HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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Peter Handke: "Wunschloses Unglück"
ausgehend vom Tod seiner Mutter, die sich mit 51 Jahren das Leben nahm, rollt Peter Handke das Leben seiner Mutter noch einmal auf, und legt dar, wie es zum Selbstmord kam. Diese Erzählung will sich nicht auf das Private beschränken, aus welchem sozialen Umfeld Handke aufgewachsen ist, sondern es geht ganz klar um eine Generation von Frauen, deren das Leben in Freiheit versagt blieb.
Zitat von Peter Handke
Als Frau in diese Umstände geboren zu werden, ist von vornherein schon tödlich gewesen. Man kann es aber auch beruhigend nennen: jedenfalls keine Zukunftsangst. Die Wahrsagerinnen auf den Kirchentagen lassen nur den Burschen ernsthaft diese Zukunft aus den Händen; bei den Frauen war diese Zukunft ohnehin nichts als ein Witz.
Die Umstände waren Armut und die darausfolgende Mittellosigkeit. Seit Generationen nur besitzlose Knechtgestalten, die am Ende ihres Lebens mit ihrer einzigen Habe, ihrem Feiertagsanzug, beerdigt wurden. Die Mutter wollte etwas lernen, der Großvater winkte ab. Als sie von Hause weglief, um in einem Hotel kochen zu lernen, hatte der großvater nichts mehr dagegen. Aber viele berufliche Perspektiven blieben der Mutter nicht: „Abwaschhilfe, Stubenmädchen, Beiköchin, Hauptköchin“. Das wars. Viele Verehrer, doch die Angst vor Sexualität wurde überspielt mit den Worten „es gefiel mir auch keiner“.
„Wunschloses Unglück“, das Unglück war gelegt, ohne es gewünscht zu haben. Die Mutter wurde in das Unglück hineingeboren, eine ganze Frauengeneration.
Ihre erste Liebe war ein „deutscher Parteigenosse“ (NSDAP), der allerdings verheiratet war. Da sie schwanger war, heiratete sie aus Zwang (Pflichtbewusstsein) „einen Unteroffizier der Deutschen Wehrmacht“, der schon längst ein Auge auf sie geworfen hatte. Doch der Mann wurde zum Trinker.
Wo ist das Glück nur geblieben? Handke erzählt, die Mutter ist dort geboren, wo sie auch gestorben. Damit wird sie schon örtlich eingeengt, ein Leben als Freiheit, ein Recht auf Persönlichkeitsentfaltung bleibt versagt. Dieser Schmerz zieht durch die Erzählung.
Zitat von Peter Handke
Sie hatte schon angefangen, sich etwas auszudenken, und sogar so gut es ging danach zun leben versucht – dann das „Sei doch vernünftig!“ - der Vernunft-Reflex - „Ich bin ja schon still“.
Mir hat es sehr gefallen, wie es Peter Handke schafft, ohne das es eintönig wird, die tragische Situation zu gestalten, immer wieder auf das Kernproblem geschickt zurückzukommen. Auch die Idee, Armut euphemistisch zu betrachten wie in alten Schulbüchern „arm aber sauber“, halte ich für sehr gelungen, da der Leser diesen Hohn erkennt. Die uralten Haushaltsgegenstände aus dem neunzehnten Jahrhundert werden mit liebreizenden Adjektiven belegt, z.B: „der GEMÜTLICHE Feuerherd“, aber dann “wäre genauso idyllisch“ zu sagen:
Zitat von Peter Handke
die Rückenschmerzen; die an der Kochwäsche verbrühten, dann an der Wäscheleine rotgefrorenen Hände; -
Handke weiß, wie seine Worte auf das Gemüt des Lesers wirken. Ich kann für diesen Text nur meine wärmste Leseempfehlung aussprechen. Ein schönes Kleinod deutschsprachiger Prosa. Die Situation von Frauen vor Simone de Beauvoir und Doris Lessing. Ich frage mich nun schon, gibt es in abgelegendsten Dörfern heute noch solch ähnliche Schicksale? In der Türkei sind Frauen in den Großstädten wesentlich emanzipierter als wie die auf einem abgelegenden anatolischen Ort. Man denke auch an Afghanistan oder an eigene Vorfahren. Meine liebe Großmutter war noch jung, als sie ihren Mann im Krieg verloren hat, hat nicht mehr heiraten wollen, obwohl sie Chancen gehabt hätte.
In Handkes Erzählung heißt es:
Zitat von Peter Handke
Aber es gab keinen ANDEREN mehr: die Lebensumstände hatten sie zu einer Liebe erzogen.
Liebe Grüße
mArtinus
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
Lüver Martinus,
alzu häufigst kömmt mir diese Opferpoems vor dü Lünser, dieses tragische in Kategorien verklebte und zugeteilte Lesetoastburger. Fein gegrillt in Worthülsen des Wirren. Damit meine ich keineswegs das es um eine Demokratisierung und somit um die Menschenwürde oder Geschlechtswürde, also um die Aufklärung einer zeitgeschichtlichen Machtzuteilung und dem daraus entstandenen Leiden im einzelnen Individium, im soziologischen aus einer wahrhaften Betrachtungsperspektive, sondern diese im Klischee erstickte Phraserey, die nicht in die Tiefe analisierende Soziodemographie?
Zugegeben, Handke ist in seinem leisen Ton wortakrobatisch und somit ein Leseglück, denn feingliederige Sprachstämme zeugen vom feinstsezierten Geist, doch diese platte Haltung aus der dieser Geist in der teutonischen Sprachlandschaft polemisiert ist mir schon immer ein Graus. Ich verstehe einen Denker nicht als dualen Positionsfragmentarier, sondern ein darüber hinaus Analysierenden.
Wieviel der Abwaschhülverünnen, wieviel der Stubenmädchen haben in ihrer Zeit diesem shizoiden Güftgröller ihre Stümm, uihre Emphatie und ihren Libido zugeteilt, ihren kleinen Adolfo am Herdchen gezogen?
Und welche vereinten Kräfte, im Sinne des dynamischen Prozeßes tragen eine Mitverantwortung an allem?
Hiermit meine ich auch eine osmanische Burgatragende, sind all diese Geister so unschuldig am Generationsvertrag, ziehen sie alle nicht ihre Zöglinge aus ihrem Schoß auch in diese Geistesarmut? Sind sie Mitgestalter oder nur Ertragende. Dieses Weltbild der Vereinfachung und Zuteilung in Opfer- wie Täterprofile ist mir immer suspekt weil sich ohne eine gekonnte Analyse der Ursache und ihrer Wirkungen, ein Durchdringen ohne Schuldzuweisungen für eine literarische Verantwortungslosigkeit halte!
Herzgruss vom ollen A
Hallo ascolto,
es ist natürlich korrekt, das Handke nicht tief in die Soziodemographie geht. Er erzählt nur vom Großvater, der auch schon ein armer "Knecht" gewesen war, sein Geld ansparte und während der Wirtschaftskrise 1929 alles verlor. Kaum eine Chance aus dem Armutsdilemma herauszukommen. Natürlich wird es Gründe geben, warum der eine in Armut hängt, ein anderer nicht. Ich fänd' es literaturmäßig schwierig hier mit Schuldzuweisungen, bzw. Moralkeulen aufzutreten. Hätte das diesen Text nicht verdorben? So etwas sollte doch den Sozialwissenschaften vorbehalten werden. Hier sollte doch nur erzählt werden, wie die Lebenssituation von Frauen damals so war. Erschütternd und das ergreift doch mich als Lünser, ist die Chancenlosigkeit der Protagonistin, diese Ausweglosigkeit. Sicher hat es einige Persönlichkeiten gegeben, die sich aus der Armut herauskatapultiert haben, und zu etwas gebracht haben, zum Beispiel die Ungaroschreiber Zsigmond Móricz und der Ungarolyrikus Endre Ady, der aus dem abgelegenstem Dorf kam und zu einem der größten Lyriker Ungarns wurde. Nun, auch die Mutter von Attila Jószef war ein Wäscherin.
Ach ja, dann gibt es auch noch die Dienstmädchenromane, wie den von mir für dich empfohlenen Dezső Kosztolányi, der Roman heißt "Anna Edes" oder auch nur "Anna". Darin geht es darum, dass das Dienstmädchen wie ein Maschine behandelt wird, und deswegen gegen ihre Herrschaft das Messer wetzt. Tragisch ja, aber auch Kosztolányi geht nicht soziographisch in die Wurzeln. Hätte er das denn tun sollen?
Liebe Grüße
mArtinus
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
Werter Martinus,
meine Vorwitzigkeit uim Sünne der Nachbetrachtung, denn uich habe das Privileg meiner Zeit und somit eine Geisteshaltung auf einer Rezeptionsebene die wenn auch unmöglich, uim Sünne des Erfassens, die vergängliche Literatur und ihre Geisteshaltungen versucht zu analisieren. Diese Position trägt uin suich die Qual und ist empirisch, also aus einer Betrachtung um die Historie und dem daraus entsprechenden Zeitgeist geformt. Wüll sagen, einem Schnitzler kann uich seinen Versuch um dü Geistesverfassung seiner Zeit nicht vorwerfen (zb. Leutnant Gustl), sowie einem Hebbel nücht seine......
Einem Hanke kann uich fordern weil uich annehme das sein Zeitgeist die gleichen Informationen zur Verfügung, ergo, aus diesen belichten kann.
Es gehet mir also nicht um eine Perspektive der Zeit und somit ihrem aufklährerischen Wert der uin der Geschichte manifestiert, sondern um eine Betrachtungswichtung die aus dem späteren zugänglich und auch eine Ursachenforschung durchlaufen.D.H. die Betrachtungsweise einer zeitgeschichtlichen Bewertung und Positionierung schließt die heutige Erkenntnis ein.(aus der Betrachtung eines Marchiavelli ist einiges nachzuvollziehen aber das hegelische Weltbild stehet mir auch zur Verfügung.)
Wer diese ausschließt und sich in einer Emphatie ergießt ist auch wenn aus dem Sprachbild feinste Zutaten fließen, ein sich Verweigender der Theorieerkenntnis über eine Zeitepoche. Ergo; die Literatur trägt in sich die Verantwortung in ihrer Nachbetrachtung einer Zeitvorstellung sich intensivst um die polit. sowie sozialdemographischen Zuordnungen zu bemühen. Wer dies als Kreator auslässt und aus seiner Bemühung um die Objektivierung der vorgestellten Prozeße sowie ihrer enthaltenen Phänomene nicht bemüht denn betrachte ich als unflexibel, dem Wissen nicht Zugewendeten.
Der'Gekränkte' sich in seinem Narziß sulende Handke, hat dies auch mehrfach uns hergestellt: Nicht nur seine Passion und sein monotheistische Betrachtung des Korsowokonfliktes, nein, auch in seinem jetzt zu inhalieremdem Salzburger Bühneneinerlei!
Dennoch schätze ich von ihm u.a. "das Spiel um Fragen", also wenn dieser Geist uns dazu animiert, polit. sowie pshychoanalytische und sozioldemographische Fragmente uns vorzustellen.
All den Wäscherinnen in den Dienstzimmern der vorigen Jahrhunderte können sich die Frage nach Robert Blum bzw. nach dem dem Fräulein Else selbstbeantworten? Sowie die Damen der Spätdreißiger usw.: Gab es keinen Brecht und davor kein Tucholsky und wie steht es um den Ernst Toller?
Dies meine ich mit der Opferrolle, haben diese Selbstverantwortlichen um ihre eigene Geistesaufklärung bemüht. Genau dies ist die heutige Situation, im Sinne des Neoliberalen Kapitalfaschismus, welche Stümmen werden denn inhaliert? Die des Sloterdijk (als Beispiel) oder die der Lobbymanipulative..........?
Herzlich, dadd olle k A nnt
"Wunschloses Unglück" hat mir so außerordentlich gefallen, sodass ich bei Handke am Ball bleiben wollte. Darum begann ich "Langsame Heimkehr" und bin darin seltsamerweise nicht über vier Buchseiten hinausgekommen, so merkwürdig sperrige Sätze.
Nun ist ein neues Werkchen von Handke erschieden: "Immer noch Sturm". Familiendrama. Geschichtsdrama. Es geht zurück zu Handkes slowenische Vorfahren. Da ich vergangenheitsbewältigene Prosa (siehe "Wunschloses Unglück") gerne lese, habe ich Hoffnung, wieder Zugang zu Handke zu bekommen.
Darum habe ich das Büchlein hoffnungsvoll geordert.
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)