HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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Selbstverständlich muss man zu Ernst Jünger einen Ordner aufmachen, einen, der nach und nach zu füllen sein wird. Denn Jünger ist ein Poet, ein Könner, dessen Schreibstil wie auch seine Gedanken mir gut gefallen.
Ich hörte später Bruder Otho über unsere Mauretanierzeiten sagen, dass ein Irrtum erst dann zum Fehler würde, wenn man in ihm beharrt.
In "Auf den Marmorklippen" erleben wir eine Welt surrealer und doch realer Gestalten, die alle ihren Schatten tragen. Da sind die beiden Brüder, da ist der Mönch - der Träumer, der seine eigene Welt weiterlebt, da ist der Oberförster - der Nihilist und die Bluthunde - kurz, es ist ein surreales Drama in einer utopischen Landschaft voller Anspielungen, ein Angriff in die Friedlichkeit der Idylle, ein Krieg und Rückblick auf Totalitarismus, Diktatur und Gewalt, eingebettet in Poesie. Nie habe ich einen Angriff, einen Kampf in so poetischen Bildern gelesen.
"Wir weben in abgeschiedenen Zeiten oder in fernen Utopien, indes der Augenblick verfließt." schreibt Jünger ganz am Anfang, und:
In Antwort auf:
Wenn der Mensch den Halt verliert, beginnt die Furcht in zu regieren, und in ihren Wirbeln treibt er blind dahin.
Das ist die Ausgangssituation, bis alles aus den Fugen gerät, ins Chaos kippt. Eine Landschaft also voller Menschen, Wilden, Kämpfern und Angreifern. Selbst der faschistische Zustand wird kurz angedeutet und das, was vorgefallen ist:
In Antwort auf:
Dann wiederholten sich die Banditenstreiche, die man schon aus der Campagna kannte, und die Bewohner wurden bei Nacht und Nebel abgeführt. Von dort kam keiner wieder, und was wir im Volk von ihrem Schicksal raunten hörten, erinnerte an die Kadaver der Perlenechsen, die wir geschunden an den Klippen fanden, und füllte unser Herz mit Traurigkeit.
Aus all diesen Umständen, taucht eine Sehnsucht auf:
In Antwort auf:
Oft meinte Bruder Otho, wenn wir auf der Höhe der Marmorklippen standen, dass dies der Sinn des Lebens sei - die Schöpfung im Vergänglichen zu wiederholen, so wie das Kind im Spiel das Werk des Vaters wiederholt. Das sei der Sinn von Saat und Zeugung, von Bau und Ordnung, von Bild und Dichtung, dass in ihnen das große Werk sich künde wie in Spiegeln aus buntem Glase, das gar bald zerbricht.
Und aus den verschiedenen Ansichten der Menschen gerät jeder für den anderen zu einem Träumer.
Bei Ernst Jünger, während ich in seinen "Strahlungen" lese, die die Tagebuchaufzeichnungen während des zweiten Weltkriegs beinhalten, in denen er schreibt:
In Antwort auf:
Im Menschen, nicht in den Systemen, muss neue Frucht gedeihen.
... in denen überhaupt viele Gedankengänge und Naturbetrachtungen, Gedanken zur Literatur und dem eigenen Schreiben enthalten sind, die "Strahlungen I" (auch "Gärten und Straßen" genannt) beginnen direkt mit seinem eigenen Schreiben an "Auf den Marmorklippen", da stellt sich mir zwischen den Zeilen, bis dann der Krieg beginnt und Jünger loszieht, ständig die Frage, wie es möglich ist, dass in diesem "Krieger" - der Kampf und Krieg für selbstverständlich hält, zumindest das Verteidigen des eigenen Landes - dieser Poet und Insektenforscher steckt, der während er über das Schlachtfeld zieht, über den Sinn des Lebens, Geister, Träume philosophiert. Das wirkt manchmal fast schon grotesk, wenn er die Natur in ihrer Schönheit zeichnet und gleich darauf den gespaltenen Schädel eines Kameraden beschreibt; gleichzeitig ist man auch dankbar, dass Jünger zu einer solchen Zeit Tagebuch geführt hat (wie man es auch bei Sartre oder anderen war).
Auch er selbst denkt darüber nach:
In Antwort auf:
Ists Zuversicht, ist es insektenhafter Trieb, was den Menschen so unverdrossen inmitten der Vernichtung zum Werke zwingt? Indem ich dies notiere, erhebt sich in mir die merkwürdige Replik: „Du führst ja auch Tagebuch.“
In seinem Essay "Der Waldgang" wiederum reflektiert Jünger über den Menschen unter dem Zwang einer mit 100 Prozent der Stimmen gewählten Partei (die 2% Nein-Stimmen kreiert, um ihren Erfolg herausragend zu machen, denn 98 % der Stimmen sind gewaltiger als die 100 %ige Übereinstimmung von Ja-Sagern), zeigt den Erfolg einer übermächtigen Propaganda und ihrem Druckmittel: die Angst - "Alles kann zur Furcht werden!". Kennzeichnend für so eine Diktatur der "freien Wahl und Meinung" ist das Entstehen der Polizei, wobei Jünger nicht umsonst in Frage stellt, warum Polizeikräfte notwendig sind, wenn die Partei doch einstimmig gewählt ist, usw.
In Antwort auf:
Die Panik, die man heute weithin beobachtet, ist bereits der Ausdruck eines angezehrten Geistes, eines passiven Nihilismus, der den aktiven herausfordert. Der freilich ist am leichtesten einzuschüchtern, der glaubt, dass, wenn man seine flüchtige Erscheinung auslöscht, alles zu Ende sei. Das wissen die neuen Sklavenhalter und darauf gründet sich die Bedeutung der materialistischen Lehren für sie. Sie dienen im Aufstand zur Erschütterung der Ordnung und sollen nach errungener Herrschaft den Schrecken verewigen. Es soll keine Bastionen mehr geben, auf denen der Mensch sich unangreifbar und damit furchtlos fühlt.
Ein System aus Panik und dem Kreieren neuer Panik. Jünger vergleicht auch mit Amerika:
In Antwort auf:
Die Panik wird sich noch verdichten, wo der Automatismus zunimmt und sich perfekten Formen nähert wie in Amerika. Dort findet sie ihre beste Nahrung; sie wird durch Netze verbreitet, die mit dem Blitze wetteifern. Schon das Bedürfnis, mehrere Male am Tage Nachrichten aufzunehmen, ist ein Zeichen der Angst; die Einbildung wächst und lähmt sich in steigenden Umdrehungen. All diese Antennen der Riesenstädte gleichen dem gesträubten Haar.
Zeitung - Radio - Gewalt der Medien. Heute ein schleichender Prozess, verdeckt durch bunte und fröhliche Bilder, durchkreuzt mit den "Gefahren der Welt", dem Blut auf Straßen, der politischen Rede aus Ungesagtem und Verschleiertem, gesehen von Menschen, die vor lauter Bild- und Informationsstreuung nicht mehr wissen, wer sie sind, noch was sie wollen, noch was sie da überhaupt vernehmen, die einfach nur da sein oder dabei sein wollen, egal, wohin die Richtung auch führt, die im Takt laufen und dabei das Gefühl verlieren, dass Freiheit immmernoch möglich sein kann.
In Antwort auf:
Das eigentliche Problem liegt eher darin, dass eine große Mehrzahl die Freiheit nicht will, ja, dass sie Furcht vor ihr hat. Frei muss man sein, um es zu werden, denn Freiheit ist Existenz - ist vor allem die bewusste Übereinstimmung mit der Existenz und die als Schicksal empfundene Lust, sie zu verwirklichen.
Außerhalb des "Waldes" bleibt die Freiheit des Menschen ein Scheingebilde, aufgebaut auf der Angst, sich nicht wehren zu können, die "der Waldgänger" durchbricht, indem er bereit ist, sich zu widersetzen, selbst unter der Bedingung, alles zu verlieren oder gar den Tod zu finden, statt unter der totalitären Kontrolle weiter zu leben. Hier wundert Jünger sich nicht umsonst über die, die sich der "Gewalt" bedingungslos oder ängstlich unterwerfen:
In Antwort auf:
Darunter sieht man kräftige, gesunde Männer, die wie die Wettkämpfer gewachsen sind. Man fragt sich, wozu sie Sport treiben.
(Bald mehr...)
Art & Vibration
zu "Auf den Mamorklippen"
Mich würde es interessieren, ob Jünger immer in solch einer poetischen Sprache schreibt, wie er es in den Mamorklippen tut. Allein schon durch diese poetische Kraft, wird man der Wirklichkeit enthoben und flieht in eine idyllische Welt, in der sich zwei Brüder in einer Rautenklause bei den Mamorklippen ein Herbarium errichten und Bibliotheksarbeit verrichten. Das Sammeln von Pflanzen erinnert daran, das Ernst Jünger ein fleißiger Käfersammler war. Das Erforschen der umgebenden Natur steht für die Kultur des Menschen. Die Natur wird intensiv umschrieben, da denkt man gerne an Adalbert Stifter, obwohl Ernst Jüngers Stil natürlich ein völlig anderer ist. Man kann durchaus sagen, dass die Prosa der Mamorklippen nicht weit entfernt von Lyrik ist. Dadurch wird alles ästhetisiert, auch die Gewalt. Die Gewalt bricht nämlich in die Idylle ein. Vom Oberförster wird die Idylle bedroht und schließlich vernichtet. Der Oberförster, da mag man an Hermann Göring denken, der Reichsjägermeister in der Rominter Heide (Ostpreußen) war (hierzu vgl. man Michel Tournier „Der Erlkönig“) und auf seine Initiave hin, die ersten Konzentrationslager erbauen ließ. In den Mamorklippen ist „Köppelsbleek“ die „Schinderstätte“, von der es heißt:
Zitat von Ernst Jünger
Über dem dunklen Tor war am Giebelfelde ein Schädel festgenagelt, der dort im fahlen Lichte die Zähne bleckte und mit Grinsen zum Eintritt aufzufordern schien.
Übrigens ist „Köppelsbleek“ ein kleines Wäldchen bei Goslar, in dem im Mittelalter der Scharfrichter seinen Dienst tat. Ob Jünger davon gewusst hat, weiß ich nicht, möglich wäre es.
Taxine hat das andere Zitat erwähnt, welches eindeutig auf den Nationalsozialismus hinweist:
Zitat von Ernst Jünger
Dann wiederholten sich die Banditenstreiche, die man schon aus der Campagna kannte, und die Bewohner wurden bei Nacht und Nebel abgeführt....
In dem biographischen Lexikon „Literatur in Nazi-Deutschland“ von Hans Sarkowicz und Alf Mentzer (Europa-Verlag, 2002) wird Ernst Jünger so zitiert:
Zitat von Ernst Jünger
„Der >Öberförster< sollte bald Hitler, bald Göring, bald Stalin sein. Dergleichen hatte ich zwar vorausgesehen, doch nicht beabsichtigt“ (Sämtliche Werke, Bd. 3, S.436).
Neben dem Bezug zum Nationalsozialismus, bieten die Mamorklippen auch noch andere Interpretationsmöglichkeiten. Jünger umschreibt den natürlichen Vorgang des Werdens und Vergehens, den er dann in einem Nebensatz ins mythisch-religiöse erhöht:
Zitat von Ernst Jünger
Es wird kein Haus gebaut, kein Plan geschaffen, in welchem nicht der Untergang als Grundstein steht, und nicht in unseren Werken ruht, was unvergänglich in uns lebt.
Zitat von TaxineZitat von Ernst Jünger
Oft meinte Bruder Otho, wenn wir auf der Höhe der Marmorklippen standen, dass dies der Sinn des Lebens sei - die Schöpfung im Vergänglichen zu wiederholen, .
Bruder Otho meint die Wiederholbarkeit der Schöpfung (wie im Koran):
„Allah ist es, der die Schöpfung bewirkt, also wiederholt er sie“ (Koran, Sure IV,4)
Das Aufblühen einer Kulturlandschaft und dessen Zerstörung wiederholt sich auch. Auf die rituelle Handlung bezogen, die ein göttliches Model als Urbild hat, sagt man in Indien: „So haben die Götter getan, so tun die Menschen“(Taittiriya-Brahmana, zitiert in Mircea Eliade, Kosmos und Geschichte).
Wie wir gesehen haben, können sich interessante Gedankengänge aus dieser Lektüre entwickeln, trotzdem wirkt die Erzählung auf mich recht seltsam und abgehoben. Das mag an der äshetischen Sprache liegen, die aus einer jenseitigen Welt zu kommen scheint.
Liebe Grüße
mArtinus
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
RE: Ernst Jünger
in Die schöne Welt der Bücher 26.07.2009 19:24von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Zitat von Martinus
Mich würde es interessieren, ob Jünger immer in solch einer poetischen Sprache schreibt, wie er es in den Mamorklippen tut.
Seine späten Sachen sind alle recht poetisch gehalten (Tagebücher wie Strahlungen, Siebzig verweht...), aber nicht mit Marmorklippen zu vergleichen. Diese Kraft der Poesie oder poetischen Gedanken finden sich eher noch in seinen Essays wieder. Werde demnächst in "Die Zeitmauer" hineinblicken. "Gläserne Bienen" (dazu bald auch mehr) ist nicht so poetisch geschrieben, auch andere Erzählungen von Jünger nicht. Eher noch seine Romane "Heliopolis" und "Eumswil"!
Art & Vibration
RE: Ernst Jünger
in Die schöne Welt der Bücher 02.08.2009 23:16von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
In "Annäherungen" beginnt Jünger sehr detailverliebt, fast schon etwas surreal poetisch in seinen Betrachtungen und Erfahrungen, spricht auch über die Zeit, was ja für den Rausch eine besondere Rolle spielt. Er kreist das Thema aus allen Richtungen, von außen und innen ein.
Aus dem Thema "Dosierungen":
Zitat von Jünger
Die Möglichkeit des Exzesses ist immer gegeben - "excedere" heißt "herausgehen". Hier ist es die Norm, die man verlässt. Was praktisch als Exzeß gilt, hängt von der Norm ab, die mit dem Wechsel der Umwelt eine mehr oder minder beschränkte Toleranz gewährt. Im technischen Raum, in dem die Uhren eine immer größere Rolle spielen, ist die Toleranz knapp geworden; die Maschine duldet kein noch so flüchtiges Herausgehen aus der meßbaren Zeit. Sie fordert Askese und verträgt sich nicht mit der Droge, die zum Genuss konsumiert wird - im Gegenteil: dort, wo drogiert wird, soll die Normalität erhöht werden. Das betrifft den Großteil aller Pillen und Tabletten, durch die physische und psychische Verstimmung korrigiert werden.
Im Grunde bedeutet das "Hinausgehen" ein Verlassen der normalen Zeit. Das wird im Maße bedenklicher, in dem die Herrschaft der Uhren wächst. Es bleibt dieselbe Zeit, die hier hinabstürzt und dort sich zum ruhenden Spiegel ausbreitet, und es ist derselbe Geist, der sie als Form seiner Vorstellung moduliert. Die Zeit wird sein Objekt, sein Spielzeug jenseits der "ewig gleichgestellten Uhr". Daraus erklären sich das Bewusstsein des Ungewohnten und Außerordentlichen, die jähe Heiterkeit, die dem Berauschten zuströmt, doch auch das Unbehagen, das den Exzessen folgt. Es war nicht nur vorweggenommene Lust und Lebenskraft, sondern vor allem geliehene, im voraus verbrauchte Zeit, gleichviel, ob sie verdichtet oder gedehnt wurde.
Ach ja, die Zeit... sobald ich davon mehr habe, werde ich diesen Ordner unbedingt füllen. Das Buch kannste dir aber besorgen, das lohnt auf jeden Fall, weil Jünger hier seinen Vorgängern Baudelaire, de Quincey und co schriftstellerisch gut die Waage hält.
Art & Vibration
RE: Ernst Jünger
in Die schöne Welt der Bücher 05.08.2010 15:05von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Besuch auf Godenholm
„Sie hatten den Eindruck, dass unmessbare, dass endlose Zeit verflossen war.“
Diese kleine Erzählung spiegelt die Erfahrungen wider, die Jünger zusammen mit Hofmann und verschiedenen Drogen wie LSD und Meskalin gemacht hat. Andere Eindrücke findet man auch in „Heliopolis“ und natürlich in seinen „Annäherungen“. Der Rausch wird aber nur empfunden und angedeutet dargestellt. Jünger sagt weder, dass die Menschen Drogen nehmen, noch um welche es sich handelt. Trotzdem spürt man genau, wann die Wirkung einsetzt.
Jünger arbeitet in seinen Schriften immer mit poetischen Bildern. „Besuch auf Godenholm“ ist nicht ganz so gut geschrieben wie „Marmorklippen“, jedoch in seinem einzigen Sprung mitten in das Geschehen, ohne großartig zu umreißen oder auszuweiten, ganz nett zu lesen. Man schwingt von Bild zu Bild, lässt sich von den Wortklängen umhüllen. Die fiktive Insel erwacht lebendig vor den Augen des Lesers, dass man das Wasser um die eigenen Füße zu spülen vermeint.
In der Idylle einer Langweile, die „man bei der Lektüre skandinavischer Romane“ verspürt, brütet für den Protagonisten Moltner „ein Unheimliches im Keim“. Möwenschreie werden zur beängstigenden Bedrohung, erwecken Bilder von Schmerz und Tod. Moltner ist Nervenarzt und zu Besuch auf Godenholm bei Schwarzenberg, von dem er sich Heilung für seinen eigenen inneren Zustand verspricht. Godenholm heißt die Insel, Godenholm heißen auch Haus und Hof von Schwarzenberg, wohin mehrere Menschen zum gemeinsamen Essen eingeladen sind, wobei Godenholm „kein Sanatorium, sondern ein Laboratorium“ ist, wie Schwarzenberg sich ausdrückt. Erste Anzeichen dieser Atmosphäre sind Schlaflosigkeit und Überreizung der Sinne.
Moltner gehört zu den Vertretern seines Fachs, die mit Drogen experimentieren und der darüber sich selbst zu verlieren droht. „Ein leidendes und unzufriedenes Gesicht sah ihm entgegen, wenn er sich am Morgen im Spiegel betrachtete“. Er fühlt sich immer mehr wie seine Patienten, muss Zuflucht zu Pulvern und Tabletten nehmen, die ihm „einen künstlichen Schlaf spendeten". Bei Schwarzenberg fühlt er sich enttäuscht, denn dieser teilt ihm mit, sein Zustand wäre völlig normal „für Godenholm“ und: „Sie sind ja gesund.“
Das Haus von Schwarzenberg mit all seinen Personen wirkt auf Moltner bedrohlich und unangenehm.
Schwarzenberg sagt ferner:
„Gesundheit kann gut sein. Krankheit kann manchmal sogar besser sein. Krankheiten sind Anfragen. Sie sind auch Aufgaben, ja Auszeichnungen sogar. Entscheidend ist, wie man sie trägt.“
Moltner besinnt sich auf seine ersten Tage auf der Insel, die ihm wie glückliche Illusionen erscheinen. Nur als sie alle im Meer schwimmen gehen, schockiert ihn die Nacktheit Ulmas, eine Einheimische, die auch bei Schwarzenberg zu Besuch ist, obwohl er als Arzt daran gewöhnt sein müsste. Er empfindet es als ein Tabu, da „die Welt an einer Art nihilistischen Entblößung leidet“, die immer mehr zur Mode wird. „Das Mädchen trug seinen Körper in angestammter Freiheit und als natürliches Gewand, auf dem der Glanz von frühen Feiern leuchtete. Das war stärker als Waffen und schöner als Kunstwerke.“
Doch das Schwimmen selbst empfindet er als puren Genuss:
„Ihre Körper, im Einklang mit den Elementen, sollten sich in Geist verwandeln, der Geist sich körperlich verwirklichen. Sie fühlten, dass die große Kraft des Wassers sich auf sie übertrug.“
Das Wasser scheint bei Jünger auch Symbol zu sein, denn Moltner trifft in seinem Rausch erneut auf riesige Wassermengen und Wogen, die sich über ihn ergießen, in denen er bunte Vielfalt an Leben und Fischen zu sehen glaubt, die ihn dann befreien und irgendwo erlösen.
Auch im wirklichen Wasser wollen sie „Gänge wagen, die über die Grenzen der Zeit hinausführen“.
Jünger beschreibt diesen Wasser-Zustand und die Zeit als berauschend und Glück spendend. Nach und nach aber verändert sich Moltners Gefühl für Godenholm, er wird von Verfolgungswahn geplagt, verdächtigt Schwarzenberg, ihn auf die Insel gelockt zu haben, um ihm zu schaden.
Als sie nach Fischfang und Bootfahrt bei Schwarzenberg eintreffen, wird Tee gereicht. Moltner ist enttäuscht, weil er bei Schwarzenberg nicht die Hilfe bekommt, die er erwartet hat und will abreisen. Doch Schwarzenberg konfrontiert ihn mit einer neuen Sicht der Dinge. Mit der mehrfach gestellten Frage Schwarzenbergs, ob Moltner mehr wisse, beginnt der Rausch:
Die Kälte im Raum nahm zu, und mit ihr die Wahrnehmung der leeren Entfernung, der Ausgestorbenheit des Weltalls, in die der eigene Tod, das eigene Gestobensein mit einbegriffen war.
Das "Erlebnis" gestaltet sich in etwa so:
Kein Lufthauch, keine Regung störte die köstliche Stille, die hier waltete. Fern lag das Wiegen der Ozeane, das Knistern der Feuerwelt. Hier herrschte kosmischer Überfluss, der die Welt in Gold verwandelte. Er strahlte so still, so lautlos ab, und ohne dass sich die Substanz verminderte. Er nahm vielmehr im Schenken zu, und wunderbar war die Beherrschung, mit der er befruchtete. So großes Licht war immer noch in der Verkleidung, es hätte sonst vernichtet und verdampft. Es hüllte sich in die Zeit.
Er fühlte, dass er eines großen Bildes teilhaftig wurde, fühlte sich reich beschenkt. Wie fern lag alles, was ihn bedrückt hatte. Wie hatte er zweifeln können in der Zeit, ob Kräfte wirkten, wie man sie von Anfang an geschaut hatte. Sie waren in Licht verhüllt, und wenn man sich ihnen nähern durfte, wurde der Abstieg offenbar, die Blindheit der Wissenschaft. Das hatte keine Bedeutung mehr. Ein Strahl aus diesen Kammern zerstörte die Phantome der Nebelwelt.
Hier aber herrschte die goldene Stille, der Große Mittag, die unbewegte Macht. Es war nur ein leichtes Schwanken, als ob die Mauern sich aus dem Golde in massives Licht und wieder in Gold verwandelten. Doch war es an keine Veränderung gebunden: Sein und Bedeutung erkannten sich in höchster Identität.
Die inneren Erlebnisse gestalten sich für jeden der Anwesenden verschieden. Ein anderer Besucher, Einar, sucht Erkenntnis im Schmerz, hat selbst im Krieg gesehen, was Leid und Tod bedeuten. Je nachdem, um welchen Menschentyp es sich handelt, erlebt jeder wohl das, wozu er charakterlich neigt, wobei der Leser lediglich Moltners und Einars Ansichten und Eindrücke mitbekommt. Einar z. B. begegnet seinen toten Eltern. Für ihn, der nur das Dunkle kennt, ist das Gold, in das Moltner taucht, lediglich in Ulmas Haaren zu erkennen. Und:
Die Heimat des Lebens ahnte er in den größeren Kreisen, und daher fühlte er den Anhauch des Todes nicht gegen die Person errichtet; das Schicksal lag im Mitbetroffensein. Er leibte den Konflikt. Überall, wo die Fragen ernsthaft wurden, musste der Tod hinzutreten, als Partner, als Zeuge der Wirklichkeit. Er gab den Dingen die Schatten, die sie erhöhten, er gab den Eidschwüren den Sinn.
Als alles überstanden ist, bleibt „auf den Gesichtern ein Schimmer, der das Wort verbot“ zurück. Sie sind befreit und neu geboren. Moltner bemerkt sofort die Veränderung, als er die Menschen nun völlig anders wahrnimmt.
Die Quelle der Heiterkeit, die ihn bislang als wild und drohend befremdet hatte, war ihm nun vertraut – fast als ob zwischen ihnen eine Trennung, ein Widerstand geschmolzen sei. Er fühlte sich jetzt zuhaus in dieser Halle und teilte Trank und Speise auf besondere Art.
Er hatte nicht nur unbekannte Dinge, er hatte sie auch mit neuen Augen gesehen. Er hatte auch eine andere Wahrnehmung seiner selbst.
Am Tisch beim gemeinsamen Mahl sagt Schwarzenberg:
Zitat von Jünger
Die meisten ahnen freilich nicht, was sie an Eigentum mitführen. Sie dringen kaum bis zum Geheimnis ihrer Glieder, geschweige denn bis zu den Atomen vor. Der Mensch wird nie auf seinen Grund hinabloten. Hier liegt die Tiefe des Universums, die ihn erschrecken lässt. Hier ist der Schatzgrund, von dem die Bilder zeugen, und selbst die höchsten nur gleichnishaft. Die Harmonien, die kosmischen Systeme, die Götterhimmel steigen aus ihm empor und sinken auf ihn hinab. Die Welt bleibt Trugwerk, wo sie nicht prophetisch erfasst wird – prophetisch oder als Erinnerung. Das meint dasselbe, wie Hoffnung und Liebe auch. Sonst bleibt das Nichts, der taube Augenblick, die Muschel, der die Perle fehlt, und die abscheulich am Strand der Zeit verwest.
Bald stellen alle fest:
Sie waren auch im Inneren ihres Selbst und nicht mehr außerhalb – nicht mehr die überwachen, klugen, heimatlosen Geister, die qualvoll das fugenlose Ich umkreisten wie den verlorenen Garten, und denen das alte „Das bist du“ so fremd geworden war.
Zu guter Letzt erkennt Moltner auf der Rückfahrt:
Noch scheint kein Bild sinnvoll, aus dem nicht der Schmerz abzuleiten war.
Doch für ihn steht fest, dass Schwarzenberg ihn durch diese Sinneseindrücke tatsächlich geheilt und verändert hat. Er sieht die Welt nun mit anderen Augen. „Er hat uns die Worte aufgesprengt. Und nicht nur das!“
Wie gesagt, die Erzählung ist gut und gemächlich geschrieben, aber "Besuch auf Godenholm" wird wohl eher keinen Platz in meinem Geist-Regal einnehmen. Die Namen sind allerdings skandinavisch herrlich von Jünger gewählt: Einar, Erdmuthe, Ulma, Gaspar… Ansgar…
Art & Vibration
In Marbach, im Literaturmuseum der Moderne des Deutschen Literatur Archivs findet bis 27.03.2011 eine Jünger-Ausstellung statt. Titel: "Ernst Jünger. Arbeiter am Abgrund".
Hier der Kulturzeit Bericht: http://www.3sat.de/page/?source=/kulturz...9356/index.html
(Gab auch einen interessanten Filmbeitrag dazu, aber der wird leider nicht angeboten.)
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[i]Poka![/i]