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Hirngespinste

Austausch zwischen Literatur und Kunst

#1

Venedig

in Prosa 22.05.2009 23:01
von Lennie • 829 Beiträge
Viel buntes Glas.
Viele Karnevalsmasken.
Ein komfortables Hotel, angenehm ruhig gelegen.
Das Zimmer sehr rot und sehr barock. Selbst an Stellen, wo es eigentlich gar nicht nötig gewesen wäre. Eine Stuckrosette an der Decke, die offenbar den geografischen Mittelpunkt des Raums markiert. Manchmal kommt aus solchen Dingern ein Kronleuchter raus. Hier nicht. Hanni fotografiert das Gebilde trotzdem. Sie findet die Linien so schön, wie Wellen, sagt sie träumerisch.
Noch mehr buntes Glas.
Noch viel mehr Karnevalsmasken.
Den Platz San Marco überqueren wir im Laufschritt und verlassen ihn fluchtartig am entgegengesetzten Ende. Horden drängen sich vor den Eingängen der Kathedrale und dem Dogenpalast. Wir drängen nicht mit, gehen lieber abseits auf individuelle Entdeckungsreise.
Cannaregio und das jüdische Ghetto bei Regen.
Spaziergang durch Dorsoduro und Besuch bei Peggy Guggenheim. Grossartig!
Schattige Gassen und algengrünes Wasser in den Kanälen, bröckelnder Putz an den Palästen.
Und wieder Glas.
Und wieder Masken.
Mutter hätte gern das Kommisariat von Commissario Brunetti gesehen – es kommt allerdings nicht an uns vorbei.
Wir besuchen stattdessen den Rialto-Markt. Wo, wie ich erfahre, Signora Brunetti immer ihre Einkäufe macht.
Ich mache eine hübsche Portrait-Aufnahme von einer jugendlichen Möwe, die unter einer der Stellagen herumspaziert, ganz in meiner Nähe. Die dumme Nuss zappelt allerdings im letzten Moment herum, sodass später auf dem Bild lediglich noch ein Rest von ihrem Sterz und der Rand einer Styroporverpackung für Fische zu sehen sind.
Hanni schaut sehr lieb, als ich es ihr später zeige.
Wie schön, dass es digitale Fotoapparate gibt!
Und nochmal buntes Glas.
Und ein paar ganz besonders schöne Karnevalsmasken.
Al-dente-Nudeln muss man wirklich mögen – so flüchtig, wie sie hier Kontakt zu heissem Wasser haben!
Hanni bestellt Spaghetti mit einer Art Krabbensauce. Bekommt sie auch, für 20 Euros.
Ich bestelle ein Lachssteak. Und bekomme ein Lachssteak. Gegrillt ist es schon. Aber davon abgesehen mutterseelenallein auf seinem Teller. Für 18 Euros.
Abends sind wir k.o. vom vielen Laufen, liegen auf den Betten und unterhalten uns.
Ich bin wie immer auf Materialsammlung für eventuelle Geschichten. Mutter und Hanni wollen mir die Geheimnisse einer Geburt nahe bringen. Weil ich doch keine Kinder habe, und damit ich mir das trotzdem vorstellen kann. Wie das ist, wenn man ein Kind kriegt. Ich halte Zettel und Stift bereit und bin ganz Ohr. Hanni konzentriert sich.
« Also, stell dir vor, du hast ungeheure Blähungen, » sagt sie schliesslich. « Und plötzlich – plötzlich kackst du sowas wie einen querliegenden Backstein! - Mehr ist das nicht. »
Wir lachen so, dass wir fast von den Betten kullern. Besonders Mutter, ihr laufen die Tränen herunter. Immerhin – die Schilderung ist anschaulich und offenbar recht zutreffend.
In Cannaregio finde ich nach einigem Suchen den Firmensitz meines Mosaiklieferanten, sehr diskret hinter einer hohen Mauer versteckt. Nur ein winziges Schild aus goldenen Smalti zeigt seinen Namen.
Ich mache ein Foto.
Ich kaufe einen von diesen « winestoppern » aus buntem Glas.
Ich schaue noch ein paar Masken an.
Hanni macht Nachtaufnahmen aus dem Hotelfenster auf den Kanal hinaus.
Am gegenüberliegenden Kai huscht eine Ratte entlang.
Letzter Spaziergang über die Zattere am Morgen, Blick auf Giudecca.
Das Licht ist sehr durchsichtig, die Sonne wärmt.
Wir setzen uns auf eine Mauer und fühlen Frieden.
Um zwölf nehmen wir das vaporetto in Richtung Santa Lucia.
zuletzt bearbeitet 08.06.2009 22:55 | nach oben springen

#2

RE: Venedig

in Prosa 22.05.2009 23:21
von Taxine • Admin | 6.678 Beiträge
Das ist ein interessantes Stimmungsbild mit deftigen Worten - nicht schlecht, liebe Lennie.



Art & Vibration
zuletzt bearbeitet 23.05.2009 15:50 | nach oben springen


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