HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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Dieser ist ein Zentralwerk der "Iliade der Korruption" innerhalb seiner Menschlichen Komödie.
Balzac entwickelt in diesem Roman ein umfassendes Zeitbild der Restauration in Frankreich und polemisiert gegen die Kommerzialisierung von Literatur und Jounalismus.
Darum auch ein langsames Auseinandernehmen, Verstehenwollen und Überdenken dieser Geschichte.
Das zentrale Thema ist das Geld, natürlich interessant, weil Balzac sein ganzes Leben mit dem lieben "Geld" kämpfte, und zwar, weil er es nicht hatte. Seine Schulden behielt er ein Leben lang.
Das Buch ist Victor Hugo gewidmet.
In Antwort auf:
... Sie haben wie Chateaubriand, wie alle wahren Talente gegen die Neidischen gekämpft, die sich hinter den Spalten der Zeitung verschanzt oder in deren unterirdischen Gängen verkrochen haben. Deshalb würde ich wünschen, dass Ihr siegreicher Name mithelfe zum Sieg dieses Werkes, das ich Ihnen widme und das nach der Meinung mancher eine gleichermaßen große Tat des Mutes als eine Geschichte voll Wahrhaftigkeit wäre.
Hm... auch ein guter Trick, ein Buch publik zu machen, mit den Namen eines anderen werben. Spaß.
Als Verleger trifft man natürlich auf so manchen Schriftsteller. Balzac kaufte durch das Geld seiner Mutter eine eigene Druckerei, vorher auf den Geschmack gekommen durch die Arbeit bei einem Pariser Verleger, wo er eine illustrierte und kommentierte Molière- und La Fontaine-Ausgabe herausgab. Während der Wirtschaftskrise ( 1828 ) ging er aber bereits wieder Konkurs und musste die Druckerei schließen.
Ich denke, da werden einige Erfahrungen mit in das Buch geflossen sein.
In Antwort auf:
Der Geiz beginnt, wo die Armut aufhört.
So also der erste Eindruck des „Bären“, des alten Séchard, der seine Druckerei trotz der Unkenntnis über Lesen und Schreiben aufbaut.
Der Vater Séchard steht hier als strenger Geselle, der seinen Sohn dahin erzieht, dass er die Druckerei übernimmt und seine durch den Geiz verursachten Konkurrenzkämpfe bewältigen soll. Desto älter er wird, desto mehr entsteht eine Feindschaft zwischen Vater und Sohn.
In Antwort auf:
Diese Umwandlung des zärtlichen Gefühls in persönliches Interesse, die bei wohlerzogenen Leuten gewöhnlich langsam, versteckt und heuchlerisch vor sich geht, war bei dem Alten schnell und unverhohlen…
Er sehnt sich danach, die „Last des Geschäfts abzugeben“ und übt sich solange in der „Saufographie“. Lustig, wenn man sich die Namensgebung des Herrn Séchard zu Gemüte führt, die hier wie angegeben „der Trockene“ bedeutet. (le sec heißt der Trockene)
Ein Drucker, der nicht lesen und schreiben kann, muss seinen Ausgleich schaffen.
Der Vater neigt also jetzt mit siebzig Jahren wieder zu den gleichen „Sünden“ seiner Jugend, zur Trunksucht. Nach dem Motto:
In Antwort auf:
… aber die Philosophen haben die Bemerkung gemacht, dass die Gewohnheiten der Jugend im Greisenalter mit großer Stärke wiederkehren.
Auch die Beschreibung des alten Séchard sehr bildlich:
In Antwort auf:
Unter zwei mächtigen Brauen, die wie zwei schneebedeckte Büsche aussahen, hatten seine beiden grauen Augen, in denen die Schlauheit einer Habgier funkelte, die alles, selbst die Vaterliebe in ihm ertötet hatte, ihren Glanz noch in der Trunkenheit bewahrt.
... oder die, der Druckerei. Sehr detailliert, was die Vorstellung recht deutlich werden lässt. Diese kleinen Fenster mit den schmutzigen Scheiben (die niemals gewaschen wurden – was für ein Licht muss in solche Räume fallen?) und die Enge, die Setzkästen und die Pressen stehen klar vor Augen. Dazwischengestreut die Einfachheit des „Krämergeizes“. Man kann sich fast die ganze Stadt vorstellen, den Schmutz, die engen Gassen der damaligen Zeit. Da geht meine Phantasie ganz gerne mit mir durch.
Als der Sohn (David) endlich sein Studium beendet hat und nach Hause zurückkehrt, drängt der Vater darauf, ihm seine Druckerei zu verkaufen. David ist nicht unbedarft, durchschaut seinen geldgierigen Vater, der nicht davor zurückscheut, seinen eigenen Sohn auszunehmen, trotzdem
will er die kleinlichen Eigenarten seines jammernden Vater ein bisschen studieren. Genauer:
In Antwort auf:
Er drängte seinen Schmerz in seine Seele zurück, er sah sich allein, ohne Hilfe, denn er fand in seinem Vater einen Spekulanten, den er aus philosophischer Neugier bis zum Grunde kennenlernen wollte.
Um den Hausfrieden zu wahren, hält David sein in der Stadt gesammeltes, modernes Wissen zurück und willigt ein.
Er selbst neigt zur Unbekümmertheit, während der Vater um das Einhalten der Bezahlung bangt. Und doch bleibt er auch Mitbestimmer in der Druckerei.Zitat:
Alle Leidenschaften sind in ihrem Kern jesuitisch.
Der Leitspruch heißt ja: Alles zur Größe und Ehre Gottes!
In Antwort auf:
Dieser Mann, der die Erziehung für etwas Unnützes ansah, bemühte sich jetzt, an den Einfluss der Erziehung zu glauben.
Ausreden lassen sich immer finden, und der Glaube daran erweckt auf einmal die Voraussetzung.
Die politische Lage verlangte nach einer politischen Meinung, gerade bei Menschen, die auf Kunden angewiesen waren. David bewahrte sich eine „ungesunde“ Neutralität.
In Antwort auf:
Das war in einer Zeit, wo die Kaufleute der Provinz sich zu einer Meinung bekennen mussten, um Kunden zu haben, denn man musste zwischen der Kundschaft der Liberalen oder der der Royalisten wählen.
Auch fehlt es David an der zu einem Kaufmann gehörigen Gewinngier, so dass die Konkurrenz der Gebrüder Cointet ihre Vorzüge durch die Bekennung zu den Royalisten schlugen, um der Mode folgend religiöse Bücher zu drucken.
Im Gegensatz zum Junggesellen David, der wohl irgendwann viel Geld erben würde, waren die Brüder Cointet arm und hatten dazu noch eine Familie zu ernähren. Diese Tatsache weckte Neid und nötigte zur Diffamierung. Während der eine in offenbarer Sorglosigkeit in den Tag hineinlebte, galten die Brüder als Vertrauen erweckend und bekamen durch ihre Anschuldigungen um das Hause Séchard die Aufträge.
Als die Cointet Séchards Zeitung aufkaufen wollen, mischt sich der Alte erneut ein, mit dem deftigen Grund: Zitat:
Das Blatt verkaufen? Aber ebensogut könnte man die ganze Druckerei und das Patent verkaufen.
Das tut er dann auch, verkauft die Zeitung zu seinen Bedingungen und treibt so die Druckerei in den Ruin. Es gilt:
In Antwort auf:
Nach dem Diebstahl kommt immer der Mord.
Ich muss zugeben, Balzac ist für mich schwierig zu lesen, obwohl er mich mit seiner poetischen Sprache durchaus lockt. Wahrscheinlich muss ich mich erst in diese Zeit einfinden.
Hier tritt Lucien Chardon neben David, dessen Vater, ein Apotheker, bevor er (unter Wutkrämpfen) starb, an der Heilung von Gicht arbeitete, für die galt:
Zitat:
Die Gicht ist die Krankheit der Reichen, und die Reichen zahlen die Gesundheit gut, wenn sie ihrer beraubt sind.
Hier der Grund, warum der Vater sich mit diesem Thema beschäftigte. Man bemerkt sehr stark diese ewige Gier nach Geld, die Balzac in den Vordergrund rückt.
Auch hier ein Hinweis bei der Beschreibung der Familie Chardon:
In Antwort auf:
Die Kinder besaßen, wie alle Kinder der Liebe, als Erbe weiter nichts als die wunderbare Schönheit der Mutter, ein oft verhängnisvolles Geschenk, wenn es mit Not und Elend verknüpft ist.
Alles dreht sich um den Kampf mit der Armut, aus der heraus man mit der "nur richtigen Idee" (selbst in der Wissenschaft) ein Vermögen anhäufen kann.
Jeder Gedanke scheint mit Gold aufwiegbar...
Darum wundert mich dieser Traum vom Ruhm nicht.
Ein schöner Vergleich von Lucien und David, die nicht unterschiedlicher sein können. Der eine blond und schön, zerbrechlich von außen und voller Tatendrang und Mut im Inneren, der andere grobschlächtig, von dunkler Gestalt, stark von außen, doch im Inneren noch unentschlossen. Lucien liest viel, David denkt viel, und beide schwärmen sie für die Poesie.
In Antwort auf:Diese Vertauschung der Rollen machte sie zu einer Art geistigen Brüdern.
Ferner waren beide von verschiedenen Seiten her bei der Poesie angelangt. Obwohl er für die schwierigsten Forschungen der Naturwissenschaften bestimmt war, drängte es Lucien glühend nach literarischem Ruhm, während David, den sein sinnender Geist zur Poesie bestimmte, seinem Geschmack nach den exakten Wissenschaften zuneigte.
Und auch das Poetische müssen wir hier erwähnen, die großen "Wahrheiten", die Balzac so schön dazwischen streut.
In Antwort auf:
Es ist die Schattenseite großer Verstandesbegabung, dass sie mit Notwendigkeit alle Dinge erfasst, die Laster ebenso wohl wie die Tugenden.
oder
In Antwort auf:
Diese beiden jungen Leute urteilten um so souveräner über die Gesellschaft, als sie eine niedrige Stellung in ihr einnahmen; denn die Unbekannten rächten oft die Niedrigkeit ihrer Lage mit dem Hochmut ihrer Betrachtungsweise.
Auch interessant fand ich das Heranwachsen der Madame Bargeton.
Sie wird durch einen Abbé erzogen, der ihr sein ganzes Wissen beibringt, aus Langweile, weil in der Provinz keine andere Abwechslung herrschte. Durch ihren wachsenden Geist eignet sich die zunächst junge Dame ein paar überhebliche Manieren an.
In Antwort auf:
In all ihrer Eitelkeit fühlte sie sich durch den armen Abbé geschmeichelt, der in ihr sich selbst bewunderte, wie ein Autor sich in seinem Werk, und so hatte sie das Unglück, keinen Vergleichungspunkt zu finden, der ihr zu einem Urteil über sich selbst verholfen hätte.
Hier urteilt Balzac recht gesellschaftsangepasst über sie, die in ihrer hochfahrenden Miene, die sie durch den Mangel an Gesellschaft nicht abgeschliffen hatte, "jene Geste, die in der Jugend anmutig, doch bald schon lächerlich wirken musste", ihren frei schweifenden, gebildeten Geist verteidigt, nach Beschäftigung sucht und die Heirat im herkömmlichen Sinne ablehnt.
In Antwort auf:
Es war ihr widerwärtig, ihren Verstand und ihre Person den Männern ohne Wert und persönliche Größe unterzuordnen, die sie in ihrem zurückgezogenen Leben hatte kennenlernen können. Sie wollte befehlen und sollte gehorchen.
... was ich bei diesem wachen Geist in dieser Zeit mit ihren Ritualen durchaus verstehen kann.
Auch war ich fasziniert, wie Balzac hier ihr Bild zeichnet, wie sie langsam ihren eigenen "Hofstaat" aufbaut, gerade durch ihre Abgehobenheit.
Madame de Bargeton kann zwischen Privatleben und Allgemeinen nicht mehr unterscheiden, und Balzac stellt fest:
In Antwort auf:
Man muss in der Tat die Empfindungen, die nicht verstanden werden, für sich behalten.
und
In Antwort auf:
Ein Sonnenuntergang ist gewiss ein großes Gedicht, aber macht sich eine Frau nicht lächerlich, wenn sie ihn mit großen Worten vor Leuten schildert, die nur materielle Interessen haben?
Nun, ich wäre von einem solchen Menschen eher begeistert, der sich nicht um die Meinung anderer schert, aber sicherlich bleibt es eine Zeitverschwendung, wenn kein Austausch stattfindet, oder wenn eine poetische Lesung niemanden erreicht oder völlig deplaziert ist.
Trotzdem...
Dieses Verhalten ist eben die Resonanz aus ihrem "geweckten" Geist und der Langweile.
In Antwort auf:
… denn es gibt Lebensläufe, denen der Zufall fehlt.
Auf mich wirkt es so, als ob Lucien mehr für sie schwärmt, weil er durch sie auf Ruhm hofft, weil sie in ihm den Dichter lobt, weil er durch sie in die adligen Kreise eingeführt wird.
In Antwort auf:
Nais wurde geliebt, wie jeder Jüngling die erste Frau liebt, die ihm schmeichelt, denn Nais sagte Lucien eine große Zukunft, einen herrlichen Ruhm voraus.
Sie macht ihn kleiner als er war, um ihn in ihrer Nähe zu behalten, denn sie empfindet weit mehr für diesen schönen "Jüngling", als sie sich eingestehen möchte. Sie stellt ihn als armes Kind ohne Vermögen hin, dem sie eine Stellung verschaffen will. Lucien dagegen vergöttert gerade ihre Verschrobenheiten...
In Antwort auf:
... ihre Fehler, die von ihren Manieren noch unterstrichen wurden, gefielen ihm, denn die jungen Leute fangen damit an, dass sie die Überspanntheit lieben, diese Lüge der schönen Seelen.
Hm..., ich finde ja, man muss erst einmal richtig viel Balzac lesen, um alles für sich zu erfassen und die Gedanken ins Wort zu wandeln.
Diese ganze Aristokratie, die sich hier in hocherhobener Nase zeigt, keinen Menschen aus unterer Schicht in ihre Gefielde lässt, erschafft sich tatsächlich eigene Gesetze.
Auch erscheint es mir, als ob in diesen Kreisen der Dichter herumgereicht wird, wie ein "Trend", wie ein Schmuckstück, an dem man eine gewisse Zeit Gefallen findet, um es dann in hohem Bogen wieder wegzuschmeißen. Und desto verkommener er wirkt und aussieht, desto mehr rechtfertigt sich das Talent dahinter, selbst wenn die Poesie nicht Zeitvertreib genug ist, um zu akzeptieren, dass dieser Dichter dann nicht die richtigen Manieren an den Tag legt.
Man steht in dieser Zeit, wo alles Spiel ist, wo Reichtum Rechtfertigung für dekadente Ablenkung und Zerstreuung bleibt.
Denn auch, wenn Montesquieu hier hin und wieder mit einem Gärtner verwechselt wurde, gilt:
In Antwort auf:
Wenn der feine Weltton nicht eine Gabe hoher Geburt ist, ein Wissen, das mit der Muttermilch eingesogen oder im Blute vererbt ist, stellt er eine Zucht vor, die der Zufall durch eine gewisse Eleganz der Formen, durch feine Besonderheit in den Zügen, durch einen gewissen Ton in der Stimme unterstützen muss.
Lucien erfüllt diese Bedingung durch sein Äußeres.
Bei David sieht das anders aus, aber er lehnt es ja sowieso von sich aus ab.
Was mich aber wundert, ist, dass der ganze Luxus der Madame de Bargeton doch auch nur Fassade ist, ein Potemkinsches Dorf, das die Leute nur aus einer Gewohnheit heraus noch zu locken vermag. Warum dann so viel Bedacht auf Umgangsform und Regeln?
Vielleicht gerade darum. Man wahrt den Schein, weil Madame de Bargetons Dorf (Reich) sonst zusammenstürzen würde.
Dafür verteidigt sie ihre "Launen" aber um so beharrlicher.
Was mich bei Balzac natürlich wieder ein bisschen ins "Augenrollen" treibt, ist die Angewohnheit dieser Zeit, nichts offen zu lassen, in einem Satz bereits vorwegzunehmen, in welche Richtung sich ein Mensch entwickeln wird (Lucien in seiner künstlerischen Entfaltung - das Genie, das keine Familie hat, nur für sein Werk lebt, Schoßkind ist, Egoismus entwickelt... etc. ), oder zum Beispiel einen Charakter anzupreisen und ihn im selben Moment durch ein Vorurteil wieder als verwerflich darzustellen (bei Madame de Bareton, zum Beispiel). :rolleyes:
Na gut, er macht es durch seine wunderbar poetische Sprache wieder wett...
Neben Luciens Höhenflug ist es eine wahre Wonne, David und Ève in ihren zaghaften Versuchen einer Liebe zu betrachten. Diese ganze Mätressen - Liebe - Schwärmerei - Hoffnung auf Ruhm - Affäre zwischen Lucien und Madame Bargeton, die ja jegliche Berührung vermeidet, außer der Kuss auf die Stirn, wirkt nahezu kalt auf mich, (irgendwie) wie ein heißes Vergehen der älteren Madame zu einem Jungspunt, der sich hier in feuriger Leidenschaft ein bisschen prostituiert.
Dieser Satz gab mir zu denken:
In Antwort auf:
Man muss in der Tat viel Erfahrung im Leben hinter sich haben, ehe man erkennt, dass nach einem schönen Wort Raffaels "verstehen" "gleichstellen" heißt.
Ich deute ihn für mich so. Man muss, um anderen etwas verständlich zu machen, es anpassen, auf bestimmte Gewohnheiten und Bedingungen gleichsetzen. Damit Menschen verstehen können, muss man (und ich schätze, Raphael hat es hier im Bild gemeint - ausdrücken, was alle verstehen können, auf bestimmtes Niveau anpassen) die Menschen kennen und sich auf sie einstimmen.
Lucien wird hier also von seiner Gönnerin in die Aristokratie eingeführt, wo er seine Gedichte vortragen soll. Er soll im Grunde zeigen, dass er ein Recht hat, als einer aus der Unterschicht, dessen Mutter für andere Menschen als Wäscherin arbeitet, unter ihnen zu weilen. Balzac beschreibt hier die verschiedenen Menschen sehr grotesk und überzogen.
In Antwort auf:
... diese bizarren Menschen mit dem grell voneinander abstechenden Kostüm und den verstellten Gesichtern
Bei all diesen affektierten, überzogen auftretenden Menschen fallen mir diese Portraits von Hyacinthe Rigaud oder van Dyck ein, die ihren Auftraggebern so gerne schmeichelten oder die arroganten Heiligen eines Tiepolo. Ich glaube, ich habe noch nie einen hochnäsigeren und gelangweilteren Jesus gesehen, als in seiner "Anbetung der Dreifaltigkeit durch Papst Klemens I"in der alten Pinakothek in München.
Ich fand auch diese Beschreibungen herrlich:
In Antwort auf:
Er war der Geck, den sein Vorleben erwarten ließ; aber sein Alter hatte ihm bereits ein rundes Bäuchlein gegeben, das ziemlich schwer in den Grenzen der Eleganz zu halten war.
In Antwort auf:
Alle beide hatten die gezierte, sauersüße Würde der Menschen, mit denen Mitleid zu haben alle Welt sich zum Vergnügen macht, für die man sich aus Egoismus interessiert und die den leeren Trostworten auf den Grund gekommen sind, mit denen die Welt mit Vergnügen die Unglücklichen abspeist.
Lucien wird nicht in den Kreis gelassen, obwohl er liest und sein Eigenes vorträgt, weil er von vorneherein abgelehnt wird. Die Adligen wissen nicht, worauf sie sich da wirklich einlassen, sind doch so sehr ihren Trott gewohnt. Bei Luciens Poesielesung wurden völlig andere Erwartungen gesetzt. Wir sehen hier diese ganzen auf sich selbst bezogenen Gockel, die bestimmte Dinge (Cicero-Zitate, Zeitungsausschnitte und all dies) auswendig lernen, um sich selbst zu feiern und Gesprächsstoff zu haben. Madame de Bargeton ist wohl die einzige Dame, die die Poesie zu schätzen weiß, doch die anderen Adligen erwarten eine Art Schauspiel, eine hübsche Zerstreuung, und nicht einen hübschen Dichter, der langweilige Worte vorträgt, die wahrscheinlich nicht einmal verstanden werden.
Und auch wenn hier gilt:
Worte wie Schönheit, Ruhm, Poesie haben Zauberkraft in sich, die selbst die plumpen Köpfe verführt.
... so ist es doch Madame de Bargeton, die hier die Leute versucht in ihr Haus zu locken. Und leider stimmt auch diese Voraussetzung nicht:
In Antwort auf:
Die Poesie erfordert, um mit der Stimme wiedergegeben, wie um erfasst zu werden, eine heilige Aufmerksamkeit. Es muss zwischen dem Leser und der Zuhörerschaft eine innige Verbindung entstehen, ohne die die elektrische Übertragung der Gefühle nicht stattfindet.
André de Chénier (der Dichter, der durch einen anderen Dichter entdeckt wurde, wie es hier bei Balzac heißt) wird hier öfter erwähnt. Er war zu seinen Lebzeiten nur kurz als Publizist und Pamphletist bekannt, machte sich aber durch seinen späten Nachruhm einen Namen, und zwar, als er bereits tot war. Seine Lyrik bestand zum Beispiel aus Hirtengedichten, wie wir sie von Alvaro de Campo kennen, die dank der Schönheit ihrer Sprache und der Ausdruckskraft ihrer Bilder einen Höhepunkt der klassizistischen Lyrik des 18. Jahrhunderts bildeten. Sie blieben allerdings zu Chéniers Lebzeiten unveröffentlicht. Seit Dichtwerk wurde erst 1819 gesammelt gedruckt und wirkte dann (vielleicht wegen der nostalgischen Grundstimmung) wie eine Offenbarung auf die neue Dichterschule der Romantiker. Chénier ist somit, obwohl er im 18. Jh. schrieb, in gewisser Hinsicht ein Autor des 19. Jh. Zum Beispiel war er wichtiges Vorbild der Dichterschule der „Parnassiens“.
Art & Vibration
David über Lucien zu dessen Schwester Eve:
In Antwort auf:
Wie wird er sich in der Welt halten können, in die seine Neigung ihn hineintreibt? Ich kenne ihn. Er hat eine Natur, die die mühlelose Ernte liebt. Die Pflichten der Gesellschaft werden ihm seine Zeit stehlen, und die Zeit ist das einzige Kapital der Menschen, deren ganzes Vermögen in ihrem Geist besteht; er liebt zu glänzen, die Welt wird seine Begierden reizen, keine Summe wird groß genug für sie sein, er wird Geld ausgeben und keins verdienen (...)
Und ein wenig später:
In Antwort auf:
Das langsame Werden der Geisteswerke erfordert, dass man über ein beträchtliches Vermögen verfügt oder den erhabenen Zynismus besitzt, der zu einem Leben voll Arbeit gehört.
David ist besorgt um Lucien, der in dieser reichen Welt frohlockt, ohne selbst das nötige Geld zu besitzen, er hat Bedenken, weil die Zeit, die Lucien bei Madame de Bargeton verschwendet, eigentlich in sein Werk fließen sollte. So möchte er sich nun "opfern", dem Dichter das Leben bieten, nach dem er sich sehnt. Er möchte die Familie seiner Angebeteten und seines Freundes aufnehmen, Eve heiraten und neuen Mut finden, ein Vermögen zu erringen, den er nicht für sich selbst hätte.
Eve sieht mit Freude, wie David das Große seiner Liebe klein macht.
Und David, von dem wir ja schon wissen, dass sein Geist sich nach den Wissenschaften sehnt, hat auch eine Idee. Er möchte Maschinen erfinden, die die Herstellung von Papier vereinfachen sollen.
Wie voraussehend Balzac hier ist, wenn er in den Worten Davids das neu geprägte Gesellschaftsbild vorwegnimmt.
In Antwort auf:
Wir nähern uns einer Zeit, wo die Vermögen sich ausgleichen und also kleiner werden, wo alle ärmer werden; wir werden billiger Wäsche und billiger Bücher bedürfen, wie man anfängt, kleine Bilder haben zu wollen, weil man keinen Raum mehr hat, um die großen zu hängen.
Auch interessant zu erfahren:
In Antwort auf:
Ein gebundener Voltaire, der auf unsern Velinpapieren zweieinhalb Zentner wiegt, würde auf Chinapapier kaum einen halben wiegen.
Diese Bücher, die damals noch dick und schwer waren, die in Gold überzogenen Einbänden steckten und für sich ein Kunstwerk waren, wurden irgendwann durch die Entwicklung so dünn und handlich, bis ins heutige Taschenbuchformat.
Darüber habe ich mir so nie Gedanken gemacht. Ich habe ein herrliches Dostojewski Konvolut, bei dem mich dieses hauchdünne, eng beschriebene Papier fasziniert hat, was die Bücher in ein sehr handliches Format packte. Als ich "Die Brüder Karamasow" mal in der Taschenbuchausgabe zur Hand nahm, war das Buch zwar ähnlich schwer (denn mein Buch ist ja ein Hardcover), aber mindestens doppelt so dick.
David (Balzac) fasst es hier schön zusammen:
In Antwort auf:Haha, heute ist es gar umgekehrt. Nur noch Ausnahmen haben in ihrem Hause eine Bibliothek. Die meisten müssen sich mit Regalen begnügen.
Die Raumfrage wird sicher in einer Epoche, wo die allgemeine Verkleinerung der Dinge und der Menschen sich auf alles, auch auf ihre Wohnungen erstreckt, für die Bibliotheken immer schwerer zu lösen sein.
Und weiter weiß Balzac bescheid:
In Antwort auf:
In Paris werden die großen Paläste, die großen Wohnungen früher oder später eingerissen; es gibt bald keine Vermögen mehr, die mit den Bauten unserer Väter in Einklang stehen.
Na, ein paar sind uns geblieben, und die schönen luxuriösen Wohnungen wurden in kleine Räume geteilt. Platz schaffen für viele Menschen, nicht nur für einen...
In Antwort auf:
Welche Schande für unsere Zeit, dass sie Bücher herstellt, die nicht von Dauer sind!
Ganz genau!
Bei allem Pläneschmieden ist es traurig zu sehen, wie Lucien auf die Mitteilung der möglichen Heirat aus Liebe reagiert. Er hofft darauf, dass der Mann seiner Angebeteten (durch diese seltsame Affäre kann ich das Wort "Geliebte" hier nicht verwenden) stirbt, damit er endlich aufschließt, Madame de Bargeton heiratet und in ihren Kreisen Einzug hält. So hat er auch für seine Schwester einen reichen Edelmann aus dem Bereich der Aristokratie vorgesehen. In Gedanken wertet er David zu einem Nichts herab. Er schwebt, nach aller Enttäuschung eben in seinem golden Traum, will in Gedanken einen Mord begehen und hat keine Nerven für dieses Liebesgeplänkel... Zum Glück spricht er nicht laut, und Eve und David fassen diese angebliche schweigende Zustimmung als wahre Freundschaft auf.
Art & Vibration
Nun ist die Heirat also beschlossene Sache, doch bei Madame de Bargeton und Lucien läuft nun einiges schief. Es gibt Neidische, die ihre Affäre öffentlich machen, obwohl wir nun erfahren, dass ihr Verhältnis immernoch rein platonisch ist.
In Antwort auf:
Es gibt in der Tat Liebesverhältnisse, die gut oder schlecht, wie man will, von Stapel gehen. Zwei Menschen werfen sich auf die Taktik des Gefühlsaustausches, sprechen, anstatt zu handeln, und schlagen sich auf freiem Feld, anstatt eine Belagerung vorzunehmen. So werden sie oft einander überdrüssig, indem sie ihre SEhnsucht ins Leere verpuffen. Zwei Liebende sind dann soweit, dass sie Zeit finden, nachzudenken und sich kritisch zu betrachten. Oft kehren so Leidenschaften, die mit fliegenden Fahnen und in strahlendem Schmuck, mit einer Glut, die alles umwerfen wollte, ins Feld gezogen waren, schließlich ohne Sieg, beschämt, entwaffnet, ärgerlich über ihren leeren Lärm, nach Hause zurück.
Und während Lucien sich allmählich an den Luxus gewöhnt, an dem er teilhaben darf, sich selbst in fatale Höhen hebt, ohne selbst Geld zu besitzen, schmeichelt seine Angebetete ihm, säuselt immernoch.
In Antwort auf:
So wurde die Eitelkeit dieses Dichters von dieser Frau geschmeichelt, wie es seine Mutter, seine Schwester und David getan hatten. Alle Menschen seiner Umgebung fuhren fort, das nur in der Phantasie bestehende Postament zu erhöhen, auf dem er thronte.
( ... ) Die Phantasie junger Menschen ist naturgemäß so sehr der Mitschuldige solcher Lobeserhebungen und Ideen, alles beeilt sich so sehr, einem schönen zukunftsreichen jungen Menschen zu dienen, dass es mehr als einer bitteren und erkälteten Lektion bedarf, um solches Blendwerk zu verscheuchen.
ZWEITES BUCHIn Paris werden Madame de Bargeton und Lucien schnell wach. Hier zählt nicht das Inkognito oder das Vortäuschen: Ich bin ein Anderer, es zählt kaum die Persönlichkeit und schon gar nicht das Menschliche, sondern alles ist kostspielig, und nur das Kostspielige hat auch seine Wirkung. Der Intrigenstifter Chatelet drückt es schon richtig aus.
In Antwort auf:
Hier wird nur den Reichen gegeben.
Da das Potemkinsche Dorf der Madame de Bargeton hier erst recht zusammenbrechen kann, die Konkurrenz nicht mit dem Kinderspiel der Provinz vergleichbar ist (ich meine, wenn man sich vor Augen hält, dass um die Zeit Ludwig XIV. das gegenseitige Vergiften in Mode kam), muss Madame de Bargeton nun in erster Linie an sich denken. Lucien wirkt wie ein Ballast.
Als sie ihm anbot, dass er sie doch begleitet sollte, nach dem Duell, in das sie ihren gutmütigen Mann geschickt hat, habe ich mich gewundert.
Doch der Verblendete läuft dem Rockzipfel hinterher, nimmt Davids letzte Geldreserven für seine Reise, wird nicht Gast bei ihrer Hochzeit sein. Er sieht Erfolgschancen durch die Gunst Madame de Bargetons, und verlässt seine Familie ohne Gewissensbisse.
Was auch dazu beiträgt, dass Lucien bereits jetzt schon nach falschen Götzen strebt, versteckt sich hinter der politischen Lage. Man rät ihm ja zu royalistischen und religiösen Gedichten, weil diese immer Anklang finden, trotzdem (und das schiebt Balzac so unscheinbar dazwischen) verehrt er als Poesieliebhaber Leute wie Chenier, Pamphletschreiber also, die irgendwo einen Kampf geführt haben. Der Liberalismus ist in Kreisen der Madame de Bargeton sicherlich unangebracht. Doch in Lucien steckt eben eine Kämpfernatur, dort im Inneren brodelt ein noch verstecktes Aufbegehren, er lässt sich nicht so schnell unterkriegen, wenn auch leicht locken und verblenden.
Und, wo in Paris diese Raubtiereigenschaften herrschen, wird ein zarter, hübscher, umschmeichelter Bursche mit eher magerem Talent unter diesen Voraussetzungen (auch wider seiner Natur) wohl eher untergehen.
Bin gespannt.
Paris... Paris...
In Antwort auf:
In Paris ziehen die Massen zuallererst die Aufmerksamkeit auf sich: der Luxus der Läden, die Höhe der Häuser, das Wagengerassel, die fortwährenden Gegensätze zwischen dem größten Luxus und dem äußersten Elend springen zuerst in die Augen.
Für Lucien gilt:
In Antwort auf:
Dieser Phantasiemensch war wie benommen von der Menge, in der er ein Fremder war, und verspürte eine Art ungeheuerer Verkleinerung seiner selbst.
Ich finde es "irre", welche Rituale in Paris herrschen. Es mag fast so erscheinen, als ob ein faltiger, schlaffer Mensch in ein Kostüm gesteckt wird, Halsstütze und Kleiderständer im Kreuz, Prunk und Schmuck und getürmte Frisur erhält, und auf einmal zu neuem Leben erwacht.
Dass Madame de Bargeton Lucien hängen lässt, war klar, dass das Talent (wenn es denn sich noch herausbildet, was es ja später tut) gar keine Rolle spielt, wie auch nicht das hübsche Gesicht, konnte man ebenso ahnen. Und, wir dürfen nicht vergessen, auch Lucien hat von seiner Schwärmerei zu Madame de Bargeton direkt zu ihrer Cousine gewechselt, weil sie den Prunk besaß und ausstrahlte, der so schnell zu verführen scheint.
In Antwort auf:
Man gibt zwar gewöhnlich nicht zu, dass die Gefühle sich plötzlich ändern, aber es ist sicher, dass zwei Liebende sich oft schneller trennen, als sie sich gefunden haben.
Für mich hier an der Szenerie ausschlaggebend, diese überteuerte Verkleidung, in die Lucien sich wirft, die an ihm wie ein schlechtes Kostüm wirkt, was ihm ja auch so manchen scheelen Blick einbringt.
Aber, es bleibt die Tatsache, dass er ein Apothekersöhnchen ist, wobei er von vorne herein verloren hat. Und es kommt hinzu:
In Antwort auf:
In dieser Welt, wo die Kleinigkeiten von großer Bedeutung sind, kann eine Bewegung oder ein Wort einen Anfänger ruinieren.
Er kennt die Sitten nicht und auch nicht die "Anstandsregeln".
Dieses ganze Theater, dieses Aufwachen, dass selbst der teure Schneider für so viel Geld ein neues Kostüm schneidert, und Lucien trotzdem untergeht, zeigt diesen seltsamen Drang (hier durch den Pariser Adel recht deutlich ins Licht gerückt) sich an alle Äußerlichkeiten zu klammern. Welch Irrsinn.
Aber, was hat der Adel auch schon, außer seinen Intrigen und Späßen? Sein "Sich-zur-Schau-Stellen" und Reichtum präsentieren, posieren?
Paris hat seine Gesetze. Lucien fühlt sein Verschlissenes, und seine Seele leuchtet durch allen äußeren Anschein nicht hindurch, weil hier andere Regeln herrschen:
In Antwort auf:
Die Kleidung ist überdies bei denen von größter Bedeutung, die den Anschein erregen wollen, als hätten sie, was sie nicht haben; denn das ist oft das beste Mittel, es später zu besitzen.
Zum Zeitpunkt, als Lucien durch Paris schlendert, mit dem frostigen Brief von Madame de Bargeton, der geraten wurde, sich niemals mit einem Apothekersohn einzulassen, wird der Arc de Triomphe gerade erst gebaut. Was für eine Vorstellung...
Nun steht er also vor uns, der junge Dichter, fast pleite, zieht ins Quartier Latin, wo die Studenten wissen "von diesem Tempel des Hungers und Elends". Hier wird er lebendig, hier wird er wirklich zum Poeten...
Die Geschichte um den Gastwirt Flicoteaux hat mich sehr beeindruckt. Er gibt, weil das Viertel eben nur von armen Studenten bewohnt wird, sein Brot umsonst, sein Essen billig ab. Hier kann man sich für ein paar Sous ernähren, wo Lucien in anderen Stadtvierteln für eine einfach Mahlzeit schon 50 Frances ausgegeben hat. Diese Geschichte um den Wirt, der solange leben wird, wie die Studenten leben, gibt diesen ganzen Flair von damals wieder.
In Antwort auf:
Wenige Pariser Restaurants bieten ein so schönes Bild. Man findet da nur Jugend und Zuversicht, fröhlich ertragene Not, wenn schon manchmal auch leidenschaftliche und düstere, ernste und besorgte Mienen nicht fehlen.
Und ein anderer Eindruck:
In Antwort auf:
Trotzdem zeigen, mit Ausnahme der Landleute, die zusammen am selben Tisch sitzen, die Essenden im allgmeinen einen Ernst, der schwer ins Lachen kommt, vielleicht infolge des gut christlich getauften Weins, der sich jeder Ausgelassenheit widersetzt.
Ein einfaches, üppiges Mahl, das hält, was es verspricht, findet man hier unter aller Armut. Und Lucien taucht mitten hinein...
Art & Vibration
Von Henry Miller gibt es ein schönes Buch (eines meiner Lieblinge), das nennt sich "Frankreich".
Man schlendert beim Lesen schon in Gedanken... Diese riesigen Gärten, herrlich prachtvollen Strassen kann ich mir bildlich vorstellen. Erhabene Statuen auf Sockeln an jeder Ecke... Kutschen...
Man möchte die Zeit anhalten und ein bisschen zurückspulen, nur für einen Augenblick, einen Atemzug...
Könnt' ich doch nur einmal durch das Quartier Latin von damals laufen. Heute herrscht da ja nur noch Tourismus. Die "Studentenwohnungen" sind so überteuert, dass sie sich kein Student mehr leisten kann.
Da gerät man schon ins Seufzen.
Grüße
Taxine
Zitat von Balzac
Die Großen begehen beinahe ebenso viele Feigheiten wie die Armen; aber sie begehen sie im Schatten und rücken ihre Tugend in den Vordergrund: sie bleiben groß. Die Kleinen entfalten ihre Tugenden im Schatten und breiten ihr Elend offen aus: sie werden verachtet.
Zunächst: Ich bin beeindruckt von der Fülle, die hier oft zu Themen geschrieben wird. Werde versuchen mein Bestes zu geben, aber im Reden bin ich oft ein Quasselmaul, im Schreiben eher Minimalist
"Verlorene Illusionen" lese ich gar nicht so bewusst auf Früher. Die 200 Jahre fallen mir gar nicht so sehr auf, wenn man die Aristokraten mit den heutigen Oberen Zehntausend vergleicht, das Zeitungswesen, Verlagsgeschäft, die Politik ... ich finde es keinen Deut besser oder anders, oder?
Das Buch ist moralgeschwängert geschrieben, genauso wie es Anne und Charlotte Bronte so gut konnten, und wie man Früher noch schreiben konnte. Das ist für mich eigentlich der Unterschied, heute würde man damit keinen Blumentopf mehr gewinnen, wer möchte diesen erhobenen Zeigefinger denn noch lesen? ICH! Mir tut das für mein Seelenheil gut
Tschüssi
Krümel
Verlorene Illusionen
Ein wunderbarer Schmöker!
David, der Sohn eines Druckers, hat ein schweres Los. Sein Vater ließ ihn zwar eine gute Schule besuchen, aber auf seine Bildung ist er fast bösartig eifersüchtig. Er entwickelt sich zum großen Geizhals und verkauft seinem Sohn die Druckerei zu einem überhöhten Preis, die er per Raten abstottern soll. Davids Startsituation ins Leben ist damit alles andere als günstig, nein er ist dadurch finanziell ruiniert.
Im Leben lernt man dann oft seinesgleichen kennen. Das Geschwister-Pärchen Chardon, der Vater ein kluger Apotheker lernt eine Adelige kennen und lieben, die durch diese Heirat ihren Titel und Anspruch auf Namensweiterführung „de Rubempré“ entzogen bekommt. Nach dem Tod des Vaters knapsen diese Drei am Hungerstuch. Lucien wird für David ein Bruder und in Ève verliebt er sich gleich.
Lucien liebt das süße Leben. Die Königin der Provinz soll die Seine werden. Und sie hat diesen Schönling auch direkt an der Angel. Nach einem Zwischenfall in Angoulême machen sich die Liebenden auf den Weg nach Paris. David und Ève geben Lucien ihr letztes Geld, damit er seinen Traum in der Hauptstadt verwirklichen kann. Denn er will ein berühmter Dichter werden …
Im Grunde genommen handelt das ganze Buch nur von einem Thema: Geld! Geld und wie es auf die Menschen wirkt. Und trotzdem die Weichen sehr früh für die handelnden Figuren gestellt sind, wird der Roman nie langweilig oder gar platt. Immer wieder kommt der Autor mit neuen und interessanten Spielvarianten an, beispielsweise die Eitelkeit und die Tugend, und wie sich diese Beiden nicht gerade festlich vereinen, und andere Blickwinkel, wodurch sich ein unaussprechlicher Sog entwickelt, so dass man das Buch kaum aus den Händen legen möchte.
„Die Großen begehen beinahe ebenso viele Feigheiten wie die Armen; aber sie begehen sie im Schatten und rücken ihre Tugend in den Vordergrund: sie bleiben groß. Die Kleinen entfalten ihre Tugenden im Schatten und breiten ihr Elend offen aus: sie werden verachtet.“
Balzac zeigt im zweiten Teil das damalige gesellschaftliche Leben in Paris, die Politik, den Adel sowie das Zeitungs-. und Verlagswesen, und außer dass es früher bunter und sich prächtigter lebte, spiegelt mir der Autor eine Zeit, die sich mit der heutigen messen kann. Auch heute bestimmen die „Spieler“ wer oder was „in“ oder „out“ ist. Geld regiert die Welt.
Ich möchte auch heute nicht wissen wie viele wirkliche Talente von Nachwuchsautoren in irgendwelchen Schubladen verstauben, weil ein Verlag das Risiko scheut und lieber dem „Mainstream“ folgt, weil ein solches Werk auf jedem Fall eine gute Presse bekommt. Umgekehrt erlebt man es desöfteren, welch 0-8-15 Werk in den Himmel gelobt wird.
„Es gibt keine Gesetze mehr, es gibt nur noch Gesellschaftssitten, das heißt Künstlichkeit und Schein.“
Die wunderbare Sprache, die dieses Buch trägt (Kompliment an die Übersetzung), macht es zu einem rundherum perfekten Schmöker. Es besitzt keine Längen, trotz der 850 Seiten, die Handlung ist spannend, aber dennoch klug und weise. Für mich ein Highlight in diesem Jahr!
Ich kann nicht mit Tiefschürfendem dienen. Mir ist von Balzac das "Gesetzbuch für anständige Menschen" immer noch sehr in Erinnerung
Es ist ein kurzweiliges Labsal. Voller Ironie mit Noblesse. Die Sprache seiner Zeit entsprechend. Der Inhalt: zeitlos. Muß man auch nicht an einem Stück lesen. Wer macht das auch schon mit einem Gesetzesbuch. Nichts und kein Typus, den er nicht mit filigranem Humor zu beschreiben wüsste. Unabhängig von Geschmack und Intersse, ist es für schlechterdings vorstellbar, dass jemand an diesem Büchlein kein Gefallen nehmen könnte.
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Das Buch von Balzac kenne ich bislang nicht, aber das gleichnamige von Charles Dickens. Auch interessant, dass gerade die beiden je einen Roman mit dem gleichen Titel veröffentlich haben - Hermann Hesse meinte mal, dass sich gerade an diesen Herren die literarischen Geister scheiden: Man mag entweder Balzac oder Dickens, aber keinesfalls beide im gleichen Maße. Im Zweifelsfall würde ich mich dann eher zu der Dickens-Fraktion zählen ...
Aber irgendwann werde ich auch den Balzac lesen.
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So manches von Balzac möchte ich noch lesen. Herausragend auf jedenfall "Verlorene Illusionen" und "Tante Lisbeth" (der Romantitel zündet nicht, der Roman absolut klasse). Die Einleitung zu "Vater Goriot", die naturalistische Beschreibung der Pension und deren Bewohner ist absolut meisterhaft, alles was dann im Goriot noch folgt, hatte mich dann weniger interessiert. Nun ja, Balzac schrieb auch einfach nur Unterhaltung wie seine "Tolldreisten Geschichten". Er war ein Vielschreiber mit ca. 90 Romanen. Es sollten 137 werden in seiner Kömöd, aber er soff zuviel........Kaffee.
Dickens möchte ich auch mal lesen. Vielleicht wird's doch im nächstem Jahr was.
Herzlich
mArtinus
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
Ich habe halt noch nichts von Dickens gelesen. Es gibt meines Erachtens auch NICHTS was man unbedingt gelesen haben müsste. Und wenn sich zu der Meinung dann das gleiche Gefühl gesellt: z.B. Dickens?! Hmm. ooch. nö. Dann ist es gut. Wenn man Bücher und Schriftsteller lesend "sammellt" kann man sich ebenso alternativ auch auf Kronkorkensammeln konzentrieren. Es gäbe keinen Unterschied.
Das Gesetzbuch für anständige Menschen ist kein Roman im eigentlichen Sinne. Es stehen tatsächlich Unmengen von Paragraphen drin. Eine Ansammlung von kleinen Texten.
Es ist eine Zusammenstellung von Schriften, die bis 1974 noch nicht in deutsch erschienen waren. Neben dem Gesetzbuch (170 Seiten) findet man noch 5 weitere Geschichten in dem Büchlein (250 Seiten)
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Zitat von Martinus
Nun ja, Balzac schrieb auch einfach nur Unterhaltung wie seine "Tolldreisten Geschichten". Er war ein Vielschreiber mit ca. 90 Romanen. Es sollten 137 werden in seiner Kömöd, aber er soff zuviel........Kaffee.
Genau das merkt man dem Band an. Leichtfüßig. Amüsant fließt es fragmentiert dahin, ohne aber zu stocken. Ich kann mir richtig vorstellen, wie er das alles schrieb, einfach zum Zeitvertreib. Nichts weiter großweltlerisches im Schädel. Und wenn doch - umso besser, wenn sich einem das Gefühl nicht aufdrängt.
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Zitat von Jatman1
Nichts weiter großweltlerisches im Schädel.
Ach, ich weiß nicht, nee, das würd' ich nie so sagen. Ein Mann, der die Illusionen und die Lisbeth geschrieben hat, ist ein großer Schriftsteller, egal, was er sonst noch zu Papier gezeylt.
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
Das war nicht abwertend gemeint, sondern eher im Sinne Deiner Sicht. Wenn er denn zu schwergewichtigem in der Lage ist, ist es um so größere Kunst eben auch leichtfüßig und nahezu lapidar gedanklich daher geschlendert kommen.
Jemand wie ich, der es nicht so arg bedeutungsschwanger mag, weil ich`s sonst nicht raff, freut sich über ein solches Buch.
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