HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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Thomas Bernhard "Das Kalkwerk"
„Das Kalkwerk", so denke ich, wird mir länger in Erinnerung bleiben als „Beton“. Verwandt sind beide Romane ja doch. In „Beton“ versucht der Protagonist eine Arbeit über Felix Mendelssohn-Bartholdy zu schreiben, ihm gelingt es aber nicht, weil er dauernd gestört wird. In „Das Kalkwerk“ geht es um Konrad, der schon jahrzentelang versucht, eine Studie über „Das Gehör“ zu Papier zu bringen, aber es nicht schafft. Mit seiner Frau hat er sich in ein Kalkwerk zurückgezogen, um dort seine Studie zu schreiben, aber, er wird es nicht schaffen. Seine Frau, die Konrad, ist verkrüppelt und sitzt tagsüber in ihrem Krankenstuhl. Konrad benutzt sie für seine Experimente, er quält sie damit und geht sehr egoistisch mit ihr um. Schon ins Kalkwerk wollte sie nicht.
Verschroben, wahnsinnig oder verrückt – Konrad bewältig ungeheure Geistesanstrengungen und ist schon nervlich überanstrengt. Die Studie ist zwar im Kopf formuliert, aber nicht mehr. Im Kalkwerk, so hofft er, ungestört zu sein, um die Niederschrift zu vollbringen, doch wird er aufgrund von Störungen davon abgehalten, entweder klopft jemand unten an der Tür, oder seine Frau klingelt, weil sie etwas will, oder der Höller hackt Holz.
Natürlich fragt sich der Leser, was das soll. Einerseits bugsiert sich Konrad sinnlos in seine Einsamkeit, und zweitens wird „ Dissertationsdilettantismus“ kritisiert. Konrad hat 200 Disertationen, in denen es um das Gehör geht, durchstudiert und findet keinerlei selbsständige Denkprozesse. Es heißt so schön: „professorale Wiederkäuer“. Vielleicht geht es im Roman darum, dass die Wissenschaft der Warheit nicht nahe genug kommen kann. Darum sagt Konrad über die die Verfasser der Dissertationen, sie hätten keine Ahnung. Es wäre interessant zu wissen, ob Bernhard an die Suche nach Wahrheit gedacht hatte, als er den schrieb. Aus dieser Perspektive gesehen, ist der Roman natürlich sehr grotesk, denn eine sog. Absolute Wahrheit gibt es nicht.
Ein herrlicher Satz ist dieser, besonders wenn man die verfehlten Dissertationen im Hinterkopf behält:
Zitat von Th. Bernhard
Die Gesellschaft schütz sich ununterbrochen voir den Geistesblitzen, indem sie sich ununterbrochen vor sogenannten Geisteskranken schützt
Konrad verbarrikadiert sich in dem Kalkwerk, als sei es ein Irrenhaus.
Ein sehr nachdenklicher Satz ist dieser:
Zitat von Th. Bernhard
Es wäre natürlich nichts leichter, soll Konrad gesagt haben, als einfach wirklich wahnsinnig zu werden, aber die Studie ist mir wichtiger als der Wahnsinn.
Wie in einer Neurose dreht Konrad sich im Kreis und wird mit seinem Problem nicht fertig. Er kann nicht aus sich selbst herausbrechen, sich nicht ändern, er muss sich geradewegs gequält fühlen von dem Druck, seine Studie zu beenden. Das ist auch schon eine Art von Wahnsinn. Erschütternd ist,wie Konrad seine Frau quält. Hier tritt wirklich Wahnsinn zu Tage. So etwas gibt es in der Realität nicht. Natürlich gibt es Sadisten, die andere Menschen quälen, aber nicht so, wie es Konrad mit seiner Frau tut. Es wird von Experimenten gesprochen, schon dieses Wort ist in diesem Zusammenhang erschreckend, weil die Frau Gegenstand des Experimentes ist. Konrad sagt seiner Frau stundenlang Sätze und Wörter ins Ohr, die sie nachsprechen soll, z.B muss sie das weiche und harte I unterscheiden, macht aber alles falsch. Dadurch werden Konrads Experimente erschwert.
Der Roman ist ja nur interessant, weil Bernhard ein meisterhaftes humoristisches Stück daraus schafft. Thomas Bernhard wendet hier, wie auch in anderen Romanen, seine geniale Wiederholungstechnik an. Genauer gesagt, sind es keine Wierholungen, sondern differenzierte Variationen des einen Themas. So ähnlich eben, wie eine Verarbeitung eines Motivs in einer Sinfonie (Thomas Bernhard war ja sehr musikalisch). Trotz bedrückender Atmosphäre also, gelingt Bernhard der Humor, denn er treibt es mit seinen Wiederholungen auf die Spitze, dass man irgendwann doch lachen muss, weil sie sich schon überdrehen.
Seine Frau wird übrigens ziemlich abgewertet: sie kapiere nichts, sei sei deformiert u.ä., Konrad hat auch kein Verständnis für sie, dass sie täglich ihr Kleid wechseln möchte (für Konrad ja sehr anstrengend, wiel sie aufgrund ihrer Krankheit sich nicht selbst ankleiden kann). Für Konrad wird sie zur Last und verkompliziert auch seine Versuche. Was soll mir jetzt noch anderes einfallen als purer Sadismus, wenn er seiner Frau aus Kropotkin vorliest, obwohl sie den Kropotkin nicht mag. Sie kann sich gar nicht konzentrieren, und wenn Konrad mündliche Inhaltsangaben verlangt, kann sie nichts wiedergeben. Sie hört auch absichtlich nicht zu. Deswegen verteilt Konrad Strafen. Wenn Konrad ihr aber aus dem „Ofterdingen“ vorliest, kann sie bis ins Detail den Inhalt mündlich vortragen. So wird bei den Experimenten von Frau und Mann sehr hohe Diziplin verlangt, die aufgrund dieser unerhörten Anstrengung sowieso nicht erfüllbar sind. Lustig fand ich nun dieses:
Zitat von Th. Bernhard
Die meiste Zeit konzentrierten beide sich mit der größten Intensität auf die urbantschitsche Methode, das bedeute auch von ihrer Seite wochenlange ununterbhrochene Diziplin, keinerlei Auflehnung. Manchemal ertrage sie es aber plötzlich nicht mehr, in ihrem Seesel zu sitzen, und sie war nahe dran, die Beherrschung zu verlieren.
Diese natürliche Reaktion, der Verlust von Geduld, was aber nicht gestattet ist, wirkt eben komisch. Eine Studie des Gehörs und Konrad erntet von seiner Frau nur noch Schweigen (also Stille), wenn er Kropotkin vorliest. Auch das ist komisch. Ein großer Wurf ist, so meine ich, die Umdrehung der Machtverhältnisse, die durch einen Traum literarisch vorbereitet werden. Konrad träumt nämlich, seine Frau kann sich plötzlich bewegen, sie kommt in sein Zimmer, wirft ihm, Konrad, vor, in aller Heimlichkeit seine Studie aufgeschrieben zu haben, die Frau holt aus, schlägt mit einer Faust auf die Studie, wirft sie schließlich in den Kamin. Einfach herrlich, diese Umdrehung der Machtverhältnisse, so empfinde ich auch ein schallendes Gelächter, wenn die Frau in der Realität ihrem Ehemann sadistisch zurückschlägt, ihn in besonderen Momenten stört und befiehlt, aus dem Keller Most zu holen. Wenn er beginnt, Kropotkin vorzulesen "hol Most!" usw. Sie will ihn bewusst ärgern, versteht sich. Irgendwo ist in im Kalkwerk der Irrsinn zu Hause
Das ganze läuft ja daraus hinaus, Konrad habe nie den richtigen Augenblick erwischt, sich hinzusetzen, um die Studie niederzuschreiben.
Zitat von Th. Bernhard
... die meisten, das sei ihm allerdings kein Trost, nützten die günstigen einzigen Augenblicke niemals in ihrem Leben aus.
Liebe Grüße
mArtinus
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
Zitat von Bernhard(Bernhard, Meine Preise, Seite 72)
...ich bin geldgierig, ich bin charakterlos, ich bin selbst ein Schwein.
20 Jahre nach seinem Tod hat der Suhrkamp Verlag Thomas Bernhards Prosatexte veröffentlicht, die von seinen Preisen erzählen. Entstanden sind die Texte 1980/81. In der Editorischen Notiz im Anhang gibt der Herausgeber genauere Angaben zu ihrer Entstehung.
In diesen Prosastücken gibt der Autor u.a. auch Dinge von sich preis, die ihn in ein unangenehmes Licht rücken. Durch das ganze Buch offenbart sich die These, er interessiere sich gar nicht für die Ehre, die ihm durch die Vergabe eines Preises zukommt, sondern nur das Geld – ja, nur allein das Preisgeld interessiere ihn. Einmal kauft er sich ein Auto und fährt nach Jugoslavien, ein anderes Mal verwendet er ein Preisgeld zur Anzahlung eines Hauses. Die Preisveranstaltungen an sich hasst er und Bernhard erzählt in ironischen Anekdoten von seinen manchmal schier unglaublichen Erlebnissen, die er auf solchen Veranstaltungen erlebt hat. Das ist ohne Frage sehr amüsant zu lesen. Jede Preisverleihung verknüpft Bernhard mit einer Anekdote aus seinem Leben und ihm gelingen erheiternde Pointen. So etwas liest man gerne, ohne Frage. Trotzdem immer dieser schale Beigeschmack, er will die Preise nicht annehmen, nimmt sie trotzdem wegen des Geldes an. Hier ist er überhaupt nicht konsequent und macht sich selbst unglaubwürdig. Also, entweder will man einen Preis annehmen, oder eben nicht. Aber hier, Bernhard erkennt selbst, und das sei ihm zu Gute gehalten, sein Charakter habe ein großes Leck (vgl.Seite 100).
Zitat von Bernhard
Aber ich war doch die ganzen Jahre, in welchen Preise auf mich zukamen zu schwach, um nein zu sagen.
Selbsterkenntnis ist der erste Weg der Besserung. Ich frage mich aber, was hat Thomas Bernhard dazu verleitet, sich so schonungslos zu offenbaren. Die Nachfahren können nun einen Blick in des Autors inneren Charakter werfen. Ganz anders, nämlich konsequent, reagiert Jean Paul Sartre auf seinen Preis, den Nobelpreis: Mit Ablehnung: Er wolle unabhängig beleiben und äußert gegenüber der französischen Tageszeitung Le Monde:"Kein Mensch verdient, dafür verehrt zu werden, dass er lebt".
Trotz solcher Peinlichkeiten sind die Texte wegen ihres Humors genießbar. So freut sich der Leser, wenn Bernhard sich darüber ärgert, dass er den Österreichischen Staatspreis für Literatur bekommen soll. Um diesen Preis zu bekommen, muss ein Manuskript eingereicht werden. Thomas Bernhards Bruder reicht das Manuskript von „Frost“ ein. Thomas weiß nichts davon. So wird ihm der Preis zugesprochen. Bernhard grantelt, weil es sich nur um den Kleinen Staatspreis handelt.
Zitat von Bernhard
In Wirklichkeit hatte ich einen schlechten Magen bei der Idee, als bald Vierzigjähriger einen Preis in Empfang nehmen zu müssen, der den Zwanzigjährigen vorbehalten sein sollte....
Aber einer Ablehnung wollte ich mich nicht aussetzen, dann hätten sie mich wieder alle als arrogant und als größenwahnsinnig verschrien...
Es ist also in diese Preisverleihung schuldlos hineingeschlittert; und beim Büchnerpreis, na, da kann er doch mit ruhigem Gewissen sagen, er wolle vor allem nach Darmstadt reisen, um seiner Tante einen schönen Geburtstag zu machen, denn sie habe, wie Georg Büchner, am achtzehnten Oktober Geburtstag (vgl. Seite 113). Sehr charmant.
Liebe Grüße
mArtinus
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
RE: Thomas Bernhard
in Die schöne Welt der Bücher 30.01.2009 16:02von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Ich finde, Bernhard machte es ganz richtig. Wenn das Werk gut ist und Menschen meinen, es auszeichnen zu müssen, dann kann sich der Schriftsteller auch das Preisgeld gönnen oder genau aus diesem Grund an Wettbewerben teilnehmen. Was ist so tragisch daran? Und was hat das in der wirklichen Welt mit Geldgier zu tun? Hätte Bernhard sich mehr ausgezeichnet, wenn er gehungert hätte oder bei der Ehrung seines Werkes das Geld abgelehnt hätte?
Ein Mensch, der arbeitet und am Ende des Monats sein Gehalt bezieht, ist der auch geldgierig, weil er seine Arbeit entlohnt haben möchte? Ein Mensch mit einer Idee, die er patentieren lässt, ist der geldgierig, weil er dadurch reich wird?
Sartre ist ein schönes Beispiel. Er schrieb die Jury des Nobelpreises an, dass er den Preis ablehnen werde. Leider wurde der Brief nicht rechtzeitig weitergeleitet, so dass die Jury davon nichts wusste und den Preis natürlich an ihn verlieh. Dass Sartre ihn ablehnte, wurde dadurch zum völligen Chaos, weil den Jurymitgliedern so regelrecht vor den Kopf gestoßen wurde, was auch kein netter Zug ist (wofür Sartre natürlich nichts konnte), wenn man sich die ganzen Vorbereitungen und Ausgaben vor Augen hält, die mit so einer Preisverleihung verbunden sind. (Man kann sich hier vorstellen, dass man eine Karte für die Feier der Nobelpreisverleihung gekauft hat, im Publikum sitzt und dann auf eine leere Bühne starrt. Wie genau wird sich das Publikum dann wohl fühlen?) Auch sind so alle anderen Schriftsteller, die auch in Frage kamen, dadurch dann übergangen worden. Sartre erschien dahinter natürlich als ein seinem Ideal treuer Mensch. Tatsächlich tat es ihm leid, dass die Umstände so waren. Hätte die Jury seine Ablehnung rechtzeitig erhalten, wäre der Preis an einen anderen Schriftsteller verliehen worden, was im Sinne Sartres gewesen wäre. Durch den verspäteten Brief aber wurde die einfache Ablehnung zum "Idealverteidigen" Sartres aufgepuscht, was nicht ganz so war. Den Platz räumen, um dann trotzdem den Preis abzulehnen, ist für alle Parteien unangenehm. Das sind eben die zwei verschiedenen Seiten der Medaille.
Sartre konnte den Preis übrigens auch nur darum ablehnen, weil er mit seinen Büchern genügend Geld verdiente und aufgrund eines "eitlen Charakterzuges" seine "Rolle der Unabhängigkeit" weiter- oder gut ausspielen. Als er "Der Ekel" schrieb, dachte er darüber noch ganz anders. Da rieb er sich bereits die Hände, weil es hieß, er würde einen Preis bekommen, der dann allerdings an einen anderen Schriftsteller ging.
Ich finde, man muss hier immer die Realität im Auge behalten. Ein schreibender Mensch muss von etwas leben können. Er kann nun einmal nicht, wie z. B. der Künstler, sein Werk verkaufen. Die Veröffentlichung des eigenen Werkes ist erst dann ertragreich (ich meine so, dass der Schriftsteller davon leben kann, nicht, weil er sich gierig die Hände reibt), wenn das Werk ein Bestseller wird oder wenigstens über Jahre hinweg immer wieder neu aufgelegt wird. Ein Preisgeld dagegen ermöglicht ihm über einen gewissen Zeitraum lang Unabhängigkeit, dass er sich hier in Ruhe auf ein nächstes Werk konzentrieren kann. Das sollte man auch nicht übersehen.
Ich ärgere mich zum Beispiel, wenn ich in Romanen lese, wie ein hungernder und armer Mensch aufgrund irgendwelcher Ideale auf eine dargebotene Gabe mit Ablehnung reagiert, und für diese Ideale lieber weiter hungert, wahrscheinlich noch mit Kind und Familie im Nacken. Dieser übersteigerte Innenwert (der mehr ein künstlicher Zwang der Gesellschaftsbedingungen ist, als aus eigener Überzeugung für die Sache entstanden, denn die Moral dient bestimmten Mächten (Kirche, Staat, usw.) ganz hervorragend, um den kleinen Mann in seine Verwirrungen zu treiben) ist eigentlich grausam und gegen das Selbst gerichtet. Fast schon ein Hang zur Selbstzerstörung. Ein wirkliches Ideal wäre vielleicht, wenn man in Zeiten der Not annimmt, was einem "eröffnet" wird, und dann, von mir aus, in besseren Zeiten weiter- oder zurückgibt, was man bekommen hat.
In einer Welt des Materialismus muss selbst der Randgänger, selbst der Buddhist, selbst der Idealist zusehen, wie er sein Brot verdient. Das Hoffen auf das Preisgeld macht in meinen Augen niemanden gleich zum "Schwein", auch wenn Bernhard sich hier selbst so nennt.
Art & Vibration
Zitat von Taxine
Echt? Ist es denn so ein unangenehmer Wesenszug, dass Bernhard zugibt, die Preise wegen des Preisgeldes anzunehmen?
Natürlich braucht ein Künstler Geld, um Leben zu können. Bei Thomas Bernhard ist es aber eine merkwürdige Angelegenheit, weil, natürlich braucht er das Preisgeld, um Leben zu können, andererseits aber das ganze Brimborium drumherum hasst, also die Zeremonie der Preisverleihung und gelegentlich sogar die Preisverleiher für inkompetent hält. Dafür hat er einige Gründe. Bei einer Preisverleihung z.B. hält der Redner eine völlig falsche Rede, da er die falschen Notizen erwischt, und erzählt über Bernhard Dinge, die einfach nicht stimmen. Natürlich ist so etwas irgendwie kränkend; das verstehe ich auch.
Bei jeder Preisverleihung hat Bernhard was zu kommentieren, was ihm nicht passt. Ich gebe ihn aber recht, wenn er im Kapitel über den Büchnerpreis sagt:
Zitat von Bernard
Wir dürfen uns ja nicht immerfort auf unsere Großen ausreden und unsere eigene erbärmliche Existenz und Hilflosigkeit an diese Großen mit aller Gewalt und Gezeter hängen.
Darum spricht Bernhard in seiner Preisrede nicht über Büchner
Zitat von Bernhard
sondern möglichst nur eine kurze Aussage über mich selbst...
Übrigens, so manch eine Rede schrieb er am morgen vor einer Preisverleihung (da gibt es wieder hübsche Anekdoten), weil ihm früher nichts eingefallen war (und ihm das Redeschreiben eher eine Last war).
Da kann ich mich doch fragen, warum nimmt Bernhard diese unangenehme Prozedur einer Preisverleihung auf sich, wenn er gelegentlich über die Preisverleiher herumgrantelt. Es mag natürlich sein, das Bernhard sich in diesen Texten sich selbst ironisiert, in dem er sagt, er habe ein Leck im Charakter und sei ein "Schwein". Die Texte sind ja durchaus mit feinem Humor bestückt, offensichtlich macht er sich zum Bestandteil einer Clownerie. So konnten wir ja schon in "Wittgensteins Neffe" lesen, dass er sich am Tage der Preisverleihung des Grillparzerpreises kurz vorher noch einen Anzug kaufte (der ihm aber zu klein war.
Es ist ja sehr positiv, wenn man über sich selbst sich lustig machen kann. Wenn man aber die neun Kapitel liest und neunmal liest, er interessiere sich nur für das Geld, alles andere drumherum ist lästig usw... dann stößt das schon auf (wegen dem rotierenden Wiederholungseffekt vielleicht).
Liebe Grüße
mArtinus
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
herraus midd der Kohle und den fabulierten trocknen Worthülsen über mein "Tun".
Ich nehme den Büchner oder auch insbesondere Nobel, gern die "Güldene Feder" und wenns sein muss den "Konsalik" aus der Stüftung "Yellowsprünger"! Greife geifernd nach dem Cäsar zum Oskar, den Bären ins Knopfloch und dazu die Bayjuwarische Primel anal!
Eins darf ich ich hier verkünden....
Ich hure, will sagen, schreite in meinem besten Jacke wie Hose über Feingewebtes uin Rot. Lächel schmierig in die Lünsen und wünke-wünke dem Konsumenten gern midd einer weiblichen Gazelle uim Arm den Armani. Wenns sein muss küss ich Burdaküßchens an König PoPo`s Hinterlaß.
Stiftungstalers, also verwaltet und für die Nachwüchsigen der Villa Massimo: Heraus damit und gern an mein Konto auf den Antillen denn die Bahamas sind ausgetrocknet!
Bewerbung:
Wie ich meine ersten Preiselbeeren spornte
nun, dass kam ganz unverückt in jüngsten Jahren, als mein Hirnchen gerad klarte: Du bist verrückt! In dem Sinne, dass mich vorgeturnte Freude von Erziehungsbeauftragten an Leistungen die mich meist in eine Missliche, ja ernstzunehmende Melancholia, einer der Stimmungen die mich heut beim betrachten der "Neuen Züricher" wieder begleitet. Menschenmassen im Hype auf irrsinige Profite mit dem Defizit an nur einfachen zwischenmenschlichen wohl authentischen Gedanken.....
Doch nun ins Geschichtle.
Die werte Mutter, die im Inneren, dass heißt im Kreise der Eigenwände, armseelig in ihrem Leid, mich als Ventil ihrer Ängste nutzte. Des öfteren währ untertrieben, sondern mir täglich ihre Sorgen und Ängste brüllend oder wenns net so hysterisch, angesäuert in die Örchen spieh, dieses Muttchen, die nur an feierlichen Zeitpünktchens Wärme kühlte, schwadronierte mir seit Tagen ungewöhnlich tänzelnd mit einem schelmischen Mündchen, der Zartrosa einem Fleischberg aus der Metzgerey glich, freundlichste Melodey in die Öhrchen. Klänge die mich schwer depremierten: "Ein Gewinn, tja, ein Gewinn bist Du. Wenn Du nur", dass war lang in die Weite phonethisiert," nicht soviel träumen, weniger lümmelig, dann wärst Du für immer in meinem Herzchen: Ein Sohn auf den Deine Mutti stolz!"
Es folgeten ein paar Anweisungen; wie dass Fett auf die Schuhe umd beim polieren auf den Lappen gerotzt, dass der Abwasch bitte sofort getrocknet und der Müll nicht solang.... also immer nachsehen!
Dann kam der Tag, es Herbste und war nur sonnig verblichen im Spiegel des Strassenlaub, wobei hier und dort ein Hundewürstchen und im Gegensatz zu Heut, wenigst Verpackung darin tupferte! Also, es war wohl im Oktober und zu meiner Unsicherheit wurden nun kratzbürstige Stoffe an Kleiderbügel in einem Billigdiscounter mir über das Brüstchen oder Hosenboden gestülpt. Dann, nachdem ich feingezwirnt in dass Laub stapfte wurde sogar in Fußwärmer, richtig Leder, doch mit einer pompösen Gummisohle, investiert!
Am Händchen des Leiden an Frau, halb hingezogen und mancheinmal mit einem Fratzenlächelnd bedacht zogen wir ein, in die Hallen, die mein Leben ab sofort, noch ein wenig mehr an Tiefgang, an Neurosen füllte.
Man saß in Reihen, stoffbezogenes Klapprohr, hinzu alle beschmückt mit einer ernsthaften theatralischen Mine und dazu: stank es Hin- und Wieder süßlich gasig nach Angstfurz.Somit wurd mir nun klar dass ich net alleine in einer Gefühlslabilität, in der Angstfalle um mein zartes Leben kreiste.
Ich träumte ab diesem Momment von einem mich fesselnden Buchel, meiner Jugensatire: Der Odysseu....Und gerad als ich dem Zyklopen dadd Einzige aus den Lidern entriss, muskelbepackt am Stamme schwingend und mich dann unter dem alten Bock ans Fell klammerte, da hörte ich in der Ferne meinen Namen...
Nun, gut, dacht ich mir, auch im Fernen... da weiß man um meinen kleinen Körper, vielleicht auch um meine zittrige immer verlegene Stimm?"Du...Du bist daran......"Und mit einem Ruck hievte mich meine Erziehungsohrfeige auf, stupste mich an den Oberschenkel und als ich zitterte zwickte sie mir eindeutig in mein Gesäß. Um diesen Schwerz zu entfliehen, stolperte ich wie auf Wellen der Ostsee auf einem Gummiflöß in die Richtung wo Licht, große starke Arme und blitzende Gesichter die mich mit ihrem Blick aufspießten.Von Hinten, also in den Rücken spührte ich die Kälte des Ostwindes wie es die Masuren überkömmt, Eiseshauch der Hinterigplazierten. Nun, ich stand dort X-Beinig weil mein kleiner Lümmel schon aufgeregt tropfte um mir die Blase zu dämmen. An kein einziges Wort der Laudito erinnere ich mich heutig nach ungefähr vier Jahrzehnten, nur den Kniff in die Bubenwangen des nach Taback, also tief Sumatra Stinkendem im karierten Jacket!
Der Preis, mein Einziger, steht heut hoch oben auf dem höchsten Platz meiner Bleibe, oben auf dem Dachboden, ganz dicht am Mirokalender auf dem obersten Tritt meiner, einer Leiter!
Ich bleibe der hier Unten, der August am Fuße
(dadd Berg.manische kömmt baldig)
RE: Thomas Bernhard
in Die schöne Welt der Bücher 30.01.2009 17:20von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Zitat von Martinus
... und gelegentlich sogar die Preisverleiher für inkompetent hält.
Na eigentlich zeigt sich hier doch, dass er diese Anekdoten nicht ganz so ernst nimmt. So im Sinne: was ehrt ihr ausgereichnet MEIN Werk? Habt ihr sie noch alle?
Ich kann aber verstehen, dass der Widerspruch Ärger bei dir auslöst. Wenn man all das verachtet, dann bleibt man dem Ganzen fern und lehnt aus der Entfernung ab. Hingehen, sich ärgern, und trotzdem nehmen... das geht nicht.
Liebe Grüße
Taxine
Art & Vibration
Zitat von TaxineZitat von Martinus
... und gelegentlich sogar die Preisverleiher für inkompetent hält.
Hingehen, sich ärgern, und trotzdem nehmen... das geht nicht.
Das geht nicht aber er macht dadd Er gibt das doch selber zu. Im Übrigen oder im conseo, was tutet der mArtinus mit dem Preisgeld (auch wenn er nie was bekömmt). Er schickt es dem ascolto oder lässt es einfach der Elbe hochschiffen.
Liebe Grüße
mArtinus
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
RE: Thomas Bernhard
in Die schöne Welt der Bücher 30.01.2009 17:31von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Wieso dann nicht gleich ablehnen?
Vielleicht war es ja nicht einmal im Sinne Bernhards, dass das Werk veröffentlicht wurde?
Vielleicht hat er sich hier nur über sich selbst lustig gemacht. Wer weiß.
Sein Werk spricht für sich. Der Mensch dahinter ist sowieso sein eigener Widerspruch.
Art & Vibration
Zitat von Taxine
Sein Werk spricht für sich. Der Mensch dahinter ist sowieso sein eigener Widerspruch.
Das trifft die wohl Sache auf dem Punkt. Denn wir lesen einen Prosatext und kein persönliches Bekenntnis. Woher sollen wir wissen, wie der Autor wirklich war.
Beispiel: Schon in "Wittgensteins Neffe" schreibt Bernhard über die Vergabe des Grillparzer Preises. In diesem Werk begleitet Paul Wittgenstein den Autor zur Peisverleihungen, in "Meine Preise" wird er nur von seiner Tante begleitet (es ergeben sich noch andere kleine Differenzen. Ich habe in den "Wittgenstein" noch mal hineingeschaut).
In einem Nachbarforum wurde ich auf Bernhards "Der Keller" hingewiesen. Darin schreibt er, anstatt in die Schule zu gehen, geht er zum Arbeitsamt und bekommt eine Stelle in der Scherzhauserfeldsiedlung. Das entspricht nur die halbe Wahrheit, denn, Bernhard wurde von seinem Vormund nahegelegt die Schule zu verlassen, da er sehr schlechte Schulnoten vorwies,; außerdem wusste man nicht, wie man den Thomas durchfüttern sollte.
Das was Bernhard über sich schreibt, entspricht also nicht immer die Wahrheit. Der Autor nimmt sich die literarische Freiheit heraus, wirkliche Geschenisse nach belieben umzuändern. Und das ist sein gutes recht und stört ja beim Lesen überhaupt nicht. Es soll ja immer eine Prosadichtung herauskommen (also muss man auch dichten ).
Ich mag ja gerade Bernhards Werke, in denen er über sich schreibt (bzw.phantasiert), so sind auch die vielen Anekdötchen aus "Meine Preise" sehr schön zu lesen. Auffällig ist noch, Bernhard wählt hier eine sehr leichte Sprache. Die Autobiografischen Schriften und Wittgensteins Neffe sind von der Prosa her noch intensiver und noch kunstvoller gestrickt.
Liebe Grüße
mArtinus
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RE: Thomas Bernhard
in Die schöne Welt der Bücher 13.02.2009 09:54von Martinus • 3.195 Beiträge
danke für den Link, der einiges aufklärt. So ist es interesssant zu Wissen, das Bernhard einige Preise abgelehnt hat. Das hätte man ja in dem Vorwort zu "Meine Preise" auch erläutern können. So habe ich den Artikel aus "Der Zeit" sozusagen als ein klärendes Nachwort gelesen. In meinem Blog (siehe hier) habe ich, neben dem, was mir negativ vorkam, noch etwas deutlicher auch das herausgehoben, was mir an dem Buch "Meine Preise" gefallen hat. So klingt es doch versöhnlich.
Liebe Grüße
mArtinus
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RE: Thomas Bernhard
in Die schöne Welt der Bücher 22.09.2010 13:10von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Ja, um sich mit Thomas Bernhard schnell wieder zu versöhnen, muss man wirklich nur die "Ursache" lesen oder in "Wittgensteins Neffe" blicken. Was für ein wunderschönes, intensives Buch.
Ich finde immernoch: viel schlimmer, als "das Preisgeld anzunehmen" (er verachtet sich ja auch selbst dafür), ist die ganze Eitelkeit und Arroganz dieser Selbstdarsteller, die die Preise verleihen.
Und wie schön Paul Wittgenstein gezeichnet ist. Die Kraft seines Geistes, der Vergleich mit Ludwig Wittgenstein, wobei der eine seine Verrücktheiten publiziert, der andere sie lediglich praktiziert hat. Und dann der Zerfall: sein Gang mit den Netzen voller Obst, als ihm der Tod schon ins Gesicht geschrieben steht:
Zitat von Bernhard
An seinen abgemagerten Armen hingen grotesk, grotesk, Einkaufsnetze, in welche er sich Gemüse und Obst gekauft hatte, das er nach Hause schleppte, naturgemäß immer Angst habend, jemand könne ihn in seiner ganzen Erbärmlichkeit und Armseligkeit sehen und sich darüber Gedanken machen, aber vielleicht war es auch der ebenso peinliche Grund meinerseits, ihn von mir aus schützen zu wollen, der mich ihn nicht ansprechen ließ, der mich davor bewahrte, ihn anzusprechen, ich weiß es nicht, war es meine Angst vor dem, der eigentlich schon der Tod selbst gewesen war oder mein Gefühl, ihm die Begegnung mit mir, der ich seinen Weg noch nicht zu gehen hatte, zu ersparen, wahrscheinlich beides. Denn ich empfand es als Schande, noch nicht am Ende zu sein, während der Freund es schon war. Ich bin kein guter Charakter. Ich bin ganz einfach kein guter Mensch.
Hier zeigt sich doch, dass Bernhard nicht der Misanthrop war, als der er oftmals erscheint, sonst hätte er diesen Zug, die Liebe zum Menschen, wohl kaum an seinem Freund wahrgenommen, geschweige denn ihn so aufwühlend-schön ins Bild setzen können. Davon abgesehen ist seine Kritik häufig mehr als gerechtfertigt.
Art & Vibration
RE: Thomas Bernhard
in Die schöne Welt der Bücher 07.10.2019 19:34von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Gedanken zu dem Buch "Gehen" von Thomas Bernhard.
„Das Leben zerfällt in lauter fürchterliche Umstände und Zustände“, heißt es in diesem schmalen und stark komprimierten Band über Gehen und Denken, über Verzweiflung, Wahnsinn und Selbstmord, inmitten einem Leben, das sich, ähnlich wie der Bernhard‘sche Stil, als Wiederholung der Wiederholung unzählige Male selbst reflektiert.
Dass darin der Mensch kaum mehr Widerstand leisten kann, scheint plausibel, und dass er an diesem Zustand verzweifelt, verwundert kaum. Gehen kann auch zu einer zwanghaften Tätigkeit werden, besonders wenn es das Denken eindämmen soll. Hier mag Irrsinn ein gewollter Rettungsanker sein, denn der „Zustand der vollkommenen Gleichgültigkeit (…) ist ein durch und durch philosophischer Zustand.“ Leider wirkt sich dieser nicht stoisch erhaben, sondern zerstörerisch aus.
Zwei Männer gehen und erörtern, weshalb ihr gemeinsamer Freund nun in der Irrenanstalt sitzt und sich ganz in seiner Verrücktheit verloren hat. Hinterfragt wird auch das eigene Verhalten dem Freund gegenüber. Für sie ist Gehen gleich Denken und Denken schmerzhaft und lebenszersetzend. Richtiges Denken ist nicht möglich, der Mensch lebt nur von Denkderivaten, die er für real hält. Auch Betrachten wäre nicht mehr notwendig, wenn das Leben verstanden wäre. Da aber Gehen und Denken und Betrachten weiterhin eine typische Beschäftigung sind, ist nichts verstanden. Das wiederum verstärkt die Verzweiflung, die durch Denken entsteht, während der Mensch unverändert gleich handelt.
Der zuständige Psychiater ist für die Gehenden nicht philosophisch genug, um die Hintergründe zu begreifen, warum der gemeinsame Freund verrückt wurde und damit ein typisches Beispiel für eine ignorante Gesellschaft, die nur zu gerne die Augen verschließt. Eingewiesen wurde der Bekannte durch das Randalieren in einem Hosengeschäft. Der eigentliche Auslöser war jedoch der Selbstmord eines befreundeten Wissenschaftlers, dem die staatlichen Gelder verweigert wurden und der sich darum das Leben genommen hat.
Dass Menschen einfach das Land wechseln können, wenn es woanders besser ist, bleibt dabei eine der vielen Hinterfragungen. Die meisten hängen an der Heimat und können auch dann nicht gehen, wenn das Leben ein einziger Zerfall und Absterbeprozess ist, wenn die Menschen „aus ihren grauen Häusern herausgestorben“ sind und wenn sie erkennen, dass sie zu lange gewartet haben.
„Gehen“ ist ein typischer Bernhard, vielleicht sogar noch eigenwilliger als sonst, dabei auch in den Sätzen verschachtelt oder wiederholend. So sagt der und der zu dem und dem, wie es der und der gesagt hat zu dem und dem, wenn der und der es so gesagt haben soll, usw. Die Gedanken sind schön und bewegend, verborgen unter dem so einfach wirkenden Dialog. Der Erzählstil drückt genau das aus, was an Inhalt ausgesagt werden soll. Wie auch ließen sich der Wahnsinn und die damit verbundene Verzweiflung besser ins Wort fassen.
(Alle Zitate aus Thomas Bernhard "Gehen", Suhrkamp Taschenbuch)
Art & Vibration
RE: Thomas Bernhard
in Die schöne Welt der Bücher 08.10.2019 18:12von Taxine • Admin | 6.696 Beiträge
Ganz im Bernhard-Fieber. Gedanken zu seiner Erzählung "Amras".
In "Amras" wird der Verfall einer Familie beschrieben, der mit dem Selbstmord der Eltern endet und zwei verstörte Brüder zurücklässt, die auch hätten sterben sollen, jedoch überlebt haben und die Konsequenzen kennenlernen, die aus einem solchen Ereignis entstehen. Von ihrem Onkel verborgen in einem Turm, um nicht in der Irrenanstalt zu landen und dem Zorn und Spott der Meute zu entgehen, sind sie einander ausgeliefert, während der Bruder bereits ähnliche wahnhafte Züge wie die kranksüchtige Mutter zeigt und der Erzähler dem spiel- und trunksüchtigen Vater zu gleichen beginnt.
Dieses Werk ist ganz anders als das von Bernhard Gewohnte und exzellent geschrieben, mit feinen Gedanken und ohne die spielerische Verschachtelung und Satzverschrobenheit. Die Schwierigkeiten und die durchlöcherte Existenz dieser Familie sind erschütternd und werden in Form von Fragmenten und Ausschnitten präsentiert.
Im Rückblick wird klar, wie schwierig die Situation war und wie gut sich das Unglück verborgen hat. Ein echter Lichtblick ist dann nicht mehr möglich, wenn das Leben durch so ein Ereignis geprägt ist und auch ein Studium nicht erfüllend ist, wo sich der Erzähler „im Auswendiglernen deprimierender Umgangsformen des Pseudogeistes erschöpft“ hat, während das wahre Wissen doch immer nur aus einem selbst kommt. Es gibt keine neuen Bezugspersonen oder Erwartungen an das Leben. Der Streich der Eltern ist auf Dauer gelungen und hat lebendig Tote hinterlassen.
„Ich war“, so der Erzähler, „eine ungeheuere Anzahl von Existenzen, eine ungeheuere Anzahl verheerender, alles bedeutender Existenzmöglichkeiten“, während der Bruder keinen anderen Ausweg sieht, als schließlich doch noch den Eltern zu folgen. Möglich, weil er an Epilepsie litt, eher jedoch darum, weil er zu intelligent war und das Leben nicht mehr ertrug.
Der Leser erfährt im Wechsel beide Sichtweisen, um sich ein Bild über den jeweiligen Charakter zu machen. Zum einen sind die Briefe des Erzählers, zum anderen die Aufzeichnungen des Toten zu entziffern. Mit dem Tod des einen wird dessen Anwesenheit nicht geringer, sondern verhundertfacht sich, denn „der Tod unterbricht ja nichts“. Der Erzähler muss lernen, er selbst zu sein, sich an sich selbst zu gewöhnen, ohne Familie. Auf andere Menschen wirkt er furchteinflößend. An ihm haftet der Tod des Bruders.
Am Ende beweist ein Satz, dass der Aufenthalt ganz woanders ist, dass vielleicht nicht einmal das Versteck „Turm“ existierte. Mit nur einem halben Satz offenbart das Geschehen seine mögliche Auflösung.
Ich teile die Auffassung Bernhards, dass dieses Werk eines seiner besten ist. Ich finde die Darstellung gelungen, gerade aufgrund der einfachen Stilmittel und des für den Leser geöffneten Interpretation- und Denkfreiraums, und auch, weil die typische, immer so verzweifelte Bissigkeit anderer Werke hier vollständig fehlt.
(Alle Zitate aus: Thomas Bernard "Amras", Suhrkamp Verlag)
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