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Hirngespinste

Austausch zwischen Literatur und Kunst

#1

Amos Oz

in Die schöne Welt der Bücher 04.10.2009 14:34
von Martinus • 3.195 Beiträge

Hallo,

Taxine in "Lektüreliste" Oktober 2009

Zitat von Taxine

Zitat von Martinus
... bloß wie soll ich so einen Roman rezensieren?






Nun habe ich es doch geschafft


Amos Oz: Allein das Meer

„Allein das Meer“ ist ein Roman, der die literarische Form des Romans sprengt oder erweitert, ein Roman in freirhytmisierenden Gedichten und kurzen Prosatexten. Einige Gedichte reimen:

Zitat von Amos Oz
Er knipst die Nachtischlampe an und winkt
dem Sohn, der Frau auf der Kommode zu. Versinkt
dann in Gedanken. Und tappt in die Küche, trinkt.


Der da in die Küche tappt ist Herr Albert Damon in der Amirin Straße, der allein ist, weil seine Frau Nadia an Eierstockkrebs verstarb und sein einziger Sohn Rico nichts besseres zutun hat, als in Tibet Berge zu erklimmen. Doch Vorwurf kam vom Vater. Rico ließe ihn allein, obwohl seine Mutter im Sterben liegt. Doch, jeder seine eigene Art zu trauen. In Tibet schreit er nach seiner Mutter. Amos Oz versteht es, seine Verse den Stimmungen anzupassen. Wenn man die Verse „Ricos schreit“ vorliest, braucht man sich nicht wundern, wenn die eigene Stimme immer lauter wird, wie es mir passiert ist:

Zitat von Amos Oz
..es kriecht die zu zerstückeln Leber Pankreas und Niere
sickert in die Milz zerreißt dich kriecht vom Eierstock
zum Bauch es saugt und kaut an deinem Zwerchfell
schlägt Giftzähne dir in die Lungen...



In den drei Strophen wird bewusst kein Satzzeichen gesetzt, Rico schreit seinen Schmerz in einem Atemzug hinaus. In den Bergen will er zu sich selbst finden. Für Albert Damon ist es sehr schlimm des Nachts allein. Er würde sie gerne zudecken, ihr die Haare streicheln, ist aber allein versucht seine Einsamkeit mit Bettina Carmel zu verschmerzen, die ihm in einem Fall von doppelter Besteuerung Rat gibt. Sie ist Wirtschaftsprüferin, er Steuerberater, aber in den Intimitäten der Liebe kommen sie sich nicht näher. Sie bremsen sich ab, jeder hat mit sich selber zutun, eigene Probleme zu bewältigen. So knüpfen sich im Roman mehrere Leben zusammen. Dita Inbar, Ricos Freundin, schläft mit dem widerlichen Giggy Ben-Gal, der sie hinterher fragt, „wie gut es für sie gewesen sei, auf einer Skala zwischen Null und Hundert.“ Dann ist da noch Dubi Dombrov, ein unangenehmer Typ von einer Filmgesellschaft, der Ditas Drehbuch verfilmen möchte, dabei aber nur Dita selbst im Kopf hat. Im Drehbuch liest er über Nirit und projeziert er seine feuchten Träume auf sie. Er entpuppt sich als Betrüger, deshalb sucht Dita Unterschlupf bei Albert.

Aufgrund seiner Konzeption aus Lyrik und kurzen Prosastücken ist dieser Roman schon einzigartig. Ich habe den Eindruck, Amos Oz will alte traditionelle Formen in unsere Zeit transportieren, alte Formen von Epen, rhapsodischen Gesängen. Es ist kein Zufall, dass einige Kapitel sich auf König David (AT) beziehen und der Beginn vom Psalm 42 zitiert wird, desweiteren dreimal Texte aus lateinischer Liturgie als Kapitelüberschriften gewählt werden: Stabat mater, De profundis, Dies irae. Im liturgischen Text „Stabat mater“ beklagt die Schmerzensmutter den Gekreuzigten, im gleichnamigen Kapitel bei Oz ist Mutter Nadia um ihren Sohn Rico besorgt. Die liturgischen Überschriften verknüpfen also nur an Traditionellem und Amos Oz schafft den Text neu, sodass er sich in den Roman verwebt. „Allein das Meer“ besingt das jahrtausende alte Lied von Sehnsucht, Trauer, Einsamkeit und Tod noch einmal neu für unsere Zeit. Auch wenn Dita mit Giggy schläft, sehnt sie sich nach Rico, auch wenn Rico fernab in Tibet bei einer Hure ist, so ist er doch seiner Familie nah, seiner Mutter, die Amos Oz aus dem Totenreich sprechen lässt, und seinem Vater, der Dita in seinem Hause wohnen lässt.

Ich habe Rezensionen gelesen, die beklagen, dass sich kein Übersetzer gefunden hat, der den Roman aus dem Hebräischen übesetzt hat. Die deutsche Übersetzung entstand nach der englischen Vorlage, deshalb die deutsche Übertragung von Frank Heibert nicht immer geglückt sei. Ich habe keine problematischen Stellen entdecken können, mir wäre der übersetzerische Umweg nie aufgefallen. Im Gegenteil. Ich hatte meine Freude an dieser herrlichen Lyrik, die immer in passender Stimmung zum Romaninhalt herüberflog und hätte mir niemals träumen lassen, dass ich mich so der alten epischen Form hingeben könnte. Ich erinnere mich an meine Lektüre der Ilias, die mich sehr anstrengte, auch wenn die Übersetzung von Schadewaldt war. Amos Oz schreibt eben in zeitgemäßer Sprache, die sich leichter inhaliert, trotzdem jedes Wort gut überlegt treffend zum Kontext. Offen gestanden, hier war mir der Inhalt eher sekundär, ich hatte meine Freude an dem lyrischen Gesang. Ich empfehle ein Experiment: Man schlage irgendeine Seite auf und beginne zu lesen. Überraschung, man wird auf schöne Stellen stoßen. Also, jetzt versuche ich es. Und:

Seite 86:

Zitat von Amos Oz
Ist es so wie einschlafen? Oder verbrannt werden? Es tut mir manchmal leid, daß wir
im letzten Sommer nicht nochmal nach Kreta fahren konnten, wo es so allmählich
dunkel wurde, wo sich der Geruch des Salzes mit dem herben Duft der Kiefern mischte,
wo wir Wein zu Schafsmilch tranken, während sich über der Ebene
der Bergschatten ausbreitete, die Berge selber aber,
weit weg, immer noch erleuchtet waren, und das Licht versprach
den zukünftigen Frieden, und das Flusswasser war eisig,
sogar im August....


Albert Damon lebt in der Kleinstadt Bat Jam nicht weit von Tel Aviv. Nicht weit ist auch das Meer. Man hört das Meeresrauschen. Ein „Duett“: Lautstark rauscht ein Fluß, der Fluß des Lebens. Im Hintergrund noch ein anderer Fluß, man hört nur das leise Murmeln dieses zweiten Flusses. Ruhe und das pralle Leben, zwei Pole.

Zitat von Amos Oz
Wie der Hirsch nach frischem Wasser lechzt, so lechzt auch meine Seele.....
...........................................................................................................................
................................................................. Nun kehr zurück zu deiner Ruhe,
meine Seele......



Liebe Grüße
mArtinus




„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
zuletzt bearbeitet 26.02.2010 11:13 | nach oben springen

#2

RE: Amos Oz

in Die schöne Welt der Bücher 26.02.2010 11:25
von Martinus • 3.195 Beiträge

Zitat von Martinus

Ich habe Rezensionen gelesen, die beklagen, dass sich kein Übersetzer gefunden hat, der den Roman aus dem Hebräischen übesetzt hat. Die deutsche Übersetzung entstand nach der englischen Vorlage, deshalb die deutsche Übertragung von Frank Heibert nicht immer geglückt sei. Ich habe keine problematischen Stellen entdecken können, mir wäre der übersetzerische Umweg nie aufgefallen. Im Gegenteil. Ich hatte meine Freude an dieser herrlichen Lyrik, die immer in passender Stimmung zum Romaninhalt herüberflog und hätte mir niemals träumen lassen, dass ich mich so der alten epischen Form hingeben könnte.



Der Übersetzer Frank Heibert, der zufällig auf diese Rezension in meinem Blog gestoßen ist, hat mir u.a. mitgeteilt, Amoz Oz habe selbst den Wunsch geäußert,"für das Deutsche möge man die englische Übersetzung nehmen, die er in monatelanger Arbeit mit dem englischen Übersetzer Nicholas de Lange durchgeackert hatte." (Frank Heibert)

Liebe Grüße
mArtinus




„Wäre die Erde eine Bank, dann hättet Ihr sie bestimmt schon gerettet!" (Greenpeace)
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#3

RE: Amos Oz

in Die schöne Welt der Bücher 26.02.2010 12:40
von LX.C • 2.821 Beiträge

Wow, das ist ja stark.


--------------
[i]Poka![/i]

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