkatholizismus, gegen Hetze und Vorurteilen gegenüber Homosexualität (nicht zufällig sind seine literarischen Vorbilder Jean Genet und Hans Henny Jahnn). In dieser bedrückenden Atmosphäre fühlt sich der Erzähler vom Tod magisch angezogen. In geradezu expressionistischen Visionen nähert sich Winkler dem Morbiden und richtet sich gegen den strengkatholischen Wahn, der das Leben an sich zunichte macht. Neben expressionistischen Blicken führt auch eine realistische Schau der Dinge zu erstaunlichen Erkenntnissen:
Ausgehend von Winklers Schreiben steht der Selbstmord zwei homosexueller Jugendlicher:
Mir gefällt es eben außerordentlich, wie Winkler hier beim Anblick der Toten noch eine sozialkritische Komponente einflechtet. Wunderbar sind auch die Szenen, wenn der Erzähler auf dem Friedhof streift.
Diese schon vampirmäßige Fantasie geht so weiter, dass Jakob dem Erzähler seine Totenmaske modelliert. Denkt der Leser zuerst, das literarische Ich wünscht, der sinnlose Tod Jakobs solle rückgängig gemacht werden, so wird der Erzähler aber von der magischen Anziehungskraft des Todes angesogen. Außerdem weist das Trinken des Blutes auf eine geschlechtliche Vereinigung hin.
Die Verbindung von Leben und Tod liegt auch im Kalbstrick selbst. Durch Strangulation mit dem Strick werden junge Menschen in den Tod geführt, bei der Geburt eines Kalbes verhilft der Strang aber zum Leben, in dem der Strick um die Waden des jungen Kalbes gespannt und das junge Tier anschließend aus der Mutterleibshöhle einer Kuh gezogen wird. Wenn der achtzigjährige Ackermann Kälber gebiert, trägt er „eine goldene Monstranz auf seinen kahlen Kopf.“ Auf der geweihten Hostie ist „nicht der Leib Christi, sondern der Wassserzeichenkopf seines leiblichen Vaters eingepreßt.“
„Die Stalltiere sind sein Heiligtum und der seit über zwanzig Jahren in der Friedhofserde modernde Leib seines Vaters ist sein Allerheiligstes.“ Hierauf gründet sich sein Famillienpatriachat. Der Patriarch, ürsprünglich der Führer eines Volkes, ist hier der erste Mann im Stall. Nach der Stallarbeit nimmt er eine Oblate, hält sie in seinen Händen und spricht ein Gebet, dann legt er das Geweihte auf seine Zunge.
„Der Leibeigene“ ist kein Roman mit einer Handlung, die zum Plot führt. Stattdessen umkreist Winkler seine Themen. Er kommt immer wieder auf die Hauptthemen zurück, die dann variiert werden. Hierin hat erÄhnlichkeit mit Thomas Bernhard. Im Grunde genommen schreibt Winkler sein Leben lang an einem Buch. Die Themen zirkeln im Gesamtwerk Winklers. Es ist die große Kunst, immer wieder anders von einem und demselben zu erzählen. Das ist keineswegs langweilig, weil Josef Winkler mit einer sehr bildhaften dichterischen Sprache erzählt, die einzigartig ist. Wer bei Winkler doch nach einem Plot sucht, dem sei seine wunderbare Novelle „Natura Morta“ empfohlen, welche als Einführung in das Werk Josef Winklers sehr zu empfehlen ist.
Liebe Grüße
mArtinus
Mit der Romantrilogie „Das wilde Kärnten“ (Menschenkind 1979, Der Ackermann 1980, Muttersprache 1982) tritt Josef Winkler erstmals in die Öffentlichkeit und gewinnt 1979 mit „Menschenkind“ den zweiten Platz ders Ingeborg-Bachmann- Preises. Im Roman „Der Leibeigene“(1987) wird diese Thematik fortgeführt. Winkler schreibt von einem patriachalisch unterdrücktem Leben in Kamering, einem Dorf in Kärnten, gleichzeitig der Geburtsort Josef Winklers. Er schreibt und windet sich gegen den Erzkatholizismus, gegen Hetze und Vorurteilen gegenüber Homosexualität (nicht zufällig sind seine literarischen Vorbilder Jean Genet und Hans Henny Jahnn). In dieser bedrückenden Atmosphäre fühlt sich der Erzähler vom Tod magisch angezogen. In geradezu expressionistischen Visionen nähert sich Winkler dem Morbiden und richtet sich gegen den strengkatholischen Wahn, der das Leben an sich zunichte macht. Neben expressionistischen Blicken führt auch eine realistische Schau der Dinge zu erstaunlichen Erkenntnissen:
Zitat von Winkler
Wie auf einer Bergspitze ist auf der höchsten Erhebung des Friedhofsabfallhaufens ein Kruzifix angebracht. Wenn die Klausnerliese die Kirche ausgekehrt hat und wenn am Kirchausgang ein Häufchen Sand, Staub, Ackererde und verdorrte Blütenblätter liegen bleibt und die Kehrichtschaufel an der Kirchenmauer lehnt, taucht sie ein Putztuch in einem mit Waschmittel und Weihwasser gefüllten Blecheimer. Mit Weihwasser wischt sie den Kirchenboden auf.
Ausgehend von Winklers Schreiben steht der Selbstmord zwei homosexueller Jugendlicher:
Zitat von Winkler
Robert erhängte sich gemeinsam mit Jakob an einem dreimeterlangen Kalbstrick im Pfarrhofstadl. Zehn Zentimeter über dem Erdboden hängend, ineinander verkrallt, mit steifen Ruten, reckten die Erhängten den Dorfbewohnern ihre Zunge.
Mir gefällt es eben außerordentlich, wie Winkler hier beim Anblick der Toten noch eine sozialkritische Komponente einflechtet. Wunderbar sind auch die Szenen, wenn der Erzähler auf dem Friedhof streift.
Zitat von Winkler
Ich ging auf Jakobs beschneiten Grabhügel zu und hörte jemanden schnaufen. Vielleicht steht ein Toter hinter einem rostigen beschneiten Eisenkruzifix und holt tief Atem?...Ich stellte mir vor, wie jemand mit einem Messer auf zuschreitet, mich tötet und ich über Jakobs beschneiten Grabhügel falle. Blut rinnt aus meinem Mund und sickert in den Schnee, in die Erde hinein, fällt auf Jakobs Sarg und rinnt in seine Nasenlöcher hinein. Jakob schlägt die Augen auf. Er hebt seinen Kopf und wirft den Deckel seines Sarges zur Seite. Er steigt aus seinem Grab und trinkt das restliche, noch warme Blut aus meinem Körper.
Diese schon vampirmäßige Fantasie geht so weiter, dass Jakob dem Erzähler seine Totenmaske modelliert. Denkt der Leser zuerst, das literarische Ich wünscht, der sinnlose Tod Jakobs solle rückgängig gemacht werden, so wird der Erzähler aber von der magischen Anziehungskraft des Todes angesogen. Außerdem weist das Trinken des Blutes auf eine geschlechtliche Vereinigung hin.
Die Verbindung von Leben und Tod liegt auch im Kalbstrick selbst. Durch Strangulation mit dem Strick werden junge Menschen in den Tod geführt, bei der Geburt eines Kalbes verhilft der Strang aber zum Leben, in dem der Strick um die Waden des jungen Kalbes gespannt und das junge Tier anschließend aus der Mutterleibshöhle einer Kuh gezogen wird. Wenn der achtzigjährige Ackermann Kälber gebiert, trägt er „eine goldene Monstranz auf seinen kahlen Kopf.“ Auf der geweihten Hostie ist „nicht der Leib Christi, sondern der Wassserzeichenkopf seines leiblichen Vaters eingepreßt.“
„Die Stalltiere sind sein Heiligtum und der seit über zwanzig Jahren in der Friedhofserde modernde Leib seines Vaters ist sein Allerheiligstes.“ Hierauf gründet sich sein Famillienpatriachat. Der Patriarch, ürsprünglich der Führer eines Volkes, ist hier der erste Mann im Stall. Nach der Stallarbeit nimmt er eine Oblate, hält sie in seinen Händen und spricht ein Gebet, dann legt er das Geweihte auf seine Zunge.
„Der Leibeigene“ ist kein Roman mit einer Handlung, die zum Plot führt. Stattdessen umkreist Winkler seine Themen. Er kommt immer wieder auf die Hauptthemen zurück, die dann variiert werden. Hierin hat erÄhnlichkeit mit Thomas Bernhard. Im Grunde genommen schreibt Winkler sein Leben lang an einem Buch. Die Themen zirkeln im Gesamtwerk Winklers. Es ist die große Kunst, immer wieder anders von einem und demselben zu erzählen. Das ist keineswegs langweilig, weil Josef Winkler mit einer sehr bildhaften dichterischen Sprache erzählt, die einzigartig ist. Wer bei Winkler doch nach einem Plot sucht, dem sei seine wunderbare Novelle „Natura Morta“ empfohlen, welche als Einführung in das Werk Josef Winklers sehr zu empfehlen ist.
Liebe Grüße
mArtinus
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
zuletzt bearbeitet 24.11.2008 12:53 |
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