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Hirngespinste

Austausch zwischen Literatur und Kunst

#1

Diving

in Prosa 17.08.2009 22:43
von Lennie • 829 Beiträge

Treffpunkt ist früh um 8h30. Um 9h00 wird das Boot ablegen. Wer nicht pünktlich ist, hat Pech, gewartet wird auf niemanden.

Die « Schnupperkunden » registrieren und zum Strand schicken, wo sie von Camille in Empfang genommen und während ihres ersten Taucherlebnisses mit viel Fingerspitzengefühl betreut werden. Schnupperkunden werden gepflegt, es sind die finanziell am interessantesten. Einmal Schnuppertauchen 35 €. Dafür gibt's dann gut 20 bis 30 Minuten unter Wasser, je nach Lust und Verhalten des Schnupperers. Ein paar Kilometer weiter im nächsten Ort ist es schon 10 € teurer und dauert dafür nur 15 Minuten...
Die ärztlichen Atteste der neuen Kunden kontrollieren. Tauchanzüge, Flossen, Masken an Mietwillige ausgeben, Kautionen kassieren.
Alle Kunden in der Liste vermerken, Telefonnummern dazu.
Die Verteilung der Druckluftflaschen überwachen. Einer will unbedingt einen « Bi » mit 2 x 12 Litern. Van der Velt. Ein Tourist aus Holland. Mit Mega-Ausstattung. Alles vom Feinsten....
Für eine normale kleine Exkursion in die Unterwasser-Reserve, nicht tiefer als maximal 25 Meter – vielleicht ein klein wenig überdimensioniert? Jacques, der wettergegerbte Bootsführer, kratzt sich am Bart und grinst verstohlen, während er sich zwei Monoblöcke auflädt und schweigend auf die « Amiral » schleppt.
Alle legen Hand mit an, tragen Druckluft- und Trinkwasserflaschen an Bord, mit Ausnahme eines Urlauberpärchens aus Lille, das überall im Wege herumsteht und den zügigen Ablauf behindert. Alle merken es, keiner sagt etwas. Angeblich sind sie Niveau 2, alle beide. Man wird sie im Auge behalten müssen.
David, Yannick und Véro, die verantwortlichen Teamleiter, packen noch rasch Madeleine-Biscuits, Muscatwein und Pastis ein, ehe sie hinunter zur Anlegestelle sprinten, wo Jacques bereits das Ablegemanöver beginnt, während Polo die letzten Taue löst. Kurz darauf bahnt sich die « Amiral » ihren Weg durch Hobbysegler, kleine Yachten und Fischkutter hindurch dem offenen Meer zu.
Rund 30 Minuten Fahrt bei leichtem Seegang bis zur Reserve.
Mit etwas Glück werden sie ein paar Langusten sehen. Vielleicht sogar Oscar, die Muräne. Oder den alten grantigen Zackenbarsch, der sich meist in seiner Höhle verschanzt und immer so schlecht gelaunt wirkt...
Während der Fahrt werden erste Kontakte geknüpft. Eine Handvoll Stammgäste aus der Gegend, der Rest Touristen. Nicht alle sprechen französisch. Polo versucht, sich mit approximativem Englisch und viel ausdrucksstarker Mimik verständlich zu machen. Alle lachen, man klopft einander auf die Schulter, die Stimmung ist gut.
Die ersten beginnen, sich umzuziehen. Van der Velt, der « Bi-Block-Taucher » wird verstohlen beobachtet und belächelt. Neue Cressi-Tauchweste. Dicker Mares-Computer am Handgelenk. Zwei Messer, zwei Masken, zwei Schnorchel.... Aber er ist zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass er die aufkeimende Heiterkeit in seiner Nähe bemerkt. Auch er ist Niveau 2 und wird mit noch zwei weiteren Kandidaten David zugeteilt, der unauffällig die Augen verdreht, als er es erfährt.

Ankunft an der vorgesehenen Tauchstelle in der Reserve.
Alle Teams sind zusammengestellt, die Briefings sind beendet, jeder kennt sein Programm.
Jacques ist der letzte, der sich umzieht. Flossen, die mal gelb waren, eine abgeschabte Tauchweste, die schon bessere Tage gesehen hat und keinen Tauchcomputer. Jacques taucht noch « à l'ancienne », mit einer wasserdichten Tabelle an einer Schnur um den Hals, auf der die Wassertiefen und die erforderlichen « Palier »- Wartezeiten während des Auftauchens vermerkt sind. Handfest, schwarz auf weiss.
Diskret macht er sich mit seinem Grüppchen von drei « Niveau 4 » davon.
Davids Gruppe verlässt die « Amiral » als letzte. Man wartet lange auf Van der Velt, der wieder und wieder seine Maske reinigen muss, bis sie endlich sauber genug ist...

Polo bleibt an Bord, hisst den Taucherwimpel, überwacht die Uhrzeit und das umliegende Meer. Auch wenn es strikt verboten ist, gibt es doch immer wieder ein paar Unverantwortliche, die allzugern mit ihren Meeres-Scootern in der Nähe der Tauchboote herumflitzen. Er hat sein Megaphon stets griffbereit.
Nach einer guten halben Stunde beginnt er, den Apéritf vorzubereiten und Biscuits zurechtzulegen, zieht die kleinen Plastikbecher hervor und baut alles in der windgeschützten Kajüte auf.
Ein paar Minuten später klettert das erste Team strahlend wieder an Bord. Sie haben Oscar gesehen! Nur ganz kurz zwar, aber immerhin. Und zwei Tintenfische, ganz weiss sind die geworden, ehe sie sich davongemacht haben.

Wie die Korken kommen sie jetzt einer nach dem anderen wieder an die Oberfläche. Polo steht auf der Brücke und zählt die Köpfe. Erst ein paar Luftblasen, wie sprudelnder Sekt, kurz darauf sieht man die Taucher aus der Tiefe langsam an die Oberfläche gleiten. Alle sind begeistert. Sie haben viel gesehen, einige haben fotografiert. Den Zackenbarsch mit seinem Flunsch. Den Schatten von Oscar. Und sogar ein Seepferdchen. Scheinwerfer, Druckluftflaschen und Tauchwesten werden mit vereinten Kräften wieder an Bord gehievt.

Siebzehn. Zwei fehlen noch. Plötzlich Tumult im Wasser, dann erscheinen fast gleichzeitig zwei Taucher an der Oberfläche. David reisst sich wütend die Maske herunter. Neben ihm Van der Velt, paddelt zur Leiter hinüber und beginnt, sich umständlich seiner Flossen zu entledigen, ehe er schwerfällig an Bord klettert.
Jacques eilt hinüber und hilft beiden ins Boot, fragt nach dem Grund für die Aufregung.
David behauptet, Van der Velt habe die Wartezeiten nicht eingehalten, sei zu schnell aufgetaucht. Und hätte zuvor unten zu lange gebummelt und sich nicht an die Tiefenvorgaben gehalten.
Ein unentschuldbares Benehmen innerhalb eines Tauchteams.
Van der Velt schüttelt den Kopf und grinst bloss. Mit einem freundlichen « nej, nej! » hält er Jacques seinen teuren Mares-Computer unter die Nase zum Beweis dafür, dass er sowohl Tiefe als auch Auftauchzeit korrekt eingehalten habe. Er gesellt sich zu den anderen, die bereits fröhlich dem Muscat zusprechen und sich an den kleinen Kuchen laben. David ist beleidigt, hält sich abseits.

Rückfahrt zum Hafen, wieder 30 Minuten. Der leichte Fahrtwind ist angenehm.
Auf halber Strecke ruft Véro Jacques nach vorne aufs Sonnendeck. Van der Velt fühlt sich nicht gut. Taubheitsgefühl und Kribbeln in den Gliedmaßen. Yannick eilt in die Kajüte, kommt mit zwei aufgelösten Aspirin zurück. Polo gibt Vollgas. Van der Velt wiegelt ab: alles halb so wild, ist ja schon wieder vorbei.... Jacques weiss es besser. Er telefoniert.

Der Krankenwagen steht bereits am Kai, als sie ein paar Minuten später anlegen. Van der Velt wird eingeladen und kurz darauf geht es mit Blaulicht in Richtung Stadt und Unfallklinik.

Erst am nächsten Vormittag wird Näheres bekannt.
Van der Velt ist noch immer in der Druckkammer. Es war höchste Zeit gewesen. Er wird noch einige Zeit zur Beobachtung in der Klinik bleiben müssen. Und jeden Tag erneut für 7 Stunden in die Druckkammer geschickt werden. Solange, bis die Werte wieder akzeptabel sein werden.
Sein Urlaub ist zu Ende. Er liest jetzt viel. Und will den Mares-Computer umtauschen.

zuletzt bearbeitet 22.08.2009 09:46 | nach oben springen


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