HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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Jan Faktor gewann mit dem Roman „Schornstein“ 2005 den Alfred-Döblin-Preis und stand ja mit langem, scheinbar nicht jeden Menschen ansprechendem Titel „Georgs Sorgen um die Vergangenheit oder im Reich des heiligen Hodensack-Bimbams von Prag“ auf der Bestenliste des Deutschen Buchpreises. Mir sagte er zu, ähnlich auch seine anderen Titel wie „Georgs Versuche an einem Gedicht und andere positive Texte aus dem Dichtergarten des Grauens“ oder „Henry`s Jupitergestik in der Blutlache Nr.3 und andere positive Texte aus Georgs Besudelungs- und Selbstbesudelungskabinett“ oder eben so simple wie „Schornstein“, warum ich sein Schaffen einmal näher betrachten wollte und auch habe.
Letzteres Werk z. B. könnte man einen soliden Roman nennen, wenn das Wort nicht so zweideutig wäre, und mit der guten Unterhaltung auch der Schatten der Langweile einhergeht. Es ist ein bisschen von beidem, wobei die Unterhaltung überwiegt, denn immerhin ist der Roman an das Heute angepasst, enthält ein paar politische Aussagen, gesellschaftliche Kritik, insbesondere an der Krankenkasse, an den Versicherungen und ihren Methoden, und die allüblich tragische Hintergrundgeschichte, die man in zeitgemäßen Romanen sehr häufig vorfindet, die Nachgeneration des modernen Juden und seine Vergangenheit. Nicht umsonst heißt sowohl der Roman als auch der Protagonist „Schornstein“. Die übergroße Metapher ragt aus den Zeilen und stößt dem Leser regelrecht gegen die Stirn.
Dieses simple Einbauen einer jüdischen Figur ist nahezu bezeichnend für den zeitgemäßen Roman, der scheinbar inhaltlich nicht auskommt, ohne wenigstens einmal auf Auschwitz hingewiesen zu haben oder doch einen Menschen jüdischer Abstammung als Protagonisten auftreten zu lassen. Besonders absurd wirkt das grundsätzlich, wenn der Roman ansonsten rein gar nichts mit jenem Thema zu tun hat und durch diese für viele Autoren scheinbar so geeignete Grund-Geschichte dann eher so wirkt, als müssten träge Inhalte auf Teufel komm raus mit jener Tragik aufgefüllt werden.
Bei Faktor freilich ist das nicht ganz so, denn sein Ich-Erzähler ist nun einmal Jude. Zusätzlich baut er zu der Geschichte seiner Mutter, Großmutter und Tante, die Auschwitz überlebt und trotz allem immer viel gelacht haben (wobei das Lachen eine Hilfsmaßnahme gegen das Grauen ist, als ein Lachen statt eines Gebets), noch eine uralte SA-Uniform ein, was die Sache schön abrundet. Psychiatergespräche führen ihn satirisch darauf zurück, dass er Vergangenheit, die er zwar nicht selbst erlebt hat, trotzdem durch die Berichte seiner Verwandten in seinen Depressionszuständen verarbeitet. Die Gaskammern sind also mitverantwortlich für seine Krankheit.
Der Ich-Erzähler schwankt zwischen dem Blödsinn solcher Deutungen und eigenen, tiefen Abgründen. Eigentlich, so sagt er, sind ihm diese Juden zuwider, die sich ständig darauf berufen, wie arm dran das jüdische Volk ist oder die über ihre Abstammung ihre eigenen Unzulänglichkeiten rechtfertigen. Auch scheut er sich nicht, wenn er sich richtig schlecht fühlt, Judenwitze zu reißen, damit Witze über sich selbst und seinen schlechten Gesundheitszustand.
Einige Brüller bietet das Buch durchaus, Situationskomik, und auch die Einblicke auf das Leben des Ich-Erzählers und sein Umfeld sind gelungen, sind vielleicht das, was die Sympathie für das Buch bewirkt.
Die eigentliche Zwischen-Langweile kam für mich durch die Ereignislosigkeit auf, die den Roman so gemächlich macht. Darin sind so schöne Ansätze, so interessante Figuren, die irgendwie in der Luft hängen bleiben.
Die Hauptgeschichte dreht sich um folgendes:
Der Ich-Erzähler hatte seinen ersten Herzinfarkt mit 33 Jahren und leidet seitdem an einer Stoffwechselkrankheit. Er musste sein Leben komplett umstellen, ernährt sich gesund und geht in die Klinik zur Blutwäsche, einer Therapie, die für ihn lebensnotwendig ist, obwohl die Studien nicht eindeutig und Beweise für eine Heilung nicht vorhanden sind. Es sind lediglich Einzelfälle belegt, die jedoch die Krankenversicherungen nicht interessieren und darum nicht berücksichtigt werden können. Alles läuft also ganz hervorragend, bis ihm seine Krankenkasse mitteilt, dass seine Therapie nicht mehr übernommen wird. Dazu wechselt sein Arzt in eine andere Klinik, dass er von da an nur noch auf Ärzte trifft, die müde sind oder "schallgedämpft zuhören". So beginnt er den Kampf gegen die Versicherungen, Ärzte und die Kassenärztliche Vereinigung, die einst von Nazis gegründet wurde, um diese zu einer erneuten Kostenübernahme zu bewegen und damit sein Leben zu retten.
Sein Umfeld besteht aus seiner Frau Anne, dem engstirnigen und kleinbürgerlichen Hausmeister des Hauses, dessen freundliches Türaufhalten er als Belästigung empfindet und der seine Frau immer "streng kleinzischt", und aus Frau Schwan, die über achtzig Jahre alt ist, dazu ein Messi und deren Wohnung aus eben diesen Gründen einen außergewöhnlich üblen Gestank verbreitet. Zudem nimmt sie häufiger Penner von der Straße bei sich auf oder lässt sie in ihrer verdreckten Wohnung übernachten, was ein kleiner Hinweis darauf sein könnte, wie sie früher einmal gelebt haben mag.
So kämpft der Ich-Erzähler mit seiner Krankheit, gegen die Allmacht der Krankenversicherungen und deren verbrecherische Mittel, die über Menschenleben gehen, und begegnet in schönen Szenen den Bewohnern des Hauses, das er bewohnt. Zunehmend verfällt er dabei in tiefe Depressionen und wird immer kranker, was seiner Ehe viel abverlangt.
Schön waren solche Bemerkungen, als der Brief über seine Krankheit eintrifft, wo sein Problem in allgemeiner Form erläutert wird.
Der Protagonist dazu:
Mir waren solche Briefe leider so unheimlich, dass ich mich grundsätzlich weigerte, sie zu verstehen.
… oder solche Ereignisse, als der Ich-Erzähler sich manchmal ertappt, dass er Freunden von den gleichen Umständen seiner Krankheit und Aktivitäten berichtet, wobei er sich dann beschämt fühlt, da er selbst genau solche Leute grundsätzlich verachtet, die sich im Gespräch ständig wiederholen. „(...) man fühlt sich wie ein austauschbarer Gehörkübel“.
Wie gesagt, im Großen und Ganzen ein solider Roman, ein Schwingen zwischen Satire und Groteske, gut geschrieben, ohne allzu viel Spannung. Werke des Autors würde ich durchaus wieder lesen, da mir sein Stil gefällt.
Art & Vibration