HirngespinsteAustausch zwischen Literatur und Kunst |
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Grade kam ich am Bad vorbei und da roch es irgendwie so komisch, ganz anders als sonst, aber ich kannte den Geruch. Dauerte eine ganze Weile, bis ich dahinterkam, was das war, und diese Erinnerung, die kam von weit, weit her: Es roch nach Schildkröte! Dabei hab ich gar keine. Und da musste ich wieder an diese Geschichte denken....Na, ich werde jetzt mal prophylaktisch trotzdem ne Ladung Abflussreiniger in den Badezimmerinnereien verteilen...
Unsere nächsten kleinen Spielkameraden waren Hannibal, ein Goldhamster, und diverse Schildkröten unterschiedlicher Grösse, die sich langsam auf der Suche nach Salatblättern durch den Garten schoben. Sie waren ziemlich langweilig. Ausser ihnen beim Fressen zuzuschauen liess sich nichts Rechtes mit ihnen anfangen, und wir kümmerten uns nach einiger Zeit nicht mehr gross um sie. Auf ihrem Panzer befestigten wir mit Tesafilm ein Schild mit unserem Namen und unserer Anschrift, dann liessen wir sie draussen ihr monotones Schildkrötenleben leben. Es kam auch regelmässig vor, dass die eine oder andere dabei nach einiger Zeit unseren Garten durch eine Lücke im Zaun verliess und woanders nach saftigeren Salatblättern zu suchen begann.
Einmal bekamen wir eine von ihnen dank ihres Schildes auf dem Rücken durch den Postboten zurück, sie hatte sich innerhalb mehrerer Wochen fast bis in die Innenstadt vorgearbeitet. Irgend jemand hatte sie gefunden und bei der Post aufgegeben wie einen Brief.
Allerdings ist mit diesen langweiligen Schildkröten auch eins der unangenehmsten Tiererlebnisse verbunden, an das Hanni und ich noch lange voller Schuldgefühle und Scham zurückdachten – umso mehr, als unser Handeln von den allerbesten Absichten gesteuert gewesen war.
Wir hatten in der Schule gelernt, dass Schildkröten zu jenen merkwürdigen Wesen gehörten, die in der kalten Jahreszeit Winterschlaf hielten. Wir wollten unseren Tieren einen möglichst artgerechten Aufenthalt bieten und packten daher das Exemplar, das wir im Herbst im Garten aufstöberten, irgendwann im November, als es wirklich keinen Spass mehr machte, draussen zu spielen, in einen fürsorglich mit ein paar Handvoll Laub ausgepolsterten Schuhkarton. Jetzt war es mit Sicherheit Zeit für sie, diesen Winterschlaf zu beginnen. Damit das gute Tier während seiner Ruhephase nicht gestört wurde, hievten wir den Karton ganz nach oben auf den alten Kleiderschrank, der in Hannis Zimmer stand. Und liessen ihn dort stehen. Tagelang. Wochenlang. Ewig. Und vergassen ihn nach einer Weile völlig.
Irgendwann im nächsten Frühjahr fand Mutti den Karton oben auf dem Schrank und hielt ihn uns anklagend unter die Nase. Im Innern lagen ein paar vertrocknete Obstbaumblätter, ein bisschen Holzwolle und ein Schildkrötenpanzer. Die dazu gehörende Schildkröte hatte sich ins Innere ihres Gehäuses zurückgezogen und war dort vertrocknet.
Für uns war es ein Schock fürs Leben, für das qualvolle Hinscheiden dieser Schildkröte verantwortlich zu sein. Wir stellten uns vor, wie sie verzweifelt an der Innenseite des Kartons gekratzt hatte, damit ihr jemand zu fressen und zu trinken gab. Und wir Scheusale hatten nichts gehört, nichts gesehen, einfach nicht mehr an sie gedacht! Es dauerte lange, bis sich diese Schreckensbilder wieder verflüchtigten.
RE: Tierliebe (Auszug aus "Grossmuttis Schrank")
in Prosa 18.01.2009 17:53von Martinus • 3.195 Beiträge
Hallo Lennie,
(aus Martinus' Erinnerungskasten)
bei mir waren es Kaulquappen, die ich aus einem Bach unweit von Bahngleisen gefangen hatte. Sie schwammen in meinem Glas, ein Einmachglas, in dem man sonst Kirschen o.a. einmacht. Damit meine Kaulquappen überleben konnten, schüttete ich noch eine Portion Haferflocken hinein. Ich sehe mich heute noch, wie Kleinmartin im Sandkasten das Einmachglas mit dem Getier und den Flocken in der Hand hält. Am nächsten Tag nahm ich das Glas wieder in die Hand. Die Kaulquappen waren tot. Ich glaube, meine Mutter hatte all das gar nicht mitbekommen. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass ich deswegen ausgeschimpft wurde und wo ich die Kaulquappen beerdigt hatte. Im Garten meiner Eltern ist heute kein Holzkreuz zu sehen.
Mir gefällt deine Geschichte, weil Kinder sich so was blödes ausdenken. Erschreckend, mit was für ein Gewissen sich Kinder dann quälen müssen.
Ich habe mich über die Geschichte gefreut.
Liebe Grüße
mArtinus
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
RE: Tierliebe (Auszug aus "Grossmuttis Schrank")
in Prosa 19.01.2009 10:27von Lennie • 829 Beiträge
Ja, Martinus - ist das nicht furchtbar?
Da ist man voll der allerbesten Absichten und bar jeder Fachkenntnis.... und kreiert sich so unfreiwillig die ersten Dramen seines Lebens!
Ich nehme an, du hast nach deinem traumatischen Erlebnis nicht nochmal versucht, Kaulquappen mit Haferflocken zu füttern? - Wir verlagerten unsere Sympathien seinerzeit erschrocken auf Tiere mit mehr Fell, mehr Stimme und geringerem Schlafbedürfnis....
bises, Lennie
RE: Tierliebe (Auszug aus "Grossmuttis Schrank")
in Prosa 19.01.2009 15:45von Martinus • 3.195 Beiträge
Zitat von Lennie
Ich nehme an, du hast nach deinem traumatischen Erlebnis nicht nochmal versucht, Kaulquappen mit Haferflocken zu füttern? -
Kaulquappen nicht mehr, aber dann kamen Goldhamster und Wellensittiche. Mit denen habe ich aber nicht mehr experimentiert.
Liebe Grüße
mArtinus
„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)