HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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Théophiles Lieblingsfarbe war weiß, und Heinrich Heine griff diese Farbe in seinem Gedicht „Der weiße Elephant“ wieder auf:
„Die Dichter jagen vergebens nach Bildern,
Um ihre weiße Haut zu schildern;
Selbst Gautier ist dessen nicht capabel, —
O diese Weiße ist implacable!“
Heinrich Heine, Romanzero: Der weiße Elephant
Vers (105—)108 (Seite 12 EA)
capabel = frz. capable: fähig, vermögend, im Stande
implacable = frz. unversöhnlich, unerbittlich, erbarmungslos
Als Gautier starb, schrieb Gustave Flaubert an George Sand, „er wisse nun nicht mehr, für wen er noch schreiben solle, und werde seine Versuchung des Heiligen Antonius in der Schublade verschwinden lassen“ (vgl. Vorwort von Dolf Oehler in der Ausgabe Théophile Gautier „Romane und Erzählungen, fourierverlag, wie auch alle anderen Infos dieses Beitrages aus diesem Vorwort stammen).
Théophil Gautier war nicht nur Schriftsteller, er war auch Dichter und bedeutender Kunstkritiker. Der Hauptschwerpunkt seines erzählerischen Werkes liegt in der Phantastik,er schrieb auch über Erotik (z.B. in seinem ersten Roman „Mademoiselle de Maupin“), Mantel und Degen-Thematik im Stil von Alexander Dumas(z.B. „Capitaine Francasse“ und ähnlich wie Eugène Sue schrieb er Feuilleton-Romane („Die schöne Jenny“, in der Ausgabe des fourierverlages mit „Die vertauschten Köpfe“ übersetzt). Gautier schrieb mit „La morte amoureuse“(„Die verliebte Tote“) eine der frühen Vampirgeschichten (vgl. auch E. TH. Hofmanns Erzählung „Eine Vampir-Geschichte“).
Als nächstes, werde ich mich mit Théophile Gautiers rühen Roman Mademoiselle de Maupin befassen, besonders weise ich schon auf das Vorwort zu diesem Roman in, in dem Théophile Gautier die Kunsttheorie des l'art pour l'art entwickelt.
Liebe Grüße
Martinus
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
RE: Théophile Gautier
in Die schöne Welt der Bücher 18.08.2008 13:40von Martinus • 3.195 Beiträge
Im Vorwort zu „Mademoiselle de Maupin“ kritisiert Gautier in ironischer Manier den Jornalismus seiner Zeit, der überzogen sich der Tugend beschwor. Das ist insofern bemerkenswert, weil Gautier selber Kritiker war und journalistisch tätig.
Théophil Gautier ist ein leidenschaftlicher Fabulierer, der seinen Berufstand in kleinen Anekdoten amüsant kritisch aufs Korn nimmt. So hat man ihn von Leuten erzählt,
Zitat von Gautier
„..die vor Michelangelos Fresko Das jüngste Gericht standen und darin nichts anderes dargestellt sahen als die Ausschweifungen der hohen Geistlichkeit jener Zeit, und die deshalb ihr Haupt verhüllten und schrien, das seinen ja wohl die biblischen >Greuel der Verwüstung<!“
In Mustertexten stellt er vor „Wie man eine Uraufführung tugendhaft bespricht“ und „eine Buckkritik verfaßt":
Zitat von Gautier
Wenn sie dieses Buch lesen wollen, schließen Sie sich sorgsam zu Hause ein; lassen Sie es nicht auf dem Tisch herumliegen. Wenn ihre Frau oder Ihre Tochter es fänden, wären sie verloren. Das Buch ist gefährlich; das Buch emphielt das Laster....
Das ganze Moralgetue findet Gautier sehr peinlich. „Da wird jedes Feuilleton zur Kanzel, jeder Journalist zum Prediger.“ Dabei brauche man das Laster:
Zitat von Gautier
...was tätet ihr den ohne das Laster? Ihr wäret doch, wenn heute alle Welt tugendhaft würde, schon morgen anden Bettelstab gebracht.
Wenn die Literatur nach christlichen Tugenden ausgerichtet sein sollte, hieße das, man müsse den fünften Akt einer Tragödie streichen, in dem ein Herr literarisch gemordet wird. Die Kommödien eines Molière wären untragbar, da der Ehestand verhöhnt werde. Gautier kostet noch weiter aus:
Zitat von Gautier
Der Ehebruch ist immer jung, schön, wohlgebaut und mindestens Marquis. Er kommt herein, trällert, noch halb in den Kulissen, die neueste Courante; er macht ein, zwei Schritte und wirkt schon so entschieden und siegessicher, wie man nur sein kann; er kratzt sich im Ohr mit dem rosigen Nagel seines kokett abgespreizten kleinen Fingers; er kämmt sich mit seinem Schildplattkamm und das schöne Blondhaar und zupft sich die sehr breiten Spitzenbesätze unterhalb der Knie zurecht. Sein Wams und seine Hose verschwinden fast unter den zahlreichen Schnüren und geknoteten Bändern; sein Umschlagkragen ist beste Schneiderarbeit; seine Handschuhe riechen besser als Benzoe und Zibet; seine Federn haben bestimmt einen Louisdor gekostet.
Wie sind seine Augen feurig und seine Wangen in Blüte! Wie strahlend ist sein Lächeln! Wie weiß sind seine Zähne! Wie wich und wohlgewaschen ist seine Hand!
Er spricht, und lauter Madrigale ertönen, parfümierte Galanterien – in feinem, preziösem Stil und bestgelungen; er hat Romane gelesen und versteht etwas von Poesie; er ist tapfer und zieht schnell blank; er verteilt sein Gold und Geld mit beiden Händen. Folglich haben Angélique, Agnès und Isabelle, mögen sie auch wohlerzogen und grfoße Damen sein, gewaltige Mühe, ihm nicht gleich um den Hals zu fallen; und folglich wird der Gatte regelmäßig im fünften Akt betrogen und kann sich noch freuen, daß es ihm nicht schon im ersten geschieht.
So behandelt Molière die Ehe – Molière, eines der edelsten und schlimmsten Genies aller Zeiten.
Es war mir sehr wert, diese Passage zu zitieren, weil der Leser Gautiers Fabulierfreude- und kunst erleben kann. Der Zweite Grund ist die herrliche Ironie, mit der der Autor spielt. Kritiker kritisieren die Unmoral, Gautier aber lässt den adligen Ehebrecher sehr galant und geradezu verherrlicht auftreten. Man fühlt, wie der Autor gerade schmunzelte, als er das geschrieben hatte.
Ein bedeutender Bestandteil des Vorwortes ist Théophile Gautiers Kunsttheorie der l'art pour l'art, das bedeutet, die Kunst ist nur für die Kunst da. Die Kunst hat keinen Nutzen. Man erwarte keinen trockenen kunsttheoretischen Text. Gautier, wie ich ihn hier kennengelernt habe, ist für mich ein großer Fabulierer, der Spaß am Erzählen hat, seine Theorie sehr entspannt dem Leser nahelegt, wie folgende Beispiele zeigen:
Zitat von Gautier
Unsere Epoche...ist nun einmal unmoralisch...Als Beweis genügt uns die Menge der unmoralischen Bücher, die sie hervorbtingt, und der Erfolg, den diese erzielen. Die Bücher richtet sich nach den Sitten und nicht die Sitten nach den Büchern...Irgend jemand, ich weiß nicht mehr genau wer und wo, meinte einmal, daß Literatur und Kunst Sitten beeinflussten. Wer immer dies gesagt hat: er war unzweifelhaft ein Dummkopf. Es ist, als ob man behauptete: „Die Erbsen lassen den Frühling wachsen“, umgekehrt: die Erbsen wachsen, weil Frühling, und die Kirschen, weil Sommer ist.
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...ein Buch bereitet einem keine gelierte Suppe; ein Roman ist kein Paar nahtlose Stiefel, ein Sonett keine Gartenspritze mit Dauerstrahl; ein Drama ist keine Eisenbahn. Solche Dinge sind es, die wesentlich die kulturelle Verfeinerung fördern und die menschheit auf der Straße zum Fortschritt voranbringen.
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Aber selbst, wenn wir a priori annehmen, unsere Existenz sei nützlich: welche Dinge helfen uns wirklich, sie zu unterhalten? Zweimal täglich Suppe und ein Stück Fleisch: das ist, genau betrachtet, alles, was man braucht um satt zu werden. Einem Menschen genügt nach seinem Tod und weit darüber hinaus ein Sarg von zwei mal sechs Fuß, und im Leben benötigt er auch nicht viel mehr Platz. Ein hohler Würfel mit sieben bis acht Fuß Kantenlänge und einem Loch zum Atmen, eine Wabe im Bienenkorb eben: mehr bedarf es nicht, um ihn eizuquatieren und zu hindern, daß er vollgeregnet wird. Eine Decke, richtig fest um den Leib gewickelt, schützt ihn genauso gut wie oder gar wirksamer als der eleganbteste und bestgeschnittene Frack der Firma Staub.
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„Wahrhaft schön kann nur sein, was keinem Zweck zu dienen vermag; alles Nützliche ist häßlich, denn es ist der Ausdruck bestimmter Bedürfnisse; und die des Menschen sind widerwärtig und abscheulich wie seine armselige und gebrechliche Natur, Das nützlichste Zimmer in einem Haus ist das Klosett“
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„Statt einen Monthyon-Preis zu stiften, der die Tugend belohnt, würde ich lieber wie Sardanapal, dieser große und sehr unverstandene Philosoph, eine erkleckliche Summe für jemanden ausloben, der eine neue Lust erfindet. Denn die Freude scheint mir der Sinn des Lebens zu sein; sie ist, meine ich, das einzig wahrhaft Nützliche auf der Welt.“
Théophile Gautier versteht es demnach so, dass Kunst uns einen Lebenssinn, nämlich Freude, vermitteln soll. Einen Nutzen, z.B. zum Überleben, hat sie nicht.
Liebe Grüße an die Freunde der Kunst
Martinus
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
RE: Théophile Gautier
in Die schöne Welt der Bücher 19.08.2008 15:12von ascolto • 1.289 Beiträge
Aus dem Ärmel zur Kunst:
Vorsicht schwache Mehtrik......
Die Kunst die hatt einen Nutzen,
man kann durch sie Zähne putzen,
auch ist die Klinge dazu gehärtet
sowie die Herzen durch sie nicht verhärtet.
Ganz schmuseweich kommt Sie daher
und labt die Beuy`sche Wärmequelle,
zündelt und funkelt die sozialen Händ
damidd der Geyst sich löst aus starren Wänd.
Der Kunstgenuss liegt im Braten
sowie um Grab mit dem Spaten,
die Kunst ist jedem eine Freundschaft
sie entläßt die Sorgen aus ihrer Haft.
Darum Freunde lasst uns gemeinsam tönen
und uns durch die Kunst die Herzen verwöhnen!
RE: Théophile Gautier
in Die schöne Welt der Bücher 07.09.2008 10:46von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Hier ein Blick der Brüder Goncourt auf Gautier aus den Tagebüchern:
In Antwort auf:
Gautier, ermattetes Gesicht, erschlaffte Züge, verquollene Linien, Schlaf in der Physionomie, eine in ein Fass voll Materie versunkene Intelligenz, Müdigkeit eines Nilpferdes, zeitweiliges Aussetzen des Verständnisses: schwerhörig für Ideen, mit Gehörhalluzinationen, lauscht nach rückwärts, wenn man von vorn zu ihm spricht.
Heute in ein Wort vernarrt, das Flaubert am Morgen zu ihm gesagt hat, höchster Grundsatz der ganzen Schule, den er, wie er sagt, in die Wände eingravieren will: Aus der Form entsteht der Gedanke.
Man meint daraus etwas Zweideutiges herauszuhören, besonders an dieser Stelle: "schwerhörig für Ideen". Ein winziger Neid der Gebrüder?
Gautiers Vorwort ist fast besser als seine Geschichten.
Liebe Grüße
Taxine
Art & Vibration
RE: Théophile Gautier
in Die schöne Welt der Bücher 01.11.2008 11:20von Martinus • 3.195 Beiträge
Théophile Gautiers Erzählung "Die verliebte Tote" entstand 1836 und zählt zu den frühen Vampirgeschichten der Weltliteratur. John William Polidori (1795 - 1821), der Leibarzt von Lord Byron, schuf mit "Der Vampir" im jahre 1819 die erste Vampirgeschichte der Weltliteratur. (enthalten ist diese Erzählung in "Der Vampir", Gespenstergeschichten aus aller Welt (Verlag Das Neuer Berlin 1982, Lizenzausgabe 1983 Nymphenburger, der diesen Band in einem Schuber mit dem Band "Die Nebeldroschke", Deutschsprachige Gespenstergeschichten; herausgebracht hat). Polidori löste mit seiner Erzählung eine Welle von Vampirgeschichten aus, deren auch E. Th. A. Hoffmann erlag. Er schrieb "Der Vampyr" (bzw. "Cyprians Erzählung)", die man in der Sammlung "Die Serapionsbrüder" finden kann.
Gautiers Erzählung ist die Geschichte einer Verführung durch einen weiblichen Vampir. Während der Zeremonie zur Verleihung seiner Priesterweihe, verfällt Romuald den Blicken der wunderschönen Clarimonde, die in den hinteren Bänken der Kirche sitzt. Diese Erzählung verdeutlicht, dass eine Unterdrückung der Sexualität nicht möglich ist, selbst wenn man Priester ist. Wenn man August Graf von Platen dem Tode geweiht ist, wenn man das Schöne geschaut hat (Tristan), ist es hier das Sexuelle, dem man nicht mehr entkommt. Bei Gautier heißt es:
In Antwort auf:
Sieh niemals ein Weib an! Geh deines Weges mit gesenktem Blick! Denn, wie keusch und sicher du dich auch wähnen magst: Ein einziger Blick genügt, dich auf ewig zu verderben!
Da die Dame unserer Geschichte ein Vampir ist, kann der Pfarrer seiner Besessenheit natürlich nicht entkommen. Die Dame saugt Romuald'es Blut. Interessant ist, Romuald wird deswegen nicht zum Vampir, er muss auch nicht sterben, sondern es wird nur so viel gesaugt, das Romuald überlebt und Clarimonde zu Kräften kommt. Triebverdrängung führt zu seelischen Qualen bis zum Lebensende, vielleicht eine größere Strafe, als der Tod.
Théophile Gautier erweist sich an sich als realistischer Erzähler. In die Realität drängt sich aber das Böse ein. Romuald weiß dann irgendwann nicht mehr, ob er der Liebhaber Clarimondes ist (das Böse) oder ein Priester (das Gute), oder ob er träumt oder wach ist. Im Grunde genommen haben wir Ansätze eines Doppelgängermotivs - die Seele ist gespalten.
Gruselig ist die Erzählung nicht, aber Théophile Gautier nimmt den Leser mit seiner märchenhaft anmutenden Erzählweise gefangen.
Liebe Grüße
mArtinus
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)