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Hirngespinste

Austausch zwischen Literatur und Kunst

#1

Unter dem Mikroskop betrachtete Zusammenfassung einer Rückkehr

in Gedanken vom Tag 04.03.2009 19:56
von Taxine • Admin | 6.671 Beiträge


Ein paar Tage bin ich jetzt wieder in Deutschland, und schon kocht der Kopf, läuft über, will festhalten. In Thessaloniki mache ich mir viele Notizen, ohne sie richtig ausführen zu können, dafür bin ich zu viel unterwegs, zu wenig in der Gedankenwelt selbst. In Deutschland legt sich das alles wieder, es wäre mit einem vibrierenden Zustand zu vergleichen, der die ganze Zeit schwingt und durch eine Art Gewohnheit zur Ruhe gerät. Denn, wie lange man auch woanders ist, kehrt man an einen vertrauten Ort zurück, ist der Zustand schnell wieder derselbe, man passt sich sofort an die Umstände an, freut sich auch, all das wiederzusehen. Ich mache das einfach wie Miller: den Koffer in der Hand wird hin und her gereist, sobald etwas Geld vorhanden ist. Da muss schon mal eine Zeichnung für 'n Appel und Ei dran glauben oder ein Bild verscheuert werden. Trotzdem ist es kein „von der Seele reißen“, dafür malt man schließlich, dass die Bilder unter Leute kommen. All das ist ein recht schwebender Zustand. Manchmal denke ich mir: wohin führt das alles? Früher, in der Werbeagentur, hatte ich mein sicheres Gehalt, mein sicheres Leben, und nun hängt alles im Ungewissen. Dafür aber ist man immer wachsam, immer offen für neue Ideen und Eindrücke. Nur für die Kunst leben, eröffnet einen neuen Raum an Möglichkeiten und Erfindungsreichtum. Man ist durch nichts mehr abgelenkt, von all dem, was nicht dem Werk dient. Man befindet sich fast ständig im Schaffensprozess. Zum Leben selbst bedarf es eigentlich nicht viel. Ein Dach über dem Kopf findet sich doch immer, das Essen ist überall vorhanden. All das erfordert eben ein losgelöstes Leben, auch die Not der Zwischensequenzen.
Wenn man aus Griechenland zurückkommt, dann hat man eigenartige Gelüste. Zum Beispiel freut man sich tatsächlich auf… Kartoffelbrei, Schnitzel, Erbsen. Die einfache Küche. Ich kann mich nicht daran erinnern, mich überhaupt je auf Essen gefreut zu haben, auf schlichte Speisen. Oder Mischbrot. In Thessaloniki gibt es eine einzige Wiener Bäckerei mit mächtigen Broten. Aber, in Griechenland verlangt es einen eben nicht danach, obwohl es all die Dinge sicherlich auch zu kaufen gibt. Man ist ständig nur von Pita und Fleisch und Oliven und Feta, jede Menge Feta umgeben. Überall herrscht der Geruch nach Gebratenem, das ist nicht übertrieben. Das ist zwar lecker, aber sobald die Welt wieder wechselt, wechselt sofort auch der Geschmack.
Karneval in Griechenland ist etwas anders gestaltet, als in Köln. Es geht nicht um die Trinkerei und das hastige Aufreißen "prall gestopfter Männerhosen" oder „lüstern, betrunkener Weibsbilder“, die zumeist kaum etwas von dem Mann mitbekommen, der gerade an ihren Lippen hängt. (Das darf durchaus zweideutig verstanden werden…) Ich konnte nie verstehen, warum die Leute sich ein ganzes Jahr darauf freuen, einmal im Jahr ordentlich die Sau herauslassen zu dürfen, auf Befehl fröhlich zu sein, die Maske anzulegen, um ihre sämtlichen Hemmungen fallen zu lassen und durch die Kölner Altstadt zu stolpern, wo sich die stoßweise atmenden Alkoholleichen übereinander stapeln, sechzehnjährige Mädchen mit der Flasche Wodka in Hintergassen zusammenbrechen, jemand im traurig rosa Hasenkostüm - was weiß ich - kompensiert (wobei man sagen muss, dass das Kostüm des melancholischen Clowns eine Sache ist, das Tragen von rosa Häschenkostümen allerdings notwendig macht, dass dieser Hase dann auch wirklich fröhlich und ausgeflippt durch die Straßen springt. Ein rosa Hase mit geknickten Ohren und geknickter Stimmung wirkt einfach nur trostlos) oder so manch einer nur darauf lauert, dass ihm einer blöd kommt, um endlich einmal ordentlich den aufgestauten Frust von einem Jahr hinauszulassen. Nein, dieses Feiern auf Kommando ist in meinen Augen recht lächerlich. Dagegen fand ich den Karneval in Thessaloniki schön, bunte Kostüme, nüchterne Menschen, echtes Lachen, nicht das aufgemalte, unter dem sich der Mund zum Kinn hinab zieht (ich übertreibe natürlich, es gibt sicherlich auch die, die den Karneval auf ihre Art feiern). In allen Straßen gab es kostenlose Speisen, man konnte alles mögliche probieren, es gab verschiedene Tänze, überall erklang Musik und Gelächter. Die Tavernen sind in den kalten Tagen durch Heizstrahler beheizt, und in den engen Gassen sitzt man ohne Jacke, mit dem Himmel über dem Kopf. Das hat seinen Charme.
Nach all den vorangegangenen Tumulten, sieht man die Stadt irgendwie aufatmen. Das alles ist natürlich eine eigene Interpretation meinerseits. Die ersten Konsequenzen der „Chaostage“ zeigen sich im Verbot der Handy- und Internetkarten. Vorher konnte man einfach, ohne persönliche Angaben, eine Telefonnummer kaufen. Das bedingte natürlich, dass keinerlei Information über den Menschen möglich war, keinerlei Kontrolle. Jeder konnte eine Telefonnummer haben und sie, nach Belieben, wechseln. Das ist nun nicht mehr möglich.

Na gut, hier in Deutschland, vom Einsturz des Archivs einmal abgesehen, freue ich mich, auf Köln zu treffen, den Dom wiederzusehen und auf die nächste Lesung in Mülheim. Bis dahin rattert der Geist und arbeitet zumeist ganz von alleine. Ich muss sagen, auch das hat etwas.

Dies einmal am Rande, nur so... mal eben so durch die Lupe betrachtet, bevor es wieder zwischen den Gehirnwindungen versickert.
Wie so vieles.
Tja, ja...



Art & Vibration
zuletzt bearbeitet 14.03.2009 23:46 | nach oben springen


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