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Don DeLillo: Weißes Rauschen, Roman
Don DeLillos Roman ist 1985 erschienen, einige Jahre nach dem atomaren Unfall nach Hariesburg, und viele Jahre vor dem Stromausfall im Nordosten der USA und in Teilen Kanadas vom 14. August 2003. Das Sicherheitsdenken amerikanischer Bürger wird durch solche Ereignisse erheblich gestört, obwohl man schon Jahre lang vor dem Stromausfall einen aufgrund es maroden Stromnetzes prophezeit hatte. Aber man versucht eben solches zu verdrängen.
Der Roman erzählt von einer amerikanischen Patchworkfamilie in einer Kleinstadt, die im Konsum- und Fernsehrausch dahinlebt, und alles, was dieses Leben zerstören könnte, erst einmal verdrängt. „ Wir glauben anscheinend, es sei möglich, den Tod abzuwenden, indem wir Regln sorgfältiger Körperpflege befolgen“, heißt es. Alltagsgeräusche übertönen sozusagen die inneren Werte des Lebens. Der Mensch als konsumorientierte Maschine:
Zitat von DeLillo
Es gab sechs Apfelsorten, es gab exotische Melonen in verschiedenen Pastelltönen. Alles wirkte reif, gespritzt, poliert bunt. Menschen rissen hauchdünne Plastiktüten von Rollen und versuchten herauszufinden, an welcher Seite die Öffnung war. Mir fiel auf, daß dieser Ort von Lärm überflutet war. Das eintönige Summen der Aggregate, das Quietschen und Rollen der Einkaufswagen, der Lautsprecher und die Kaffeemaschinen, das geschrei von Kindern. Und über allem Dröhnen wie von einer Art von schwärmendem Leben, das eben außerhalb des Bereichs der menschlichen Wahrnehmung liegt.
Was für eine Ironie, wenn wir in diesem Zusammenhang von „Pastelltönen“ lesen. Der Überfluss lenkt doch nur ab vom wesentlichen, genauso wie ständige Fernsehflimmerei den menschlichen Geist abstumpfen lässt. Der Mensch wird geil auf Katastrophen.
Zitat von DeLillo
An diesem Abend, einem Freitag, versammelten wir uns vor dem Fernsehapparat, wie es der Brauch und ungeschriebenes Gesetz war, mit Essen aus dem Chinarestaurant. Es gab Überschwemmungen, Erdbeben, Erdrutsche, Vulkanausbrüche...Jede Katastrophe weckte in uns den Wunsch nach mehr, nach Größerem, Grandioserem, Überwältigenderem.
Als nun ein chemischer Unfall passiert, eine Giftwolke über die Stadt zieht, macht sich das breit, was vorher mehr oder weniger unausgesprochen im Raum stand: Die Angst vor dem Tod. Jack Gladney, der den in den USA ziemlich einsamen Job hat, Institutsleiter über Hitlerforschungprojekt leitet, flieht mit seiner Familie in eine der Notunterkünfte. Auf dem Weg dahin ist Heinrich, der Sohn, fasziniert von einem Autounfall. Durch die Glasscheibe von Gladneys Auto schaut er wie in ein Fernsehgerät. Geradezu erschreckend, wie im Roman das Grauen durch Kinder heraufbeschworen wird. So hält Heinrich vor versammelter Menge im Auffanglager einen sachlich kühl referierten Vortrag über die Zusammensetzung und Folgen der Giftwolke, in dem er die Angst außen vor lässt. Jack, der Vater, der etwas von dem Gift abbekommen hat, ihm läuft eine tickende Zeitbombe in seinem Körper.
„Weißes Rauschen“ ist voll von Ironie und Witz. Trotzdem, und das finde ich bemerkenswert, fühlte ich mich in dem Grauen um die Giftwolke tief involviert. Im Grauen selbst ironisiert DeLillo in herrlicher Weise, führt menschliche Hypochondrie ins ad absurdum, und wirft einen schelmischen Blick auf behördliche Vertuschungsversuche. Hier lacht das eine Auge, wenn das andere weint und Steffie, die jüngste Tochter, tastet sich selbst nach Knoten in der Brust ab. Das großartige an dem Roman ist, die Figuren wirken dabei überhaupt nicht lächerlich. Trotz Ironie bleibt Ernsthaftigkeit und Bitterkeit erhalten. Der erste Teil ist unlinear geschrieben, für mich etwas verwirrend, bereitet aber systematisch die folgenden Teile des Romans vor, wobei das Problem über die Angst vor den Tod sich als das Hauptthema wie in einem großangelegtem crescendo deutlicher hervorscheint.
Liebe Grüße
Martinus
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)