HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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An dieser Stelle möchte ich kurz über das soeben gelesene Buch 'Tender Bar' von J.R. Moehringer berichten. Vielleicht in einer Form, die hier bislang nicht ganz üblich war, aber sowohl mir, wie auch, so glaube ich zu wissen, dem Autor des Buches gerecht wird.
“Tender Bar” von J.R. Moehringer
Als ich mich auf dem Weg durch meine Buchhandlung befand, um für mich, auf Empfehlung einer besonderen Menschin, deren Literaturkenntnissen ich vertraue, ein Buch von Henry Miller zu kaufen, führte mich der suchende Streifzug mehrmals an einem pyramidenförmig aufgebauten Buchstapel vorbei, dessen Farbe mir sogleich etwas Warmes, Bekanntes assoziierte. Eine Farbe, ähnlich wie die des alten Schrankes aus Nussbaumholz, der in Zeiten meiner Kindheit die Wohnung meiner Großmutter zierte.
Beim dritten Kontakt mit dem in den Weg gestellten Blickfang, genehmigte ich mir eine genauere Betrachtung, die das Vertraute zu analysieren versuchte.
Eine kurze Einführung auf dem Einband deutete darauf hin, dass das Buch ’Tender Bar’ die eigene, authentisch erlebte Geschichte des Autors beschrieb, ein Autor, der nur wenig älter ist als ich selbst, was vermuten ließ, Parallelen zu meinem Leben finden zu können, weil er beispielsweise genauso wie ich dazu neigt, einen Ort zu mythologisieren. Bei ihm eben diese Bar seines Onkels, der sie aus Liebe zur Schriftstellerei bedeutend ‘Dickens‘ nannte, in der alle Fäden des Lebens des Autors immer wieder zusammenliefen.
Trotzdem wendete ich mich zunächst Miller zu und nachdem ich den ‘Wendekreis des Krebses’ gekauft und mit Begeisterung gelesen hatte, und erkannte, dass bald die Zeit für ein neues Buch kommen würde, richteten sich meine Gedanken immer wieder auf die Erinnerung an das Buch ‘Tender Bar’.
Mich ließ weder die Farbe des Einbandes, noch der Gedanke an die Möglichkeit los, dass es im fernen Amerika vielleicht jemanden geben könnte, der Dinge erlebt hatte, die ich lesen sollte, weil er, genau wie ich etwas erlebt hatte, was zu unserer Zeit noch viel zu häufig tabuisiert wurde. Ich war in den Bann gezogen, dass ich mich nicht mehr dagegen wehren wollte, die Buchhandlung aufzusuchen, das Buch zu kaufen, es nach Hause zu tragen, es wie ein rohes Ei aus der Verpackung zu befreien und es von allen Seiten, durch beide Hände führend zu betrachten.
Ich genoss diesen Geruch des neuen Buches, das frisch aus der Presse kam, das vorsichtige öffnen der Seiten, die in einem leichten Cremebeige den Augen schmeichelten. Das hatte für mich das Gefühl, als würde ich eine erwartende Jungfräulichkeit beenden, obwohl ich das im einendlichen Sinne nie erlebt hatte.
Doch die Membran, die ich durchstieß, ist die Grenze des aus sich heraus kommen, um über etwas zu reden, dessen man sich in der Regel durch Gesellschaft und Erziehung - völlig unbegründet - schämt.
Ich tauchte ein in die Geschichte des Autors, die sich wie ein Spiegelbild meiner eigenen Geschichte liest, wodurch sich ein großer Teil meiner Begeisterung für dieses Buch begründet. Die Ähnlichkeit der Abläufe des Lebens, der Personen, die die Handlung durchlaufen, Charaktere, Schule, Freunde, Liebe, Ausbildung, Literatur…
Natürlich laufen die Dinge in den USA anders als in Europa, wer spielt hier Baseball, wer geht hier nach der 8. Klasse auf ´s College? Auch die Speisekarte der alkoholischen Getränke von Amerikanischen Jugendlichen unserer Zeit weicht deutlich von meinen ab, besonders was Härte und Menge betrifft! Doch das sind nur Äußerlichkeiten, die ihren Wert erst im Gefühl ihres Sinnes finden können. Es geht im Buch nicht darum, die Liebe zu einer bestimmten Person zu beschreiben, sondern den Zusammenhang zwischen Liebe und Leiden unter Voraussetzung eines bestimmten Lebensumstandes zu erläutern, um die Art, wie man diese Liebe dadurch lebt, oder nach welchen Kriterien man sich einen Menschen sucht und für welche Art Mensch man empfänglich wird. Die Dinge sind verschieden und doch so gleich.
Was der Autor in Hoppers ’ Nighthawks ’ findet, sehe ich beim Betrachten von ’ Le Moulin de la Galette’ von Renoir.
Ich lese das Buch und ich lese mich selbst. Ich lese mein Leben! Ein Kind, das ohne Vater aufwächst, mit all den Ängsten, unter all den Umständen, mit all den Umständen zu denen das führt. Ein Mensch, der nach Förderung sucht, ringend nach tausend Ersatz - Vätern, die sich die Zeit nehmen sollten, einem vaterlosen Jungen beizubringen, wie man Fußball spielt, Sicherheit bietet, aus der ich mir eine Eigene hätte aufbauen können. Ich sehe die vielen Menschen, die das alles ersetzen sollten, was ein Sohn in seinem Vater sucht, wie der Nachbar, der redselig Ratschläge für den Erfolg versprechenden Umgang mit Mädchen gab, oder der Tankwart, der mir den Auspuff meines ersten Autos mit einer Blechdose und zwei Schellen reparierte, weil ich kein Geld hatte, und mir auf verständnisvolle Weise zeigte, wie ich das beim nächsten Mal selbst bewerkstelligen konnte.
Ich lese das Buch, folge dem Leben des Autors und sehe seine Mutter, die sich, genauso wie meine, tagein, tagaus kämpferisch und uneigennützig für ihr Kind verausgabte, litt, hoffte, verzweifelt nach Lösungen suchte, so dass heute nicht alle Liebe dieser Welt reichen könnte, um es ihr genügend zu danken!
Ich bin diesen ganzen Weg meines Lebens noch einmal Seite für Seite, Seite an Seite mit dem Protagonisten durchgegangen, und das war ein sehr schmerzlicher, doch gleichermaßen angenehmer und daher wichtiger Schritt für mich.
Danke J.R. Moehringer, dem Schriftsteller, dessen Name wirklich gut klingt!